In der öffentlichen Debatte werden Rap und die dazugehörige Szene häufig stereotyp dargestellt: Härte, Gefühlskälte und hegemoniale Männlichkeitsbilder bestimmten Inhalte und Teile des Diskurses, lautet häufig der Vorwurf. Auch wenn das in einigen Fällen natürlich zutrifft, brechen immer mehr Künstler:innen mit diesen Stereotypen und Vorurteilen. Dass nach und nach Frauen sich ihren Platz in der Szene nehmen und sichtbar sind, trägt ebenso zur Vielfalt von Perspektiven und Lebensrealitäten bei. Eine dieser Frauen ist Babyjoy aus Berlin-Schöneberg. Ihre neue EP "Ophelia" knüpft thematisch und musikalisch dort an, wo ihr Vorgänger "Troubadour" aufhörte. Inhaltlich eifert die Berlinerin dabei unter anderem Vorbildern aus der französischen Musikszene nach, deren Artists sich ihrer Ansicht nach eher trauen, Emotionen in Songs zu verpacken. Um über diesen Aspekt ihrer Musik zu sprechen, haben wir uns mit Babyjoy zum Gespräch getroffen. Die Künstlerin bildet auf ihren Songs die verschiedensten Gefühlszustände ab, wobei Grundpfeiler ihrer Texte Sensibilität und Empathie sind. Mitgefühl mit anderen Menschen beschäftigt sie dabei genauso wie das wochenlange Funktionieren als Sängerin, Rapperin und Schauspielerin in Ausbildung – bis hin zum Punkt der Erschöpfung. Das, Babyjoys persönliche Vergangenheit und wie diese sie bis heute begleitet, waren Thema bei unserem Gespräch.
MZEE.com: Welche Rolle spielt Sensibilität im Entstehungsprozess deiner Musik?
Babyjoy: Ich glaube schon, dass ich ein sensibler Mensch bin und Gefühle stark wahrnehme. Sowohl wenn ich traurig bin als auch wenn ich glücklich bin. Das spiegelt sich in meinen Texten wider und ich glaube, dass das auf viele Künstler zutrifft. Mir tut es gut, das in Texten zu verarbeiten, das fällt mir auch nicht schwer. Themen, die mir schwerer fallen, behandle ich gerne auf Französisch.
MZEE.com: Ist das Französische eine Art von Schutz, weil die Texte nicht jede:r sofort versteht?
Babyjoy: Ja, es ist eine Art von Schutz. Ich fühl' mich damit manchmal wohler. Ich hör' sehr viel französischen Rap und hab' das Gefühl, dass Melancholie und Liebe da sehr oft thematisiert werden. Hier trauen sich das, glaube ich, viele nicht. Vielleicht aus Angst, als jemand abgestempelt zu werden, der nur über Liebeskummer schreibt oder so. In der französischen Musik nehme ich da schon oft mehr Gefühle wahr.
MZEE.com: Denkst du, dass künstlerische Sensibilität eine Grundvoraussetzung für das Schaffen von gehaltvoller Musik ist?
Babyjoy: Es ist auf jeden Fall hilfreich, scharfe Beobachtungen zu machen beziehungsweise wenn du dein Umfeld intensiv wahrnimmst und dir Dinge auffallen. Wenn andere etwas fühlen oder verstimmt sind, merke ich das zum Beispiel immer schnell. Ich bin teilweise sogar ausgelaugt von den vielen Eindrücken, die den ganzen Tag auf mich einprasseln. Das liegt unter anderem daran, dass ich extrovertiert bin und viel in den Tag gebe. Ich rede viel, mag tiefgründige Gespräche und lerne gerne neue Menschen kennen. Ich muss eine Person nicht unbedingt kennen, um mit ihr ein langes, gehaltvolles Gespräch zu führen. Menschen sind für mich einfach interessant. Wenn ich studiert hätte, hätte ich wahrscheinlich Psychologie studiert. Und diese ganzen Eindrücke müssen natürlich irgendwo einen Platz finden. Musik ist für mich ein super Ventil, um das zu verarbeiten. Meine letzten Songs haben viel von Liebe, Freundschaft und Herzschmerz gehandelt. Aber es kann auch etwas anderes sein. Sozialkritik wie in "Viele Leute gucken". Die Lebensrealität als Schwarze Frau zum Beispiel beschäftigt mich natürlich ebenfalls. Dass Leute mich in der Bahn anstarren oder negative Kommentare abgeben. Es gibt aber auch Rapper, deren Texte weniger auf Verarbeitung als auf Statements ausgerichtet sind. Das ist ja genauso okay. Eine Künstlerin, die ganz andere Lyrics als ich schreibt, hat mir mal gesagt, dass sie eigentlich gern Erlebnisse in ihren Texten verarbeiten würde. Und die hat tatsächlich gar nicht so wenig erlebt. Aber sie meinte, dass sie sich nicht traut. Ihr fällt es leichter, "Bad Bitch"-Lyrics zu schreiben. Als ich nur ihre Texte kannte, dachte ich, dass sie womöglich nicht so viel durchgemacht hat. Aber ich wurde dann von ihr eines Besseren belehrt. An sich ist der Inhalt der Texte nicht das eine Kriterium, anhand dessen man Künstler bewerten sollte. Man kann es niemandem übel nehmen, der sich überlegt, welcher Song am besten funktioniert. Ganz realistisch betrachtet wollen wir alle Geld verdienen und gut leben. Ich hab' mir auch vorgenommen, nicht immer den ganz krassen künstlerischen Anspruch an die Texte zu haben, wenn ich mir damit selbst im Weg stehe. Es ist okay, einfach mal einen Banger zu droppen, durch den Leute auf dich aufmerksam werden. Dann kann ich Songs rausbringen, die mir am Herzen liegen und dann von mehr Menschen gehört werden.
