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Interview

Heliocopta – ein Gespräch über Rap als Ausdruck von Aggressivität

"Damals stand ich allei­ne da und war rich­tig wütend. Mei­ne Adern waren am Pochen und die Trä­nen kamen. Viel zu früh habe ich mich mit Ras­sis­mus befasst, wäh­rend ande­re mit Autos gespielt haben." – Helio­c­op­ta im Inter­view über ers­te Erfah­run­gen mit Ras­sis­mus und dar­aus resul­tie­ren­der Aggressivität.

Aggres­si­vi­tät wird gemein­hin als eher nega­ti­ver emo­tio­na­ler Aus­bruch wahr­ge­nom­men, oft wirkt die­ser unkon­trol­liert und ist eher kon­tra­pro­duk­tiv für die betref­fen­den Per­so­nen. Trotz­dem gibt es kaum Men­schen, die behaup­ten kön­nen, ein Leben gänz­lich ohne Aggres­sio­nen zu füh­ren. In der HipHop-​Kultur ist eine aggres­si­ve Hal­tung bereits seit den Anfän­gen ver­wur­zelt. Aus­ge­löst wur­de die­se durch Aus­gren­zungs­er­fah­run­gen wie Ras­sis­mus und Klas­sis­mus. Seit­dem ver­bin­den ins­be­son­de­re gen­re­frem­de Men­schen Rap zumeist mit einer aggres­si­ven und wüten­den Atti­tü­de. Die­se lässt sich heu­te noch bei eini­gen Rapper:innen wie­der­fin­den, auch wenn dies längst nicht auf alle Künstler:innen zutrifft. Einer der Rap­per, der durch sei­ne musi­ka­li­sche Aggres­si­vi­tät her­aus­sticht, ist Helio­c­op­ta. Das Beson­de­re ist dabei, dass sich sei­ne aggres­si­ve Stim­mung nicht zwin­gend in den Lyrics wie­der­fin­det. Denn die­se bestehen nicht nur aus offen­si­ven Battle-​Lines, son­dern auch aus Storyteller-​Elementen, Nerd-​Stuff und Rap-​Knowledge. Das ändert nichts dar­an, dass sei­ne Deli­very und die Beats stets nach vor­ne gehen. Gemein­sam mit ihm spra­chen wir über die Umstän­de, die zu Aggres­sio­nen füh­ren, Emo­tio­nen, die durch Musik aus­ge­löst wer­den und den Ent­ste­hungs­pro­zess sei­nes musi­ka­lisch aggres­si­ven Characters.

MZEE​.com: Aggres­si­vi­tät ist in der Regel eine mensch­li­che Reak­ti­on auf nega­ti­ve Gefüh­le, wie zum Bei­spiel Frust oder Schmerz. Wodurch wer­den bei dir Aggres­sio­nen ausgelöst?

Helio­c­op­ta: Durch einen Mix aus Frust und Ver­zweif­lung. Das fängt schon bei klei­nen Sprü­chen an, die man sich anhört, oder die­ser "Durch die Blume"-Minimalrassismus. Ich woll­te zum Bei­spiel vor zwei Wochen Scho­ko­la­de kau­fen, aber man dach­te, dass ich klau­en will. Im Nach­hin­ein den­ke ich mir dann: Du bist ein erwach­se­ner Mann und jemand geht davon aus, dass du klau­en willst, weil du Schwarz bist und vor der Scho­ko­la­de stehst. Die Bul­len kamen rein und ich habe das Spiel mit­ge­macht. Ich hat­te nichts geklaut und die Ver­käu­fe­rin hat sich dick bla­miert. Trotz­dem gehst du dort raus und denkst dir, was für eine Miss­ge­stalt sie doch war. Auch wenn ich mir sage, dass ich drü­ber­ste­he, sind das Momen­te, die krass abfu­cken. Wenn ich dann spä­ter an Lyrics schrei­be, mer­ke ich direkt, dass mich das abfuckt. All­tags­ras­sis­mus ist das Ding. Nicht jeden Tag, aber das ist der Grund, war­um ich oft abge­fuckt bin. Das ist das, wor­aus bei mir Wut entsteht.

