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Interview

Keno – ein Gespräch über transnationale Erfahrungen

"Ich dach­te am Anfang, wenn wir in einem indi­schen Dorf ankom­men und ich begin­ne, auf Deutsch zu rap­pen, zei­gen die mir den Vogel. Es war null so, weil es für das Prin­zip von Rhyth­mus und Spra­che kei­ne Erklä­rung braucht." – Keno im Gespräch über sei­ne trans­na­tio­na­len Erfah­run­gen in Indien.

Ein inter­na­tio­na­les Fea­ture ist mitt­ler­wei­le schnell ein­ge­kauft und dank der digi­ta­len Ver­net­zung in nur weni­gen Sekun­den abge­spro­chen und ver­schickt. Die­se Art der Musik­pro­duk­ti­on und Kom­mu­ni­ka­ti­on ist aller­dings nicht unbe­dingt das, was man sich unter einer trans­na­tio­na­len Ver­net­zung vor­stellt bezie­hungs­wei­se wünscht. Hier geht es den meis­ten Künstler:innen um eine tief­grei­fen­de und län­ger­fris­ti­ge Beschäf­ti­gung mit­ein­an­der, selbst wenn die­se ursprüng­lich kein kla­res Ziel ver­folgt. Ein Künst­ler, der sich in den letz­ten Jah­ren immer wie­der auf ver­schie­de­nen Ebe­nen mit Musik und Musiker:innen aus ande­ren Län­dern beschäf­tigt, ist Keno. Der ehe­ma­li­ge Front­mann von Moop Mama reis­te bereits für sein ers­tes Solo-​Album "Para­da­jz Lost" unter ande­rem in die Tür­kei. Auch sein aktu­el­les Album "Schall und Rausch" ist inspi­riert von sei­nen trans­na­tio­na­len Erfah­run­gen. Doch was macht die­se eigent­lich so beson­ders? Gemein­sam mit dem Rap­per spra­chen wir über das Rei­sen, Grenz­erfah­run­gen, das Pla­nen trans­na­tio­na­ler Pro­jek­te und dar­aus resul­tie­ren­de Beziehungen. 

MZEE​.com​: Der Begriff "Trans­na­tio­na­lis­mus" beschreibt in der Sozio­lo­gie unter ande­rem das Phä­no­men, wenn Akteur:innen aus unter­schied­li­chen Län­dern zusam­men­ar­bei­ten, aber dabei kei­ne staat­li­chen Zie­le ver­fol­gen. In der Kunst wird der Begriff wie­der­um oft genutzt, um einen akti­vis­ti­schen Raum zu schaf­fen. Was bedeu­tet der Begriff für dich?

Keno: Ich höre den immer wie­der im Kon­text von Kunst und fin­de das span­nend. Die Idee, Gren­zen mit Kunst und Musik zu über­schrei­ten, gefällt mir. Ich fän­de es schön, wenn die­ser Gedan­ke und der Ver­such, das umzu­set­zen, in einer glo­ba­li­sier­ten Welt viel mehr pas­sie­ren wür­de. Ich kann dir jetzt kein sozio­lo­gi­sches State­ment dazu geben, aber Gren­zen waren schon immer etwas, was mich irri­tier­te und zum Wider­stand anregte.

MZEE​.com​: Kannst du dich noch dar­an erin­nern, wann du das ers­te Mal mit dem Begriff in Berüh­rung gekom­men bist? 

Keno: In Form des kon­kre­ten Begriffs hat­te ich lan­ge nichts damit zu tun. Ein Inter­es­se an dem Ver­such, Län­der­gren­zen mit Musik zu über­schrei­ten, hat sich bei mei­nem ers­ten Solo­pro­jekt "Para­da­jz Lost" erge­ben. Dabei habe ich sehr viel Inspi­ra­ti­on aus Rei­sen gezo­gen. Die­ses Album basiert nur auf tür­ki­schen Samples. Das war anders gedacht, ich woll­te eigent­lich Sachen von der gan­zen Rei­se sam­meln. Über das Rei­sen kam ich dann mit dem The­men­kom­plex Trans­na­tio­na­lis­mus in Kon­takt. Ich bin damals durch Ost­eu­ro­pa, zwi­schen Mün­chen und Istan­bul und zwi­schen Mün­chen und Athen, gereist. Die Erfah­run­gen, die ich an ver­schie­de­nen Gren­zen gemacht habe, waren sehr prä­gend für mich. Ich habe gemerkt, dass Gren­zen nicht alle gleich sind. Man­che sind hart und ande­re eher weich. Nicht nur kul­tu­rell, son­dern vor allem poli­tisch wer­den Gren­zen sehr hart gezo­gen. Dar­an ent­schei­det sich oft, wie die Men­schen hin­ter oder vor Gren­zen behan­delt wer­den. Aber dort gab es noch kei­ne direk­te Zusam­men­ar­beit mit Leu­ten aus ande­ren Län­dern. Mein ers­tes Pro­jekt, das das gemacht hat, war Fara­way Fri­ends. Das ist in Fol­ge einer Pro­jekt­rei­se mit Viva con Agua entstanden.

