Die Jüngeren werden es gar nicht mehr wissen, doch bevor Koljah die deutsche Kunstszene mit seinem Konzept-Instagram-Account und der Reihe "Blödes Foto mit Buch und Medikament" auf den Kopf stellte, hat er tatsächlich Musik gemacht. Sowohl alleine als auch mit der Antilopen Gang. Und dies – besonders im Verbund mit seiner Band – gar nicht mal so erfolglos: Er spielt ausverkaufte Konzerte, hat mit dem letzten Antilopen-Album die Spitze der deutschen Charts erklommen und im Die Toten Hosen-Label JKP sogar eine Heimat gefunden, die er auf "Publikumsbeschimpfung" noch als völlig utopischen Wunschtraum formulierte. Wie es dazu kam, dass er nach neun Jahren nun musikalisch wieder auf Solopfaden wandelt, erzählte er uns im Interview. Zudem verriet er, was er von den Islamophobie-Vorwürfen hält, die wegen einer gerappten Zeile gegen ihn erhoben wurden, und ob all die Höhen und Tiefen des Lebens am Ende im Abgrund münden müssen.
MZEE.com: 2010 ist mit "Publikumsbeschimpfung" deine letzte Soloplatte erschienen. Warum hat es fast neun Jahre gedauert, bis du wieder ein eigenes Release veröffentlicht hast?
Koljah: Unmittelbar nach "Publikumsbeschimpfung" kam ja das "Motto Mobbing"-Album im März 2011. Ich hab' im Laufe von 2011 auch direkt wieder angefangen, Solosongs zu machen und hatte vor, ein Album zu veröffentlichen, das "Der große Rap Sschwindel" heißt. Irgendwann sollte das nur noch eine EP werden. Aber wie es damals bei uns eben war, hat immer alles ewig gedauert, weil wir ja auch niemanden hatten, der uns geholfen hat. 2011 kam erst mal noch die "Egotrip"-EP, danach "Dinkelbrot und Ölsardinen" und Ende 2012 schon das "Aschenbecher"-Album. Das waren alles Sachen, die zur Zeit ihrer Veröffentlichung schon teilweise fast zwei Jahre alt waren. Danach hätte dann eigentlich 2013 mein Soloalbum kommen sollen, weil ich im Laufe des Vorjahres dafür noch ein paar Sachen gemacht hatte. Dann kam aber halt alles anders. Jakob hat sich umgebracht und zu dem Zeitpunkt – also wirklich am Tag davor – hab' ich mich mit den Pitlabs noch über solche Dinge unterhalten wie: "Wie machen wir das jetzt? Wann kommt 'Der Ekelhafte' raus? Wann 'Der große Rap Sschwindel'?" Aber dann ist das passiert und alles war anders. Nach dem ersten Schock haben wir als eine Art Trauerbewältigung das NMZS-Album fertiggemacht. Danach haben wir beschlossen, erst mal das Ding mit der Gang weiterzumachen, uns letztlich auch einen Labeldeal geholt und alle Solo-Aktivitäten zurückgestellt. Und dieser Plan ist die letzten Jahre ja auch echt gut aufgegangen. Nur sind eben so Sachen wie "Der große Rap Sschwindel" ein bisschen auf der Strecke geblieben. Der einzige Song auf "Aber der Abgrund", der noch aus dieser Zeit stammt, ist "Immerhin etwas", den ich für die EP aber noch mal etwas überarbeitet habe. Wir haben erst ab "Aversion" wirklich fokussiert an Dingen gearbeitet und auch Alben herausgebracht, die noch halbwegs aktuell waren. (lacht) Und jetzt sind wir an einem Punkt angekommen, an dem Daniel zum Beispiel sagte, er würde gern mal ein Soloalbum machen. Ich hab' Bock gehabt, mal wieder ein paar Songs alleine fertig zu machen und dann haben wir einfach festgestellt, dass das für uns auch wieder klargeht.
MZEE.com: Sind die Platte von Danger Dan und deine EP auch zum selben Zeitpunkt entstanden oder war sein Album für dich erst die Motivation, wieder alleine zu rappen?
Koljah: Ich glaube, dass Danger Dan zuerst gesagt hat, dass er jetzt dieses Soloding machen will – wovon ich selbst, ehrlich gesagt, erst mal gar nicht so begeistert war. Aber das war ein Moment, in dem ich mir gedacht habe: "Ich hab' ja auch noch ein paar Lieder in der Schublade, die so halb angefangen sind." Mir war relativ schnell klar, dass ich kein Album machen will, dann wäre ich da noch mal anders rangegangen. Ich hab' einfach gemerkt, dass sich mit der Zeit ein paar Lieder ansammelten, die in der Zusammenstellung auch einen roten Faden ergaben. Aber ich hab' mich dagegen entschieden, noch fünf weitere Lieder zu machen, nur damit das ein Album wird. Ich hatte das Gefühl, dass es der EP nichts mehr hinzuzufügen gibt. Und schon während Danger Dan an seinem Album war, habe ich an meinen Songs geschraubt. Dann ist er auf Tour gegangen und ich habe parallel dazu ganz entspannt und ohne Druck alles fertig gemacht. Es hat allerdings alles etwas länger gedauert, bis das öffentlich wurde. Ich bin zwischendrin ja auch Vater geworden und hatte einfach andere Sachen im Kopf.
