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Reportage

Verwertung von Musik – zwischen Urheberrecht und Lizensierung

Die Ver­wer­tungs­mög­lich­kei­ten von Musik neh­men in den letz­ten Jah­ren ste­tig zu. Die­se Ent­wick­lung kann sich für Künstler:innen zwar ren­tie­ren, aber auch Risi­ken ber­gen. Über lukra­ti­ve Geschäf­te mit Lizenz­rech­ten und urhe­ber­recht­li­che Veränderungen.

In ers­ter Linie machen vie­le Rapper:innen ihre Musik "für die Sache", wie es Mäd­ness tref­fend auf dem Track "Medi­zin" for­mu­liert. Doch fak­tisch kön­nen Künstler:innen nicht nur von Luft und Lie­be leben und sind dem­entspre­chend dar­auf ange­wie­sen, ihre Musik zu ver­mark­ten. Einst eta­blier­te sich das Sprich­wort der "brot­lo­sen Kunst" – was nicht genug Auf­merk­sam­keit und Inter­es­se beim Publi­kum erzeugt, darf oder muss unbe­zahlt wei­chen. Die­ser ein­fa­chen und ziem­lich kalt­blü­ti­gen Rech­nung wer­den glück­li­cher­wei­se mitt­ler­wei­le eini­ge Alter­na­ti­ven ent­ge­gen­ge­stellt, sowohl recht­lich als auch von Sei­ten des Musik­busi­ness selbst. Auf der einen Sei­te wird am Urhe­ber­recht geschraubt, wäh­rend auf der ande­ren Sei­te Musik­in­vest­ment­fir­men wie Hip­gno­sis oder Sample-​Librarys wie Track­lib ent­ste­hen. Die ver­schie­de­nen neu­en Mög­lich­kei­ten der Musik­ver­wer­tung kön­nen auf den ers­ten Blick gro­ße finan­zi­el­le Chan­cen ermög­li­chen. Dabei soll­ten die Alter­na­ti­ven und Ver­än­de­run­gen jedoch genau und kri­tisch betrach­tet wer­den, wenn es dar­um geht, Musik zu ver­mark­ten. Denn Künstler:innen kön­nen sowohl zu Nutz­nie­ßern als auch Aus­ge­beu­te­ten auf die­ser Spiel­flä­che werden.

 

Urhe­ber­recht und Social Media

In den letz­ten Jahr­zehn­ten kommt es immer wie­der zu span­nen­den Dis­kus­sio­nen rund um das Urhe­ber­recht. Betei­ligt sind dar­an ver­schie­dens­te Akteur:innen – Künstler:innen, Konsument:innen und Vertreter:innen aus dem poli­ti­schen Bereich. Das UrhDaG – kurz für Urheberrechts-​Diensteanbieter-​Gesetz – hat nach dem Inkraft­tre­ten im August 2021 enor­me Aus­wir­kun­gen auf die hie­si­ge Musik-​Landschaft im Social Media-​Bereich. Denn laut des Geset­zes ist die Nut­zung von kur­zen Song­aus­schnit­ten auf den gän­gi­gen Social Media-​Plattformen als rei­nes Wer­be­ma­te­ri­al für die ursprüng­li­chen Wer­ke zu begrei­fen. Dies ist eine durch­aus opti­mis­ti­sche Aus­le­gung. Die Viel­zahl der Nutzer:innen ent­schei­det sich wohl eher dazu, etwa eine Instagram-​Story mit Musik­un­ter­ma­lung anzu­se­hen, ohne sich den jewei­li­gen Song kom­plett auf Spo­ti­fy anzu­hö­ren. Zusätz­lich soll aber auch die jewei­li­ge Platt­form für die Ver­gü­tung der Urheber:innen auf­kom­men. Die Bun­des­jus­tiz­mi­nis­te­rin Chris­ti­ne Lam­brecht sieht in dem neu­en Gesetz "einen fai­ren Inter­es­sen­aus­gleich", der Künstler:innen, Rechteverwerter:innen und Social Media-Nutzer:innen glei­cher­ma­ßen pro­fi­tie­ren las­sen soll. Nun sol­len Künstler:innern direkt an den Gewin­nen der Sozia­len Medi­en betei­ligt werden.

