In erster Linie machen viele Rapper:innen ihre Musik "für die Sache", wie es Mädness treffend auf dem Track "Medizin" formuliert. Doch faktisch können Künstler:innen nicht nur von Luft und Liebe leben und sind dementsprechend darauf angewiesen, ihre Musik zu vermarkten. Einst etablierte sich das Sprichwort der "brotlosen Kunst" – was nicht genug Aufmerksamkeit und Interesse beim Publikum erzeugt, darf oder muss unbezahlt weichen. Dieser einfachen und ziemlich kaltblütigen Rechnung werden glücklicherweise mittlerweile einige Alternativen entgegengestellt, sowohl rechtlich als auch von Seiten des Musikbusiness selbst. Auf der einen Seite wird am Urheberrecht geschraubt, während auf der anderen Seite Musikinvestmentfirmen wie Hipgnosis oder Sample-Librarys wie Tracklib entstehen. Die verschiedenen neuen Möglichkeiten der Musikverwertung können auf den ersten Blick große finanzielle Chancen ermöglichen. Dabei sollten die Alternativen und Veränderungen jedoch genau und kritisch betrachtet werden, wenn es darum geht, Musik zu vermarkten. Denn Künstler:innen können sowohl zu Nutznießern als auch Ausgebeuteten auf dieser Spielfläche werden.
Urheberrecht und Social Media
In den letzten Jahrzehnten kommt es immer wieder zu spannenden Diskussionen rund um das Urheberrecht. Beteiligt sind daran verschiedenste Akteur:innen – Künstler:innen, Konsument:innen und Vertreter:innen aus dem politischen Bereich. Das UrhDaG – kurz für Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz – hat nach dem Inkrafttreten im August 2021 enorme Auswirkungen auf die hiesige Musik-Landschaft im Social Media-Bereich. Denn laut des Gesetzes ist die Nutzung von kurzen Songausschnitten auf den gängigen Social Media-Plattformen als reines Werbematerial für die ursprünglichen Werke zu begreifen. Dies ist eine durchaus optimistische Auslegung. Die Vielzahl der Nutzer:innen entscheidet sich wohl eher dazu, etwa eine Instagram-Story mit Musikuntermalung anzusehen, ohne sich den jeweiligen Song komplett auf Spotify anzuhören. Zusätzlich soll aber auch die jeweilige Plattform für die Vergütung der Urheber:innen aufkommen. Die Bundesjustizministerin Christine Lambrecht sieht in dem neuen Gesetz "einen fairen Interessenausgleich", der Künstler:innen, Rechteverwerter:innen und Social Media-Nutzer:innen gleichermaßen profitieren lassen soll. Nun sollen Künstler:innern direkt an den Gewinnen der Sozialen Medien beteiligt werden.
Ein Vorreiter ist hier TikTok. Das Unternehmen hat zumindest mit einigen Majorlabels wie Universal eine Vereinbarung hinsichtlich der Vergütung für Interpret:innen und Songwriter:innen. Diese rechtliche Vergütungspflicht wird durch den wirtschaftlichen Profit, welchen die Plattformen durch das vermehrte "Uploaden" durch die Social Media-Nutzer:innen erzielen, begründet. Dementsprechend sollen sich die verschiedenen Plattformen möglichst flächendeckend Lizenzen für unter anderem Musik sichern. Für die Social Media-Nutzer:innen soll es bestenfalls kaum Veränderungen geben, ein sogenanntes "Overblocking" von Uploads also vermieden werden, speziell um die Meinungs- und Kommunikationsfreiheit im Internet zu schützen.
Der Pastiche im Urheberrechtsgesetz und sein Einfluss auf die Sampling-Kultur
Doch nicht nur die Einführung des UrhDaG sorgt für Wirbel. Auch das "normale" Urheberrechtsgesetz, kurz UrhG, wurde an vielen Stellen angepasst. "Zulässig ist die Vervielfältigung, die Verbreitung und die öffentliche Wiedergabe eines veröffentlichten Werkes zum Zweck der Karikatur, der Parodie und des Pastiches", heißt es zum Beispiel in § 51a des neuen Gesetzesentwurfs des UrhG. Dementsprechend würden sich auch beliebte Meme-Ersteller:innen wie Clo1444 oder BossXplosive nicht mehr in einer rechtlichen Grauzone bewegen. Denn die Nutzung wäre selbst dann legal, wenn das genutzte Werk durch das Urheberrecht oder ein verwandtes Schutzrecht geschützt ist.