MZEE.com: Im Alleingang an einer Platte zu arbeiten, ist ja sicherlich noch mal etwas anderes, als wenn die gesamte Gang an den einzelnen Liedern beteiligt ist, oder?
Koljah: Bei der EP habe ich halt das gemacht, was bei manchen Antilopen-Songs auch am Anfang steht: Ich hab' zu Hause 'nen Beat gepickt, darauf geschrieben und aufgenommen. Da gab es auch zwei, drei Lieder, bei denen ich erst mal dachte: "Vielleicht ist das ja was für die Antilopen Gang?" Aber da hatte ich dann das Gefühl, das alleine fertig machen zu wollen oder die anderen beiden konnten damit gar nichts anfangen. Da gibt's eben auch keine gesungenen Hooks. Das ist stilistisch vielleicht ein bisschen anders. Aber wenn das wirklich aufgenommen wird, ist es schon wieder sehr ähnlich, denn das habe ich alles mit dem Mann Panik Panzer gemacht. Mit dem fühle ich mich am wohlsten, wenn es darum geht, Vocals zu recorden, weil wir da seit vielen Jahren ein eingespieltes Team sind. Hin und wieder hab' ich die beiden dann aber doch gefragt, weil zum Beispiel mal ein Beat gewechselt werden musste. Da wollte ich einfach wissen, was sie darüber denken. Das war schon immer irgendwie das Ding – bereits vor "Aversion" – dass auch die Soloalben irgendwie Antilopen Gang-Projekte sind. Jetzt steht ja auch wieder "Antilopen Gang präsentiert" auf dem Cover. Irgendwie gibt halt jeder seinen Senf dazu. Einer der Beats ist sogar von Danger und Panik – also, so ganz isoliert mache ich das nicht.
MZEE.com: Ereignen sich dabei auch die in "Hauptsache Kohle" erwähnten täglichen Streitereien mit Danger Dan? In künstlerischen, stilistischen Fragen?
Koljah: (lacht) Joa, auch … Wobei die Streitigkeiten eher politischer Art sind. Das sind meist Grundsatzdiskussionen über politische Themen. In der Gang wird generell viel gestritten. Es ist aber auch nicht so, als würden wir uns dauernd anschreien oder so. Wir wissen, wie wir uns zu verstehen haben und sind nicht böse, wenn mal einer sehr deutliche Worte findet. Aber wir sind ständig unterschiedlicher Meinung. Wir funktionieren gemeinsam eigentlich am besten, wenn wir Mucke machen, weil wir zu dritt eine Synergie entwickeln, die keiner von uns alleine hat. Da entstehen dann so "magische Momente". (lacht) Das ist schon cool. Aber alles, was es sonst gibt … Welches Lied kommt denn nun aufs Album? Mit wem führt man ein Interview? Was sagt man da? Wie sieht das Bühnenbild bei den Liveshows aus? Bei all solchen Sachen sind wir uns nie einig. Und Daniel und ich sind dann auffallend oft die beiden, die sich gegenseitig die Köpfe einschlagen.
MZEE.com: Und der Mann Panik Panzer ist der harmonische Spielball eurer Emotionen?
Koljah: Ja! Er ist ganz oft in der Mitte. Das ist die klassische Position von Panik Panzer in der Antilopen Gang. Danger und ich streiten über irgendwas und Panik Panzer kann beide verstehen, aber findet auch, dass beide zu sehr auf ihrem Standpunkt beharren. Er weiß dann nicht so richtig, zu wem er halten soll. Denn an ihm liegt's dann ja quasi. Wer es schafft, mit Panik Panzer eine Koalition zu bilden, der hat gewissermaßen gewonnen. (lacht) Außer wir diskutieren das basisdemokratisch aus. Das ist natürlich sehr anstrengend, wenn alle drei überzeugt sein müssen. Aber ansonsten ist Panik Panzer der Vernünftige, der immer abwägt.
MZEE.com: Sind die Antilopen also vor allem ein Kompromiss?
Koljah: Ja, ich finde, das kann man so sagen. Was wir machen und veröffentlichen, ist schon ein Kompromiss. Damit sind wir dann so zufrieden, dass jeder von uns damit leben kann und alles irgendwie berücksichtigt wurde. Aber ich denke, bei fast allem wirst du – je nachdem, wen du von uns fragst – auch immer jemanden finden, der Sachen anders gemacht hätte. Es gibt auch Dinge, bei denen ich gar nicht so meinungsstark bin. Sowas wie das Lichtkonzept bei Liveshows … Das interessiert mich überhaupt nicht. Da sage ich dann: "Ey, macht ihr einfach." Es ist immer ganz angenehm, wenn das einer von uns zum Rest sagt. Das macht die Sache natürlich leichter. Die anderen beiden sagen auch, dass ich immer konträr sein muss und ständig eine Gegenposition einnehme, die alles verkompliziert. Ich würde sagen, ich mache das gar nicht aus Prinzip, sondern einfach, weil ich der Einzige bin, der checkt, wie's cool wäre. (lacht)
MZEE.com: Ist "Aber der Abgrund" mehr straighter, klassischer Rap?