Ein Vor­rei­ter ist hier Tik­Tok. Das Unter­neh­men hat zumin­dest mit eini­gen Major­la­bels wie Uni­ver­sal eine Ver­ein­ba­rung hin­sicht­lich der Ver­gü­tung für Interpret:innen und Songwriter:innen. Die­se recht­li­che Ver­gü­tungs­pflicht wird durch den wirt­schaft­li­chen Pro­fit, wel­chen die Platt­for­men durch das ver­mehr­te "Uploa­den" durch die Social Media-Nutzer:innen erzie­len, begrün­det. Dem­entspre­chend sol­len sich die ver­schie­de­nen Platt­for­men mög­lichst flä­chen­de­ckend Lizen­zen für unter ande­rem Musik sichern. Für die Social Media-Nutzer:innen soll es bes­ten­falls kaum Ver­än­de­run­gen geben, ein soge­nann­tes "Over­blo­cking" von Uploads also ver­mie­den wer­den, spe­zi­ell um die Meinungs- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­frei­heit im Inter­net zu schützen.

 

Der Pas­ti­che im Urhe­ber­rechts­ge­setz und sein Ein­fluss auf die Sampling-Kultur

Doch nicht nur die Ein­füh­rung des UrhDaG sorgt für Wir­bel. Auch das "nor­ma­le" Urhe­ber­rechts­ge­setz, kurz UrhG, wur­de an vie­len Stel­len ange­passt. "Zuläs­sig ist die Ver­viel­fäl­ti­gung, die Ver­brei­tung und die öffent­li­che Wie­der­ga­be eines ver­öf­fent­lich­ten Wer­kes zum Zweck der Kari­ka­tur, der Par­odie und des Pas­ti­ches", heißt es zum Bei­spiel in § 51a des neu­en Geset­zes­ent­wurfs des UrhG. Dem­entspre­chend wür­den sich auch belieb­te Meme-Ersteller:innen wie Clo1444 oder Bos­sX­plo­si­ve nicht mehr in einer recht­li­chen Grau­zo­ne bewe­gen. Denn die Nut­zung wäre selbst dann legal, wenn das genutz­te Werk durch das Urhe­ber­recht oder ein ver­wand­tes Schutz­recht geschützt ist.

Auch für HipHop-Produzent:innen dürf­ten die neu­en Geset­zes­ent­wür­fe eini­ge Vor­tei­le bie­ten. Dem­nach wur­de die bis Juni 2021 gel­ten­de "freie Benut­zung" des UrhG durch den soge­nann­ten "Pas­ti­che" ersetzt. His­to­risch gibt es den nun neu ein­ge­führ­ten Begriff des Pas­ti­ches bereits seit dem 17. Jahr­hun­dert. Sei­ne kon­kre­te Bedeu­tung erschließt sich bereits aus der fran­zö­si­schen Über­set­zung: Nach­ah­mung. Die ehe­ma­li­ge Rege­lung der frei­en Benut­zung führ­te in der Ver­gan­gen­heit immer wie­der zu lang­wie­ri­gen Rechts­strei­tig­kei­ten, spe­zi­ell hin­sicht­lich der HipHop-​üblichen Tech­nik des Sam­plings. Haupt­grund dafür war sicher­lich die sehr schwam­mi­ge For­mu­lie­rung der frei­en Benut­zung. Die­se sah unter ande­rem vor, dass das Ursprungs­werk in dem neu­en Werk unter­geht bezie­hungs­wei­se sei­ne Merk­ma­le ver­blas­sen. Die­se For­mu­lie­rung sorg­te dafür, dass die Recht­mä­ßig­keit des Sam­plings rei­ne Aus­le­gungs­sa­che war und von Fall zu Fall bewer­tet wer­den muss­te. Das Nut­zen von musi­ka­li­schen Werk­aus­schnit­ten ist mit Ein­füh­rung der Pastiche-​Regelung grund­sätz­lich legal und bie­tet somit Platz für Sam­pling, Med­leys und Remi­xe. Es ist sogar expli­zit fest­ge­hal­ten, dass meh­re­re Sample-​Quellen ver­wen­det wer­den dür­fen, um etwas Neu­es zu kre­ieren. Doch auch Imi­ta­tio­nen bezie­hungs­wei­se Kopien sind damit erlaubt. Wäh­rend sich die Pastiche-​Regelung, im Sin­ne des fran­zö­si­schen Vor­bil­des, zunächst nur auf die sti­lis­ti­sche Nach­bil­dung ein­zel­ner Gen­res beschränk­te, soll sie nun auch für Werk- und Per­so­nal­sti­le gel­ten. Künstler:innen dür­fen nun theo­re­tisch Beats, Inhal­te und Flows von bereits bestehen­den Songs über­neh­men und adaptieren.

