"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem:einer Künstler:in oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der:die Gesprächspartner:in ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm:ihr das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Beim Namen Aaliyah denkt man leider oft zuerst an ihren tragischen Flugzeugabsturz oder vielleicht an den #MeToo-Kontext und ihre annullierte Ehe mit R. Kelly. Ich möchte aber mit diesem Text auf eine Zeitreise zurück ins Jahr 2001 gehen, als ihr letztes Studioalbum zu Lebzeiten erschien: "Aaliyah". Denn auch heute noch greife ich immer wieder nach der Platte und fahre sie im Auto spazieren.
Ich entdeckte Aaliyah durch ihren von Timbaland produzierten Überhit "Try Again", der auch auf dem Soundtrack des Films "Romeo Must Die" zu finden ist. Spätestens mit der Veröffentlichung der zweiten Single "We Need A Resolution" – ebenfalls gefeaturet von Timbaland – war klar: Ich muss die Scheibe haben. Im Video zum Song legt Aaliyah erstmals die bekannten Baggypants ab und tritt im schwarzen Abendkleid vor die Kameras. Für mich war das zu dieser Zeit der Inbegriff von Empowerment: Hier steht eine Künstlerin, die ihren Körper nicht verhüllen muss, um mit ihrer Musik ernst genommen zu werden. Denn sie ist nach wie vor durch und durch HipHop – so wie ihr Tanzstil in den Videos und die Beats, unter anderem von Bud'da, auf "Aaliyah" verraten. Gleichzeitig spielt sie aber auch mit Perfektion die Klaviatur der leisen und souligen Töne, wie etwa auf dem posthum ausgekoppelten "I Care 4 U". Nach den tanzbaren Uptempo-Nummern und Balladen geht es dann auf "I Refuse" in die Tiefe. Mit Zeilen wie "I refuse to let you walk back through that door, I refuse to let you hurt me anymore" beschreibt sie ihre Emanzipation von verletzenden Beziehungen und löst ihre Situation zum Ende des Albums mit dem selbstbewussten Track "Messed up" auf.
Aaliyah war so viel mehr als US-HipHops Babygirl, sondern – neben ihrer Mentorin Missy Elliott – eine der wenigen starken Identifikationsfiguren für junge Frauen in den frühen 2000ern. "Aaliyah" ist zeitlos und bringt mich immer wieder zurück zu dem Moment, als ich sie zum ersten Mal über den Bildschirm tanzen sah. Es ist tröstlich und zugleich wundervoll, dass das Werk einer Künstlerin auch nach ihrem Tod noch derart erhalten bleibt.
(Kerstin Klein)