Koljah: Im Vergleich zu einem üblichen Antilopen-Album ist es klar mehr straighter Rapsound. So ist das halt eher, wenn ich alleine Musik mache. Da finde ich einen Beat cool und spitte einfach darüber. Das hat aber natürlich auch mit meinen limitierten Fähigkeiten zu tun. Ich kann eben nicht singen. Ich bin Rapper. Da hört es sich automatisch so an. "Aber der Abgrund" ist eigentlich Untergrundrap. Auch wenn es jetzt bei JKP erscheint und wir nicht wie bei "Publikumsbeschimpfung" einen Free-Download raushauen und auf eigene Faust 500 CDs pressen lassen. Aber vom Sound her hat das nicht wirklich etwas mit dem Antilopen-Sound zu tun, der auch mal auf 1LIVE laufen kann oder so.
MZEE.com: Wo wir gerade bei CDs sind: Du selbst hast ja eine relativ große CD-Sammlung. Gibt es da auch ein absolutes Lieblingsstück mit ganz besonderem Wert für dich? Egal, ob von monetärem oder emotionalem Wert.
Koljah: Ja, es gibt … (überlegt sehr intensiv) … da so ein paar Sachen … Also, was meine Comic-Sammlung angeht, ist das die Don Rosa-Gesamtausgabe. Das ist ein Disney-Zeichner, der neben Carl Barks eigentlich der Beste und eben nicht der Standard-Disney-Zeichner ist. Da sieht alles mehr nach Underground-Comics aus. Den finde ich sehr gut. Und die habe ich mir dann gegönnt – ich glaube, das war, nachdem es das erste Mal 'ne GEMA-Zahlung gab. Die kostete so um die 500 Euro, glaube ich. Und ich hab' mir halt sonst noch nie sowas Teures geholt. Ich hole mir auch sonst keine teuren Sachen, keine Goldketten oder sowas. (lacht) Was Platten und CDs angeht, gibt's auch so ein paar Schätze. Die Toten Hosen haben mal ihr Gesamtwerk auf Vinyl rausgebracht. Auch die Alben, die bis dahin noch nie auf Vinyl erschienen sind – in einer schönen, massiven Holzbox, die in einer Behindertenwerkstatt angefertigt wurde. Limitiert auf 1 000 Stück oder so – das ist schon ein richtig gutes Ding, das auf eBay mittlerweile echt Höchstpreise erzielt. Sowas dann. Oder halt alte Punksachen. Ich hab' mal die erste ZK-Single geschenkt bekommen. Das war die Vorläuferband der Toten Hosen und die haben ihre erste Single 1979 auf einer 7-Inch rausgebracht. Ach, und eine Sache muss ich unbedingt noch erwähnen: Es ist ja bekannt, dass ich großer Illmat!c-Fan bin. Sein zweites Album "Still ill" hab' ich mir irgendwann mal auf Vinyl geholt. Und als ich ihn letztes Jahr im Zuge des ALL GOOD-Podcasts kennengelernt habe, hab' ich die Platte mitgenommen und von ihm signieren lassen. Auf die hat er mir dann auch 'ne Widmung geschrieben. Damit hat sie sich natürlich auch sofort bei meinen Top-Stücken eingereiht. Das darf ich nicht unerwähnt lassen!
MZEE.com: Die teuren Sammlerstücke sind auch die perfekte Überleitung zur Single "Hauptsache Kohle". Da heißt es in der Hook: "Haltet es für kritisch, haltet es für ironisch. Haltet es für ernst gemeint, haltet es für komisch." – Warum genau möchtest du den Hörern nicht sagen, wie deine Texte zu verstehen sind?
Koljah: Ich fand das oft ein wenig müßig und nervig, seine eigenen Texte zu erklären. Ich mach' das manchmal zwar auch gerne, aber ich würde jetzt nicht wie andere Rapper auf Genius selbst Anmerkungen schreiben und jede Line detailliert erklären. Das fände ich irgendwie witzlos. Ich gehe stattdessen auf Genius und lese mir durch, wie andere Leute Texte, die ich geschrieben habe, interpretieren. Dann eigne ich mir das an und finde diese Deutung auch spannend. Aber ich habe oft das Gefühl, es wird langweilig, wenn man anfängt, Texte oder Kunst ganz generell zu erklären. Du wirst plötzlich dein eigener Rezensent. Das hat mich oft genervt. Ich meine, es gibt ja so eindeutige, politische Texte wie "Beate Zschäpe hört U2" – da ist natürlich klar, wie das gemeint ist. Aber irgendwelche Punchlines oder Zeilen, die oft davon leben, dass du die einfach in den Raum stellst und sie eine doppelte Ebene haben … Das kann man auch kaputt machen, wenn man das so zerredet und eindeutig macht. Ich war immer Fan von Künstlern, die zweideutig sind und für Irritation sorgen. Das feiere ich selbst und hat mir als Rapper auch immer Spaß gemacht.
MZEE.com: Als Sex Pistols-Fan kennst du das Zitat vielleicht schon, aber Johnny Rotten hat zu dem Thema mal gesagt: "You should never, ever, be understood completely. That's like the kiss of death, isn't it? It's a full stop. I don't ever think you should put full stops on thoughts. They change."
