Aggressivität wird gemeinhin als eher negativer emotionaler Ausbruch wahrgenommen, oft wirkt dieser unkontrolliert und ist eher kontraproduktiv für die betreffenden Personen. Trotzdem gibt es kaum Menschen, die behaupten können, ein Leben gänzlich ohne Aggressionen zu führen. In der HipHop-Kultur ist eine aggressive Haltung bereits seit den Anfängen verwurzelt. Ausgelöst wurde diese durch Ausgrenzungserfahrungen wie Rassismus und Klassismus. Seitdem verbinden insbesondere genrefremde Menschen Rap zumeist mit einer aggressiven und wütenden Attitüde. Diese lässt sich heute noch bei einigen Rapper:innen wiederfinden, auch wenn dies längst nicht auf alle Künstler:innen zutrifft. Einer der Rapper, der durch seine musikalische Aggressivität heraussticht, ist Heliocopta. Das Besondere ist dabei, dass sich seine aggressive Stimmung nicht zwingend in den Lyrics wiederfindet. Denn diese bestehen nicht nur aus offensiven Battle-Lines, sondern auch aus Storyteller-Elementen, Nerd-Stuff und Rap-Knowledge. Das ändert nichts daran, dass seine Delivery und die Beats stets nach vorne gehen. Gemeinsam mit ihm sprachen wir über die Umstände, die zu Aggressionen führen, Emotionen, die durch Musik ausgelöst werden und den Entstehungsprozess seines musikalisch aggressiven Characters.
MZEE.com: Aggressivität ist in der Regel eine menschliche Reaktion auf negative Gefühle, wie zum Beispiel Frust oder Schmerz. Wodurch werden bei dir Aggressionen ausgelöst?
Heliocopta: Durch einen Mix aus Frust und Verzweiflung. Das fängt schon bei kleinen Sprüchen an, die man sich anhört, oder dieser "Durch die Blume"-Minimalrassismus. Ich wollte zum Beispiel vor zwei Wochen Schokolade kaufen, aber man dachte, dass ich klauen will. Im Nachhinein denke ich mir dann: Du bist ein erwachsener Mann und jemand geht davon aus, dass du klauen willst, weil du Schwarz bist und vor der Schokolade stehst. Die Bullen kamen rein und ich habe das Spiel mitgemacht. Ich hatte nichts geklaut und die Verkäuferin hat sich dick blamiert. Trotzdem gehst du dort raus und denkst dir, was für eine Missgestalt sie doch war. Auch wenn ich mir sage, dass ich drüberstehe, sind das Momente, die krass abfucken. Wenn ich dann später an Lyrics schreibe, merke ich direkt, dass mich das abfuckt. Alltagsrassismus ist das Ding. Nicht jeden Tag, aber das ist der Grund, warum ich oft abgefuckt bin. Das ist das, woraus bei mir Wut entsteht.
MZEE.com: Wann und wie hattest du deine ersten Berührungspunkte mit Aggressionen?
Heliocopta: (überlegt) Ich hatte im Hort eine Erfahrung. Kennst du diesen Tigerenten Club? Man hat mich gewählt, damit ich da hinkomme. Dann sagte ein Mädchen, dass ich da nicht hinsoll. Die hat die ganze Zeit irgendwelche Affen-Vergleiche gemacht und ich bin richtig ausgerastet. Ich erinnere mich daran, weil ich damals erst versucht habe, es nicht wahrzunehmen. Das war mir ein bisschen peinlich. Aber irgendwann kam dann der Punkt, an dem ich ausgerastet bin. Das ist danach immer mal wieder passiert. Ich war häufig aggressiv und bereit für Beef. In dieser Situation sind selbst die Erzieher zu mir und meinten, dass es jetzt mal gut wäre. Damals stand ich alleine da und war einfach richtig wütend. Meine Adern waren richtig am Pochen und die Tränen kamen. Viel zu früh habe ich mich mit Rassismus befasst, während die anderen mit Autos gespielt haben. Ich habe mir sehr oft gedacht, dass ich drauf scheiße und nicht mit denen spielen gehe. Ich habe immer gezuckt, wenn einer das Licht ausgemacht hat. Ich wusste, in drei Sekunden kommt irgendein Spruch: "Ich kann dich nicht sehen, nur deine Zähne." Das sind Sachen, die bleiben im Kopf. Das kriegst du nicht weg. Ich bin 34 und manchmal sitze ich da und denke mir: "Krass, dass das mein ganzes Leben so ist." Um auf die Geschichte im Hort zurückzukommen: Von da an habe ich konsequent gesagt, dass das nicht geht. "Wen wollt ihr verarschen?" Das habe ich als kleiner Junge mit Piepsstimme gesagt. Ich war voll aktiviert und hatte keine Unterstützung, auch nicht von den Erziehern. Manche hatten Mitleid und haben was gesagt, aber ansonsten wurde immer weggeguckt.
