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Kommentar

Lord Folter: ein Nachruf

An die­ser Stel­le möch­ten wir an den Rap­per Lord Fol­ter erin­nern, der am 17. Febru­ar 2023 von uns gegan­gen ist. Durch sei­nen ein­zig­ar­ti­gen Umgang mit Spra­che galt er als einer der größ­ten Künst­ler des Unter­grunds im deut­schen Rap.

Schlaf und ein wenig mehr Zeit für uns.
Viel­leicht fin­den wir uns selbst, nur kei­nen Punkt.
Viel­leicht wird alles gut, doch wir wer­den nie gesund.
Bring' euch ins Bett und mich fast um.

Am 05. März 2023 erreich­te die Öffent­lich­keit eine trau­ri­ge Nach­richt: der Tod von Lord Fol­ter, bür­ger­lich Juli­an Wachen­dorf. Er galt als einer der größ­ten Künst­ler des Unter­grunds im deut­schen Rap. Für vie­le Künstler:innen in der deut­schen Rap­land­schaft war er ein begna­de­ter Vir­tuo­se, eine gro­ße Inspi­ra­ti­on. Lei­der ver­ließ er uns viel zu früh am 17. Febru­ar 2023 im Alter von gera­de mal 31 Jahren.

Der gebür­ti­ge Köl­ner kam 1992 zur Welt und hat­te sich bereits früh sei­ner gro­ßen Lie­be ver­schrie­ben – der Kunst. Gleich nach der Schu­le stu­dier­te er Freie Kunst an der Kunst­aka­de­mie Düs­sel­dorf und mach­te bereits zu die­ser Zeit gemein­sam mit heu­te nam­haf­ten Artists wie Mal­te Huck (Annen­May­Kan­te­reit) Musik, damals aber noch Punk. Sein ers­tes Release im HipHop-​Kosmos war 2015 die LP "Brach". Schon damals leg­te er die Grund­stei­ne für das, was ihn und sei­ne Musik aus­macht. So hat er etwa das Cover – ein Mensch mit einem wolfs­ähn­li­chen Kopf – selbst gezeich­net. Auch alle spä­te­ren Cover sei­ner Releases soll­ten für Juli­an selbst wert­vol­le künst­le­ri­sche Wer­ke sein. Ob die etwas ver­zerr­te Foto­gra­fie eines Kin­des hin­ter einem Hund mit weit auf­ge­ris­se­nem Maul ("1992DAY") oder das abs­trak­te Gemäl­de des von ihm geschätz­ten Düs­sel­dor­fer Malers Fabi­an Her­ken­hoe­ner ("Rouge") – es ist stets ein biss­chen sper­rig, ein biss­chen dada­is­tisch. Aber auf ihre ganz eige­ne Art sind die Cover immer ästhe­tisch, künst­le­risch wert­voll und zie­hen den:die Betrachter:in in ihren Bann.

Und genau so war es auch mit sei­ner Musik. Lord Fol­ter sag­te selbst mal über sei­ne Art Tex­te zu schrei­ben: "Ich kann tat­säch­lich kei­ne Tex­te raus­ge­ben, bei denen nicht jede Zei­le für sich steht." Er nahm Zei­len, die nach sei­nem Gefühl zusam­men­pass­ten und mach­te einen Track dar­aus. Und so waren vor allem sei­ne ers­ten Wer­ke eben­so sper­rig und dada­is­tisch wie die von ihm gewähl­ten Cover. Aber eben auch immer unfass­bar fas­zi­nie­rend. Anders. Ein Kunst­werk für sich. Kei­ner konn­te so ein­präg­sa­me und gefühl­vol­le Zei­len schrei­ben wie Lord Fol­ter. Zei­len, die einen tief im Inne­ren getrof­fen haben. Vie­le sagen, in sei­nen Tracks schwin­ge immer ein gewis­ser Hass auf die Welt mit. Aber gleich­zei­tig eben auch viel Lie­be. Er schrieb Zei­len, die man sich an die Wand schrei­ben könn­te, ohne dass sie kit­schig wir­ken. Wie etwa "Auf ein­mal ist alles egal, kein Mer­ce­des Benz so schnell wie dein Puls. Ein Don­ner­wet­ter pocht in der Brust." oder "Love Of My Life. Mit dir den Bord­stein geküsst. Hab' immer ein Ohr frei für dich. Wenn du kommst, bring die Peit­sche mit. Weil du lachen kannst, lei­de ich." – Kaum einer wuss­te so viel in weni­ge Wor­te zu fas­sen. Kaum einer ließ so viel Inter­pre­ta­ti­ons­spiel­raum in sei­nen Zei­len. Und kaum einer hat sich mit jedem Release so unfass­bar weiterentwickelt.