MZEE​.com: Wann und wie hat­test du dei­ne ers­ten Berüh­rungs­punk­te mit Aggressionen?

Helio­c­op­ta: (über­legt) Ich hat­te im Hort eine Erfah­rung. Kennst du die­sen Tiger­en­ten Club? Man hat mich gewählt, damit ich da hin­kom­me. Dann sag­te ein Mäd­chen, dass ich da nicht hin­soll. Die hat die gan­ze Zeit irgend­wel­che Affen-​Vergleiche gemacht und ich bin rich­tig aus­ge­ras­tet. Ich erin­ne­re mich dar­an, weil ich damals erst ver­sucht habe, es nicht wahr­zu­neh­men. Das war mir ein biss­chen pein­lich. Aber irgend­wann kam dann der Punkt, an dem ich aus­ge­ras­tet bin. Das ist danach immer mal wie­der pas­siert. Ich war häu­fig aggres­siv und bereit für Beef. In die­ser Situa­ti­on sind selbst die Erzie­her zu mir und mein­ten, dass es jetzt mal gut wäre. Damals stand ich allei­ne da und war ein­fach rich­tig wütend. Mei­ne Adern waren rich­tig am Pochen und die Trä­nen kamen. Viel zu früh habe ich mich mit Ras­sis­mus befasst, wäh­rend die ande­ren mit Autos gespielt haben. Ich habe mir sehr oft gedacht, dass ich drauf schei­ße und nicht mit denen spie­len gehe. Ich habe immer gezuckt, wenn einer das Licht aus­ge­macht hat. Ich wuss­te, in drei Sekun­den kommt irgend­ein Spruch: "Ich kann dich nicht sehen, nur dei­ne Zäh­ne." Das sind Sachen, die blei­ben im Kopf. Das kriegst du nicht weg. Ich bin 34 und manch­mal sit­ze ich da und den­ke mir: "Krass, dass das mein gan­zes Leben so ist." Um auf die Geschich­te im Hort zurück­zu­kom­men: Von da an habe ich kon­se­quent gesagt, dass das nicht geht. "Wen wollt ihr ver­ar­schen?" Das habe ich als klei­ner Jun­ge mit Pieps­stim­me gesagt. Ich war voll akti­viert und hat­te kei­ne Unter­stüt­zung, auch nicht von den Erzie­hern. Man­che hat­ten Mit­leid und haben was gesagt, aber ansons­ten wur­de immer weggeguckt.

MZEE​.com: Die Situa­tio­nen, die Aggres­sio­nen bei dir aus­lö­sen, sind dem­entspre­chend oft mit Rassismus-​Erfahrungen verbunden?

Helio­c­op­ta: Auf jeden Fall, und zudem mit Dumm­heit. Das ist zwar am Ende auch meis­tens Ras­sis­mus, aber es beruht oft auf Dumm­heit. Als Schwar­zer kom­men dir manch­mal aus dem Nichts wei­ße Leu­te ent­ge­gen und wol­len dir erklä­ren, war­um du als Schwar­zer akzep­tie­ren sollst, dass … (über­legt) Lass mich doch in Ruhe. Was ist los mit dir? Kein Mensch kommt zu dir und sagt, dass du die Son­nen­bank nicht benut­zen soll­test. Heu­te wis­sen vie­le immer noch nicht, wie man mit einer Schwar­zen Per­son umge­hen soll­te, obwohl das eigent­lich kein The­ma sein dürf­te. Ich habe mir noch nie Gedan­ken dar­über gemacht, wie, wes­halb und war­um ein Wei­ßer etwas macht. Wenn du jetzt neben mir chillst, chillst du halt neben mir. Ich wür­de bei dir nie dar­über nach­den­ken, was du wohl für eine Haut­creme benutzt.

MZEE​.com: Wie gehst du denn damit um, wenn sich Aggres­sio­nen bei dir anbah­nen? Hast du Tools gefun­den, die das verhindern?