MZEE.com: Die Situationen, die Aggressionen bei dir auslösen, sind dementsprechend oft mit Rassismus-Erfahrungen verbunden?
Heliocopta: Auf jeden Fall, und zudem mit Dummheit. Das ist zwar am Ende auch meistens Rassismus, aber es beruht oft auf Dummheit. Als Schwarzer kommen dir manchmal aus dem Nichts weiße Leute entgegen und wollen dir erklären, warum du als Schwarzer akzeptieren sollst, dass … (überlegt) Lass mich doch in Ruhe. Was ist los mit dir? Kein Mensch kommt zu dir und sagt, dass du die Sonnenbank nicht benutzen solltest. Heute wissen viele immer noch nicht, wie man mit einer Schwarzen Person umgehen sollte, obwohl das eigentlich kein Thema sein dürfte. Ich habe mir noch nie Gedanken darüber gemacht, wie, weshalb und warum ein Weißer etwas macht. Wenn du jetzt neben mir chillst, chillst du halt neben mir. Ich würde bei dir nie darüber nachdenken, was du wohl für eine Hautcreme benutzt.
MZEE.com: Wie gehst du denn damit um, wenn sich Aggressionen bei dir anbahnen? Hast du Tools gefunden, die das verhindern?
Heliocopta: Habe ich, aber in manchen Situationen überrasche ich mich immer wieder selbst und nutze die dann trotzdem nicht. Mein Tool ist meistens, locker zu bleiben und der Aggression auslösenden Person noch eine Chance zu geben. Wenn man aber merkt, dass sich da nichts verändert, hat man meiner Meinung nach das Recht, alles rauszulassen. Du hast ja die Gewissheit, dass du versucht hast, die Dinge normal ablaufen zu lassen. Aber manche Menschen wollen nur abfucken. Dann bin ich bereit und lasse mich abfucken. Ich habe kein Tool, das zu 100 Prozent funktioniert. Ich würde Leuten raten, Aggressionen nicht direkt zu zeigen, sondern zu versuchen, über den Dingen zu stehen. Das lässt die andere Person eher idiotisch aussehen. Das ist gut, dabei kann man runterkommen und manchmal sogar der Person erklären, dass ihre Aussagen dumm waren. Ich hatte damals Fälle, in denen man mir sagte, dass ich als PoC dies oder jenes nicht machen könnte … Ich sage dir ehrlich, ich wusste damals nicht, was "PoC" heißt. Auch mit "BIPoC" und "BPoC" konnte ich nichts anfangen. Da hat man nicht akzeptiert, dass ich das nicht kenne, weil ich ja "Afrikaner" sei. Da dachte ich mir, dass der Begriff safe nicht aus Afrika, sondern wahrscheinlich aus Amerika kommt. (Anm. d. Red.: Der Begriff "PoC" wurde erstmals Ende des 19. Jahrhunderts als Bezeichnung für freigelassene Sklaven in Amerika verwendet und gewann im Zusammenhang mit der US-amerikanischen Black-Power-Bewegung der 1960er Jahre enorm an Bedeutung.)
MZEE.com: Es sind mittlerweile stark akademisierte Begriffe, die in der Praxis nicht immer funktionieren beziehungsweise verstanden werden.
