Ohne DJs würde unser aller Lieblingskultur nicht existieren: Im Jahr 1973 legten Cindy C und Kool DJ Herc mit ihrer "Back to School Jam" den Grundstein der HipHop-Bewegung, als sie mit zwei Plattenspielern Funk-Instrumentals mixten und einen Freund darüber rappen ließen. Seitdem beeindrucken uns DJs durch ihre technischen Skills an den Turntables und bringen uns über ihre Songauswahl und das Neuarrangieren von Tracks neue Sounds näher. Sie halten Rapper:innen bei ihren Shows den Rücken frei und lassen uns bei ihren Sets in Clubs, auf Festival-Bühnen und auf Aftershow-Partys eskalieren. Josi Miller kann neben ihrer Tätigkeit als Produzentin und Podcast-Host langjährige Erfahrung und Erfolge in all diesen Aspekten des DJings vorweisen. Wir trafen sie vor ihrem Set auf der diesjährigen Tapefabrik in Wiesbaden, um über das DJ-Handwerk, ihre Karriere und die Entwicklung der Szene in Deutschland zu sprechen. Außerdem redeten wir über Awareness und Safe Spaces auf Partys sowie über das Auflegen von Songs mit problematischen Texten und deren Interpret:innen.
MZEE.com: Du bist mittlerweile schon viele Jahre in der HipHop-Szene unterwegs, wurdest musikalisch aber ursprünglich im Indie-Bereich sozialisiert. Hast du dort überhaupt eine DJ-Kultur erlebt?
Josi Miller: Im Alter zwischen 10 und 15 Jahren habe ich Indie gehört, weil viele meiner Freunde aus dieser Ecke kamen. In dem Zusammenhang habe ich meine ersten Band-Erfahrungen gesammelt. Mit der DJ-Kultur hatte ich da gar keine Berührungen. Als ich mit 15 im Club das erste Mal Leute gesehen habe, die HipHop aufgelegt haben, war die Liebe sofort entfacht. Das waren zwei Paar Schuhe. Vorher hab' ich in Coverbands gesungen, dann hab' ich angefangen, aufzulegen.
MZEE.com: Gab es DJ-Vorbilder, an denen du dich orientiert hast?
Josi Miller: In Leipzig hatte ich viele Vorbilder – Locals, die teilweise mittlerweile gar nicht mehr auflegen. Witzig, dass ich die quasi "überlebt" habe. Leute aus dem Umfeld in Sachsen waren krass für mich, Eskei83 und die Drunken Masters zum Beispiel. Ich hab' mir natürlich auch die großen DJs wie Jazzy Jeff und Qbert angeguckt – von dem hab' ich mir sogar mal die Nadeln geholt. Alle, die an den krassen Championships teilgenommen haben, waren Inspirationen für mich. DJ AM hab' ich immer bewundert, der hatte ein sehr intensives Leben und ist leider mittlerweile verstorben. Der hat damit angefangen, auf Partys A cappellas auf verschiedenen Instrumentals zu droppen. Es gab viele Inspirationsquellen für mich.
MZEE.com: Was ist für dich der größte Unterschied zwischen deinen Anfängen und deinen Gigs heute?
Josi Miller: Die Set-Vorbereitung an sich ist gleich geblieben. Ich digge ein paar Stunden Musik, schaue, wie die zusammenpasst, und bereite ein paar Übergänge vor. Krass verändert hat sich der technische Anspruch, der meines Erachtens sowohl komplexer als auch geringer geworden ist. Als ich angefangen habe, bin ich mit vier Plattentaschen in den Club gekommen. Heute kommen manche DJs mit einem USB-Stick. Ich bin da mittlerweile schon mega der Boomer mit meiner Timecode-Vinyl und meinem Laptop. Ich weiß gar nicht, wie vielseitig man noch im Set eingreifen kann, wenn die Musik nur auf einem Stick ist. Die große Library auf dem Laptop schätze ich da schon immer noch.
MZEE.com: Hat sich der Prozess der Musikauswahl für dich verändert?