Koljah: Ja! Das ist ja eigentlich das, was ich gerade gesagt habe. Leute wie er waren da für mich auch immer ein Vorbild. Er ist dennoch jemand, der für etwas steht. Ist ja nicht so, als wenn du den Mann nicht greifen könntest. Aber der hat sich das nie einfach gemacht. Er hat mit den Sex Pistols mehr oder weniger Punk erfunden … Gut, da scheiden sich jetzt vielleicht die Geister … Der hätte auch mit dem Sound des ersten Sex Pistols-Albums weitere zehn Platten machen können, die genauso klingen und alles wäre ganz einfach gewesen und hätte hervorragend funktioniert. Aber drei Monate nach dem Debüt, als es die Band vielleicht zwei Jahre gab, ist er einfach ausgestiegen, hat Public Image Ltd. mitgegründet und völlig absurde Musik gemacht, die niemand verstanden hat. Er hat einfach nicht gemacht, was die Leute von ihm erwartet haben. Dann wurde er von irgendwelchen Punkern mit Flaschen beworfen, weil sie fanden, dass er etwas verrät, was er sich selbst ausgedacht hat. Eigentlich war er ja konsequent, indem er gesagt hat: "In dem Moment, in dem irgendwelche Idioten kommen, die denken, dass das eine Idee ist, die in Stein gemeißelt ist und die man irgendwie verraten kann, bin ich schon wieder auf einem ganz anderen Planeten." – Und das finde ich viel interessanter als Leute, die jahrzehntelang nach wie vor lediglich Sachen von ihrem ersten Album live spielen. Das kann man schon auch machen, aber es ist halt die künstlerisch uninteressantere Variante.
MZEE.com: Läuft man – wenn man sich wie Rotten nicht selbst erklären möchte – aber vielleicht auch Gefahr, dass man gar nicht oder sogar fehlverstanden wird?
Koljah: Das kann natürlich sein. Da ist dann eben die Frage, wie man damit umgeht. Das kann man ja einkalkulieren. Wenn du feststellst, dass dir Leute Beifall spenden, auf die du keinen Bock hast, kannst du dich auch von denen distanzieren. Ich persönlich würde in so einem Fall wohl die Strategie wählen, bei nächstbester Gelegenheit irgendwas zu sagen, was diese Leute ärgert. Wir hatten ja verschiedene Phasen bei den Antilopen. Als wir damals die Anti Alles Aktion gegründet haben, ging es eine Zeit lang darum, sich von diesem Zecken- und Polit-Rap zu distanzieren, weil es uns genervt hat, so vereinnahmt und reduziert zu werden. Dann hat man die eben verarscht. Da haben wir auch "Caught in the Crack" gemacht und mit Gangsterrap alle vor den Kopf gestoßen. Aber in dem Moment, in dem sich das so durchgesetzt hat, dass wir die sind, die alle anderen verarschen und man genau dafür Schulterklopfer bekommen hat, haben wir wieder einen Turn gemacht und später auch "Beate Zschäpe hört U2" veröffentlicht. So sind wir die politischen Vorzeige-Rapper geworden. Und damit wurde es wieder Zeit, genau diesen Leuten vor den Karren zu pissen, was wir dann so ein bisschen mit "Das trojanische Pferd" versucht haben, bei dem wir uns über ebendiesen Status lustig gemacht haben, den man uns auf einmal verliehen hat. Und das halte ich eigentlich immer für die richtige Strategie, um auch vorzubeugen, dass die falschen Leute dich feiern oder Leute überhaupt versuchen, dich zu vereinnahmen. Es einfach niemals jemandem komplett recht machen. Niemals zu bequem oder alteingesessen werden. Nicht immer die gleichen, ausgelatschten Pfade gehen. Ich mache auf Konzerten lieber eine Ansage, für die ich dann Kopfschütteln ernte, weil die Leute es nicht checken oder vielleicht sogar sauer werden, als mir einfach den Applaus abzuholen. Das ist aber auch so ein typischer Punkt, bei dem die Antilopen Gang sich uneinig ist. (lacht)
MZEE.com: Das LowerClassMag hat im letzten Monat auch einen längeren Artikel über die Antilopen Gang verfasst und darin – vermutlich in Bezug auf deine "Kopftuch"-Line im Track "Drei gegen einen" – über dich geschrieben: "In einem Punkt ist zumindest Koljah den deutschen Nazis sehr nahe. Er lässt seinen antimuslimischen Ressentiments mal gerne freien Lauf." – Ist da nicht ein Punkt erreicht, an dem man sich gegen solche Fehlinterpretationen wehren muss?