MZEE​.com​: Was war denn dei­ne ursprüng­li­che Idee bei der Ent­ste­hung von "Para­da­jz Lost"?

Keno: Die Idee von mir war, eine Art Rei­se­ta­ge­buch in Form von Lyrics zu schrei­ben. Bei mir ist es aber oft so, dass das Gan­ze weni­ger spon­tan abläuft. Ich dach­te, das geht schnell durch die vie­len Inspi­ra­tio­nen. Im End­ef­fekt sind mei­ne Erfah­run­gen auf der Rei­se aber dann zu einem The­men­kom­plex gewor­den, der mich zu einer tie­fe­ren Beschäf­ti­gung damit gezwun­gen hat. Ich habe dann Text­an­sät­ze und Samples mit nach Hau­se gebracht. Eigent­lich habe ich mir roman­tisch vor­ge­stellt, bei jeder Sta­ti­on Plat­ten zu kau­fen und die­se zu samplen. In Wahr­heit habe ich jedoch in einer Student:innen-Bar in Istan­bul einen USB-​Stick bekom­men, auf dem sehr viel tür­ki­sche Musik war. Die­se Musik war größ­ten­teils von drei Inter­pre­ten und das war dann am Ende das, was gesam­pelt wur­de. Am Ende war es trotz­dem so, dass die­se Rei­sen und mei­ne Gedan­ken, gera­de in Bezug auf Gren­zen, eine gro­ße Rol­le auf dem Album spiel­ten. Damals habe ich mich auch viel mit der Zer­stö­rung der Umwelt befasst. Das ist mitt­ler­wei­le über zehn Jah­re her.

MZEE​.com​: Wie bist du denn gereist?

Keno: Ein­mal bin ich hin­ge­flo­gen und kam über Land zurück. Das war die Rei­se in die Tür­kei. Nach Athen bin ich über Land hin­ge­reist – und an die Rück­rei­se kann ich mich gar nicht mehr erin­nern. Ich weiß noch, dass wir dort als Moop Mama einen Gig mit dem Goethe-​Institut hat­ten. Das hat­te ich zum Anlass genom­men, zwei Wochen über Land dort­hin zu rei­sen. Es kann gut sein, dass die Rück­rei­se aber ein Flug war.

MZEE​.com​: Ich fra­ge, da sich das Über­win­den von Gren­zen in der Luft oder über Land oft unter­schied­lich anfühlt, allein in Bezug auf Grenzkontrollen.

Keno: Auf dem Album gibt es einen Song, der sich dar­um dreht, wie eine Rei­se im Flug­zeug abläuft. Das ist ein alter­na­ti­ver Take zu "Über den Wolken"-Metaphern (Anm. d. Red.: Kenos Track "Über den Wol­ken" steht kon­trär zu den meist posi­ti­ven Aus­le­gun­gen), um mal zu sehen, was wir als Men­schen mit die­sem Pla­ne­ten machen, wie wir ihn begra­di­gen und auf­fres­sen. Die­se Per­spek­ti­ve war damals sehr prä­sent für mich. Das, was an Gren­zen pas­siert, erlebt man anders, wenn man in einem Bus sitzt oder zu Fuß unter­wegs ist. Es gibt auf dem Album auch den Song "Der See". Der ist inspi­riert von der Gren­ze zwi­schen Maze­do­ni­en und Alba­ni­en. Dort gibt es den Ohrid­see. Damals hat sich Maze­do­ni­en für mich ange­fühlt wie ein Land, das sich sehr in Rich­tung West­eu­ro­pa dreht und die­sen Tourismus-​Gedanken aus­lebt. Als wür­den sie die­ses west­eu­ro­päi­sche Mind­set will­kom­men hei­ßen. Hier ist eine schö­ne Pro­me­na­de, hier gibt es was zu sehen. Ich habe dort vie­le komi­sche Kom­men­ta­re über die ande­re Sei­te des Sees, Alba­ni­en, gehört. Es gab auch kei­nen Ver­kehr über die­se Gren­ze. Ich bin dann echt am See ent­lang über die Gren­ze gelau­fen und Alba­ni­en war plötz­lich eine kom­plett ande­re Welt. Dort war offen­sicht­lich, dass infra­struk­tu­rell kein Geld da ist. Die Stra­ßen waren teil­wei­se ziem­lich im Arsch. Leu­te nutz­ten das Ufer nicht als Pro­me­na­de. Dort stan­den kaput­te Häu­ser und Bewohner:innen hin­gen ihre Wäsche auf. Die­se Beob­ach­tun­gen kom­men alle in dem Song vor. Auch Gren­zen, die sehr nah an unse­rer schein­bar siche­ren und pri­vi­le­gier­ten euro­päi­schen Wohl­fühl­zo­ne lie­gen, haben eine Här­te. Alba­ni­en hat eine kras­se Iso­la­ti­ons­ge­schich­te. Bei Grenz­kon­trol­len wur­den Leu­te mit einem alba­ni­schen Pass aus dem Bus gezo­gen und alle ande­ren nicht. Das war die Rei­se, auf der ich bemerkt habe, was es im Ver­gleich bedeu­tet, einen deut­schen Pass zu haben. Die­se Per­spek­ti­ve haben mir dann auch immer wie­der Men­schen in mei­nem Leben gezeigt, die kei­nen deut­schen Pass haben. Der deut­sche Pass ist wie eine Art Ein­tritts­kar­te, die es Per­so­nen super­leicht macht, die­se gan­zen Din­ge nicht zu bemerken.