Josi Miller: Teilweise. Als ich angefangen habe, hatte ich ja gar nicht die Möglichkeit, nur auf supercoolen Partys aufzulegen. Es hat sich relativ schnell ergeben, dass ich damit ein bisschen Geld verdienen wollte und dadurch quasi gezwungen war, auch mal in größeren Discos im Umland zu spielen. Da musste ich mich musikalisch natürlich anpassen und hab' schnell gemerkt, dass das eigentlich nicht mein Film ist. Die DJs haben da jedes Wochenende das Gleiche gespielt. Außerdem haben sich die Clubbesitzer Sachen rausgenommen … Da wollten Leute irgendwelche teuren Drinks bestellen und ich sollte dafür dann einen Song von Kanye West spielen. Aus Versehen bin ich kurz in so eine Dienstleister-Schiene abgerutscht. Ich bin total froh, dass ich mich davon jetzt total freimachen kann und auflege, worauf ich Bock hab'. Und das stößt auf total positive Resonanz, was für mich das Allerschönste ist.
MZEE.com: Du hast mal gesagt, dass es dir nicht wehtut, wenn weniger auf DJ-Skills als auf die Selection und das Image des DJs geachtet wird. Siehst du Parallelen zu den aktuellen Shows einiger Rapper:innen? Dass es mehr um den Vibe und eine gute Zeit geht als um Live-Skills?
Josi Miller: Das sind für mich schon verschiedene Dinge. Natürlich ist HipHop der kulturelle Oberbegriff, trotzdem befindet man sich selbst im Rap in zwei verschiedenen Genres. Wenn du dir auf dem splash! Auftritte von T-Low und OG Keemo anschaust, liegen Welten dazwischen, obwohl das zur gleichen Zeit auf dem gleichen Festival stattfindet. Genauso ist es, glaube ich, beim DJing. Ich persönlich mag es nicht, wenn jemand denkt, HipHop gepachtet zu haben und allen erzählen zu können, wie Auflegen funktioniert. Das finde ich richtig hängengeblieben. Wenn du eine gute Selection hast, bin ich genauso fein damit, wie wenn du total krass scratchen kannst. Scratching sind die Leute teilweise gar nicht mehr gewohnt, vielleicht finden das manche sogar ein bisschen nervig. Aber wenn jemand richtig gut rappt, feiern das die Leute schon krass ab.
MZEE.com: Würdest du sagen, dass sich die Rolle der DJs bei Konzerten verändert hat?
Josi Miller: An sich ist mir da nichts aufgefallen. Ich denke, das ist abhängig von den Künstlern und Künstlerinnen und wen sie mit dabei haben. Ich kriege manchmal Anfragen als Tour-DJ, weil die Rapper dann doch wollen, dass man ein bisschen scratcht oder Übergänge macht. Viele DJs, die das noch nicht gemacht haben, legen halt nur basic auf. Tour-DJ zu sein, bedeutet dann oft, nur auf Play zu drücken und die Playlist abzufeuern. Dafür haben DJs, die alleine spielen, mittlerweile mehr Star-Potenzial, glaube ich.
MZEE.com: Auf Festivals wie dem splash! läuft mittlerweile nach den Shows nicht nur Rap oder verwandte Musik, sondern auch Techno und andere Genres. Genießen DJs heute mehr musikalische Freiheiten als früher?
Josi Miller: Voll. Die nehme ich mir selbst und emanzipiere mich immer mehr von Rap. Ich hab' das Gefühl, dass du dich überhaupt nicht weiterentwickelst, wenn du nicht auch andere Genres hörst. Gerade im Hinblick darauf, dass ich angefangen habe, selbst zu produzieren. Wenn du dir keine Inspiration aus anderen Genres holst, passiert eben das, was mit Modus Mio passiert: Du bleibst in einer Rolle gefangen. Mit dem Auflegen ist es genauso. So können sich alte Genres weiterentwickeln und neue entstehen. Die Sachen, die ich vor zehn Jahren aufgelegt habe, kann ich auch einfach nicht mehr hören. Mir macht es mega Spaß, Sachen mit 150 BPM aufzulegen und alle ausrasten zu sehen.