Koljah: Ach, na ja … Der ganze Artikel war ja eher so ein niederträchtiges Machwerk, das uns diffamieren sollte. Ich glaube aber auch, dass es ein Trugschluss ist, dass diese Zeile jetzt bei irgendwelchen Rechtsradikalen Anklang findet. Rechtsradikale haben halt ein Problem mit dem Islam, solange er in Deutschland ist. Aber die kritisieren nicht, dass es im Iran Verschleierungszwang gibt. Das interessiert die gar nicht. Da geht es nicht um Kritik an patriarchalen Weltbildern. Ich glaube, dass da eher eine positiv-rassistische "Bewunderung" von irgendwelchen Nazis ist: "Ja, im Morgenland, da gibt's wenigstens noch richtige Werte" und sowas. Ich find's eher absurd, dass die Kritik an so einem Thema wie dem Kopftuch, das vor allem ein patriarchales Symbol und Unterdrückungsinstrument ist, so dermaßen verpönt ist unter Linken und man sich da gar nicht herantraut. Dass sowas als AfD-nah ausgelegt wird, weil die eben die Einzigen sind, die was dazu sagen, ist absurd. Und dann heißt es: "Ja, wenn du jetzt aber auch was gegen das Kopftuch sagst, dann profitiert die AfD davon." Wenn die ganzen aufklärerischen, fortschrittlichen, linken oder meinetwegen auch linksliberalen Kräfte etwas zu der Thematik sagen würden, könnte die AfD doch gar nicht so davon profitieren, weil es dann nicht "deren Thema" wäre. Darum fand ich diese ganze Debatte eigentlich ziemlich schräg. Gerade, weil ich finde, dass Themen wie Religionskritik, Kritik an patriarchalen Verhältnissen und an Ungerechtigkeit oder Ungleichheit der Geschlechter gar nicht so bahnbrechende Erkenntnisse sein sollten. Eigentlich müssten das doch Standardthemen sein, die man kritisch beleuchtet. Da irritiert mich eher der Zustand, dass so ein LowerClassMag oder auch rap.de sowas schreiben und das irgendwie als legitim gelten kann.
MZEE.com: Ich fand es tatsächlich auch recht fragwürdig, dass man die Kritik an patriarchalen Begebenheiten lieber meidet, um nicht direkt als islamophob abgestempelt zu werden.
Koljah: Da steht dann ja dieses Argument im Raum: Als weißer Mann darfst du keine Kritik daran üben, weil du damit gewissermaßen schon wieder den Kolonialismus reproduzierst oder so. Das ist aber halt eine Strategie, die sämtliche Kritik verunmöglicht und vor allem den fundamentalistischen Hardlinern voll in die Hände spielt. Diejenigen, die unter so einer Tabuisierung von Kritik zu leiden haben, sind ja diejenigen Muslime, die den Islam reformieren wollen und aus genau solchen Staaten flüchten. Es befürworten auch gar nicht alle Muslime das Kopftuch. Ich meine, die größte Kritik am Kopftuch kommt wahrscheinlich von muslimischen Frauen, die sagen, dass sie keinen Bock haben, das zu tragen. Um noch mal beim Beispiel des Irans zu bleiben: Letztes Jahr gab es dort eine Freiheitsbewegung, bei der Frauen ihr Kopftuch ausgezogen haben. Da gab es dieses ganz berühmte Symbolbild, als eine Frau ihr Kopftuch an einen Stock gehangen hat. Und ich finde, dass es selbstverständlich ist, dass man sowas unterstützt. Zu sagen, man dürfe das nicht kritisieren, weil es rassistisch sei, ist ein Schlag ins Gesicht solcher Frauen. Die gehen wirklich jahrelang in den Knast, weil sie ihr Kopftuch ausziehen. Die riskieren richtig was. Mal ganz davon abgesehen, dass ein Kopftuch auch gar kein unveränderliches Wesensmerkmal ist. Rassismus richtet sich klassischerweise gegen unveränderliche Wesensmerkmale. Du wirst ja nicht mit Kopftuch geboren. Und nicht jede muslimische Frau trägt eines. Außerdem gibt es auch diverse deutsche Konvertitinnen, die Kopftuch tragen. Das hat nichts mit der Herkunft zu tun. Insofern zeugt der Vorwurf für mich von einem ganz falschen Rassismusbegriff. Trotzdem bin ich ja nicht bescheuert. Ich hab' mir schon gedacht, dass diese Zeile auch solche Reaktionen hervorrufen kann. Aber ich bin der Ansicht, dass das kein Grund sein darf, sowas nicht zu machen. Im Gegenteil – dann muss man das erst recht machen. Ich finde auch, dass es gar keine so intellektuelle Glanzleistung ist, die Idee fragwürdig zu finden, dass alle Frauen, bis hin zu kleinen Mädchen, ihre Haare verdecken müssen, damit sie die Männer nicht geil machen. Da könnte man als halbwegs vernünftiger Mensch schon darauf kommen, dass da was nicht stimmt. Und es müsste erst recht klar sein, dass Zwangsverschleierung nicht klargeht. Klar kann man sagen, dass nicht jede muslimische Frau ihr Kopftuch aus Zwang trägt. Natürlich nicht. Natürlich gibt es auch welche, die das freiwillig tragen. Und nicht alle Frauen mit Kopftuch sind bemitleidenswerte Opfer, manche tragen es stolz und halten es für 'ne tolle Sache. Nur gibt es eben auch sehr viele Frauen, die sich nicht den Luxus erlauben können, zu sagen, sie tragen das Kopftuch freiwillig. Die tragen das eben aus Zwang. Das muss nicht immer expliziter Zwang sein, sondern kann auch ein Druck sein, der im familiären und persönlichen Umfeld aufgebaut wird. Solange das so ist, finde ich nicht, dass man sich positiv auf das Kopftuch beziehen sollte, denn es ist ein Symbol für Ungleichheit und Unterdrückung. So zu tun, als wäre eine feministische Kritik daran vergleichbar mit dem Rassismus irgendwelcher rechter Idioten, finde ich infam. Denn das bedeutet, dass man die Frauen schwächt, die unter dem islamischen Patriarchat leiden, während die frauenfeindlichen Arschloch-Männer gestärkt werden. Und wenn eine kopftuchtragende Frau rassistisch angegriffen wird, sollte man sich natürlich für die Frau und gegen den Rassisten positionieren. Was aber nicht bedeutet, dass man das Kopftuch gut finden muss.
