Manche Menschen schaffen es mit ihrer Kunst, Sehnsucht nach etwas ganz Bestimmtem auszulösen – nach einem Ort, einem Gefühl, einem Menschen oder auch einer Jahreszeit. futurebae ist eine Künstlerin, der genau das mit ihrer Musik regelmäßig gelingt. Liegen die Temperaturen gerade mal nicht täglich um die dreißig Grad, schickt der Sound der Wahlberlinerin uns gedanklich in den Sommer. In ihren Songs sehnt sich die Sängerin nach Liebe, Lust, Freiheit und Unendlichkeit. Genauso spielt der Wunsch nach Gleichberechtigung der Geschlechter und gesellschaftlicher Gerechtigkeit immer wieder eine Rolle. Im Interview auf dem diesjährigen splash! Festival sprachen wir mit futurebae darüber, wie sie Sehnsucht interpretiert, was sie mit dem Begriff verbindet und welche Rolle das Thema als Inspiration für ihre Musik spielt.
MZEE.com: Bevor wir über unser heutiges Thema sprechen: Was für ein Gefühl war es für dich, das erste Mal auf dem splash! zu spielen?
futurebae: Mir ist auf der Fahrt hierher bewusst geworden, dass ich auf dem letzten splash!, das ich besucht hab', noch gar nicht wusste, dass Musik so ein Ding für mich sein könnte. Innerlich schon, aber das hatte sich noch nicht richtig angekündigt. Jetzt steh' ich hier und hab' eine splash!-Show gespielt. Das ist völlig irre. Ehrlichweise hab' ich alles und nichts erwartet. Ich bin ja keine Rapperin und war schon etwas unsicher, ob die Leute Bock auf Gesang haben. Als ich angefangen hab', standen da zehn Leute und am Ende war es vor der Bühne voll, was superschön war. Ich war sehr positiv überrascht und freu' mich immer, live spielen zu können. Aber Mainstage nächstes Jahr ist auch okay. (lacht)
MZEE.com: Wir wollen heute über Sehnsucht sprechen. Nach einer Show auf einem Festival ist man natürlich sehr auf den Moment fokussiert. Gibt es jetzt gerade trotzdem etwas, nach dem du dich sehnst?
futurebae: Nee. In diesem Moment bin ich einfach überglücklich und krass dankbar dafür, dass ich hier sein darf. Dass Leute fühlen, was ich mache. Es ist so neu für mich, mir selbst zuzugestehen, dass ich etwas zu erzählen habe und dass ich möchte, dass Menschen meine Songs hören. Und es kommen Leute hierhin und können meine Texte mitsingen. Ich kann mir nichts Besseres wünschen.
MZEE.com: Was möchtest du bei einem Auftritt wie heute transportieren?
futurebae: Mir ist es wichtig, mit dem Publikum zu interagieren und eine Verbindung herzustellen. Ich bin nicht auf der Bühne, um irgendetwas runterzurattern. Ich bin präsent, fühle etwas und hoffe, ich schaffe es, dass alle gemeinsam etwas fühlen. Es soll eigentlich keinen Unterschied zwischen Bühne und Publikum geben. Ich möchte, dass alle sich als eins in den Songs wiederfinden.
MZEE.com: Spielt dieser Gedanke für dich schon bei der Produktion der Lieder eine Rolle?
futurebae: Nee, gar nicht. Im Studio kommt Musik einfach aus mir heraus. Ich mache das nie mit der Intention, die Leute beispielsweise zum Moshen zu bringen. Wäre vielleicht cool, wenn ich das auch tun würde. Aber es kommt einfach das in den Song, was aus mir fließt. Das orientiert sich eher daran, was ich gerade höre, was mich beschäftigt oder wie ich den Beat fühle. Wenn das die Leute dann erreicht, freue ich mich übertrieben. Aber das ist eigentlich gar nicht das Ziel des Prozesses.