MZEE.com: Inwiefern passt du dein Set dem Ort beziehungsweise dem Anlass an, an dem du spielst? Oder ziehst du unabhängig davon dein Ding durch?
Josi Miller: So konsequent wäre ich gern, bin ich aber nicht ganz. Heute im Zug habe ich schon noch mal in meinem alten Deutschrap-Folder gediggt. Aber prinzipiell habe ich schon ein Kern-Set mit Songs, die ich gerne spiele. Ein bisschen passe ich dann an.
MZEE.com: Der DJ Ean Golden hat mal gesagt: "The biggest challenge for DJs is staying interested and excited." – Würdest du dem zustimmen? Wie nah bist du an der aktuellen Szene in verschiedenen Genres dran?
Josi Miller: Ich glaube, würde ich nicht auflegen, würde ich mich nicht so viel mit neuer Club-Musik beschäftigen. Das passiert schon automatisch, weil ich für Sets nach neuen Sachen suche. Es stresst mich jetzt nicht, das zu machen. Aber im Lockdown hatte ich sehr wenig Bock, Party-Musik zu diggen. Ich wusste gar nicht, wofür. An dem Punkt habe ich mich mal in ganz anderen Sphären bewegt. Da bin ich wieder auf Flohmärkten rumgerannt und hab' mir alte Platten geholt, um den Horizont ein bisschen zu erweitern. Jetzt, wo ich wieder auflegen kann, hab' ich aber wieder viel mehr Lust auf Club-Musik.
MZEE.com: Inwiefern konntest du deinen Horizont so auch fürs Auflegen erweitern?
Josi Miller: Ich spiele mittlerweile viel mehr Songs mit schnelleren BPM-Zahlen, mehr in Richtung Jungle oder Drum and Bass. Es ist einfach alles ein bisschen experimenteller. Ich spiel' aber nach wie vor gerne Deutschrap, das bockt schon einfach.
MZEE.com: Wie hat sich die DJ-Szene in Deutschland in deiner Wahrnehmung in den vergangenen Jahren verändert?
Josi Miller: Das ist wegen Corona zumindest für die letzten drei Jahre schwierig zu beurteilen. Ich glaube, viele, die während der Pandemie angefangen haben, aufzulegen, wurden jetzt ins kalte Wasser geschmissen. Das gilt auch für Künstler und Künstlerinnen. Auf dem splash! standen Leute auf der Bühne, die gar nicht mit ihrer Aufgabe wachsen konnten. Du hast vielleicht das erste Mal eine Crowd vor dir, das ist eine krasse Herausforderung. Allgemein habe ich das Gefühl, dass es immer mehr Female DJs und Rapperinnen gibt, das ist voll die schöne Entwicklung. Es ist supereasy, ein diverses 50/50-Line Up zu stellen. Dass es viel mehr Vorbilder gibt und die Rollenbilder etwas aufgebrochen werden, bringt dem Genre viel. Die Frauen, mit denen ich auflege, haben so einen krass guten Musikgeschmack. Dadurch ist ein neuer Vibe entstanden und die Szene ist einfach breiter aufgestellt. Hier auf der Tapefabrik fühlt sich das total authentisch und natürlich gewachsen an, das ist superschön zu sehen. Big Up an das Booking.
MZEE.com: Ich würde mit dir noch gern über das Thema Awareness sprechen. Ansu hat gerade eine Initiative für mehr Safe Spaces auf HipHop-Veranstaltungen gestartet. Auch Kollektive wie GG Vybe engagieren sich in diesem Bereich. Inwieweit ist das Thema für dich präsent, wenn du auflegst?