MZEE​.com​: Mit einem deut­schen Pass ist man pri­vi­le­giert. Du bist dann höchs­tens limi­tiert durch Fak­to­ren wie Zeit und Geld. Ande­re haben die­se Bewe­gungs­frei­heit nicht unbedingt.

Keno: Eine ande­re kras­se Erfah­rung hat­te ich dies­be­züg­lich zwi­schen dem Koso­vo und Ser­bi­en. Ich will nichts Fal­sches sagen, denn es ist echt lan­ge her und ich bin hin­sicht­lich der poli­ti­schen Ver­hält­nis­se nicht per­fekt gebil­det. Aber man konn­te damals nicht ein­fach vom Koso­vo nach Ser­bi­en rei­sen. Ich weiß nicht, wie das heu­te ist. Das fand ich krank. Dort war klar, dass in die­sen sehr nah anein­an­der lie­gen­den Län­dern Men­schen – mit ech­tem und fami­liä­rem Bezug – in ver­schie­de­nen Län­dern leben. Die müs­sen sich dort an die Situa­ti­on anpas­sen, weil sich die Län­der gegen­sei­tig nicht akzep­tie­ren. Wenn die über eine Gren­ze fah­ren, wird dann "ein­fach" der Pass zer­schnit­ten. Die­se Rea­li­tä­ten sind krass. Das kann man sich natür­lich nicht vor­stel­len, wenn man mit einem deut­schen Pass mal eben nach Thai­land fliegt.

MZEE​.com​: Du hast die Fara­way Fri­ends bereits erwähnt. Was fas­zi­niert dich denn dar­an, mit Men­schen aus ande­ren Natio­nen Musik zu machen?