Helio­c­op­ta: Habe ich, aber in man­chen Situa­tio­nen über­ra­sche ich mich immer wie­der selbst und nut­ze die dann trotz­dem nicht. Mein Tool ist meis­tens, locker zu blei­ben und der Aggres­si­on aus­lö­sen­den Per­son noch eine Chan­ce zu geben. Wenn man aber merkt, dass sich da nichts ver­än­dert, hat man mei­ner Mei­nung nach das Recht, alles raus­zu­las­sen. Du hast ja die Gewiss­heit, dass du ver­sucht hast, die Din­ge nor­mal ablau­fen zu las­sen. Aber man­che Men­schen wol­len nur abfu­cken. Dann bin ich bereit und las­se mich abfu­cken. Ich habe kein Tool, das zu 100 Pro­zent funk­tio­niert. Ich wür­de Leu­ten raten, Aggres­sio­nen nicht direkt zu zei­gen, son­dern zu ver­su­chen, über den Din­gen zu ste­hen. Das lässt die ande­re Per­son eher idio­tisch aus­se­hen. Das ist gut, dabei kann man run­ter­kom­men und manch­mal sogar der Per­son erklä­ren, dass ihre Aus­sa­gen dumm waren. Ich hat­te damals Fäl­le, in denen man mir sag­te, dass ich als PoC dies oder jenes nicht machen könn­te … Ich sage dir ehr­lich, ich wuss­te damals nicht, was "PoC" heißt. Auch mit "BIPoC" und "BPoC" konn­te ich nichts anfan­gen. Da hat man nicht akzep­tiert, dass ich das nicht ken­ne, weil ich ja "Afri­ka­ner" sei. Da dach­te ich mir, dass der Begriff safe nicht aus Afri­ka, son­dern wahr­schein­lich aus Ame­ri­ka kommt. (Anm. d. Red.: Der Begriff "PoC" wur­de erst­mals Ende des 19. Jahr­hun­derts als Bezeich­nung für frei­ge­las­se­ne Skla­ven in Ame­ri­ka ver­wen­det und gewann im Zusam­men­hang mit der US-​amerikanischen Black-​Power-​Bewegung der 1960er Jah­re enorm an Bedeutung.)

MZEE​.com: Es sind mitt­ler­wei­le stark aka­de­mi­sier­te Begrif­fe, die in der Pra­xis nicht immer funk­tio­nie­ren bezie­hungs­wei­se ver­stan­den werden.

Helio­c­op­ta: Aus mei­ner Per­spek­ti­ve sagt kein Schwar­zer zu einem ande­ren: "Siehst du die­se PoC da vor­ne?" Und wenn, dann sind das die­se Leu­te, die dem Ste­fan gefal­len möch­ten und ihm zei­gen wol­len, dass sie sich anpas­sen kön­nen. Du musst dich aber nicht anpas­sen, wenn du nichts falsch machst. Ich habe mit einer Per­son da mal offen drü­ber gespro­chen, war­um ich den Begriff "Schwarz" angeb­lich nicht sagen dür­fe und "PoC" ver­wen­den müss­te. Jetzt weiß ich, was abgeht, aber ich bin trotz­dem ein Schwar­zer Jun­ge in Deutsch­land. Für mich ist nur wich­tig, dass du das N-​Wort und offen­sicht­li­che Belei­di­gun­gen nicht ver­wen­dest. Aber zu vie­le wei­ße Men­schen, die das bestimmt hier und da gut mei­nen, spie­len eine Rol­le. Die ver­ges­sen dann, dass sie in einer Rol­le sind. Sie sind eben nicht die Per­so­nen, für die sie sich gera­de ein­set­zen oder ent­schei­den wol­len. Wir sind immer mit mei­nen Cou­si­nen, Cou­sins und den klei­nen Kids unter­wegs und wenn ich sie anse­he, fra­ge ich mich, in wel­cher Welt die gera­de auf­wach­sen. Für mich hat sich von der Kind­heit bis heu­te nichts geän­dert. Ich bin älter, kann bes­ser reden und ken­ne ein paar schlaue Wör­ter. Ich kann manch­mal auf Ste­ve Urkel machen, aber die Kid­dies aus mei­ner Fami­lie sind alle schlag­fer­tig. Wir haben denen viel mit­ge­ge­ben. Die sehen das, die hören die Songs. Die rap­pen die Zei­len nach und fei­ern das. Aber trotz­dem sind die Kids in einer Welt, in der sie ganz schnell von außen abge­fuckt wer­den. Das alles ist auf jeden Fall auch ein Rap-​Ding von mir.

