An dieser Stelle möchten wir Gedanken zu aktuellen Geschehnissen aus dem Deutschrap-Kosmos zum Ausdruck bringen. Die jeweils dargestellte Meinung ist die des:der Autor:in und entspricht nicht zwangsläufig der der gesamten Redaktion – dennoch möchten wir auch Einzelstimmen Raum geben.
Im Folgenden setzt sich unser Redakteur Sami mit der Scheinheiligkeit der linken deutschen Rapszene auseinander.
Rap ist als Sprachrohr der Unterdrückten entstanden – und das ist kein Geheimnis. Von der Geschichte seiner Entstehung zu Beginn der Sklaverei, zur "Harlem Renaissance" in den 1920ern bis zu Kool DJ Herc, der 1973 den endgültigen Grundstein für die Kultur und Musik legte, wie wir sie heute kennen, schlug die HipHop-Kultur jedoch mit der Zeit zunehmend auf eine breitere Masse über und traf somit auch auf die aktuelle linke Szene. Diese besteht nicht mehr aus der typischen Arbeiterklasse, sondern eher aus privilegierten, Weißen Intellektuellen. Schon dies ist konträr zu dem, was die eigentliche HipHop-Kultur symbolisiert: die künstlerische Verarbeitung von Diskriminierung, Rassismus und Ungleichheit.
Eigentlich sollte linker Rap die Funktion haben, als Schnittstelle zwischen dem ursprünglichen "Straßen-Rap" und den Weißen Hörer:innen aus Akademiker:innen-Kreisen zu fungieren: quasi den Hörer:innen mit weniger Diskriminierungshintergrund und -erlebnissen eine Art "Übersetzung" zu bieten und die Hintergründe verständlicher darzustellen. Dies misslingt leider sogar sehr bekannten Künstler:innen aus dem linken Milieu. Während sie berechtigterweise ihren moralischen Zeigefinger unter anderem hinsichtlich neonazistischer Tendenzen oder gegen den Kapitalismus erheben, verhindert das Leben in ihrer Bubble größtenteils die Sichtweise darauf, was Rassismus überhaupt ist. Auffällig hierbei ist, dass Rapper:innen und Rapgruppen, die dem linken Rap oder sogenannten "Zeckenrap" zugeordnet werden – egal, ob sie wollen oder nicht –, durch ihre Inhalte in einigen Fällen gar nicht so frei von Rassismus sind, wie sie denken. Im Gegenteil: Sie fühlen sich oft in ihrer Moral so bestätigt, dass sie sich nicht bewusst sind, welche rassistischen Fehler auch sie begehen.
Während sich Kunstschaffende nicht-deutscher Abstammung mit Vorwürfen seitens Kritiker:innen oder Liebhaber:innen der Szene für ihre teils weit vergangenen Aussagen regelmäßig rechtfertigen müssen, findet diese erneute Aufarbeitung einstiger Geschehnisse für die meist Weißen Künstler:innen des linken Raps schlichtweg nicht statt. Im Gegenteil: Abermals laufen People of Color dabei auf einem Minenfeld von Stereotypisierungen. Dabei scheint es nicht relevant, ob sie die vermeintlich diskriminierenden Behauptungen bereits reflektiert oder gar revidiert haben. PoCs müssen sich Begutachtungen unterziehen, die nicht ansatzweise gleichwertig zur typischen Bewertung bio-deutscher Musiker:innen stehen.
Dies zeigt auch der aktuelle Antisemitismus-Vorwurf gegen den Rapper Hanybal. Anfang April bezichtigte die Amadeu Antonio Stiftung, eine gemeinnützige deutsche Stiftung zur Aufklärung von Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus, den Musiker über Twitter, "israelbezogenen Antisemitismus" verbreitet zu haben. Der Rapper twitterte bezüglich des anhaltenden Konflikts zwischen Israel und Palästina: "[…] [S]olange Palästina nicht de-kolonisiert ist, gibt es keinen Frieden. Es ist für jemanden mit einem settler-colonial-mindset vielleicht schwer zu verstehen, aber Kolonialisierung erzeugt nunmal keine gefügigen Einheimischen, sondern Widerstand." Eine durchaus berechtigte Kritik, die die aktuellen Dokumentationen der Menschenrechtsorganisationen "Human Rights Watch" und "Amnesty International" nochmals unterstreicht. Das solche vorschnellen Beschuldigungen seitens der Amadeu Antonio Stiftung Stigmatisierungen in Richtung "Araber gleich Antisemit" auslösen und dies ebenfalls nicht hinterfragt wird, scheint völlig außer Acht gelassen zu werden.