Keno: Das war bis­her mein ein­zi­ges Pro­jekt in die­ser Form, aber bei Fara­way Fri­ends kommt vie­les zusam­men. Mei­ne Rei­se nach Indi­en war mei­ne ers­te nach Asi­en. Ich hät­te selbst auch kei­ne Rei­se nach Indi­en geplant. Durch die Mög­lich­keit mit Viva con Agua habe ich mich aber dazu ent­schie­den. Das war ein Auf­ent­halt von nur zwölf Tagen, der aber extrem inten­siv war und mich total über­for­dert hat. Ich habe kul­tu­rell und inhalt­lich so viel auf­ge­nom­men, das hat mich echt an mei­ne Gren­zen gebracht. Dazu gehört haupt­säch­lich, die­se unter­schied­li­chen Rea­li­tä­ten wahr­zu­neh­men. Die Unter­schie­de zwi­schen dem Leben von mir und den Men­schen dort, ihren Mög­lich­kei­ten und mei­ner eige­nen Rol­le in die­sem Kon­text. Mich hat es fas­zi­niert und ich war super­froh, die­sen Aus­tausch wei­ter­füh­ren zu kön­nen. Wenn man als Musi­ker in ein ande­res Land fährt, ist es logisch, dass man Inspi­ra­tio­nen sam­melt. Indi­en hat eine ganz ande­re musi­ka­li­sche Tra­di­ti­on. Dort gibt es unfass­ba­re Rhyth­men. Aber was mich an die­sem Pro­jekt wirk­lich gefreut hat, ist, dass mei­ne zwei Kum­pels und ich nicht wie­der nach Hau­se kamen und dar­über geschrie­ben haben, was wir in zwölf Tagen in einem ande­ren Land gese­hen haben. Son­dern danach hat ein Aus­tausch statt­ge­fun­den, wie wir und Dit­ty (Anm. d. Red.: Mit­glied von Fara­way Fri­ends) das wahr­ge­nom­men haben und wie wir unse­re unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven gemein­sam kom­mu­ni­zie­ren. Wie kön­nen wir Din­ge gemein­sam auf­schrei­ben, damit all unse­re Rea­li­tä­ten dar­in vor­kom­men und es kein "Über-​etwas-​Reden" ist, son­dern ein gemein­sa­mes Reden? Wir woll­ten uns hin­ten anstel­len und Stim­men in die Musik brin­gen, die nicht von Performer:innen sind, son­dern von Leu­ten und Aktivist:innen, die dort inter­viewt wur­den. Das macht das Gan­ze expe­ri­men­tell. Das war der Ansatz und den fin­de ich bis heu­te sehr fas­zi­nie­rend. Es ist ein coo­ler Gedan­ke, mit Musik über gesell­schaft­li­che The­men spre­chen zu kön­nen, in gewis­ser Wei­se Akti­vis­mus zu betrei­ben, aber dabei nicht die Musik zu kom­pro­mit­tie­ren. Wie schafft man es, dass bei­des stim­mig ist? Dass die Mucke cool ist und das, was man sagt, Hand und Fuß hat? Das ist nicht so leicht, gera­de wenn man poli­tisch wird. Bei die­sem Pro­jekt ging der Aus­tausch wirk­lich über einen lan­gen Zeit­raum wei­ter und man konn­te das immer wie­der reflektieren.

MZEE​.com​: Könn­test du dir vor­stel­len, ein sol­ches Pro­jekt in Zukunft noch mal anzugehen?

Keno: Ich hät­te auf jeden Fall tie­risch Lust drauf. (über­legt) Ich habe nicht wirk­lich dar­über nach­ge­dacht, ob und wie ich euch die­se Geschich­te erzäh­le. Aber es ist so, dass ich mitt­ler­wei­le mit Dit­ty ver­hei­ra­tet bin.

MZEE​.com​: Dann erst mal herz­li­chen Glückwunsch!

Keno: Dan­ke. Wir haben am Anfang zusam­men­ge­ar­bei­tet, aber es wur­de dann zu einer Lie­bes­ge­schich­te und mitt­ler­wei­le ist Indi­en auch ein Teil von mei­nem Leben gewor­den. Ich war jetzt schon häu­fi­ger dort und das wird auf jeden Fall in mei­ner Kunst eine Rol­le spielen.

MZEE​.com​: Wie bereits erwähnt, kom­bi­nierst du in vie­len dei­ner Pro­jek­te Musik mit Akti­vis­mus. Was kann denn Musik, was ande­re Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mög­lich­kei­ten nicht schaffen?

Keno: Ich habe nur sehr begrenz­te Erfah­run­gen mit ande­ren akti­vis­ti­schen Mit­teln. Ich bin nie­mand, der schon mal eine Demo orga­ni­siert oder Flug­blät­ter ver­teilt hät­te. Ich bin aber jemand, der das Gefühl hat, sich zu bestimm­ten Sachen posi­tio­nie­ren zu müs­sen. Es gibt immer gesell­schaft­li­che The­men, die mich sehr bewe­gen. Musik kann Kom­mu­ni­ka­ti­ons­gren­zen über­win­den. Das klingt ein biss­chen kit­schig, aber die Rei­se nach Indi­en hat mir das sehr ein­drück­lich gezeigt. Es gibt eine Ebe­ne, auf der man sich ver­steht, obwohl man sich kul­tu­rell oder sprach­lich nicht ver­steht. Als wir nach Indi­en gereist sind, war ich mit mei­nem Mega­phon dabei, der Sou­sa­pho­nist von Moop Mama und David, einer der Pro­du­zen­ten von Moop Mama, mit sei­ner Djembe-​Drum. Ich dach­te am Anfang, wenn wir in einem indi­schen Dorf ankom­men und ich begin­ne, auf Deutsch zu rap­pen, zei­gen die mir den Vogel. (lacht) Es war null so, weil es für das Prin­zip von Rhyth­mus und Spra­che kei­ne Erklä­rung braucht. Damit konn­te man die Men­schen dort direkt begeis­tern und die haben ange­fan­gen zu tan­zen. Wir haben dort auch vie­le loka­le Folk-Musiker:innen getrof­fen, bei denen wir fest­ge­stellt haben, dass die musi­ka­li­schen Prin­zi­pi­en rela­tiv ähn­lich sind. Die Lie­der dort waren oft so auf­ge­baut, dass es eine musi­ka­li­sche Form gab, über die dann etwas Bestimm­tes poe­tisch erzählt wur­de. Das war häu­fig impro­vi­siert und hat mich sehr ans Free­sty­len erin­nert. An die­sem Punkt fällt natür­lich eine Gren­ze und man kann kom­mu­ni­zie­ren, obwohl man sonst Schwie­rig­kei­ten hätte.