Auch für HipHop-Produzent:innen dürften die neuen Gesetzesentwürfe einige Vorteile bieten. Demnach wurde die bis Juni 2021 geltende "freie Benutzung" des UrhG durch den sogenannten "Pastiche" ersetzt. Historisch gibt es den nun neu eingeführten Begriff des Pastiches bereits seit dem 17. Jahrhundert. Seine konkrete Bedeutung erschließt sich bereits aus der französischen Übersetzung: Nachahmung. Die ehemalige Regelung der freien Benutzung führte in der Vergangenheit immer wieder zu langwierigen Rechtsstreitigkeiten, speziell hinsichtlich der HipHop-üblichen Technik des Samplings. Hauptgrund dafür war sicherlich die sehr schwammige Formulierung der freien Benutzung. Diese sah unter anderem vor, dass das Ursprungswerk in dem neuen Werk untergeht beziehungsweise seine Merkmale verblassen. Diese Formulierung sorgte dafür, dass die Rechtmäßigkeit des Samplings reine Auslegungssache war und von Fall zu Fall bewertet werden musste. Das Nutzen von musikalischen Werkausschnitten ist mit Einführung der Pastiche-Regelung grundsätzlich legal und bietet somit Platz für Sampling, Medleys und Remixe. Es ist sogar explizit festgehalten, dass mehrere Sample-Quellen verwendet werden dürfen, um etwas Neues zu kreieren. Doch auch Imitationen beziehungsweise Kopien sind damit erlaubt. Während sich die Pastiche-Regelung, im Sinne des französischen Vorbildes, zunächst nur auf die stilistische Nachbildung einzelner Genres beschränkte, soll sie nun auch für Werk- und Personalstile gelten. Künstler:innen dürfen nun theoretisch Beats, Inhalte und Flows von bereits bestehenden Songs übernehmen und adaptieren.
Eine Einschränkung ist dabei, dass der Pastiche auch als solcher erkennbar sein sollte. Inwieweit diese Kennzeichnung erfolgen muss, scheint noch nicht eindeutig geregelt zu sein. Unter anderem soll dabei ein Bezugspunkt zum Original bestehen, zum Beispiel auf inhaltlicher Ebene. Vielleicht könnte aber auch bereits ein Verweis auf das Original in den Credits des neuen Songs ausreichen. Eine weitere Einschränkung ist zudem, dass nach § 23 des UrhG ein hinreichender Abstand zum Originalwerk in Form von erkennbaren Unterschieden vorhanden sein muss. Eine komplette Kopie eines Songs ist demnach weiterhin illegal. Parallel wurde der bisher geltende "starre Melodienschutz" etwas gelockert, wodurch insbesondere Pastiches und Remixe legalisiert werden. Der starre Melodienschutz hat speziell im HipHop-Bereich für Schwierigkeiten gesorgt, weil dieser theoretisch griff, sobald nur kleinste Soundschnipsel oder Melodien anderer Werke bewusst übernommen wurden.
Auch der Werk-Begriff wandelt sich nun und folgt dabei einer modernen kulturtheoretischen Auslegung. So sollen Werke – also zum Beispiel Songs – nicht mehr als abgeschlossene, autonome künstlerische Leistungen betrachtet werden, sondern als Teil einer kontingenten soziokulturellen Entwicklung. Deutschland setzt mit dem Gesetzesentwurf nicht nur die neuen EU-Richtlinien hinsichtlich des Urheberrechts um, sondern erweitert diese sogar: Laut EU-Richtlinie soll die Pastiche-Regelung nur für Online-Inhalte gelten. Im deutschen Gesetzesentwurf besteht diese Einschränkung jedoch nicht, laut § 51a des UrhG fallen also alle Verbreitungsformen darunter.
Auch eine kommerzielle Nutzung soll laut der Pastiche-Regelung legal sein. An dieser Stelle tritt außerdem die GEMA in Erscheinung, die hier vermutlich eine kommerzielle Vermittlerrolle zwischen den verschiedenen Akteur:innen einnimmt. So wird vermutet, dass beim Veröffentlichen eines Pastiches eine Anmeldung und die Tarifvereinbarung mit der GEMA ausreichen sollten.
