Das erste Konzert, das man ohne Eltern besuchen durfte. Nachts alleine auf der Autobahn und den gleichen Song immer und immer wieder hören, weil man nicht fassen kann, wie gut er ist. Der Track, den man mit den Freund:innen von früher laut grölend auf jeder Party mitgesungen hat. Vermutlich kennt jeder Mensch diesen Moment: Es läuft ein bestimmtes Lied oder Album, das einen direkt emotional in eine Situation zurückversetzen kann, nostalgisch werden lässt oder einfach nur aufgrund seiner Machart immer wieder zum Staunen bringt. Und genau darum geht es in unserem Format "DIGGEN mit …". Wir diggen mit verschiedenen Protagonist:innen der Szene in ihren gedanklichen Plattenkisten und sprechen über Musik, die diese Emotionen in ihnen auslöst. Dafür stellen unsere Gäste jeweils eine eigene Playlist mit Songs zusammen, die sie bewegen, begeistern und inspirieren.
Bei der heutigen Zusammenstellung handelt es sich um eine Grime-Playlist. Selbst von Grime und der dazugehörigen Energie musikalisch beeinflusst und inspiriert, war es Alice Dee ein Anliegen, eine diverse Liste mit Rapper:innen zu kuratieren, die häufig zu wenig Aufmerksamkeit bekommen. Wir sprachen nicht nur darüber, was den britischen Rap so mitreißend macht, sondern auch über queere Artists, die innerhalb des Genres Identitäten sichtbar werden lassen. Vor allem ehrliche, empowernde und wütende Songs begeistern Alice Dee – und genau davon ist die zusammengestellte Playlist auch geprägt.
1. Lady Lykez – Rosa Parks (prod. by Jamal Hadaway)
Alice Dee: "Rosa Parks" hat mich und meine Crew "B2BCREW" einen Sommer lang begleitet, denn durch unsere DJs habe ich den Song kennengelernt. Die Message ist halt krass: Ich gehe hier nicht weg wie Rosa Parks. Ich bleibe da, wo ich bin. Gleichzeitig ist der Beat, die Energie und wie sie spittet einfach krank. Auf der Fusion haben Lady Lykez und ich mal nacheinander auf einer Stage gespielt. Das war auf jeden Fall ein Highlight meiner Karriere. Ich war schon sehr beeindruckt von ihrem Live-Auftritt. Allgemein ist Grime ein wichtiger Pfeiler unserer Musik-Identität. Club- und Live-MCing ist ein wichtiger Teil des Genres, in Deutschland ist das leider nicht so häufig miteinander verbunden.
2. Lady Leshurr feat. Wiley – Where Are You Now? (prod. by Michael Angelo)
Alice Dee: Ich feier' Lady Leshurr extrem – sie ist mit ihrer coolen Art so cheeky frech, aber hat gleichzeitig diese Boss-Attitude. Sie macht eher fröhliche, humorvolle Musik. Grime kann ja oft sehr düster sein und das mag ich auch sehr gerne, aber ihre Art gefällt mir einfach gut. Und ihre Freestyle-Videos beeindrucken mich immer wieder. Auch von "Where Are You Now?" mag ich das Video sehr. Der Song hat mich und meinen Producer zu "Wildstyles" inspiriert.
3. Little Simz – Venom (prod. by Inflo)
Alice Dee: Little Simz begleitet mich schon lange, aber "Venom" ist besonders für mich. Sie ist ja keine klassische Grime-Künstlerin aufgrund der Machart ihrer Beats, aber wie sie flowt und ihre Energie sind Grime. Sie teilt richtig aus, aber auf eine so erhabene, elegante Art. Dieser Track hat mich richtig umgehauen, als er rauskam. Die Art wie er sich aufbaut, die Spannung, die beim Zuhören entsteht und dann der Switch der Geschwindigkeit und des Flows haben mich voll abgeholt. Letztens habe ich sie im Tempodrom in Berlin live gesehen, das war wirklich schön. Little Simz ist so real und was sie sagt, kommt direkt aus ihrem Herzen. Das merkt man einfach. Die Musik ist reich an Wörtern, Bildern und Gefühlen. Ihr Zugang dazu ist einfach berührend für mich.
4. Lady Shocker feat. Pre Wavy, Funky Dee – God Mode (prod. by RasEyeVII)
Alice Dee: "God Mode" habe ich gewählt, weil ich diese Kombi aus der ballernden 808 und den Chören im Hintergrund liebe. Lady Shocker habe ich durch das Buch "Too Many Man: Woman of Grime" entdeckt und feiere sie seitdem. In dem Buch sagt sie viele gute Sachen und spricht darüber, wie sie sich als queere MC in der Szene fühlt. Das Buch kann ich auf jeden Fall empfehlen. Es geht eben um die Liebe zur Szene, aber gleichzeitig auch den Hustle, sich darin behaupten zu müssen.