MZEE​.com​: Kannst du uns dar­an anknüp­fend noch ein­mal näher erläu­tern, inwie­weit dir Rei­sen und kul­tu­rel­ler Aus­tausch wich­tig sind?

Keno: Ich fin­de das super berei­chernd. Ich fand Rei­sen schon immer fas­zi­nie­rend und ich bin schon viel gereist, obwohl ich in Indi­en gemerkt habe, noch nicht so weit weg. Vor­her bin ich vor allem in Euro­pa gereist. Die bei­den Rei­sen zu "Para­da­jz Lost" habe ich allei­ne und viel zu Fuß gemacht. Ich bin getrampt oder mit dem Bus unter­wegs gewe­sen. Das fas­zi­niert mich und zieht mich immer wie­der an. Ich bin auch schon mehr­fach über meh­re­re Tage irgend­wo gewan­dert. Ein­mal habe ich ver­sucht, von Mün­chen nach Ita­li­en zu lau­fen. In Por­tu­gal bin ich zum Bei­spiel eine Zehn-​Tages-​Strecke gewan­dert. Jedes Mal, wenn ich so was gemacht habe, hat mich das wei­ter­ge­bracht und ver­än­dert. Ich habe dadurch auch gemerkt, wie unter­schied­lich die­se Welt an ver­schie­de­nen Orten ist. Dafür braucht es eine Sen­si­bi­li­tät. Von hier aus hat man sehr vie­le Mög­lich­kei­ten, aber man braucht nicht weit weg­zu­ge­hen, um Erfah­run­gen zu machen. Es ist nicht so, dass man den Bil­lig­flie­ger nach Asi­en neh­men muss, um dort etwas Coo­les zu erle­ben. Für mich ist das ein zwei­schnei­di­ges Schwert. Ich war auf Rei­sen auch nicht nur hap­py. Man macht auch kras­se Erfah­run­gen oder sieht Rea­li­tä­ten, die nicht bequem sind.

MZEE​.com​: Was hat dich denn bei dei­nen Rei­sen beson­ders geprägt?

Keno: (über­legt) Die ers­te wei­te Rei­se war wäh­rend mei­nes Zivil­diens­tes. Ich habe in einer Behin­der­ten­ein­rich­tung mit Kin­dern gear­bei­tet und die­se Arbeit danach noch etwas fort­ge­setzt. In die­sem Zusam­men­hang habe ich eine Frau ken­nen­ge­lernt, die eine ähn­li­che Ein­rich­tung in Kolum­bi­en eröff­net hat­te. Die hat uns ange­bo­ten, dass wir dort als Frei­wil­li­ge arbei­ten kön­nen. Das habe ich gemacht und bin nach Kolum­bi­en gereist. Es war mei­ne ers­te Erfah­rung, bei der ich gemerkt habe, dass ich dort zwar ankom­men und mich auf­hal­ten kann, aber dass es Gren­zen gibt, die sich nicht ein­fach über­schrei­ten las­sen. Das hat mich seit­dem immer beschäf­tigt: Wann ist man ein­fach nur ein Tou­rist? Wann lernt man Leu­te und Kul­tur wirk­lich ken­nen? In ein Restau­rant zu gehen und etwas Gutes zu essen, ist ja noch nicht "eine Kul­tur ken­nen­ler­nen". (lacht) Ich glau­be, die Wahr­heit ist, dass es super­lan­ge dau­ert, bis man eine gewis­se Tie­fe erreicht.

MZEE​.com​: In dei­ner aktu­el­len Künstler-​Bio heißt es: "Rei­sen, Begeg­nun­gen und Musik sind sei­ne Wege. So stellt er immer wie­der Pro­jek­te auf die Bei­ne, in denen Kunst und gesell­schaft­li­ches Enga­ge­ment zusam­men­fin­den." – Was wäre denn dein abso­lu­tes Traum­pro­jekt, das bei­des vereint?