Die neuen Regelungen durch das UrhG erleichtern insgesamt also vor allem das Veröffentlichen von Coverversionen und Soundalikes und bieten auch im Bereich der Netzkultur einige Möglichkeiten. Die Soundalikes sind nicht nur in der Werbeindustrie sehr beliebt, sondern werden auch immer häufiger von deutschen Rapper:innen produziert – Stichwort "Deutschrap ist fresher denn je". Auch aufgrund der vorläufigen Entscheidung in einem der bekanntesten und langwierigsten Prozesse am Bundesgerichtshof hinsichtlich der Rechtslage des Samplings – zwischen Kraftwerk und Moses Pelham – wird das kommende Gesetz angepasst. Denn das vorläufig letzte Urteil in diesem Fall sorgte für viel Diskussionsstoff hinsichtlich des Samplings, hat allerdings parallel dazu keine Klarheit geliefert: So gilt Moses Pelhams rechtswidriges Sampling von Kraftwerk vor 2002 als verjährt, während das erkennbare Samplen von Songs trotzdem prinzipiell nicht erlaubt ist. Hier soll es mit den neuen Gesetzesänderungen nun aber Klarheit geben und zwar zugunsten der Sampling-Freund:innen. Ausschlaggebend hierfür ist der § 51a des UrhG – welcher bereits im Juni diesen Jahres in Kraft getreten ist. Dieser legalisiert Sampling in nahezu vollständiger Weise, da dieses nun auch unter die Pastiche-Regelung fallen dürfte. So braucht das neue Werk lediglich einen "inneren Abstand" zur Sample-Quelle. An dieser Stelle kann es zwar trotzdem weiterhin zu Rechtsstreitigkeiten kommen, diese dürften aber bei ausreichend "kreativer" Nutzung der Samples in der Regel von den Sample-Nutzer:innen gewonnen werden.
Es bleibt somit – insbesondere rechtlich – weiterhin sinnvoll, sich mit den Urheber:innen der Sample-Quellen vor der Benutzung in Verbindung zu setzen, um Rechtsstreitigkeiten gänzlich zu vermeiden. Grundsätzlich dienen die meisten neuen Gesetzesänderungen im UrhG und insbesondere im UrhDaG dazu, die Kunstschaffenden mithilfe von verschiedensten Lizenzarten möglichst gerecht zu entlohnen und parallel die Kommunikationsmöglichkeiten im Social Media-Bereich, zum Beispiel im Hinblick auf Memes, nicht zu sehr einzuschränken.
Tracklib – HipHop mit eigenen Ideen der Entlohnung
Die grundsätzliche Idee einer gerechteren Entlohnung von Kunst- und Kulturschaffenden ist definitiv richtig. Vor allem in Anbetracht des Musikstreaming-Markts, über den mittlerweile ein Großteil der Musik konsumiert wird, welcher parallel für die meisten Künstler:innen nicht mal annähernd genügend Verdienst abwirft. Die rechtlichen und politischen Veränderungen in diesem Bereich sind somit überwiegend sinnvoll, allerdings – wie so oft bei politischen Entscheidungen – enorm langatmig. Zudem erfolgen sie für viele Künstler:innen viel zu spät. Daher haben Teile der Kulturschaffenden und die Kulturwirtschaft längst selbst die Initiative ergriffen, um neue Möglichkeiten für ausreichende finanzielle Einnahmen zu schaffen.
Die Firma Tracklib wurde 2014 in Schweden gegründet, 2018 ging bereits ihre Website online. Das Ziel: weltweit Lizenzen für Musik verwalten und verkaufen, um eine legale Möglichkeit unter anderem für Sampling zu schaffen. Mittlerweile sind einige HipHop-Größen wie Prince Paul oder Erick Sermon nicht nur Nutzer:innen von Tracklib, sondern auch Mitglieder des Beirats der Firma. Zu diesem gehören auch ehemalige Mitglieder von Spotify. Das Prinzip und der Aufbau der Website sind relativ simpel: Insgesamt gibt es drei verschiedene Abonnement-Stufen zwischen etwa sechs und 36 US-Dollar pro Monat, die insbesondere von Produzent:innen genutzt werden. Der Hauptunterschied liegt hier neben dem Kostenfaktor im Bereich der Songanzahl, die pro Monat genutzt und downgeloadet werden darf. Die verfügbaren Samples beziehungsweise Songs sind dann zusätzlich in drei Kategorien eingeteilt. Aktuell liegen diese preislich zwischen mindestens 50 und maximal 1.500 US-Dollar. Mit dem zusätzlichen Kauf eines Tracks erhält man dann das Lizenzrecht, neue Songs auf Basis des genutzten Samples offiziell zu veröffentlichen. Tracklib ist in diesem Bereich längst nicht der einzige Anbieter. Die Besonderheit im Gegensatz zu anderen Plattformen wie zum Beispiel Splice ist, dass lediglich Sample-Material angeboten wird, das bereits veröffentlicht wurde. Das bedeutet, dass alle verfügbaren Samples von Tracklib bereits offiziell veröffentlicht und nicht ausschließlich als Sample-Material produziert wurden. Dementsprechend können User:innen auf der Website nicht einfach beliebige Soundelemente hochladen.