MZEE.com: In einem Gesprächsformat von unseren Kolleg:innen von "DAS WETTER" hat dein Bruder Dead Dawg dir gesagt, dass er sich längere Pausen vom Schreiben nimmt, um Eindrücke zu sammeln und danach seiner Meinung nach bessere Musik zu veröffentlichen. Hast du aus diesem Ansatz auch etwas für dich herausgezogen?
Babyjoy: Der Dreh ist ja schon ein bisschen her, ich hab' seitdem meine eigenen Schlüsse gezogen. Ich glaube, es ist gut, ab und zu Pausen zu machen. Die Frage ist natürlich, warum man lange Pausen macht. Oft liegt das am Druck, dem extrem hohen Anspruch an sich und Selbstzweifeln. Dann macht man nach der langen Pause ein paar geile Songs, aber wer sagt, dass man die nicht bereits vorher hätte machen können, wenn man seinen Anspruch ein bisschen runtergeschraubt hätte? Wahrscheinlich wären es schlussendlich trotzdem gute und anspruchsvolle Songs gewesen. Mein Bruder ist ja auch in einer anderen Situation als ich, er hat immer Output mit BHZ. Den Druck macht er sich mit einzelnen Solo-Singles, die er gerne droppen würde. Ich bin Solo-Künstlerin. Natürlich kann ich eineinhalb Jahre Pause machen, aber das wäre für meinen Werdegang nicht so schlau. Ich hab' mir deshalb vorgenommen, regelmäßig Mucke zu machen und im Flow zu bleiben. Natürlich mit Pausen, aber die sollen nicht so lang sein wie in der Vergangenheit.
MZEE.com: Sensiblen Menschen wird nachgesagt, dass sie über viel Empathie verfügen, da sie Empfindungen und Emotionen intensiver wahrnehmen. In "Wenn du weinst" beschreibst du, dass du mit einem Partner sehr mitfühlst und mitleidest. Wie bewertest du das für dich selbst?
Babyjoy: Ich finde es manchmal allgemein anstrengend, sensibel zu sein. Dann frag' ich mich: Wieso bist du deswegen traurig oder musst weinen? Ich bin schnell mitgenommen, verletzt oder sauer aufgrund von Dingen, die mir passieren. Aber es wird sicher noch ein steiniger Weg sein, zu lernen, mit diesen Emotionen umzugehen. Was andere betrifft: Ich bin da schon sehr sensibel, aber nicht typisch hochsensibel in einem bestimmten Sinne. Eine Freundin von mir beispielsweise hat für so vieles Verständnis, dass sie andere Menschen kaum kritisieren kann. Ich hab' durch meine Vergangenheit einen krassen Selbstschutz aufgebaut und setze ganz klare Grenzen. Wenn irgendjemand blöd zu mir ist, versuche ich nicht, krass Verständnis für seine Situation aufzubauen, sondern schütze mich lieber selbst. Sensibel zu sein und stark zu fühlen, ist an sich aber schön, es hat für mich etwas Kindliches. Ich kann mich schnell und viel über kleine Dinge freuen und bin zum Beispiel leicht zu beeindrucken. (lacht) Aber natürlich kann es auch anstrengend und overwhelming sein, wenn man es nicht ausbalancieren kann.
MZEE.com: Inwieweit nimmst du in der Gesellschaft eine negative Konnotation von Sensibilität wahr?
Babyjoy: Ich glaube, wir geben Mental Health und so weiter mittlerweile schon gut Platz. Da hat es in der letzten Zeit echt Fortschritte gegeben, es wird mehr darüber gesprochen, was ich superwichtig finde. Es werden Themen diskutiert, die es früher nicht wurden. Ich persönlich muss aber zum Thema Sensibilität an sich sagen: Ich bin streng zu mir und dementsprechend teilweise auch zu anderen. Ich hab' schon Vieles erlebt. Mein Vater ist an Krebs gestorben, als ich noch jung war. Mit 13 Jahren hab' ich betreut alleine gewohnt, danach hab' ich vom Jugendamt meine eigene Wohnung bekommen. Ich musste viel umziehen und früh selbstständig werden. Deshalb hab' ich den Anspruch an mich selbst, beispielsweise nicht zu lang traurig zu sein. Ich fühle zwar stark, aber es muss trotzdem irgendwie vorangehen. Mein Tag ist meistens voll und ich erlaube mir nicht so sehr, für ein paar Tage durchzuhängen. Durch meine Vergangenheit ist meine Toleranz, glaube ich, gestiegen. Ich bin tough geworden und kriege vieles einfach hin. Das ist bei vielen meiner engen Freunde ähnlich. Die haben auch diesen Drive und die Motivation, etwas durchzuziehen.