Keno: Ist wit­zig, dass du genau die­sen Satz zitierst, denn ich has­se es, mei­ne eige­ne Bio schrei­ben zu müs­sen. Die­sen Satz habe ich mehr oder weni­ger aus einer Beschrei­bung von einem Radio­in­ter­view von mir geklaut. (lacht) Die haben das gut auf den Punkt gebracht. Aber das sind auf jeden Fall Sachen, die bei mir immer wie­der auf­tau­chen und mich inspi­rie­ren. Mein abso­lu­tes Traum­pro­jekt … (über­legt) Es gibt so einen Traum. Mal schau­en, ob wir den irgend­wann umset­zen. Das wäre eine Rei­se zwi­schen Indi­en und Deutsch­land über Land. Auf die­sem Weg wür­den wir dann ger­ne vie­le Men­schen tref­fen, mit denen wir zusam­men­ar­bei­ten könn­ten. Das ist nach Fara­way Fri­ends das Traumprojekt.

MZEE​.com​: Wie wür­det ihr das pla­nen – zum Bei­spiel wen ihr auf der Rei­se trefft?

Keno: Ich glau­be, man muss kom­plett offen sein. Natür­lich kann man ein paar Ideen auf die Rei­se mit­neh­men. Für Dit­ty und mich gäbe es auch vie­les, was wir mit­neh­men wür­den, denn da liegt die Ver­bin­dung zwi­schen unse­ren bei­den Hei­ma­ten. Die­se Ver­bin­dung haben wir schon auf meh­re­ren Wegen über­schrit­ten. Wir haben uns kurz vor der Pan­de­mie ken­nen­ge­lernt und wäh­rend der Pan­de­mie gemerkt, dass wir uns näher­kom­men. In die­ser Zeit haben wir aber fest­ge­stellt, dass die Rei­se­mög­lich­kei­ten eher begrenzt sind. Des­halb wür­den wir die­sen Weg ger­ne mal "in Lang­sam" machen, um den Über­gang sehen zu kön­nen. Das stel­len wir uns sehr fas­zi­nie­rend vor. Es klingt zwar abge­dro­schen, aber ich bin auf der Suche nach Frie­den und Ver­stän­di­gung. Wenn man so einen lan­gen Weg beschrei­tet, begrei­fe ich das als einen Weg der Ver­stän­di­gung. Man kann an vie­len Orten Men­schen tref­fen, die ihre Musik ähn­lich betrach­ten wie wir. Mit denen kann man sich über die­se Sachen gut aus­tau­schen. War­um drückt ihr euch auf die­se Art und Wei­se aus? War­um ist man poli­tisch aktiv oder kämpft gegen unfai­re Ver­hält­nis­se an? Musik dient oft dazu, die eige­nen Erfah­run­gen aus­zu­drü­cken, und die­sen Drang gibt es über­all. In vie­len Tei­len der Welt bege­ben sich Men­schen damit auch in ech­te Gefahr. Man sieht es zum Bei­spiel an die­sem zum Tode ver­ur­teil­ten ira­ni­schen Rap­per. Aber das ist nicht nur dort so. Auch in Indi­en gibt es vie­le Schriftsteller:innen, die vom Sys­tem ver­folgt und bedrängt wer­den. Wir sind auch nicht weit weg davon.

MZEE​.com​: Bei der Erläu­te­rung dei­nes Traum­pro­jekts erin­ner­te ich mich an eine Zei­le von dir: "Ham­burg – Mün­chen, gut sechs Stun­den Zug. Vien­na – Deli, sechs Stun­den 50 Flug. Was ist jetzt nebenan?"

Keno: (lacht) Das hat mich total scho­ckiert, denn zu der Zeit saß ich zwi­schen Ham­burg und Mün­chen oft im Zug. Es hat sich oft unfass­bar lang ange­fühlt. Dann setzt man sich ins Flug­zeug, macht kurz die Augen zu und ist in Indi­en. Die Welt dort ist bis ins kleins­te Detail eine ande­re – jeder Tür­knauf, der Geruch und das Licht. Aber ich habe dort fas­zi­nie­ren­der­wei­se Men­schen ken­nen­ge­lernt, mit denen eine tie­fe Ver­stän­di­gung statt­ge­fun­den hat. Es ist dann eben doch in eini­gen Berei­chen ziem­lich gleich. Die­ser Gegen­satz ist span­nend – die­se kras­se Ent­fer­nung gepaart mit der Erkennt­nis, dass dort Leu­te im End­ef­fekt auch ähn­li­che Din­ge machen. Und dann fährt man von Ham­burg nach Mün­chen und denkt sich: "What the fuck ist hier los?" Das ist auf Rei­sen auch immer wie­der so ein Ding, wenn man für einen Moment sei­nen eige­nen Erfah­rungs­ho­ri­zont ver­las­sen kann und bemerkt, dass ande­re Leu­te auf bestimm­te Din­ge ganz anders gucken. Da gibt es dann die­sen Aha-​Moment: Ich bin in mei­ner eige­nen Welt gefan­gen. Das tut gut.