Eine Ein­schrän­kung ist dabei, dass der Pas­ti­che auch als sol­cher erkenn­bar sein soll­te. Inwie­weit die­se Kenn­zeich­nung erfol­gen muss, scheint noch nicht ein­deu­tig gere­gelt zu sein. Unter ande­rem soll dabei ein Bezugs­punkt zum Ori­gi­nal bestehen, zum Bei­spiel auf inhalt­li­cher Ebe­ne. Viel­leicht könn­te aber auch bereits ein Ver­weis auf das Ori­gi­nal in den Cre­dits des neu­en Songs aus­rei­chen. Eine wei­te­re Ein­schrän­kung ist zudem, dass nach § 23 des UrhG ein hin­rei­chen­der Abstand zum Ori­gi­nal­werk in Form von erkenn­ba­ren Unter­schie­den vor­han­den sein muss. Eine kom­plet­te Kopie eines Songs ist dem­nach wei­ter­hin ille­gal. Par­al­lel wur­de der bis­her gel­ten­de "star­re Melo­dien­schutz" etwas gelo­ckert, wodurch ins­be­son­de­re Pas­ti­ches und Remi­xe lega­li­siert wer­den. Der star­re Melo­dien­schutz hat spe­zi­ell im HipHop-​Bereich für Schwie­rig­kei­ten gesorgt, weil die­ser theo­re­tisch griff, sobald nur kleins­te Sound­schnip­sel oder Melo­dien ande­rer Wer­ke bewusst über­nom­men wurden.

Auch der Werk-​Begriff wan­delt sich nun und folgt dabei einer moder­nen kul­tur­theo­re­ti­schen Aus­le­gung. So sol­len Wer­ke – also zum Bei­spiel Songs – nicht mehr als abge­schlos­se­ne, auto­no­me künst­le­ri­sche Leis­tun­gen betrach­tet wer­den, son­dern als Teil einer kon­tin­gen­ten sozio­kul­tu­rel­len Ent­wick­lung. Deutsch­land setzt mit dem Geset­zes­ent­wurf nicht nur die neu­en EU-​Richtlinien hin­sicht­lich des Urhe­ber­rechts um, son­dern erwei­tert die­se sogar: Laut EU-​Richtlinie soll die Pastiche-​Regelung nur für Online-​Inhalte gel­ten. Im deut­schen Geset­zes­ent­wurf besteht die­se Ein­schrän­kung jedoch nicht, laut § 51a des UrhG fal­len also alle Ver­brei­tungs­for­men darunter.

Auch eine kom­mer­zi­el­le Nut­zung soll laut der Pastiche-​Regelung legal sein. An die­ser Stel­le tritt außer­dem die GEMA in Erschei­nung, die hier ver­mut­lich eine kom­mer­zi­el­le Ver­mitt­ler­rol­le zwi­schen den ver­schie­de­nen Akteur:innen ein­nimmt. So wird ver­mu­tet, dass beim Ver­öf­fent­li­chen eines Pas­ti­ches eine Anmel­dung und die Tarif­ver­ein­ba­rung mit der GEMA aus­rei­chen sollten.