Und so kamen nach "Brach" die Releases "Rouge" und "haut" in den Jah­ren 2017 und 2018. Hier kris­tal­li­sier­ten sich die har­ten, wüten­den Zei­len noch mehr her­aus, damals noch auf Kopfnicker-​Boom bap-Beats.

Doch 2018 fing er an, immer mehr selbst an den Beats mit­zu­bas­teln. Sei­ne Musik wur­de offe­ner für ande­re Stil-​Richtungen. Und damit auch ein Stück weit ein­gän­gi­ger. So stellt "1992DAY" aus 2020 einen eige­nen klei­nen Mei­len­stein im Schaf­fen des gebür­ti­gen Köl­ners dar: Bei den Beats hat­te er über­all sei­ne Hän­de im Spiel. Man­ches hat schon nahe­zu einen rocki­gen Cha­rak­ter, man­ches klingt fast orches­tral und ande­re Beats wie­der­um erin­nern an Buri­al – einen Künst­ler der D'n'B-Szene aus UK, den Lord Fol­ter selbst sehr schätz­te. Die­se Offen­heit für ande­re Gen­res nahm dann auch im nach­fol­gen­den Release "FARCE" von 2022 noch zu. Die Gren­zen zwi­schen Rap, Pop und Soul ver­schwim­men bei­na­he ganz. Doch auf die­sem letz­ten Album schwingt auch inhalt­lich schon sehr viel mit von dem, was der Mensch hin­ter Lord Fol­ter durch­ma­chen muss­te. Zwar kämpf­te er seit der Dia­gno­se eines Gehirn­tu­mors stets wacker und ließ sich auf den Social Media-​Kanälen kaum etwas anmer­ken. Doch gleich­zei­tig ging er offen damit um, dass er die Dia­gno­se Ende 2021 bekam, im Herbst 2022 bereits die zwei­te Che­mo­the­ra­pie mach­te und nicht immer alles ein­fach für ihn war. Und auch die Tex­te auf "FARCE" las­sen sei­nen Kampf sehr deut­lich wer­den. Ins­be­son­de­re die­ses Album soll­te genau dar­um in vol­ler Gän­ze gehört wer­den, weil es wohl den Höhe­punkt sei­nes Schaf­fens dar­stellt und so vie­le Ein­bli­cke in die per­sön­li­che Welt von Juli­an Wachen­dorf gibt wie kein ande­res Werk. Man könn­te sicher­lich noch eini­ges zu der Per­son hin­ter Lord Fol­ter erzäh­len. Doch nichts sagt so viel über ihn aus wie die Musik, die er machte.

Lord Fol­ter war Künst­ler mit Leib und See­le. Er steck­te unfass­bar viel Herz­blut und Lie­be in sei­ne Musik, grün­de­te mit baby­groo­ve sogar sein eige­nes Label, um Musi­ker des glei­chen Schlags zu unter­stüt­zen. Auch wenn Juli­an Wachen­dorf zwar von uns gegan­gen sein mag, Lord Fol­ter wird für immer ein Teil die­ser Sze­ne sein und blei­ben. Wir wün­schen den Hin­ter­blie­be­nen viel Kraft und kön­nen nur mit eini­gen weni­gen von sei­nen vie­len so tref­fen­den Wor­ten schlie­ßen: "Für immer kurz Halt gemacht."

(Lukas Päck­ert)
(Gra­fik von Dani­el Fersch)