Heliocopta: Aus meiner Perspektive sagt kein Schwarzer zu einem anderen: "Siehst du diese PoC da vorne?" Und wenn, dann sind das diese Leute, die dem Stefan gefallen möchten und ihm zeigen wollen, dass sie sich anpassen können. Du musst dich aber nicht anpassen, wenn du nichts falsch machst. Ich habe mit einer Person da mal offen drüber gesprochen, warum ich den Begriff "Schwarz" angeblich nicht sagen dürfe und "PoC" verwenden müsste. Jetzt weiß ich, was abgeht, aber ich bin trotzdem ein Schwarzer Junge in Deutschland. Für mich ist nur wichtig, dass du das N-Wort und offensichtliche Beleidigungen nicht verwendest. Aber zu viele weiße Menschen, die das bestimmt hier und da gut meinen, spielen eine Rolle. Die vergessen dann, dass sie in einer Rolle sind. Sie sind eben nicht die Personen, für die sie sich gerade einsetzen oder entscheiden wollen. Wir sind immer mit meinen Cousinen, Cousins und den kleinen Kids unterwegs und wenn ich sie ansehe, frage ich mich, in welcher Welt die gerade aufwachsen. Für mich hat sich von der Kindheit bis heute nichts geändert. Ich bin älter, kann besser reden und kenne ein paar schlaue Wörter. Ich kann manchmal auf Steve Urkel machen, aber die Kiddies aus meiner Familie sind alle schlagfertig. Wir haben denen viel mitgegeben. Die sehen das, die hören die Songs. Die rappen die Zeilen nach und feiern das. Aber trotzdem sind die Kids in einer Welt, in der sie ganz schnell von außen abgefuckt werden. Das alles ist auf jeden Fall auch ein Rap-Ding von mir.
MZEE.com: Kommen wir zur Musik – einer Möglichkeit, Aggressivität auszudrücken. Bei welcher Musik und bei welchen Acts wird das für dich besonders deutlich?
Heliocopta: Wu-Tang hatten viele Songs, bei denen man sich dachte, dass das jetzt 'ne Ansage an alle weißen Leute war, die "da drüben" oder in der Politik Scheiße bauen. Wu-Tang haben das nicht einfach nur gesagt, sondern immer wütend, straight und direkt ausgesprochen. Bei einem Kendrick Lamar ist es noch mal krasser. Der existiert in einer Zeit, in der viel mehr Leute zuhören und darauf achten, wenn jemand so was sagt. Das verbreitet sich dann über Instagram oder YouTube und man teilt das alles. Der ist in einer Liga mit Drake und Leute fragen sich, wer krasser ist. Kendrick findet dabei aber trotzdem die Zeit, Knowledge zu droppen. Das finde ich cool und es inspiriert mich, weil es viele Leute gibt, die nicht checken oder akzeptieren, wie wir mit dieser Rassismus-Thematik umgehen. Manche, wie zum Beispiel Roger Rekless, finden richtig cool, dass wir das "einfach" hintenrum in unsere Songs einbauen. Das wirkt nicht aufgesetzt, sondern ist in einen Battlesong verpackt, in dem es drei Minuten darum geht, wie nice ich bin, und nach drei Minuten kommt dann einfach ein Satz, der zum Beispiel mit Rassismus zu tun hat. Das ist real. Man geht nicht mit einem Konzept an die Sache, sondern lässt es einfach raus. Bei Kendrick habe ich dieses Gefühl auch, wenn er was sagt. Der hat da natürlich andere Möglichkeiten und macht direkt ein filmreifes Video dazu. Bei Busta Rhymes empfinde ich es ähnlich, obwohl der viel mit Humor arbeitet. Außerdem gibt es viele Acts aus dem Oldschool-Bereich. Das habe ich oft erst im Nachhinein gecheckt. Die haben Bars gedroppt, die ich in aggressiven Momenten cool fand. Aber Kendrick macht es mittlerweile am besten.
MZEE.com: In manchen Musik-Kulturen ist Aggressivität ein elementares Element, wie in der Noise-Kultur. In dieser wird bewusst "Krach" produziert, der ohne Melodien auskommt. Es geht dabei unter anderem darum, die Hörer:innen aufzustacheln und in eine aggressive Stimmung zu bringen. Was hältst du von einem solchen Konzept?
Heliocopta: Solange du nicht mit diesen aggressiven Vibes Migrant:innen zusammenschlagen willst, ist es okay. Dann ist es vielleicht sogar nice. Du gehst trainieren und bist sofort im richtigen Modus. Musik ist aber generell voll mächtig, was das angeht. Die kann wirklich verschiedene Emotionen im eigenen Leib anstacheln. Shoutout an Bob Marley, dessen Musik immer dafür sorgt, dass man positive Vibes hat. Aber ich glaube, diese Kultur ist nicht schlecht, sofern du das nicht für Negativität nutzt. Vielleicht gibt es da draußen eine Person, die das genauso braucht, wie ich manchmal einen Nicki Minaj-Song brauche. Ich habe die heute auf YouTube gesehen, deshalb komme ich da gerade drauf.