MZEE​.com: Kom­men wir zur Musik – einer Mög­lich­keit, Aggres­si­vi­tät aus­zu­drü­cken. Bei wel­cher Musik und bei wel­chen Acts wird das für dich beson­ders deutlich?

Helio­c­op­ta: Wu-​Tang hat­ten vie­le Songs, bei denen man sich dach­te, dass das jetzt 'ne Ansa­ge an alle wei­ßen Leu­te war, die "da drü­ben" oder in der Poli­tik Schei­ße bau­en. Wu-​Tang haben das nicht ein­fach nur gesagt, son­dern immer wütend, straight und direkt aus­ge­spro­chen. Bei einem Kendrick Lamar ist es noch mal kras­ser. Der exis­tiert in einer Zeit, in der viel mehr Leu­te zuhö­ren und dar­auf ach­ten, wenn jemand so was sagt. Das ver­brei­tet sich dann über Insta­gram oder You­Tube und man teilt das alles. Der ist in einer Liga mit Dra­ke und Leu­te fra­gen sich, wer kras­ser ist. Kendrick fin­det dabei aber trotz­dem die Zeit, Know­ledge zu drop­pen. Das fin­de ich cool und es inspi­riert mich, weil es vie­le Leu­te gibt, die nicht che­cken oder akzep­tie­ren, wie wir mit die­ser Rassismus-​Thematik umge­hen. Man­che, wie zum Bei­spiel Roger Rekless, fin­den rich­tig cool, dass wir das "ein­fach" hin­ten­rum in unse­re Songs ein­bau­en. Das wirkt nicht auf­ge­setzt, son­dern ist in einen Batt­le­song ver­packt, in dem es drei Minu­ten dar­um geht, wie nice ich bin, und nach drei Minu­ten kommt dann ein­fach ein Satz, der zum Bei­spiel mit Ras­sis­mus zu tun hat. Das ist real. Man geht nicht mit einem Kon­zept an die Sache, son­dern lässt es ein­fach raus. Bei Kendrick habe ich die­ses Gefühl auch, wenn er was sagt. Der hat da natür­lich ande­re Mög­lich­kei­ten und macht direkt ein film­rei­fes Video dazu. Bei Bus­ta Rhy­mes emp­fin­de ich es ähn­lich, obwohl der viel mit Humor arbei­tet. Außer­dem gibt es vie­le Acts aus dem Oldschool-​Bereich. Das habe ich oft erst im Nach­hin­ein gecheckt. Die haben Bars gedroppt, die ich in aggres­si­ven Momen­ten cool fand. Aber Kendrick macht es mitt­ler­wei­le am besten.

MZEE​.com: In man­chen Musik-​Kulturen ist Aggres­si­vi­tät ein ele­men­ta­res Ele­ment, wie in der Noise-​Kultur. In die­ser wird bewusst "Krach" pro­du­ziert, der ohne Melo­dien aus­kommt. Es geht dabei unter ande­rem dar­um, die Hörer:innen auf­zu­sta­cheln und in eine aggres­si­ve Stim­mung zu brin­gen. Was hältst du von einem sol­chen Konzept?