MZEE.com: Du sagtest, dass dir schon klar war, welche Reaktionen das hervorrufen könnte. Vermutlich war es ähnlich bei der Entscheidung, Prezident als Featuregast auf deine EP zu holen. Du hast ihn im Zuge dessen scherzhaft als "Skandalrapper" bezeichnet. Ist sein Beitrag zu "Aber der Abgrund" also provokantes Kalkül gewesen?
Koljah: Na ja … Ich hab' das nicht gemacht, um zu provozieren. Prezident kenne ich jetzt seit 2011 oder so. Der ist einfach ein Kumpel von mir. Ich wollte mit dem schon immer mal 'nen Song machen. Und die Idee zu dem Song mit Prezi und Degenhardt gab es auch schon lange, bevor er sein "Skandalalbum" veröffentlicht hat. In dem Moment, in dem die Diskussion um ihn so hochgekocht ist, war mir natürlich klar, dass das jetzt vielleicht wie ein Statement wirkt, ihn auf die Platte zu holen. Aber er wäre da auch gelandet, wenn das alles nicht passiert wäre. Ich fand auch – vielleicht wurde das nach meinen Ausführungen eben schon klar – diese ganze Diskussion um Prezident völlig bescheuert und finde sein Album cool. Aber es wäre mir zu billig, ihn nur deswegen jetzt auf meine Platte zu holen, nur um noch mal in diese Kerbe zu hauen. Da sind ja auch gar keine Anspielungen zu der Sache auf dem Song. Ich sage dazu zwar jetzt im Interview was, aber eigentlich habe ich gar keinen Bock, mich so viel mit der Sache zu beschäftigen und so ein Gewicht auf diese Debatte zu legen, weil sie mich schlichtweg langweilt. Ich halte Prezident einfach für 'nen super Rapper, von dem ich seit seinem ersten Release auch Fan bin.
MZEE.com: Ich persönlich stand Prezident lange wohlwollend gegenüber und war der Ansicht, dass es sein gutes Recht und oftmals auch wichtig ist, liberale Ansichten und linke Strukturen ebenso kritisch zu betrachten wie rechte. Nachdem ich aber sein Streitgespräch mit David Häußer alias form/prim gehört hatte, kam in mir das Gefühl auf, dass hinter Prezis Position mehr als eine reine Antihaltung ohne wirkliche Argumente stand. Hast du mit ihm über die generelle Problematik dahinter geredet?
Koljah: Wir haben uns schon über die ganze Diskussion unterhalten. Ich kannte sein Album auch bereits, bevor es veröffentlicht wurde, aber das hat dieses Feature halt nicht beeinträchtigt. Wenn überhaupt wäre "Jetzt erst recht" dann meine Verhaltensweise. Ich finde, dass jeder alles kritisieren soll, wie er will und man nicht immer einer Meinung sein muss. Ist jetzt zwar nicht unbedingt meins, irgendwelche Stuhlkreise oder Podiumsdiskussionen abzuhalten, aber ich habe da auch überhaupt kein Problem mit. Was mich aber nervt, ist, dass Prezident auf einmal die Persona non grata sein soll. Dieser riesige Aufschrei, er sei jetzt irgendwie der "AfD-Rapper" oder sowas. Meine Güte, lasst doch mal die Kirche im Dorf. Wenn immer gleich die Alarmglocken angehen und niemand mehr in der Lage ist, sich auf einer sachlichen Ebene und per Argumentationsaustausch über ein Thema zu verständigen … Da muss man am Ende ja nicht mal zu einer Einigung kommen. Aber wer diese Platte aufmerksam angehört hat und dann irgendetwas sagt von wegen, dass das der Sound der Neurechten sei, der hat doch nicht mehr alle Latten am Zaun. Man muss das nicht gut finden, was er da sagt. Aber was ist das denn für eine Harmonie-Sucht, dass immer alle einer Meinung sein müssen und alle miteinander kuscheln wollen? Wenn mal einer etwas sagt, das die friedliche Stimmung stört, hat derjenige sich dadurch völlig verunmöglicht und soll gleich ausgestoßen und boykottiert werden? Das finde ich total dumm und da werde ich bestimmt nicht mitmachen. Ich find' Prezi cool und mach' mit dem 'nen Song. Und wenn mich das dann auch zur Persona non grata macht, ist das halt so. Aber das zeugt für mich von einer komischen Haltung. Das klingt für mich irgendwie so nach: "Wir müssen die Szene rein halten von kritischen Stimmen!" Das ist mir einfach zu blöde.
MZEE.com: Der andere Featuregast auf dem Track ist Degenhardt. Da gab es ja auch schon die ein oder andere Zusammenarbeit und einen Beitrag deinerseits auf seinem Album. War das so eine "Ich war bei dir, du kommst zu mir"-Sache?