MZEE.com: Du hast gerade Bob Marley angesprochen. Gibt es sonst noch Musik, die bei dir für Entspannung sorgt?
Heliocopta: Zu 100 Prozent R 'n' B-Musik. Aber es gibt eine weitere Art Musik, bei der ist wirklich Ciao für mich. Da werde ich zum friedlichsten Menschen. Und zwar ist das Minnie Riperton, kennst du die?
MZEE.com: Irgendwas klingelt da.
Heliocopta: (singt) "Lovin' you is easy cause you're beautiful." Ihre Musik oder Nina Simone, alles in dieser Ecke – neben R 'n' B und HipHop – darauf bin ich richtig hängen geblieben. Gerade die 70er Jahre, die sitzen da am Klavier und der Sound ist mit Absicht nicht ganz perfekt. Das ist Musik, vor der ich krass Respekt habe und bei der ich einfach richtig abschalten kann. Da bin ich dann in meiner Welt und alles ist cool. Das ist oft aus den 70er Jahren, auch viele Jazz- und Blues-Leute.
MZEE.com: Dementsprechend viel Musik, die als Sampling-Grundlage für HipHop-Musik dient, die wiederum oft eine andere Energie versprüht.
Heliocopta: Genau. Häufig geht es darum, mit dieser Energie Party zu machen. In vielen dieser Rap-Songs wird Scheiße gelabert, die wir mitrappen oder mitgerappt haben. Aber wenn ein Song im Club läuft, den du und deine Jungs früher gehört haben, dann feiert ihr das ab und rastet aus. Das ist ein Moment, der ein paar Tage im Kopf bleibt. Ihr erinnert euch noch länger daran, dass gestern einfach "In da Club" lief. Diese gesampelte Musik ist so positiv, dass sie eine ganze Kultur beeinflussen kann. Die Rap-Kultur ist auch übertrieben positiv, aber wird oft dargestellt, als wäre sie nur aggressiv und voller Hass. Aber das ist nicht so, HipHop ist divers. Ein Rapper wie Common will doch zum Beispiel keine Leute in Chicago umbringen. Diese Oldschool-Musik, die bis heute immer wieder gesampelt und zerschnippelt wird, klingt so schön. Das ist krass, dass das ein Teil von HipHop ist. Die aggressivsten Songs haben Samples, die aus Songs sind, die voll lieb sind. Das macht dann beide Songs besonders, weil diese aggressive Energie aus etwas Positivem entsteht. Das ist verrückt, wie eng Musik und Vibes miteinander verbunden sind. Mit "oldschool" meine ich speziell die 60er und 70er Jahre, die seit den 80ern gesampelt werden.
MZEE.com: Lass uns über deine eigene Musik sprechen. Sowohl deine Lyrics als auch die Beats strahlen meistens eine Aggressivität aus. Das zeigt sich auch bei deinen Releases des letzten Jahres mit Tuxho Beatz und Figub Brazlevič. Welche Gründe hat das?
Heliocopta: Das Endprodukt ist tatsächlich oft aggressiv. Der Prozess sieht aber immer unterschiedlich aus. Das, was heute alles passiert ist, löst in mir Gedanken aus. Es sind aber auch kleine Dinge um mich herum. Wenn ich zum Beispiel ein kleines Kind mit einer Pikachu-Tasche sehe, aktiviert das meine Kreativität, etwas über Ash Ketchum zu schreiben. Dann überlege ich weiter, ob in einem Beat vielleicht ein Element zu Pokémon passt. Selbst beim Schreiben passieren manchmal Sachen und ich muss abbrechen. Wenn ich den Song später weiterschreibe, nehme ich von dem, was passiert ist, die Energie mit. Mein Leben verläuft ein bisschen wie bei Flash. Ich stehe auf und dann geht es zack, zack, zack. Ich merke, dass ich mir damit selbst etwas antue, aber ich komme da nicht richtig raus. Ich stehe auf und funktioniere: Ich kläre Familiäres, gehe arbeiten und frage Tuxho parallel nach Beats. Wir diskutieren dann sofort darüber, was wir alles noch machen müssen. Es gibt zwar auch Tage, an denen ich chillen kann, aber das ist Fake. Denn gedanklich bin ich immer bei meinen Verpflichtungen. Wenn ich tot bin, hoffe ich, dass mir irgendjemand erklären kann, ob das sinnvoll war, was ich die ganze Zeit gemacht habe. Am Ende des Tages hat mir dieser Lebensstil zumindest eine eigene Vinyl ermöglicht. Aber es ist definitiv so, dass ich dauerhaft unter Druck stehe. Es muss immer vorwärts gehen und diese Energie findet man immer in meinen Songs. Deshalb gibt es welche, in denen ich lustige Sachen sage, die aber trotzdem aggressiv rüberkommen. Wenn ich nicht rappen würde, dann … Das will ich gar nicht aussprechen.