Helio­c­op­ta: Solan­ge du nicht mit die­sen aggres­si­ven Vibes Migrant:innen zusam­men­schla­gen willst, ist es okay. Dann ist es viel­leicht sogar nice. Du gehst trai­nie­ren und bist sofort im rich­ti­gen Modus. Musik ist aber gene­rell voll mäch­tig, was das angeht. Die kann wirk­lich ver­schie­de­ne Emo­tio­nen im eige­nen Leib ansta­cheln. Shou­tout an Bob Mar­ley, des­sen Musik immer dafür sorgt, dass man posi­ti­ve Vibes hat. Aber ich glau­be, die­se Kul­tur ist nicht schlecht, sofern du das nicht für Nega­ti­vi­tät nutzt. Viel­leicht gibt es da drau­ßen eine Per­son, die das genau­so braucht, wie ich manch­mal einen Nicki Minaj-​Song brau­che. Ich habe die heu­te auf You­Tube gese­hen, des­halb kom­me ich da gera­de drauf.

MZEE​.com: Du hast gera­de Bob Mar­ley ange­spro­chen. Gibt es sonst noch Musik, die bei dir für Ent­span­nung sorgt?

Helio­c­op­ta: Zu 100 Pro­zent R 'n' B-​Musik. Aber es gibt eine wei­te­re Art Musik, bei der ist wirk­lich Ciao für mich. Da wer­de ich zum fried­lichs­ten Men­schen. Und zwar ist das Min­nie Riper­ton, kennst du die?

MZEE​.com: Irgend­was klin­gelt da.

Helio­c­op­ta: (singt) "Lovin' you is easy cau­se you're beau­tiful." Ihre Musik oder Nina Simo­ne, alles in die­ser Ecke – neben R 'n' B und Hip­Hop – dar­auf bin ich rich­tig hän­gen geblie­ben. Gera­de die 70er Jah­re, die sit­zen da am Kla­vier und der Sound ist mit Absicht nicht ganz per­fekt. Das ist Musik, vor der ich krass Respekt habe und bei der ich ein­fach rich­tig abschal­ten kann. Da bin ich dann in mei­ner Welt und alles ist cool. Das ist oft aus den 70er Jah­ren, auch vie­le Jazz- und Blues-Leute.

MZEE​.com: Dem­entspre­chend viel Musik, die als Sampling-​Grundlage für HipHop-​Musik dient, die wie­der­um oft eine ande­re Ener­gie versprüht.

Helio­c­op­ta: Genau. Häu­fig geht es dar­um, mit die­ser Ener­gie Par­ty zu machen. In vie­len die­ser Rap-​Songs wird Schei­ße gela­bert, die wir mit­rap­pen oder mit­ge­rappt haben. Aber wenn ein Song im Club läuft, den du und dei­ne Jungs frü­her gehört haben, dann fei­ert ihr das ab und ras­tet aus. Das ist ein Moment, der ein paar Tage im Kopf bleibt. Ihr erin­nert euch noch län­ger dar­an, dass ges­tern ein­fach "In da Club" lief. Die­se gesam­pel­te Musik ist so posi­tiv, dass sie eine gan­ze Kul­tur beein­flus­sen kann. Die Rap-​Kultur ist auch über­trie­ben posi­tiv, aber wird oft dar­ge­stellt, als wäre sie nur aggres­siv und vol­ler Hass. Aber das ist nicht so, Hip­Hop ist divers. Ein Rap­per wie Com­mon will doch zum Bei­spiel kei­ne Leu­te in Chi­ca­go umbrin­gen. Die­se Oldschool-​Musik, die bis heu­te immer wie­der gesam­pelt und zer­schnip­pelt wird, klingt so schön. Das ist krass, dass das ein Teil von Hip­Hop ist. Die aggres­sivs­ten Songs haben Samples, die aus Songs sind, die voll lieb sind. Das macht dann bei­de Songs beson­ders, weil die­se aggres­si­ve Ener­gie aus etwas Posi­ti­vem ent­steht. Das ist ver­rückt, wie eng Musik und Vibes mit­ein­an­der ver­bun­den sind. Mit "old­school" mei­ne ich spe­zi­ell die 60er und 70er Jah­re, die seit den 80ern gesam­pelt werden.

MZEE​.com: Lass uns über dei­ne eige­ne Musik spre­chen. Sowohl dei­ne Lyrics als auch die Beats strah­len meis­tens eine Aggres­si­vi­tät aus. Das zeigt sich auch bei dei­nen Releases des letz­ten Jah­res mit Tux­ho Beatz und Figub Braz­le­vič. Wel­che Grün­de hat das?