MZEE​.com​: Ich wür­de ger­ne noch mal einen ande­ren The­men­kom­plex auf­ma­chen: Wenn man sich an Ele­men­ten ande­rer Kul­tu­ren bedient, kann das schnell in Form rei­ner kul­tu­rel­ler Aneig­nung pas­sie­ren. Wie blickst du auf die­ses Thema?

Keno: Als ich damals "Para­da­jz Lost" gemacht habe, war das noch nicht so ein The­ma für mich. Das hat­te ich damals noch nicht gecheckt und ich wür­de die­ses Album so nicht noch mal machen, weil mir in der Ver­wen­dung der Samples die Tie­fe, der Aus­tausch und mein eige­nes Ver­ständ­nis feh­len. Das war damals eine sehr ober­fläch­li­che Her­an­ge­hens­wei­se. Ich war da nur aus einer Sample-​Digger-​Faszination her­aus ange­zo­gen, weil ich man­che von Mad­lib Beats kann­te. Es gab ein Sam­ple, das kann­te ich von Gon­ja­su­fi, einem US-​Artist, und aus die­sem ist dann "Der See" ent­stan­den. Es ging mir pri­mär dar­um, ein absei­ti­ges Gen­re zu samplen. Das ist zwar irgend­wie okay, aber ich wür­de es nicht mehr auf die­sel­be Art und Wei­se machen. Bei Fara­way Fri­ends war es eine ganz ande­re Tie­fe in der Beschäf­ti­gung und das recht­fer­tigt für mich dann die Ver­wen­dung von kul­tu­rel­lem Mate­ri­al, weil wir uns damit aus­ein­an­der­ge­setzt haben und eine Kom­mu­ni­ka­ti­on statt­ge­fun­den hat. Wir haben ver­sucht, es so anzu­le­gen, dass es von bei­den Sei­ten les­bar ist. Das ist gar nicht so ein­fach, weil Leu­te aus Deutsch­land das ganz anders lesen als Leu­te aus Indien.

MZEE​.com​: Wie war denn das Feed­back? Hast du den Ein­druck, dass das funk­tio­niert hat?

Keno: Die­ses Album hat etwas sehr Inter­na­tio­na­les. Wir haben in Deutsch­land erstaun­lich viel Pres­se bekom­men. Die fan­den das sehr span­nend, auch weil Viva con Agua eine bekann­te Insti­tu­ti­on und in der Musik­in­dus­trie ver­an­kert ist. Dann ist es wie­der­um so, dass es musi­ka­lisch etwas Expe­ri­men­tel­les beinhal­tet. Damit ist es oft schwie­rig in Deutsch­land. Das wird inter­na­tio­nal anders und leich­ter auf­ge­nom­men. Ein paar von unse­ren Songs haben es in Play­lis­ten geschafft, die in den USA gehört wer­den. Das fand ich fas­zi­nie­rend, auch wenn wir damit kei­ne inter­na­tio­na­len Hits gelan­det haben. Aber ich fand inter­es­sant, dass es aus einer inter­na­tio­na­len Per­spek­ti­ve eine Gül­tig­keit hat, die in Deutsch­land gar nicht gese­hen wird. Aus der indi­schen Per­spek­ti­ve war das Feed­back auch gut. Die Plat­te ist in Indi­en nicht auf die glei­che Art releast wor­den wie in Deutsch­land, weil wir das damals irgend­wie nicht konn­ten. Das bedeu­tet, wir hat­ten dort kei­nen phy­si­schen Ver­trieb und die Pro­mo­ti­on hat sich auch pri­mär auf Deutsch­land bezo­gen. Wir hat­ten immer wie­der mit der indi­schen Sze­ne Kon­takt und auf einer wei­te­ren Rei­se die Jal Sahe­li wie­der getrof­fen – die Wasser-​Freundinnen, denen wir einen Song gewid­met haben. Das war eine kras­se Erfah­rung, denn wir haben denen dann die Musik end­lich vor­ge­spielt. Es ist musi­ka­lisch ganz weit weg von dem, was die sonst hören. Aber wir haben Slo­gans und sogar Vocal-​Samples von ihnen ver­wen­det. Ich war mir unsi­cher, ob die gut fin­den, was wir dar­aus gemacht haben. Die hat­ten aber eine kras­se Offen­heit und wir hat­ten wie­der ein gemein­sa­mes Erleb­nis, weil wir noch mal die­se Sachen zusam­men geshou­tet haben. In der Zwi­schen­zeit hat­te ich dann schon ein paar Grund­zü­ge Hin­di gelernt und konn­te mich ein biss­chen ver­stän­di­gen. Es funk­tio­niert also in bei­de Rich­tun­gen, aber auf unter­schied­li­che Art.