MZEE.com: Das ist quasi dein Ventil. Die Beats, die Tuxho dir schickt, gehen ebenfalls nach vorne. Deine Delivery ist die eine Komponente, aber auch die Beats versprühen nie einen "Sommervibe". (beide lachen)
Heliocopta: Wir haben viel releast und dabei hat sich der Grundgedanke verfestigt, dass es nur nach vorne gehen soll. Unsere Musik soll sogar stören und nerven. Aber inhaltlich möchte ich trotzdem viele Dinge mit reinbringen. Ich erzähle dir vielleicht, dass ich der Beste bin, aber gebe dir in einzelnen Lines auch Tipps fürs Leben mit. Ich will beim Musikmachen locker bleiben und möchte mich nicht an einen Song setzen, um zum Beispiel auf Krampf etwas über die Titanic zu schreiben. Ich möchte einen Song machen und das Schiff als eines von vielen Themen einbauen. Du kannst es auch als Hauptthema nehmen, aber es wird schlecht, sobald du dich da zu sehr verkrampfst. Denn es gibt viel mehr als nur eine Sache, die man schwarz oder weiß abbilden kann. Ich bekomme viele unterschiedliche Beats, aber ich habe gerade diese Stimmung und den Vibe, dass ich mit meiner Musik nach vorne gehen und Knowledge verbreiten will. Aber es kann in Zukunft auch anders kommen, zum Beispiel ein entspannterer Song. Das ist alles da. Wir haben auf jeden Fall einen Schatz an Musik. (lacht) Eine letzte wichtige Sache ist, dass die Art, wie meine Musik klingt, das Realste ist, was ich machen kann. Deswegen ist es eben genau das, weil das kann ich "verkaufen". Alles andere will ich nicht machen.
MZEE.com: Das macht es authentisch. Trotzdem unterscheidet sich deine Musik von deinem Auftreten auf der Bühne oder auf Instagram. Hier zeigst du dich gerne mal familiär, freundlich und humoristisch. Ist das eine bewusst gezogene Grenze?
Heliocopta: Ich checke das selbst nicht ganz. Ich versuche auf jeden Fall, dass sich mein Umgang, zum Beispiel mit meinem besten Homie Anderson, in meiner Musik widerspiegelt. Meine Aggressivität und die Dinge, die ich darin erzähle, finden in meinem Alltag statt. Irgendwelche Filme oder wacke Musik, über diese Themen rede ich auch an einem "normalen" Tag. Ich mache mir keine großen Gedanken, ich will nur bewusst korrekt zu Leuten sein. Aber in der Musik gibt es keine Grenzen. Das bedeutet, da bekommst du ziemlich sicher zwei oder drei Prozent mehr Helio, als du privat kriegst. Da liegt der kleine Unterschied zwischen meinem privaten Verhalten und der Musik. Wenn man mich sieht und sich mit mir versteht, dann kann man mit mir chillen und Songs hören. Ich glaube, es wäre auch hart, wenn du jetzt mit mir chillst und ich sage (Anm. d. Red.: redet schnell und laut): "Ey yo, hör mal zu. Ich bin der Beste und ich sitze hier neben dir, aber eigentlich kann ich fliegen!"
MZEE.com: Aber es gibt im Rap-Business durchaus Leute, die das genauso machen. Die erzählen dir nicht nur in ihren Songs, dass sie die Krassesten sind, sondern auch in Interviews. Diese aggressive Herangehensweise lässt sich im Rap teilweise historisch begründen durch Ungerechtigkeiten wie Rassismus, Klassismus und Ausgrenzungserfahrungen. Könntest du dir eine Rap-Welt ohne aggressive Attitude vorstellen?