Helio­c­op­ta: Das End­pro­dukt ist tat­säch­lich oft aggres­siv. Der Pro­zess sieht aber immer unter­schied­lich aus. Das, was heu­te alles pas­siert ist, löst in mir Gedan­ken aus. Es sind aber auch klei­ne Din­ge um mich her­um. Wenn ich zum Bei­spiel ein klei­nes Kind mit einer Pikachu-​Tasche sehe, akti­viert das mei­ne Krea­ti­vi­tät, etwas über Ash Ket­chum zu schrei­ben. Dann über­le­ge ich wei­ter, ob in einem Beat viel­leicht ein Ele­ment zu Poké­mon passt. Selbst beim Schrei­ben pas­sie­ren manch­mal Sachen und ich muss abbre­chen. Wenn ich den Song spä­ter wei­ter­schrei­be, neh­me ich von dem, was pas­siert ist, die Ener­gie mit. Mein Leben ver­läuft ein biss­chen wie bei Flash. Ich ste­he auf und dann geht es zack, zack, zack. Ich mer­ke, dass ich mir damit selbst etwas antue, aber ich kom­me da nicht rich­tig raus. Ich ste­he auf und funk­tio­nie­re: Ich klä­re Fami­liä­res, gehe arbei­ten und fra­ge Tux­ho par­al­lel nach Beats. Wir dis­ku­tie­ren dann sofort dar­über, was wir alles noch machen müs­sen. Es gibt zwar auch Tage, an denen ich chil­len kann, aber das ist Fake. Denn gedank­lich bin ich immer bei mei­nen Ver­pflich­tun­gen. Wenn ich tot bin, hof­fe ich, dass mir irgend­je­mand erklä­ren kann, ob das sinn­voll war, was ich die gan­ze Zeit gemacht habe. Am Ende des Tages hat mir die­ser Lebens­stil zumin­dest eine eige­ne Vinyl ermög­licht. Aber es ist defi­ni­tiv so, dass ich dau­er­haft unter Druck ste­he. Es muss immer vor­wärts gehen und die­se Ener­gie fin­det man immer in mei­nen Songs. Des­halb gibt es wel­che, in denen ich lus­ti­ge Sachen sage, die aber trotz­dem aggres­siv rüber­kom­men. Wenn ich nicht rap­pen wür­de, dann … Das will ich gar nicht aussprechen.

MZEE​.com: Das ist qua­si dein Ven­til. Die Beats, die Tux­ho dir schickt, gehen eben­falls nach vor­ne. Dei­ne Deli­very ist die eine Kom­po­nen­te, aber auch die Beats ver­sprü­hen nie einen "Som­mer­vi­be". (bei­de lachen)

Helio­c­op­ta: Wir haben viel releast und dabei hat sich der Grund­ge­dan­ke ver­fes­tigt, dass es nur nach vor­ne gehen soll. Unse­re Musik soll sogar stö­ren und ner­ven. Aber inhalt­lich möch­te ich trotz­dem vie­le Din­ge mit rein­brin­gen. Ich erzäh­le dir viel­leicht, dass ich der Bes­te bin, aber gebe dir in ein­zel­nen Lines auch Tipps fürs Leben mit. Ich will beim Musik­ma­chen locker blei­ben und möch­te mich nicht an einen Song set­zen, um zum Bei­spiel auf Krampf etwas über die Tita­nic zu schrei­ben. Ich möch­te einen Song machen und das Schiff als eines von vie­len The­men ein­bau­en. Du kannst es auch als Haupt­the­ma neh­men, aber es wird schlecht, sobald du dich da zu sehr ver­krampfst. Denn es gibt viel mehr als nur eine Sache, die man schwarz oder weiß abbil­den kann. Ich bekom­me vie­le unter­schied­li­che Beats, aber ich habe gera­de die­se Stim­mung und den Vibe, dass ich mit mei­ner Musik nach vor­ne gehen und Know­ledge ver­brei­ten will. Aber es kann in Zukunft auch anders kom­men, zum Bei­spiel ein ent­spann­te­rer Song. Das ist alles da. Wir haben auf jeden Fall einen Schatz an Musik. (lacht) Eine letz­te wich­ti­ge Sache ist, dass die Art, wie mei­ne Musik klingt, das Reals­te ist, was ich machen kann. Des­we­gen ist es eben genau das, weil das kann ich "ver­kau­fen". Alles ande­re will ich nicht machen.