MZEE.com: Es klingt so, als könntest du gut funktionieren.
Babyjoy: Ja, schon. Aber manchmal funktioniere ich auch so lange, bis ich nicht mehr kann. Dann kann ich in eine mehrtägige Phase rutschen, in der ich sehr traurig bin. Weil ich merke, dass ich mir gar keine Zeit nehme, Dinge zu verarbeiten. Das passiert unterbewusst, weil ich so schnell durchs Leben rase. Früher oder später gibt es immer einen Moment, an dem ich nicht mehr kann und mich frage, wieso ich nicht sanfter zu mir bin und mir mal erlaube, nichts zu machen. In dem Moment liege ich dann auch mal ein Wochenende lang nur im Bett.
MZEE.com: Du absolvierst aktuell eine Ausbildung zur Schauspielerin. Inwieweit nimmst du in deinem Arbeitsumfeld eine Akzeptanz für Sensibilität und Schwäche wahr?
Babyjoy: Wir sind echt alle Sensibelchen. Die Jungs tatsächlich mehr als die Mädchen, wir sind viel tougher. Die Jungs sagen häufiger mal, dass sie nach Hause müssen, weil sie Bauchschmerzen haben oder so. (grinst) Wir sind wahrscheinlich alle sensibel, aber gehen unterschiedlich damit um. Die meisten brauchen schon mal eine Auszeit. Manche funktionieren aber auch die ganze Zeit, machen noch andere Dinge nebenbei und müssen sich dann mal krank melden, um sich eine Auszeit zu nehmen. Wir sind Macher. Wir verausgaben uns, sind von morgens bis abends in der Schauspielschule und machen dann nebenher oder am Wochenende noch andere Projekte. Man will sich weiterbilden und Connections knüpfen. Ich finde es beruhigend, dass ich da nicht die Einzige bin, der es so geht.
MZEE.com: Auf der Bühne spielst du eine Rolle, in deiner Musik sprichst du als du selbst. Inwieweit musst du dich überwinden, sehr persönliche Songs zu veröffentlichen und dich auch dem Feedback dazu zu stellen?
Babyjoy: Bei Releases freue ich mich meistens einfach nur auf positives Feedback. Ich bin da in der Regel relativ zuversichtlich. Überwinden muss ich mich aber beim Schreiben von Songs, die in Richtungen gehen, die noch nicht stattgefunden haben. Ich will zum Beispiel bald einen Song releasen, der so ein bisschen empowering und sexpositiv ist. In meinem normalen Alltag bin ich superoffen und kann gut über Sex reden. Aber das niederzuschreiben, ist eine persönliche Grenze, die ich für mich überschreiten musste. Da bin ich schon ein bisschen nervös. Mit emotionalen Texten an sich fühle ich mich wohl, das ist meine comfort zone.
MZEE.com: Wenn du auf die deutsche Rapszene schaust: Wie nimmst du den Umgang mit und das Zurschaustellen von Sensibilität und Verletzlichkeit wahr?
Babyjoy: Das ist eine schwierige Frage, weil ich nicht so viel Deutschrap höre. Deshalb kann ich mich nur bedingt dazu äußern. Aber anhand der Sachen, die ich kenne, würde ich sagen, dass es Liebeslieder und Songs, die solche Thematiken behandeln, gibt – aber nicht so viele.
MZEE.com: Welche Künstler:innen nimmst du diesbezüglich wahr?
Babyjoy: Privat höre ich da wirklich mehr französische Künstler, die Musik in die Richtung machen. Zum Beispiel Disiz oder Laylo, die supersensible, teils düstere aber sehr, sehr schöne Musik machen. In Deutschland fällt mir Paula Hartmann ein, die viel mit Emotionen arbeitet. MAJAN genauso. Aber es gibt bestimmt viele Künstler, die ich da gerade nicht auf dem Schirm habe.
MZEE.com: Was für eine Entwicklung im Umgang mit Sensibilität würdest du dir sowohl in der Szene als auch gesellschaftlich in den nächsten Jahren wünschen?
Babyjoy: Ich würde mir wünschen, dass mehr Künstler sich trauen, sensibel zu sein. Dann wäre ich nicht mehr so alleine. (lacht) Viele haben es in sich, aber trauen sich einfach nicht, solche Texte zu schreiben und zu veröffentlichen. Wenn mehr Künstler das machen, hören es auch mehr Leute. Das fänd' ich cool. In Frankreich funktioniert es, also warum sollte es hier nicht funktionieren? Genauso, wie ich mir wünsche, vermehrt andere Texte zu schreiben, um aus meiner comfort zone zu kommen, hoffe ich, dass andere ihre sensible Seite mehr entdecken.
(Alexander Hollenhorst)
(Fotos von Conrad Schön)