Josi Miller: Ich muss echt sagen: Als ich vor 16 Jahren angefangen habe, aufzulegen, war das gar kein Thema. Retrospektiv betrachtet denke ich, dass ich oder andere Künstlerinnen echt scheiße behandelt wurden. Ich hab' das aber nie so ganz bemerkt, weil ich keine anderen Vorbilder hatte. Oder ich hab' es verdrängt, um mich selbst nicht zu belasten. Es ist total wichtig, Safe Spaces zu schaffen. Ich frage mich jetzt, warum ich früher nicht meinen Mund aufgemacht habe, wenn etwas Sexistisches passiert ist, wenn Frauen von männlichen Bookern oder Clubbesitzern scheiße behandelt wurden. Frauen werden auf Partys ständig belästigt. Zu wissen, dass man den Security anhauen kann, ohne dass der einen auslacht, ist total wichtig. Ich persönlich kriege schnell Panik in Menschenmassen. Mir geben Awareness-Konzepte eine Sicherheit. Deshalb möchte ich auf jeden Fall dafür plädieren und finde die aktuelle Entwicklung sehr wichtig.
MZEE.com: Ein anderes Thema ist politische Korrektheit in Songtexten. Wie sehr achtest du mittlerweile darauf? Unterscheidest du in Bezug auf dieses Thema zwischen dem, was du privat hörst, und dem, was du auflegst?
Josi Miller: Das war ein Prozess. Vor einigen Jahren war ich unsensibler für dieses Thema, weil ich mich persönlich beispielsweise von sexistischen Texten nicht angegriffen gefühlt habe. Mittlerweile denke ich, dass ich dadurch ein Teil des Problems war. Vor allem bei deutschen Texten achte ich mittlerweile schon sehr stark darauf. Mit englischen Texten müsste ich mich wahrscheinlich noch viel mehr beschäftigen, da schaue ich mehr, ob der Künstler mal irgendwie Scheiße gebaut hat. Allgemein versuche ich auf jeden Fall, in meinen Sets darauf zu achten. Es sind auch schon Leute zu mir gekommen und haben mich auf bestimmte Künstler angesprochen. Die Grenzen verlaufen da natürlich teilweise unterschiedlich. Auf jeden Fall achte ich darauf und wenn jemand etwas kritisiert, bewerte ich Dinge auch noch mal neu. Privat höre ich sowieso fast nichts, was ich auflegen würde. Aber ich möchte an sich nichts reproduzieren oder finanziell unterstützen, was ich problematisch finde.
MZEE.com: Wir kommen zur letzten Frage: Wo siehst du die Rolle des DJs in zehn Jahren? Denkst du, dass sich grundlegend noch mal etwas verändern wird?
Josi Miller: Ich glaube, dass sich technisch einiges verändern wird. In letzter Zeit gab es viele neue Erfindungen – zum Beispiel "Face", das verhindert, dass deine Nadel springt. Eigentlich ersetzt es die Nadel. Das ist schwungfrei, was für Festivals und alle Bühnen, die nicht dicht sind, voll geil ist. Jeder DJ kennt den Pain mit Steinplatten und so weiter. Es wird auch immer mehr auf CDJs (Anm. d. Red.: digitale DJ-Controller) umgestiegen. Ich finde die ganze Entwicklung rund ums Metaverse spannend. Wird es DJing im virtuellen Raum geben, wird es mehr Möglichkeiten für Konzerte mit VR-Brillen und so weiter geben? Ich könnte mir vorstellen, dass da noch einiges kommt. Und auch musikalisch … Es gibt jetzt schon KIs, die Musik schreiben können. Travis Scott hat das beispielsweise machen lassen. Eventuell wird das einen Einfluss haben. Ich bin froh, wenn ich irgendwann nicht mehr nur vom DJing abhängig bin, denn ich glaube, es ist keine supersafe Bank. DJs werden jetzt nicht ersetzt werden. Aber die Technik wird immer einfacher werden. Du wirst nicht mehr beatmatchen oder jugglen müssen, das wird alles ein Programm regeln können. Das ist in der digitalen Fotografie ja genauso. Die Geräte werden immer portabler und kleiner und irgendwann kannst du mit deinem Handy auflegen. Die Hölle für DJs wäre natürlich, wenn du einen komplett offenen Katalog für alle Songs der Welt hättest. Dann wüsste das Publikum, dass du theoretisch wirklich alles spielen könntest. Jetzt kann ich einen Songwunsch noch ablehnen, indem ich einfach sage, dass ich den Track nicht dabei habe. Das fänd' ich nicht so geil.
(Alexander Hollenhorst)
(Fotos von Shirin Plietschmann)