Doch ein anderes Beispiel zeigt deutlich, dass sie auch ein Auge zudrücken kann, wenn es um vergangene diskriminierende Aussagen geht: So gewann die linke Rapgruppe Antilopen Gang, bestehend aus Panik Panzer, Danger Dan und Koljah, 2015 den Amadeu Antonio Preis. Dabei zeigte der Rapper Koljah bereits unter dem Deckmantel des "Bekämpfers von Sexismus und Antisemitismus" offen antimuslimischen Rassismus, aber auch Sexismus, obwohl er diesen eigentlich bekämpfen möchte. Als Mitteleuropäer, ohne wirklichen Bezug zu den Themen, artikuliert der Rapper wiederholt völlig unverblümt AfD-esque Kommentare, die wohl an vielen dunkeldeutschen Stammtischen so abgenickt werden würden. In seinem Track "Politischer Rap" aus dem Jahr 2010 möchte Koljah auf banalste Art und Weise dem Zecken- und linken Rap, von dem er sich bei einem Interview schon damals distanziert hat, seinen lyrischen Mittelfinger zeigen und beginnt den Song mit der Zeile: "Die meisten Judenhasser sind Islamversteher und bald fusioniert die Linkspartei mit Al-Qaida." Eine Zeile, die so unverschämt pauschalisierend ist, dass Koljah wahrscheinlich selbst nicht mal weiß, welche Auswirkungen diese haben könnte: Einer Religion von circa 2,3 Milliarden Menschen vorzuwerfen, dass sie Antisemit:innen seien, ist nichts anderes als Rassismus. Eine Aussage, die zu Montagsdemo-Zeiten unter "Patriot:innen" für Applaus gesorgt hätte. Doch dies sollte nicht die letzte unschöne Zeile des Künstlers sein: Auf dem Track "Drei gegen einen" aus Danger Dans Album "Reflexionen aus dem beschönigten Leben" von 2018 rappt Koljah die Zeile: "Das Frauenbild von Rappern ist so fortschrittlich wie Kopftücher." Eine Diskreditierung vom Feinsten: Kann eine Frau mit Kopftuch nicht emanzipiert sein? Ist die sexistische Gesellschaft, in der wir auch in Deutschland leben, das Idealbild von Emanzipation? Koljah spricht mit dieser Zeile den Frauen die freie Entscheidung ab, ihre Religion auszuüben. Die Line ist somit nicht nur diskriminierend, sondern auch noch sexistisch, weil kein Mann darüber zu entscheiden hat, was eine Frau aus welchem Grund trägt. Er ist also gar nicht weit von den Männern entfernt, die er kritisieren möchte, wenn er selbst entscheidet, dass ein Kopftuch eigentlich nicht "fortschrittlich" sei. Diskriminierung mit Diskriminierung zu bekämpfen und damit Benachteiligungen zu verdeutlichen, funktioniert nicht. Meist öffnet man damit weitere Türen zu anderen Themen und Problemen, das ebenfalls Menschen verletzt, die tagtäglich dagegen ankämpfen müssen. Doch Koljah selbst scheint dies schlichtweg nicht zu verstehen: In Interviews mit unter anderem der JUICE und MZEE oder seinen Facebookposts antwortet er meist hochironisch, ein wenig "deutsche Stand-up-Comedy"-like – man sagt etwas Rassistisches, sagt aber anschließend sofort: "War aber nicht rassistisch gemeint." Dieter "Koljah" Nuhr.
Doch nicht nur Koljah, sondern auch andere Poster-Boys des linken Raps sind nicht frei von rassistischen Ausflügen: Im Jahr 2012 erschien die "Kindskopf LP" von 3Plusss. Für den Track "Maskulin Maskulin" lud der ehemalige VBT-Rapper sowohl seinen Meskalin Maskulin-Kollegen donetasy als auch die Rapper von Zugezogen Maskulin ein. Der Part von donetasy schreckt nicht vor rassistischen Stereotypen zurück: "Ich fick 'ne Schwarze und erst dann hat sie Aids." Auch wird das N-Wort mehrere Male verwendet. Zwar haben grim und Testo die Lines nicht selbst gerappt, aber zum einen waren sie ein Teil des Lieds, zum anderen gab es bis in das Jahr 2020 noch eine Videoauskopplung dazu – hochgeladen auf dem YouTube-Channel von Zugezogen Maskulin. Im gleichen Jahr wurde der Text von der Lyrics-Seite Genius entfernt, sodass es den Eindruck erweckt, dass man still und heimlich das "Kunstwerk" von allen Kanälen nehmen wollte. Das Internet vergisst jedoch bekanntlich nie: Das Video kann weiterhin auf YouTube als "nicht gelistet" gefunden werden. Einzig und allein 3Plusss gab dazu in einem "Ask Me Anything" auf Reddit eine sehr dürftige Stellungnahme auf die Frage ab, was aus dem Video überhaupt geworden sei: "Hab das gar nicht mitbekommen. Denke ZM sind einfach nicht mehr cool mit dem Track oder dem Video. Vielleicht war auch irgendeine Line von Pierre (Anm. d. Red.: donetasy) ein bisschen zu drüber." Die Aussage verharmlost nicht nur die getätigten Worte, sie sagt auch etwas über den Künstler selbst aus: nämlich schlichtweg, dass er die Bedeutung und Geschichte des N-Worts sowie ihre Wirkung auf die Menschen nicht versteht.