MZEE​.com: Das macht es authen­tisch. Trotz­dem unter­schei­det sich dei­ne Musik von dei­nem Auf­tre­ten auf der Büh­ne oder auf Insta­gram. Hier zeigst du dich ger­ne mal fami­li­är, freund­lich und humo­ris­tisch. Ist das eine bewusst gezo­ge­ne Grenze?

Helio­c­op­ta: Ich che­cke das selbst nicht ganz. Ich ver­su­che auf jeden Fall, dass sich mein Umgang, zum Bei­spiel mit mei­nem bes­ten Homie Ander­son, in mei­ner Musik wider­spie­gelt. Mei­ne Aggres­si­vi­tät und die Din­ge, die ich dar­in erzäh­le, fin­den in mei­nem All­tag statt. Irgend­wel­che Fil­me oder wacke Musik, über die­se The­men rede ich auch an einem "nor­ma­len" Tag. Ich mache mir kei­ne gro­ßen Gedan­ken, ich will nur bewusst kor­rekt zu Leu­ten sein. Aber in der Musik gibt es kei­ne Gren­zen. Das bedeu­tet, da bekommst du ziem­lich sicher zwei oder drei Pro­zent mehr Helio, als du pri­vat kriegst. Da liegt der klei­ne Unter­schied zwi­schen mei­nem pri­va­ten Ver­hal­ten und der Musik. Wenn man mich sieht und sich mit mir ver­steht, dann kann man mit mir chil­len und Songs hören. Ich glau­be, es wäre auch hart, wenn du jetzt mit mir chillst und ich sage (Anm. d. Red.: redet schnell und laut): "Ey yo, hör mal zu. Ich bin der Bes­te und ich sit­ze hier neben dir, aber eigent­lich kann ich fliegen!"

MZEE​.com: Aber es gibt im Rap-​Business durch­aus Leu­te, die das genau­so machen. Die erzäh­len dir nicht nur in ihren Songs, dass sie die Kras­ses­ten sind, son­dern auch in Inter­views. Die­se aggres­si­ve Her­an­ge­hens­wei­se lässt sich im Rap teil­wei­se his­to­risch begrün­den durch Unge­rech­tig­kei­ten wie Ras­sis­mus, Klas­sis­mus und Aus­gren­zungs­er­fah­run­gen. Könn­test du dir eine Rap-​Welt ohne aggres­si­ve Atti­tu­de vorstellen?

Helio­c­op­ta: Über­haupt nicht, weil für mich Aggres­si­vi­tät nur in der HipHop-​Kultur so dar­ge­stellt wird, dass sie gar nicht im Vor­der­grund ist. Son­dern, was die Leu­te gera­de anha­ben und wie die Loca­ti­on aus­sieht. Wenn du zum Bei­spiel etwas von Wu-​Tang siehst, sind die eigent­lich voll aggres­siv. Aber du ach­test dar­auf, wie sie dort vor ihrem gel­ben Wu-​Tang-​Zeichen ste­hen. Ich bin dann davon getoucht, wie das Gan­ze rüber­kommt. Ich stel­le mir nicht die Fra­ge, war­um die aggres­siv sind, son­dern fin­de ein­zel­ne Sze­nen geil und krass. Das funk­tio­niert bei mir nur mit Fil­men und HipHop-​Musik. Bei R 'n' B- oder Soul-​Liedern, die manch­mal ähn­li­che The­men behan­deln, den­ke ich mir immer nur, dass sie gut gemacht sind. Aber in der HipHop-​Kultur wird die­se Aggres­si­vi­tät ein­fach cool dargestellt.

MZEE​.com: Du wür­dest es dem­entspre­chend als wich­ti­gen Teil der Kul­tur beschreiben?