MZEE.com: Dass wir in diesem Sommer auf einer Veranstaltung dieser Art sitzen können, ist etwas, nach dem wir uns zwei Jahre lang gesehnt haben. Hast du das Gefühl, das jetzt noch mehr wertzuschätzen oder fühlt es sich eher schon wieder normal an?
futurebae: Es fühlt sich überhaupt nicht normal an. Ich bewundere die Leute, die von 0 auf 100 gehen können. Ich hab' aktuell tatsächlich häufiger Panikattacken, weil ich mit den Menschenmassen gar nicht mehr klarkomme. Das geht schon beim Einkaufen los. Gestern hat mir jemand eine Story von der Fusion-Mainstage geschickt … Ich hab' das gesehen und gemerkt, wie mein Herz losgeschlagen hat. Ich kann mir gar nicht vorstellen, bei sowas mittendrin zu sein. Für mich gibt es ein klares Vorher und Nachher. Früher hätte ich mir darüber überhaupt keine Gedanken gemacht. Aber jetzt bin ich es so gewohnt, allein oder in kleinen Gruppen zu sein, dass es einfach anders ist.
MZEE.com: Also würdest du dich hier auch nicht in eine größere Menschenmenge begeben.
futurebae: Ich kann das aktuell nicht mehr. Es wäre schön, wenn mein Kopf anders funktionieren würde, aber das ist seit Corona ein Ding für mich.
MZEE.com: Das unterscheidet sich individuell wirklich sehr stark. Hast du dich denn, als sie nicht möglich waren, beispielsweise nach Großveranstaltungen gesehnt?
futurebae: Es gibt da quasi zwei Stimmen in meinem Kopf. Einmal sagt die Vernunft, dass ich 'ne Maske tragen und mich aus Menschenmassen fernhalten sollte, weil Corona noch nicht vorbei ist. Außerdem sagt mir meine Psyche, dass sie irgendwie gar nicht klarkommt und ich Panikattacken bekomme. Beides gefällt mir nicht, aber ich muss mich damit auseinandersetzen. Ich halte gerade lieber von Anfang an Abstand, statt Angst vor Corona oder einer Panikattacke haben zu müssen. Vorher hast du mich in jedem Moshpit gefunden, ich liebe es eigentlich, diese Energie aufzusaugen. Aber aktuell kann ich das nicht.
MZEE.com: Bei welchen Gedanken fühlst du am ehesten Sehnsucht?
futurebae: Ich habe schon superoft Sehnsucht, aber nicht auf eine negative Art und Weise. Man neigt dazu, dieses Thema negativ zu konnotieren. Man denkt sich manchmal einfach: "Okay, ich bin grad in dieser Situation, aber in einer anderen Situation wäre es jetzt noch geiler." Das heißt aber ja nicht, dass die aktuelle Situation schlecht ist. Im Winter habe ich einfach ständig das Gefühl, dass ich gerne am Meer wäre. Wasser ist für mich eine Quelle für so vieles – für Inspiration, Erholung, Ruhe, Entschleunigung und mehr. Ich komme von der Nordsee und immer, wenn ich nicht am Wasser bin, sehne ich mich danach. Das ist für mich einfach Heimat. Diese Sehnsucht schwebt aber nicht wie eine dunkle Wolke über mir. Ich weiß das und freue mich einfach, wenn ich wieder am Meer bin. Es ist auch okay, in Berlin zu sein und das in dem Moment nicht zu haben. Es kann trotzdem superschön sein. Aber Sehnsucht ist so vielfältig. Ich sehne mich nach ganz vielen Dingen. Nach Gleichberechtigung der Geschlechter. Danach, nicht im Patriarchat gefangen zu sein, in dem weiße Männer darüber bestimmen, ob eine Frau abtreiben darf. Ich sehne mich danach, auf Festivals nicht danach schauen zu müssen, wie viele FLINTAs gebucht sind. Das ist sehr breit gefächert.
MZEE.com: Dazu habe ich ein Zitat der Autorin Anke Stelling mitgebracht. Sie hat geschrieben: "Ungleichheit teilt uns in die, die Privilegien haben und die, die sie nicht haben. Und das ist für alle, die sich nach Gerechtigkeit sehnen, ein Problem. Ganz egal, zu welcher Gruppe sie gehören." – Das passt zu dem, was du grad gesagt hast.
futurebae: Voll. Wir leben einfach nicht in einer gerechten Gesellschaft, es gibt viele Gaps. Zwischen Männern und Frauen, Hautfarben, Herkünften und vielem mehr. Vieles stellt uns nicht gleich und das ist bescheuert. Wie kann man etwas an diesen Kriterien festmachen? Das wird niemals in meinen Kopf reingehen.