Auch eine bekannte Künstlerin, die man nicht in erster Linie linkem Rap zuordnen würde, die jedoch in Weißen Hipster-Kreisen populär ist, hatte Berührungspunkte mit diesem nicht hinnehmbaren Fehler: Haiyti. Auf ihrem 2015 erschienenen Album "Havarie" und dem gleichnamigen Track verwendet die Rapperin das N-Wort mehrfach. Dieses Mal völlig ohne Kontext, sondern schlichtweg für den Style: "Sippe Drinks, sippe Lean, doch kein Chai Chai, N****. Dafür hab' ich keine Zeit, ich zähl' die Scheine im Pickup. Du bist nächtelang auf Speed, ich will Highspeed, N****." Für Haiyti scheint dieser Racial Slur lediglich die Bedeutung eines Adlibs zu haben. So, als hätte sie 2004 GTA San Andreas gespielt und dabei zu viel 50 Cent gehört. Der BPoC-Rapper Capuz veröffentlichte dazu Anfang dieses Jahres ein Statement, dass er die Rapperin schon 2015 dazu aufgefordert habe, den Track zu entfernen. Mittlerweile ist der Song offline genommen worden – im selben Mechanismus wie bei Zugezogen Maskulin: still und heimlich offline nehmen, kein Statement geben, keine Entschuldigung. Dies lässt viel Spielraum für eine Interpretation über eine mögliche Selbstreflexion.
Wie die Beispiele zeigen, ist Rap von der Unterschicht im Weißen Kleinbürgertum angekommen. Rapper:innen ohne Diskriminierungshintergrund schwingen die Moralkeule, ohne dabei zu merken, wie sie eigentlich Rassismus reproduzieren. Es ist sehr traurig anzusehen, welche Reflexion die größten, im linken Rap angesiedelten Künstler:innengruppen zum Teil an den Tag legen. Denn auch hier trifft die oft getätigte Aussage "HipHop ist der Spiegel der Gesellschaft" zu. Dass es 2020 zu vermehrten Gründungen von "Migrantifas" gekommen ist, ist kein Zufall. Migrant:innen in Deutschland fühlen sich innerhalb linker Kreise oft vernachlässigt und müssen sich selbst in diesen Räumen mit Diskriminierung auseinandersetzen. "Nein, sie kämpfen nicht für Menschen mit Migrationshintergrund, wenn sie die AfD oder Polizeigewalt gegen Menschen mit nicht-deutschen Wurzeln kritisieren. Sie kämpfen für sich." – So schreibt die Autorin und Journalistin Cigdem Toprak in ihrem Artikel "Ihr Linken seid genauso ausgrenzend wie die Rechten!" Und genauso verhält es sich eben auch im deutschen Rap: Es ist einfacher, jemanden an den Pranger zu stellen, der sich als "unpolitisch" bezeichnet oder nicht zwangsläufig in den hippen Akademiker:innen-Kreisen zu finden ist, als jemanden aus den eigenen "links-liberalen" Kreisen zu kritisieren. Meist wird der "eigene" Rassismus in dieser Bubble nicht wahrgenommen, da dieser eben komplett konträr zu dem ist, wofür man eigentlich steht. Und das lässt Anschuldigungen nun mal leicht negieren. Daher ist es umso wichtiger, dass sich Rapper:innen, Hörer:innen und eben auch Journalist:innen selbst hinterfragen und kritischer agieren.
Die linke Szene hat aber nicht ausschließlich Künstler:innen, die sich so massive Fehltritte geleistet haben. Besonders Disarstar ist hier zu erwähnen, dessen kritische Texte nicht nur den Zahn der Zeit treffen, sondern auch in Migrant:innen-Kreisen anerkannt werden. So war Disarstar, als einziger Weißer Rapper, Feature auf dem Benefiz-Song "Bist du wach?" von Azzi Memo für die Opfer des rechtsradikalen Anschlags. Zusätzlich steht auch schon eine neue Generation von kritischen Künstler:innen in den Startlöchern wie der Hamburger Rapper Lyriquent, der unter anderem in seinem Lied "Dunkeldeutsch" über seine Erfahrungen über das Aufwachsen als "Mischlingskind" in Ostdeutschland spricht. Aber nicht nur neue Rapper:innen bieten eine bis dato nicht existierende Plattform, sondern auch Journalist:innen wie Zina Lu, die in ihrem Format "cultura alta" regelmäßig kritische Themen aufgreift und diesen dadurch eine Aufmerksamkeit gibt, die in dem Maße noch nicht existierte.
Abschließend lässt sich sagen, dass Texte bewusst provokant sein müssen und gute Provokationen, besonders im Rap, ohne Frage ein wichtiges Element sind. Überspitzte Beispiele und polemische Aussagen regen Hörer:innen meist eher an, sich tiefer mit sozial relevanten Themen oder gar mit sich selbst und der eigenen Gedankenwelt auseinanderzusetzen. Jedoch muss man immer bedenken, welche Auswirkungen welche Texte auf welche Menschen haben können. Denn nicht alles ist "… von der Kunstfreiheit gedeckt".
(Sami Younis)