Helio­c­op­ta: Wür­de ich sagen. Ich gebe dir ein Bei­spiel: Ich lie­be Mos Def. Aber nur Mos Def?! Kann ich mir nicht geben. Ich bräuch­te auf jeden Fall ODB. Ich bräuch­te so was als Aus­gleich. Das macht dann die gan­ze Sache noch mal boden­stän­di­ger. Es soll nicht alles nur toll und ruhig sein. Die­se dre­cki­ge Sei­te macht alles ech­ter. Wenn ich ein Star wäre, wür­de ich kein per­fekt aus­ge­leuch­te­tes Bild haben wol­len, son­dern lie­ber einen iPho­ne 11-​Schnapschuss hoch­la­den und das der Welt zei­gen. Ich fin­de es nie geil oder boden­stän­dig, wenn alles per­fekt ist. Das ver­bin­de ich damit.

MZEE​.com: Auf "Dre­ckig und direkt" rappst du "Modus Aggres­siv ist der Flex". Kannst du dir vor­stel­len, die­sen Modus mal abzu­än­dern, oder gibt es Helio­c­op­ta nur aggressiv?

Helio­c­op­ta: Nein, mich gibt es auch lieb. Aber dann bleibt der Sound trotz­dem aggres­siv. (lacht) Ich bin schon net­ter gewor­den. Alles, was als Helio­c­op­ta raus­kommt, ist bewusst etwas weni­ger belei­di­gend. Als wir Peti Free waren (Anm. d. Red.: Grup­pe bestehend aus Helio­c­op­ta, Tux­ho und Ander­son), habe ich ein biss­chen mehr über­trie­ben. Figub und Tux­ho haben mich dann mal bei­de unab­hän­gig von­ein­an­der dar­auf ange­spro­chen. Figub mein­te, wir könn­ten mal gucken, ob man nicht etwas weni­ger belei­di­gen kann. Ich mein­te damals noch, dass ich das nie­mals ände­re, aber das hat sich dann schnell geän­dert. Bru­der, ich habe in irgend­ei­nem Song mal gesagt: "Ich f**** dei­ne Mut­ter in 'nem Kreiß­saal." Nie­mals. Ers­tens wür­de ich das nie­mals machen und zwei­tens wür­de ich das nie­mals cool fin­den. Wenn ich das jetzt bei jeman­dem höre, den­ke ich mir, dass das gar kein coo­ler Spruch ist. Das ist dumm und möchtegern-​aggressiv. Ich habe mich auf jeden Fall gebes­sert. Ich sage so was nicht mehr und zum Glück habe ich das nur ein­mal gemacht. Im Nach­hin­ein ist mir das so pein­lich, dass ich mir gesagt habe, die­se Sachen von Grund auf zu redu­zie­ren. Denn ich kann zwar nicht wis­sen, was mich in Zukunft krass stö­ren wird, aber so was auf jeden Fall. Des­we­gen ver­su­che ich, in die­sem Bereich bes­ser zu werden.

MZEE​.com: Die­se Ent­wick­lung ist ein­deu­tig erkenn­bar. Hören wir dann irgend­wann mit dei­ner aggres­si­ven Deli­very ein ein­ge­rapp­tes Kinderbuch?

Helio­c­op­ta: Ich habe die­sen Gedan­ken voll oft, ich fän­de das lus­tig. Die­se Idee, sich einen Kinderbuch-​Character zu erschaf­fen, der nach vor­ne geht. Einer, der den Kin­dern Bücher vor­liest, aber auch ein biss­chen aggres­siv ist. Schön aggres­siv die Kind­heit ande­rer för­dern und das Gan­ze dann posi­tiv nut­zen. Also da hät­te ich echt ver­schie­de­ne Ideen, egal ob es musi­ka­lisch auf Beats oder in Form eines Geschich­ten­er­zäh­lers pas­siert, der Kids "aggres­siv" span­nen­de Din­ge aus dem Leben erzählt. (lacht)

(Alec Weber)
(Fotos von Tux­ho Beatz)