An dieser Stelle möchten wir Gedanken zu aktuellen Geschehnissen aus dem Deutschrap-Kosmos zum Ausdruck bringen. Die jeweils dargestellte Meinung ist die des:der Autor:in und entspricht nicht zwangsläufig der der gesamten Redaktion – dennoch möchten wir auch Einzelstimmen Raum geben.
Im Folgenden beschäftigt sich unser Redakteur Adrian mit der Frage, warum viele talentierte Künstler:innen unter dem Radar bleiben und wie sich das ändern könnte.
Deutschrap ist längst im Mainstream angekommen und vom Kuchen könnten inzwischen unzählige Künstler:innen satt werden. Während die üblichen Verdächtigen dabei immer erfolgreicher werden, bleibt der Untergrund häufig auf der Strecke. Es fühlt sich so an, als hörten die meisten Rap-Hörer:innen lieber die hundertste Single ihres angebeteten Stars, statt einem unbekannten Artist eine Chance zu geben. Hierbei rede ich etwa von einem Silv-R, Das W, Sorgenkind, Lazy Lu genauso wie von einem Donzen, Fucking Freddy oder Enoq, um nur eine Handvoll Beispiele zu nennen. Die Größenordnung beläuft sich hierbei auf ungefähr 100 bis 15 000 Spotify-Hörer:innen. Erfolgreiche Musik muss zwar weder schlecht noch Untergrund-Künstler:innen gut sein. Es ist nur schade, wenn qualitativ hochwertige Musik keine Aufmerksamkeit bekommt. Warum sind diese talentierten Artists dann nicht bekannter? Auch wenn die Mechanismen der Musikindustrie nie ganz zu durchschauen sind, könnte es mehrere Gründe dafür geben.
Zum einen haben Major-Labels mit ihren großen Budgets und Marketing-Teams einen immensen Vorteil. Schließlich geht es darum, die Musik einer größtmöglichen Öffentlichkeit zu präsentieren. Zum anderen ist der Markt so übersättigt, dass niemand mehr Lust auf einen weiteren MC Jörg aus Buxtehude hat. Da kann er:sie sich mit noch so vielen Instagram-Werbungen in tausende Feeds katapultieren. Außerdem bleibt dem:der Durchschnitts-Raphörer:in ohnehin nicht viel Zeit, sollte er:sie den Content bekannter Rapper:innen auf Instagram und YouTube verfolgen. Auch Pech spielt sicherlich eine Rolle und die Möglichkeit besteht immer, übersehen zu werden.
Liegt es daran, dass die meisten den Zeitgeist nicht treffen oder Nischenmusik machen? Eine solche Argumentation scheint zu kurz gedacht. Bushido, Casper, Kollegah und Kool Savas haben auch Musik mit speziellen Inhalten gemacht. Heute kennt sie jede:r. Keine:r kann sagen, welche Art von Musik als Nächstes im Trend sein wird.
Letztlich steht und fällt der Erfolg mit dem Interesse der Endverbraucher:innen. Sie sind diejenigen, die die Musik konsumieren. Und ich glaube, dass viele Deutschraphörer:innen keine Lust mehr haben, neue Künstler:innen zu entdecken. Dabei sollte das vielfältige Angebot keine Ausrede sein, sondern ein Anreiz. Stundenlanges Diggen in Plattenläden war einst Teil der HipHop-Kultur und funktioniert durch das Internet so einfach wie noch nie, auch wenn der magische Moment verloren geht, in dem die Platte in der Hand gehalten wird. Der Wille, neue Musik zu entdecken, muss nur da sein. Stattdessen hört der:die Durchschnittshörer:in größtenteils, was ihm:ihr die Industrie über den Algorithmus von Spotify und Co. vorschlägt. Was beim Fernsehen kritisiert wird, scheint in der Musikwelt Programm geworden zu sein: lieber berieseln lassen, statt aktiv zu werden.
Hierbei könnten Kritiker:innen mir entgegenhalten, dass das immer schon so gewesen sei. MTV und VIVA haben den Gatekeeper-Platz der großen Streamingdienste besetzt. Das stimmt zu einem gewissen Teil. Der HipHop-Fan von damals hat sich aber nicht mit diesem Programm allein zufriedengegeben. Er hat sich weiter in Magazinen oder Fanzines informiert, Jams besucht und den Austausch gelebt. Heute passiert das sicherlich auch noch, aber nicht in demselben Ausmaß. Selbst das rege Miteinander von HipHop-Nerds in einschlägigen Foren scheint heutzutage ausgestorben. Dort wurden die neuesten Geheimtipps gepusht und verbreitet, bis jede:r sie kannte. Von dieser Phase haben zum Beispiel Fabian Römer, Hollywood Hank oder JAW stark profitiert.
Zum Glück gibt es noch Ausnahmen und damit Hoffnung: talentierte Newcomer:innen, die es teilweise sogar an die Spitze der Charts schaffen und somit die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen. Sei es durch jahrzehntelangen Hustle wie bei Montez und Casper oder eine sofortige Erfolgswelle wie bei badmómzjay und CRO. Der Trend ist begrüßenswert und die Liste dieser Rapper:innen kann sich durchaus sehen lassen. Verglichen mit der Masse, die unter dem Radar bleibt, ist sie aber noch viel zu klein. Damit möchte ich nicht sagen, dass sich Untergrundkünstler:innen dem Markt unterwerfen sollen, um höher zu charten. Im Gegenteil: Ich habe den naiven Traum, dass Talent und Können sich durchsetzen – abseits von Promo-Moves und den üblichen Marketing-Stunts. Hier ist aber der:die Hörer:in gefragt.
Daher möchte ich einen Appell starten: Setzt Euch wieder mit Musik auseinander. Wenn Euch Features gefallen, sucht und hört sie und teilt sie mit Freunden. Lest Euch Musiktipps und Rezensionen durch. Lasst Euch nicht demotivieren, wenn ein Song mal nicht gefällt. Und am wichtigsten: Empfindet wieder Spaß daran, dieses Genre zu erkunden. Auch der HipHop-Journalismus kann noch einiges tun, um Talente zu fördern und zu pushen. In den letzten Jahren wurde hier glücklicherweise schon einiges getan. Wenn alle Beteiligten ein Bewusstsein dafür haben, dass es in der deutschen Rap-Landschaft noch viel zu entdecken gibt, wäre das bereits ein großer Schritt in die richtige Richtung.
Und wenn Euch das nicht überzeugt, dann vielleicht Amewus Worte: "Manchmal bekomme ich mit, dass Leute sich darüber aufregen, dass nur noch beschissener Rap rauskommt. Dann unterhält man sich und bekommt mit, dass die Leute nur das konsumieren, was ein Unternehmen ihnen vorschlägt. Da braucht man sich eigentlich nicht zu wundern."
(Adrian Macrea)
(Grafik von Daniel Fersch)