Tracklib bietet mittlerweile Musik aus etlichen Genres wie HipHop, Rock, Reggae, Soul, Jazz, Country oder Blues. Zum Teil sind die Songs sogar Tracklib-Exclusives, wenn sie zum Beispiel auf Samples der Plattform basieren. Auch internationale Stars sind mit Teilen ihres Katalogs dort zu finden, beispielsweise Ace Of Base, Billy Preston, Charlie Chaplin und Ike & Tina Turner. Dies ist kein Wunder, ist doch die Vergabe von einzelnen Lizenzrechten relativ lukrativ. Insgesamt besteht der Tracklib-Katalog mittlerweile aus über 110 000 Songs, zu denen wöchentlich mehrere hundert neue Tracks hinzukommen. HipHop-Größen wie Questlove, DJ Jazzy Jeff, Statik Selektah, Inspectah Deck, Apollo Brown und Ludacris haben alle bereits schon für die Website geworben. Und tatsächlich wird die Plattform von Teilen der internationalen Rap-Szene genutzt. So basiert der Hit "MIDDLE CHILD" von J. Cole auf einem Tracklib-Sample. Auch Künstler:innen wie DJ Khaled, Lil Wayne und Mary J. Blige bedienten sich bereits auf der Plattform.
"Hater verrenken den Hals. Und laden ein Sample von Splice", rappt Dexter und scheint eher weniger von den Sample-Librarys zu halten. Und tatsächlich sind die Librarys insbesondere aus Produzent:innen-Sicht durchaus zu kritisieren. Dexter selbst empfindet den Erwerb von Sample-Packages zum Beispiel als unkreativ und verzichtet daher selbst zumeist auf deren Nutzung. Auch wenn die Sample-Auswahl der Librarys auf den ersten Blick riesig erscheint, so ist sie doch insgesamt relativ klein im Vergleich zu den Untiefen des Internets und der Vielfalt von Plattenläden. Außerdem sind die wirklich großen Namen eben häufig nicht in den Librarys zu finden, was die Plattformen zusätzlich etwas eintönig wirken lässt.
Hipgnosis – Lizenzrechte und das scheinbar lukrative Geschäft
Das Fehlen vieler Stars in Sample-Librarys ist allerdings keine Überraschung. Viele der ganz großen Fische haben längst eine scheinbar wesentlich lukrativere Alternative gefunden, um mit ihren Lizenzrechten zu handeln, nämlich die eigenen Rechte an der Musik fast gänzlich aufzugeben.
Der Hipgnosis Songs Fund – oder kurz Hipgnosis – wurde erst 2018 in London gegründet und ist eine Investmentfirma, die sich zum Ziel setzt, Rechte an Songs zu erwerben, um diese dann möglichst lukrativ zu vermarkten. Der Mitbegründer Merck Mercuriadis ist allerdings kein klassischer Finanz-Hai, sondern in der Musikindustrie bekannt wie ein bunter Hund. So managte er vor seiner Zeit als Kopf von Hipgnosis unter anderem Beyoncé, Elton John und auch Nile Rodgers, der Hipgnosis zusammen mit ihm gründete. Ihre Idee erscheint simpel und erfolgversprechend: Es werden überwiegend Rechte von Songs erworben, die mindestens 20 Jahre alt sind und einen möglichst großen finanziellen Erfolg haben oder sogar als Klassiker gelten. Diese Songs sollen dann bestmöglich vermarktet werden, zum Beispiel in Film und Fernsehen, für Werbung oder TikTok-Kampagnen und -Challenges. Parallel dienen die Tracks auch als Kapitalanlage für Investor:innen. Der Grundgedanke dabei ist, dass bereits bewährte Werke im Vergleich zu anderen Anlagemöglichkeiten nicht an Wert verlieren. Ihre Idee scheint aufzugehen: So befinden sich in ihrem Portfolio mittlerweile etliche legendäre Künstler:innen wie Blondie, The Chainsmokers, Mark Ronson, Neil Young, Rick James und Shakira. Sogar der ein oder andere HipHop-Act hat bereits seinen gesamten Katalog oder einen Teil davon an Hipgnosis verkauft, wie zum Beispiel Nelly, Pusha T, RZA und Timbaland.