5. Nolay – Trill Shit (prod. by Hostile Beatz, Trifreeze)
Alice Dee: Nolay mag ich sehr. Alleine wie der Beat mit den Geigen anfängt und wie aggressiv sie darauf rappt. Ich habe lange keine neuen Veröffentlichungen von Nolay gehört und dann kam sie mit diesen Drill-Tracks zurück. Sie spricht so raw über ihr Leben auf der Straße und wie sie sich durchboxen muss, macht das aber auf eine sexpositive Femmeboss-Art. Das finde ich beeindruckend. Grime und Drill sind sich ja doch in einigem ähnlich, aber irgendwie checken die Leute in Deutschland Grime nicht wirklich. Auch bei unseren Live-Sets merken wir immer wieder, dass die Leute nicht wissen, wie sie dazu tanzen sollen. Drill ist trotz der ähnlichen Energie für viele leichter zugänglich. Vielleicht auch, weil die Musik vorhersehbarer ist. Der Rhythmus von Grime fordert mehr heraus, denke ich. Man braucht länger, um eine Logik darin zu erkennen.
6. Karnage Kills – The Set Up (Freestyle) (prod. by 3lackondabeat)
Alice Dee: Bei dem Track mag ich neben dem Beat vor allem, dass er so empowernd ist. Es geht darum, als queere Person aufzufallen und die ganze negative Attention umzuwandeln. Dass Leute die ganze Zeit gucken und kommentieren, weil du nicht reinpasst, aber sich trotzdem zu holen, was dir zusteht. Vieles von dem Album "Game Over, Vol. 1" fand ich richtig cool.
7. FLOHIO – WAY2 (prod. by Splurgeboys)
Alice Dee: Krasser Song. Ich liebe auch Splurgeboys und diese Gamelan Bells im Beat. Die Energy von FLOHIO dazu und ihre Adlibs feier' ich. FLOHIO als Ganzes mit den Covern und den Videos ist absolut mein Geschmack. Es ist raw, aber auch so stylisch. Das ist einfach fett. Ich habe sie über ihre COLORS-Version von "Bands" kennengelernt und bin seitdem total in love.
8. TrueMendous – Sweetheart (prod. by Chemo)
Alice Dee: Die Distortion und die 808 von "Sweetheart" mag ich echt gerne. Es ist düster und der Beat ballert, aber der Fokus liegt eigentlich auf dem Flow und der Delivery von TrueMendous. Sie als Person ist auch so sympathisch. Auf Instagram sieht man sie oft in irgendwelchen Straßen, in denen sie mit einer kleinen Box live rappt. Deswegen musste TrueMendous unbedingt in meine Playlist.
9. Iceboy Violet – Are U Connected (prod. by Emily Glass)
Alice Dee: Iceboy Violet kenne ich noch nicht so lange und der Song ist vielleicht auch kein klassischer Grime, aber ich mag, dass es ein bisschen experimenteller ist. Auch die Effekte auf den Vocals und die Lyrics sind toll. Hat mich einfach berührt und war eine gute Entdeckung. Außerdem ist Iceboy Violet eine nicht-binäre Person und davon gibt es zu wenig sichtbare, weswegen ich es wichtig fand, "Are U Connected" mit in die Playlist zu nehmen.
10. Laughta – Pree My Ting (prod. by Jammer)
Alice Dee: Auch bei Laughta war ich sehr froh, das kürzlich entdeckt zu haben. "Pree My Ting" ist in der Liste wahrscheinlich noch am ehesten ganz klassischer Grime, viele der vorherigen Tracks waren ja eher Trap- und Drill-beeinflusst. Aber hier merkt man einfach, wie raw das ist – alleine an den Snares und Glitch-Sounds, die an Playstation-Beats erinnern. Ziemlich dirty und so krass gerappt. Laughta hat mich echt geflasht.
11. Stefflon Don – 16 Shots (prod. by Fred Gibson)
Alice Dee: Stefflon Don darf hier natürlich nicht fehlen, weil sie einfach zu heftig ist. Vor allem die voluminöse Stimme, aber auch ihre Melodien feiere ich extrem. Einfach alles, was sie macht, ist krass. "16 Shots" hatten wir oft in unseren Crew-Sets, haben uns während der Show dann Shots bestellt und gefeiert. Damit verbinde ich viele Erinnerungen. Auch "Boasty" mit Sean Paul, Idris Elba und Wiley kann ich sehr empfehlen.
12. Lioness feat. Stush, Queenie, Little Simz, Lady Leshurr, Shystie – DBT Remix (prod. by Prince Rapid)
Alice Dee: "DBT Remix" habe ich als Abschluss gewählt, weil das ein Song ist, der der Community gewidmet ist und Black Power verkörpert. Grime ist eine Schwarze Kultur und das wollte ich an der Stelle noch mal benennen. In UK ist das viel öfter ein Ding, dass sich so viele Künstler:innen für Tracks zusammenschließen und das liebe ich. Es ist ein geiles Statement, die krassesten Female MCs in so einer männlich dominierten Szene auf einen Song zu holen. Und alle, die dabei sind, sind krass.
MZEE.com: Wer wäre denn dabei, wenn du alle deutschen FLINTA*-Rapper:innen, die du feierst, auf einen Song holen könntest?
Alice Dee: Natürlich mein Bestie Leila aus meiner Crew. Ansonsten wäre die Liste sehr lang: Sorah, NASHI44, Nura, LILA SOVIA, Mariybu, Haszcara … Aber ich könnte noch ewig so weitermachen.
All diese Tracks findet ihr hier in unserer "DIGGEN mit Alice Dee"-Playlist auf Spotify.
(Yasmina Rossmeisl)
(Foto von Maniima)