MZEE.com: Inwiefern bist du motiviert, innerhalb deiner Möglichkeiten gegen solche Ungleichheiten anzugehen? Ist das deiner Meinung nach überhaupt möglich?
futurebae: Das Patriarchat beispielsweise ist kulturell so krass verankert, seit so vielen Jahren. Ich bin mir sehr sicher, dass ich alleine daran nichts ändern kann. Aber ich bin auch überzeugt davon, dass ich Leute – gerade Männer –, denen das nicht bewusst ist, darauf aufmerksam machen kann. Indem ich erzähle, wie es sich anfühlt, im Sommer einen Rock zu tragen und Pfiffe ertragen zu müssen. Das sind Kleinigkeiten, die, glaube ich, schon etwas bewirken können. Und selbst, wenn ich nur zehn Leute erreiche … Wenn die dadurch motiviert werden, jeweils wieder zehn Leute zu erreichen, wird es ja immer mehr. So funktioniert Demokratie letztendlich. Fridays for Future sind auch einfach viele laute Menschen, die wollen, dass sich etwas verändert. Und mittlerweile haben sie eine große Plattform.
MZEE.com: Du versuchst, deine politischen Einstellungen eher subtil in die Musik einfließen zu lassen, oder?
futurebae: Voll. Ich hab' keinen Bock auf Zeigefinger-Musik. Ich wollte als 14-jähriges Mädchen auch nicht die Welt erklärt bekommen. Deshalb teile ich einfach meine Gedanken mit. Humor und ein zwinkerndes Auge machen meistens alles ein bisschen leichter.
MZEE.com: Glaubst du, dass dieser eher positive Vibe deiner Musik in den ungewissen Zeiten gerade einen gewissen Nerv trifft?
futurebae: Wenn das so ist, finde ich das voll schön. Ich kann mir schon vorstellen, dass sich Leute gerade danach sehnen. Wir haben so viele Hiobsbotschaften in den Nachrichten und dann kommt mal ein Song, der nicht komplett naiv ist und auch weiß, dass nicht alles gut ist, aber trotzdem einen positiven Vibe vermittelt.
MZEE.com: Um wieder etwas zurück zum Thema zu kommen: Welche Rolle spielt Sehnsucht für dich persönlich als Inspiration oder textliches Thema?
futurebae: Das ist superinteressant, denn ich hab' mir vor der Interview-Anfrage gar nicht so viele Gedanken dazu gemacht. Ich hab' dann für mich ein Recap meiner Songs gemacht und glaube, dass ich das Thema mehr in mir trage, als mir bewusst war. Alleine ein Song wie "So was wie Ja" trägt ja diese Sehnsucht nach jemandem in sich, der man nicht wirklich nachgehen kann. "Männer lol" lässt sich auch als Sehnsucht nach Gleichheit interpretieren. In "Comme ci, comme ça", "Deine Haut" oder "Fieber" spielt sie auch eine Rolle. Das ist schon ein großes Thema.
MZEE.com: Meinst du, dass du alles, nach dem du dich sehnst, auch wirklich erleben möchtest? Oder reicht es manchmal, nur von Dingen zu träumen?
futurebae: Ich finde es superschön, zu träumen. Ich erträume mir oft Sachen und es ist voll okay, wenn die nicht eintreten. Träume können so viel mit dir machen, ohne dass du sie real erlebst. Sie können dich pushen. Sie können dir einen Weg zeigen, an den du vorher nicht gedacht hast. Es ist schön, wenn sie sich erfüllen. Aber natürlich träume ich davon, ein krasser Weltstar zu sein. Würde ich es allerdings in der Realität wirklich wollen, dass mich Paparazzi auf Schritt und Tritt verfolgen? Nein. Ich will nur Musik machen. Das ist vielleicht das beste Beispiel dafür.
MZEE.com: Meine letzte Frage an dich ist: Was löst ein Gedanke an ein Leben ohne Sehnsucht in dir aus?
futurebae: Ich finde, Sehnsucht ist das, was einen Traum trägt. Und ich liebe es, wie gesagt, zu träumen. Hätte ich keine Sehnsucht mehr, woraus würden dann meine Träume bestehen? Das gefällt mir nicht. Ich möchte bitte sehnsüchtig sein. Es ist ein schönes Gefühl. Und ein Antrieb.
(Alexander Hollenhorst)
(Fotos von Porli Parker)