Das jüngste sogenannte "Fact Sheet" von Hipgnosis aus Juni 2021 liest sich definitiv beachtlich. Während das Konzept stets weitere Vermarktungsmöglichkeiten aufzeigt, befindet sich auch die Investmentfirma in permanentem Wachstum. Mittlerweile sind fast 65 000 Songs in ihrem Portfolio, darunter 151 Grammy-Gewinner:innen und über 3 700 Songs, die irgendwo auf der Welt einmal die Spitze der Charts erklommen haben. Dabei sollte jedoch angemerkt sein, dass Hipgnosis selbst seine Daten in diesem Bereich als "ungeprüft" deklariert. Aus dem Song-Management-Update geht zudem hervor, in welchen Bereichen Hipgnosis einzelne Songs platziert: Hier fallen insbesondere die Platzierungen in Filmen und Serien, wie zum Beispiel in "The Boss Baby 2", ins Auge. Aber auch die Menge und Größe von "klassischer" Werbung, die jüngst Songs von Hipgnosis verwendet, ist beachtlich. Zu den Kund:innen der Firma zählen unter anderem Volkswagen, Swarovski und Apple. Auch im Videospielbereich nistet sich Hipgnosis langsam ein. Der Soundtrack von GTA V erhielt in jüngster Vergangenheit einen Song von ihnen und auch im neuen FIFA 22 wird ein Hipgnosis-Song zu hören sein. Hier geht die Kooperation sogar noch einen Schritt weiter: In Zukunft wird Hipgnosis die "Original Music" von EA Games exklusiv vertreten.
Derzeit machen HipHop-Songs nur etwas über vier Prozent vom Gesamtportfolio aus. Parallel dazu ist das Streaming-Geschäft aber die aktuell größte Einnahmequelle für Hipgnosis. Ein Bereich, in dem insbesondere Rap-Tracks in den letzten Jahren enorm erfolgreich geworden sind. Es dürfte also nur eine Frage der Zeit sein, bis der Anteil an HipHop-Songs im Portfolio von Hipgnosis steigt. Es ist zu beachten, dass die "Statistiken" von der Firma selbst stammen und dementsprechend überwiegend schwierig zu überprüfen sind. Zudem sei angemerkt, dass die Rechte vieler Hits oft bei mehreren Parteien liegen. So tauchen auch Songs von Künstler:innen auf der Hipgnosis-Webseite auf, die auf den ersten Blick gar nicht zum Portfolio gehören: Bruno Mars, A$AP Rocky, Justin Bieber, Ty Dolla $ign, Rihanna, Beyoncé und Stormzy. Der Überhit "SexyBack" von Justin Timberlake gehört zum Beispiel zum Katalog von Timbaland, auch wenn dieser hier "nur" gefeaturet ist. Trotzdem besaß er an diesem Song Autorenrechte und gab diese 2019 an Hipgnosis mit seinem gesamten restlichen Katalog ab.
Finanziell scheint das Konzept von Hipgnosis perfekt aufzugehen: So konnten in den letzten Jahren sowohl für die Investmentfirma selbst als auch für ihre Investor:innen grundsätzlich Gewinne erzielt und auch gesteigert werden. Auch für Künstler:innen beziehungsweise konkret für die vorherigen Rechteinhaber:innen scheint sich das Konzept zu rentieren. Doch hier sollte definitiv genauer hingesehen werden, denn das Geschäft mit den Lizenzrechten birgt auch einige Stolperfallen. "Mein Telefon, es klingelt, die vom Tatort wär'n soweit. Ich sag': 'Nein, ich mach keine Werbung für die Polizei'", rappt Fatoni auf "Legit" zusammen mit Juse Ju und trifft damit eine entscheidende Schwachstelle bei dem Geschäft mit Hipgnosis. Liegen die Rechte für Songs erst mal bei der Investmentfirma, kann diese damit im Prinzip machen, was sie möchte. Und auch wenn sich Hipgnosis als musik- und kulturnah darstellt, so steht letztlich doch die Gewinnmaximierung an erster Stelle. Die Nutzungsrechte der Songs könnten also früher oder später bei Unternehmen und Organisationen landen, die nicht nur kritisch zu betrachten sind, sondern unter Umständen sogar als grundsätzlich menschenfeindlich gelten.