Heliocopta: Überhaupt nicht, weil für mich Aggressivität nur in der HipHop-Kultur so dargestellt wird, dass sie gar nicht im Vordergrund ist. Sondern, was die Leute gerade anhaben und wie die Location aussieht. Wenn du zum Beispiel etwas von Wu-Tang siehst, sind die eigentlich voll aggressiv. Aber du achtest darauf, wie sie dort vor ihrem gelben Wu-Tang-Zeichen stehen. Ich bin dann davon getoucht, wie das Ganze rüberkommt. Ich stelle mir nicht die Frage, warum die aggressiv sind, sondern finde einzelne Szenen geil und krass. Das funktioniert bei mir nur mit Filmen und HipHop-Musik. Bei R 'n' B- oder Soul-Liedern, die manchmal ähnliche Themen behandeln, denke ich mir immer nur, dass sie gut gemacht sind. Aber in der HipHop-Kultur wird diese Aggressivität einfach cool dargestellt.
MZEE.com: Du würdest es dementsprechend als wichtigen Teil der Kultur beschreiben?
Heliocopta: Würde ich sagen. Ich gebe dir ein Beispiel: Ich liebe Mos Def. Aber nur Mos Def?! Kann ich mir nicht geben. Ich bräuchte auf jeden Fall ODB. Ich bräuchte so was als Ausgleich. Das macht dann die ganze Sache noch mal bodenständiger. Es soll nicht alles nur toll und ruhig sein. Diese dreckige Seite macht alles echter. Wenn ich ein Star wäre, würde ich kein perfekt ausgeleuchtetes Bild haben wollen, sondern lieber einen iPhone 11-Schnapschuss hochladen und das der Welt zeigen. Ich finde es nie geil oder bodenständig, wenn alles perfekt ist. Das verbinde ich damit.
MZEE.com: Auf "Dreckig und direkt" rappst du "Modus Aggressiv ist der Flex". Kannst du dir vorstellen, diesen Modus mal abzuändern, oder gibt es Heliocopta nur aggressiv?
Heliocopta: Nein, mich gibt es auch lieb. Aber dann bleibt der Sound trotzdem aggressiv. (lacht) Ich bin schon netter geworden. Alles, was als Heliocopta rauskommt, ist bewusst etwas weniger beleidigend. Als wir Peti Free waren (Anm. d. Red.: Gruppe bestehend aus Heliocopta, Tuxho und Anderson), habe ich ein bisschen mehr übertrieben. Figub und Tuxho haben mich dann mal beide unabhängig voneinander darauf angesprochen. Figub meinte, wir könnten mal gucken, ob man nicht etwas weniger beleidigen kann. Ich meinte damals noch, dass ich das niemals ändere, aber das hat sich dann schnell geändert. Bruder, ich habe in irgendeinem Song mal gesagt: "Ich f**** deine Mutter in 'nem Kreißsaal." Niemals. Erstens würde ich das niemals machen und zweitens würde ich das niemals cool finden. Wenn ich das jetzt bei jemandem höre, denke ich mir, dass das gar kein cooler Spruch ist. Das ist dumm und möchtegern-aggressiv. Ich habe mich auf jeden Fall gebessert. Ich sage so was nicht mehr und zum Glück habe ich das nur einmal gemacht. Im Nachhinein ist mir das so peinlich, dass ich mir gesagt habe, diese Sachen von Grund auf zu reduzieren. Denn ich kann zwar nicht wissen, was mich in Zukunft krass stören wird, aber so was auf jeden Fall. Deswegen versuche ich, in diesem Bereich besser zu werden.
MZEE.com: Diese Entwicklung ist eindeutig erkennbar. Hören wir dann irgendwann mit deiner aggressiven Delivery ein eingerapptes Kinderbuch?
Heliocopta: Ich habe diesen Gedanken voll oft, ich fände das lustig. Diese Idee, sich einen Kinderbuch-Character zu erschaffen, der nach vorne geht. Einer, der den Kindern Bücher vorliest, aber auch ein bisschen aggressiv ist. Schön aggressiv die Kindheit anderer fördern und das Ganze dann positiv nutzen. Also da hätte ich echt verschiedene Ideen, egal ob es musikalisch auf Beats oder in Form eines Geschichtenerzählers passiert, der Kids "aggressiv" spannende Dinge aus dem Leben erzählt. (lacht)
(Alec Weber)
(Fotos von Tuxho Beatz)