Koljah: Also mit Dege war das eigentlich wie mit Prezi. Ich feiere die beiden echt schon sehr lange – eigentlich, seitdem sie etwas veröffentlichen – und hatte schon immer Bock, mal was mit denen zu machen. Dass ich vorher auf dem Degenhardt-Album war, war eigentlich Zufall, weil wir einfach in den letzten Jahren häufiger in Düsseldorf zusammen abhingen. Aber ist natürlich schön, dass wir in relativ kurzer Zeit zwei Songs zusammen machen konnten. Ich fand das auch einfach passend. Denn wie ich eben schon gesagt habe, ist die EP meiner Meinung nach einfach rougher, straighter Untergrundrap. Das ist auch eher so die Ecke, in der ich mich selbst als Solokünstler verordnen würde – bei dem, was die so machen. Darum wollte ich die beiden gemeinsam auf einen Track nehmen und bin wirklich sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Auch weil das ja so ein richtiger Boom bap-Beat ist, ganz klassisch. Und weil ich es geil finde, Degenhardt mal auf sowas zu hören. Das ist ja nicht unbedingt typisch für ihn. Und ich finde, das hat er echt gut gemacht. Genau wie das Artwork, das ist auch von ihm. Da hat einfach alles gepasst.
MZEE.com: In Bezug auf den Titel "Aber der Abgrund": Wenn ich mir die Musik der Antilopen aus der Vergangenheit ansehe, war dieser Sog nach unten immer da und hatte nur verschiedene Namen wie "Aschenbecher", "Sumpf" oder nun eben "Abgrund". Ist das ein roter Faden der Antilopen Gang?
Koljah: Ja. Wie du schon sagst, wir haben verschiedene Wörter dafür gefunden. Es gibt da halt diesen Abgrund und den gibt es auf ganz verschiedene Weisen. Bei jedem. Und bei jedem von uns anders. Natürlich auch bei Jakob. Es gibt diese Anziehungskraft, die dieser Sumpf hat. Der möchte einen in sich reinziehen. Irgendwie hat man eine gewisse Sehnsucht danach, weiß aber natürlich auch, dass er das eigene Verderben ist. Und das ist es letztlich, was auf verschiedene Weisen immer wieder gesagt wird. Der Sumpf kann der Aschenbecher sein. Der kann so ein völlig verkacktes Gammler-Leben sein, in dem man nichts auf die Reihe kriegt. Er kann aber auch etwas viel Existenzielleres sein. Bei mir hatte das viel mit Alkohol zu tun, mit irgendwelchen Eskapaden und Abgründen, die am Ende dazu geführt haben, dass ich gesagt habe: "Ich trink' jetzt gar nicht mehr!" Als ich meinen persönlichen Abgrund erreicht hatte, also dessen Peak … Peak ist echt gut für einen Abgrund – quasi der Höhepunkt des Abgrunds. (lacht) Als ich den erreicht hatte und das auch irgendwie in der Psychiatrie endete, von Polizisten im Krankenwagen begleitet, weil ich da noch irgendwelche Halluzinogene genommen hatte und völlig durchgedreht war … Das war für mich der Punkt, an dem ich gemerkt habe, dass mir der Abgrund langsam zu nah kommt und ich entschieden habe, nicht mehr zu trinken. Es gab schon immer diese dunkle Seite. Die ist so ein Begleiter. "Aber der Abgrund" kommt ja auch aus unserem Song "Patientenkollektiv". Da sage ich am Ende meiner Strophe: "Aber der Abgrund ist nicht weg, sondern wartet. Ich ziehe meinen Antrieb aus dem Wissen, dass er da ist." Da habe ich mir, ohne es zu wissen, schon den Titel für meine EP geliefert. Du kannst ganz viele Antilopen-Lieder auf diese Thematik herunterbrechen.
MZEE.com: Bewegst du dich nach wie vor am Abgrund – als täglicher Balanceakt? Du hast auf deiner privaten Facebookseite mal den Screenshot einer laufenden Stoppuhr gepostet. Da wage ich einfach mal die steile These, dass die läuft, seit du nicht mehr trinkst?
Koljah: (lacht) Nein … Das hast du so interpretiert? Witzig. Eigentlich war das nur ein Zufall. Ich hab' aus irgendeinem Grund mal die Stoppuhr gestartet und vergessen, die wieder auszumachen. Ich weiß nicht, wie lange, aber die lief echt 'ne ganze Weile. Ich habe mich auch immer wieder gewundert, warum mein Handy auf einmal so langsam ist. Bis ich irgendwann gecheckt habe: "Ach du scheiße, diese Stoppuhr läuft einfach schon seit tausend Stunden oder so …" (lacht) Und dann habe ich da eben diesen Screenshot gepostet. Das war gar nicht darauf bezogen, dass ich nicht mehr trinke oder so. Aber dass der Abgrund immer da ist – das stimmt schon irgendwie. Der ist wie eine Tür, die man aufgemacht hat, aber nicht wieder zukriegt. Man kann sich davon entfernen und sollte nicht unbedingt sein Nachtlager direkt neben der Tür – also am Abgrund – aufschlagen. Vielleicht geht man ja mal in ein anderes Zimmer oder sogar in ein anderes Haus … Geil! Ich bin wie Bushido und spreche in Metaphern. (lacht) Aber man weiß, es gibt immer noch das Zimmer mit dieser Tür und die ist auch immer noch offen. Und wenn man Pech hat oder dumm ist oder aus welchen Umständen auch immer, dann könnte es auch sein, dass man wieder in die Nähe dieser Tür kommt. Da wäre es besser, wenn man nicht wieder durchgeht. Und ich habe mich auch genau dafür entschieden: ein Leben zu führen, dass von diesem Abgrund weggeht. Ich bin gespannt, wie das so funktioniert, die nächsten 50 Jahre.