Fragwürdige Partnerschaften und Werbedeals gibt es schon ewig. Die Liste von fragwürdigen Kooperationen ist lang, aber in den meisten Fällen sind sie zumindest von den Künstler:innen oder ihren direkten Vertreter:innen selbst vereinbart worden. Diese Selbstbestimmung ist bei dem Geschäft mit Hipgnosis quasi nicht mehr gegeben. Stattdessen besteht sogar die Gefahr, die HipHop-Kultur noch extremer durch die kulturelle Aneignung der Werbekultur zu verwässern. Und diese "Gefahr" wird mittlerweile zur Realität: Anfang 2021 gründete Tobias Kargoll alias Toxik von Hiphop.de zusammen mit Phillip Böndel "THE AMBITION": eine Beratungsagentur für Marken im Hinblick auf das wirtschaftliche Potenzial der HipHop-Kultur und von HipHop-Akteur:innen. Ein durchaus kritisch zu betrachtendes Unterfangen, denn schließlich ist dies der offensichtliche Versuch, mit den kulturellen Leistungen anderer Personen finanzielle Gewinne zu erzielen und etwaige Firmen und Marken in den HipHop-Kosmos einzuschleusen. Und das, obwohl etliche Marken wie Nike, Carhartt oder jüngst Ravani auch ohne vermittelnde Agenturen einen enormen finanziellen Push erleben, sofern ihre Mode von Künstler:innen getragen oder in Tracks erwähnt wird.
Vermarktung abseits von Agenturen und klassischen Werbepartner:innen
Die vollständige Selbstvermarktung von Künstler:innen ist hier vermutlich die sicherste Lösung, da sie prinzipiell vor problematischen Kooperationen und finanzieller Ausnutzung schützt. Parallel ist mit dieser Lösung aber auch ein Mehraufwand für Künstler:innen verbunden. Und auch wenn dieser Weg zumeist finanziell weniger lukrativ ist, so ist das Prinzip des Adbustings für Independent-Labels und -Künstler:innen selten einfacher umsetzbar gewesen. Die Möglichkeiten der digitalen Selbstvermarktung sind nahezu unendlich – irgendwo zwischen "simplem" Merch-Verkauf und einem Patreon-Account. Die eigenen "Marken" der Künstler:innen lassen sich perfekt verbreiten und das einstige Dilemma des reinen Ausverkaufs erübrigt sich, da nahezu alle Künstler:innen Teil des kapitalistischen Verwertungsspiels sind. Einen gänzlich anderen Ansatz der Musikverwertung liefert Viva con Agua. Das Unternehmen gründete 2020 ein eigenes Label, Viva con Agua Music, von welchem Musikeinnahmen direkt für die Unterstützung der internationalen Wasserprojekte von Viva con Agua verwendet werden. Hier veröffentlichte zum Beispiel jüngst der Rapper Keno von Moop Mama ein gemeinsames Album zusammen mit der Sängerin Ditty und dem Musiker David Raddish – "RAIN IS COMING" von FARAWAY FRIENDS.
Verwertung von Musik – Besserung in Sicht?
Insgesamt gibt es in naher Zukunft eine Vielzahl an teilweise neuen finanziellen und künstlerischen Verwertungsmöglichkeiten für Künstler:innen, nicht zuletzt durch die mittlerweile in Kraft tretenden rechtlichen Veränderungen, welche in den Bereichen Social Media und Nutzung von Sampling einiges verändern. Wie effektiv diese Veränderungen wirklich werden, bleibt abzusehen. Denn eine Vielzahl an Künstler:innen kann – insbesondere in Zeiten einer globalen Pandemie – nicht von der Kunst an sich leben. Dementsprechend reizvoll erscheinen Plattformen und Unternehmen wie Tracklib oder Hipgnosis. Dabei könnte speziell das Geschäftsmodell von Tracklib in naher Zukunft scheitern, sollten die Veränderungen im UrhG tatsächlich für eine vollständige Legalisierung des Samplings, zumindest in Deutschland, sorgen. Parallel muss sich bei dem finanziell lukrativen Geschäft mit Partnern wie Hipgnosis auch stets die Frage gestellt werden, inwieweit gewisse Optionen wirklich ethisch und moralisch vertretbar sind. Diese Frage dürfte das Zünglein an der Waage sein, wenn es darum geht, ob einzelne Künstler:innen auch Künstler:innen bleiben oder sich zunehmend in der Vermarktungsindustrie festsetzen, wie es zum Beispiel Protagonisten wie Nile Rodgers, RZA oder Timbaland seit etlichen Jahren tun.
(Alec Weber)
(Titelbild von Daniel Fersch)