MZEE​.com​: Auch dein aktu­el­les Cover von "Schall und Rausch" ist in Indi­en ent­stan­den. Was muss dir denn ein Ort bie­ten, damit du dich künst­le­risch aus­drü­cken kannst?

Keno: (über­legt) Ich brau­che Kom­mu­ni­ka­ti­on. Es gibt Pha­sen, in denen ich allein an Din­gen arbei­te, aber es beein­flusst und inspi­riert mich, wenn ich ein Gegen­über habe. Es gibt eine Unter­hal­tung und man setzt sich aus­ein­an­der, zum Bei­spiel in Dis­kus­sio­nen über Text und Musik. Was macht man mit der Musik, damit der Text bes­ser wirkt? Wie geht der Text auf die Musik ein? Je kom­mu­ni­ka­ti­ver und inter­ak­ti­ver die­ser Pro­zess mit Leu­ten ist, des­to bes­ser. Auf der ande­ren Sei­te brau­che ich Pha­sen, in denen ich allein sein kann, und dafür sind Rei­sen sehr geeig­net. Es gibt Momen­te, in denen ich ein­fach dasit­ze, aus dem Fens­ter gucke und irgend­wie pas­siert etwas im Hin­ter­grund. Ich bin dann oft noch nicht kon­kret am Tex­ten, aber es ent­steht irgend­was. Die­ses In-​Bewegung-​Sein hat mir immer sehr gehol­fen, um nicht abge­lenkt zu wer­den. Denn wenn ich mich zu Hau­se hin­set­ze und einen Text schrei­ben will, dann schrei­be ich oft statt­des­sen eine E-​Mail. Inspi­ra­tio­nen und Gedan­ken­fet­zen kom­men mir eher unterwegs.

MZEE​.com​: Als abschlie­ßen­de Fra­ge im Hin­blick auf unser heu­ti­ges The­ma: Wie wür­de sich denn die Welt in dei­ner Uto­pie sozi­al und poli­tisch gestal­ten? Gäbe es eine Grund­la­ge für den Begriff "Trans­na­tio­na­lis­mus"?

Keno: Ich habe kei­ne kon­kre­te Uto­pie. (über­legt) Ich bin Idea­list und wür­de mir wün­schen, dass die Welt so struk­tu­riert wäre, dass es nicht so kras­se Unge­rech­tig­kei­ten gibt. Mei­ne Erfah­run­gen von Unter­schie­den zwi­schen Län­dern und Lebens­rea­li­tä­ten haben mich immer wie­der auf mich selbst zurück­ge­wor­fen. Denn ich mer­ke, dass ich dort, wo ich bin, ein guter Ein­fluss für mein Umfeld sein will. Das ist etwas, wor­an ich immer wie­der durch Rei­sen erin­nert wer­de. Man kann zum Bei­spiel mit einer NGO in ein weit ent­fern­tes Land gehen und dort Erfah­run­gen machen. Das ist berei­chernd, aber die Mög­lich­kei­ten, dort wirk­lich aktiv zu hel­fen, sind begrenzt. Du hast dann "nur" die Rol­le eines Gas­tes. Dort, wo du jetzt bist, kannst du aber aktiv etwas Gutes machen und nicht nur Gast sein. Du musst dafür nicht zwin­gend weit weg­gu­cken, selbst wenn man das nicht aus den Augen ver­lie­ren soll­te. Wirk­sam bin ich in Situa­tio­nen, die ich wirk­lich beein­flus­sen kann. Wenn ich mei­ne Fähig­kei­ten so ein­set­ze, dass sie auf Ebe­nen funk­tio­nie­ren, die selbst ande­re Men­schen posi­tiv beein­flus­sen, dann ist schon viel gewon­nen. Die Welt ist auf eine sehr sub­ti­le Art ver­netzt, nicht nur über gro­ße Sys­te­me. Des­halb glau­be ich dar­an. Man soll­te schau­en, dass man mit jeder Tat und Hand­lung etwas Posi­ti­ves auslöst.

(Alec Weber & Malin Teegen)
(Fotos von Tobi­as Schüt­ze, Adi­ti Vee­na & Robert Funke)