MZEE.com: Und die Antilopen sind dein Weg weg vom Abgrund?
Koljah: Irgendwie sowohl als auch. Die sind schon der Weg weg, aber wir haben auch zusammen Dinge erlebt, die "abgründig" waren. So sage ich das jetzt mal, ohne näher ins Detail zu gehen. Aber klar, in dem Moment, in dem du diese Thematik kreativ bearbeitest, weil du einen Song darüber machst, ist das schon ein Schritt weg davon. Das ist ja so ähnlich, wie wenn du der Ticker aus der Hood bist und sagst: "Okay, ich schreibe jetzt lieber ein Gedicht darüber, dass ich der Ticker aus der Hood bin und nehme das auf einen Beat auf. Dann bin ich zwar in meiner Musik noch der Gangster, aber in Wirklichkeit bin ich ein Poet." So ähnlich ist das auch, wenn man nicht im Sumpf versinkt, sondern nur ein Lied darüber macht.
MZEE.com: Dennoch gehst du mit eurer Musik relativ hart ins Gericht. Auf "Hauptsache Kohle" sagst du, dass du eure Musik nicht unbedingt hören würdest. Ist das überspitzt formuliert?
Koljah: In der Gesamtheit ist das natürlich irgendwo überspitzt, es kommt auch echt auf die Songs an. Wenn ich mich jetzt mal so auf das letzte Album beziehe … Also, ein Lied wie "Pizza" würde ich mir privat wirklich nicht anhören. "Gestern war nicht besser" andererseits finde ich auch persönlich sehr gut. Es gibt ja immer wieder Songs, die wir machen, die ich cool finde, also so ist es nicht. (lacht) Ich sage auf "Hauptsache Kohle" ja auch sowas in Richtung: "Wir haben teilweise gute Tracks." Ich weiß jetzt gerade meinen eigenen Text nicht mal richtig, aber in jedem Fall sage ich das auch so. Wir haben viele coole Songs, aber es gab auch teilweise Moves, wenn ich da ganz ehrlich bin, die nicht so meine Welt sind. Da fühle ich mich dann manchmal so wie Tua bei den Orsons. (lacht)
MZEE.com: Zum Abschluss noch ein Blick in die Zukunft. Deine Eltern standen deinem Musikgeschmack früher skeptisch gegenüber, weil du bereits im Kindergarten Die Toten Hosen gehört hast. Sie haben versucht, gewisse Lieder von den Tapes fernzuhalten, die dir Freunde zusammenstellten. Welche Lieder werden deine Kinder mal nicht hören dürfen?
Koljah: Also Lieder, die ich selbst gemacht habe? (überlegt) So konkret habe ich darüber noch nicht nachgedacht. Meine Tochter ist ein Jahr alt, da stellt sich die Frage noch nicht so wirklich. Worüber ich aber tatsächlich nachgedacht habe, ist das "Aversion"-Cover. Das ist ja ein Ölgemälde – das hängt bei uns im Schlafzimmer. Und das ist wirklich ein sehr großes Bild. Und da sieht man halt – ich weiß nicht, ob du das gerade vor Augen hast – auf der einen Seite eine ganz schöne Welt und auf der anderen Seite geht das über in eine sehr düstere. Und letztens dachte ich mir so: "Ach krass, das sind ja so brennende Menschen und davor liegt eine tote Antilope mit 'nem Pfeil … Fuck." Irgendwann wird meine Tochter das halt checken und das ist für ein Kind vielleicht nicht der tollste Anblick. (lacht) Da habe ich mich schon gefragt, wie ich ihr das mal erkläre mit den brennenden Menschen und so … Weiß ich jetzt noch nicht. Und in Sachen Musik … Na ja, mir ist klar, dass ich gewisse Gangsterrap-Songs auf deutscher Sprache vermutlich erst hören sollte, wenn sie pennt. Ansonsten greife ich eher zu irgendwelchen US-Songs. Aber wie das mit meinen eigenen Songs ist? Weiß ich gar nicht genau. Ich glaube, das liegt auch ein bisschen daran, ob sie da überhaupt Interesse zeigt, in welchem Alter sie dann ist und inwiefern man das selbst einordnen kann. Aber ich habe das Gefühl, dass die Antilopen-Sachen weitestgehend "kinderfreundlich" sind. Zumindest mache ich mir mehr Sorgen bei der Musik, die ich selbst höre. Mir persönlich ist das womöglich sogar ein bisschen egal, aber wenn sie irgendwann in der Kita anfängt, alle zu beleidigen, ist das vielleicht nicht so geil. (lacht) Wenn es soweit ist, werde ich dazu vielleicht auch eine klarere Meinung haben und darüber lächeln, was ich hier gerade so stammle, weil ich einfach noch keine Ahnung habe. Ich will nicht als so eine krasse Zensur-Institution auftreten – vielleicht kann man über bestimmte Sachen ja einfach reden. Mal schauen.
(Daniel Fersch)
(Fotos: Kay Özdemir)