Die neu­en Rege­lun­gen durch das UrhG erleich­tern ins­ge­samt also vor allem das Ver­öf­fent­li­chen von Cover­ver­sio­nen und Sound­a­li­kes und bie­ten auch im Bereich der Netz­kul­tur eini­ge Mög­lich­kei­ten. Die Sound­a­li­kes sind nicht nur in der Wer­be­indus­trie sehr beliebt, son­dern wer­den auch immer häu­fi­ger von deut­schen Rapper:innen pro­du­ziert – Stich­wort "Deutschrap ist fres­her denn je". Auch auf­grund der vor­läu­fi­gen Ent­schei­dung in einem der bekann­tes­ten und lang­wie­rigs­ten Pro­zes­se am Bun­des­ge­richts­hof hin­sicht­lich der Rechts­la­ge des Sam­plings – zwi­schen Kraft­werk und Moses Pel­ham – wird das kom­men­de Gesetz ange­passt. Denn das vor­läu­fig letz­te Urteil in die­sem Fall sorg­te für viel Dis­kus­si­ons­stoff hin­sicht­lich des Sam­plings, hat aller­dings par­al­lel dazu kei­ne Klar­heit gelie­fert: So gilt Moses Pel­hams rechts­wid­ri­ges Sam­pling von Kraft­werk vor 2002 als ver­jährt, wäh­rend das erkenn­ba­re Samplen von Songs trotz­dem prin­zi­pi­ell nicht erlaubt ist. Hier soll es mit den neu­en Geset­zes­än­de­run­gen nun aber Klar­heit geben und zwar zuguns­ten der Sampling-Freund:innen. Aus­schlag­ge­bend hier­für ist der § 51a des UrhG – wel­cher bereits im Juni die­sen Jah­res in Kraft getre­ten ist. Die­ser lega­li­siert Sam­pling in nahe­zu voll­stän­di­ger Wei­se, da die­ses nun auch unter die Pastiche-​Regelung fal­len dürf­te. So braucht das neue Werk ledig­lich einen "inne­ren Abstand" zur Sample-​Quelle. An die­ser Stel­le kann es zwar trotz­dem wei­ter­hin zu Rechts­strei­tig­kei­ten kom­men, die­se dürf­ten aber bei aus­rei­chend "krea­ti­ver" Nut­zung der Samples in der Regel von den Sample-Nutzer:innen gewon­nen werden.

Es bleibt somit – ins­be­son­de­re recht­lich – wei­ter­hin sinn­voll, sich mit den Urheber:innen der Sample-​Quellen vor der Benut­zung in Ver­bin­dung zu set­zen, um Rechts­strei­tig­kei­ten gänz­lich zu ver­mei­den. Grund­sätz­lich die­nen die meis­ten neu­en Geset­zes­än­de­run­gen im UrhG und ins­be­son­de­re im UrhDaG dazu, die Kunst­schaf­fen­den mit­hil­fe von ver­schie­dens­ten Lizenz­ar­ten mög­lichst gerecht zu ent­loh­nen und par­al­lel die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mög­lich­kei­ten im Social Media-​Bereich, zum Bei­spiel im Hin­blick auf Memes, nicht zu sehr einzuschränken.

 

Track­lib – Hip­Hop mit eige­nen Ideen der Entlohnung

Die grund­sätz­li­che Idee einer gerech­te­ren Ent­loh­nung von Kunst- und Kul­tur­schaf­fen­den ist defi­ni­tiv rich­tig. Vor allem in Anbe­tracht des Musikstreaming-​Markts, über den mitt­ler­wei­le ein Groß­teil der Musik kon­su­miert wird, wel­cher par­al­lel für die meis­ten Künstler:innen nicht mal annä­hernd genü­gend Ver­dienst abwirft. Die recht­li­chen und poli­ti­schen Ver­än­de­run­gen in die­sem Bereich sind somit über­wie­gend sinn­voll, aller­dings – wie so oft bei poli­ti­schen Ent­schei­dun­gen – enorm lang­at­mig. Zudem erfol­gen sie für vie­le Künstler:innen viel zu spät. Daher haben Tei­le der Kul­tur­schaf­fen­den und die Kul­tur­wirt­schaft längst selbst die Initia­ti­ve ergrif­fen, um neue Mög­lich­kei­ten für aus­rei­chen­de finan­zi­el­le Ein­nah­men zu schaffen.

Die Fir­ma Track­lib wur­de 2014 in Schwe­den gegrün­det, 2018 ging bereits ihre Web­site online. Das Ziel: welt­weit Lizen­zen für Musik ver­wal­ten und ver­kau­fen, um eine lega­le Mög­lich­keit unter ande­rem für Sam­pling zu schaf­fen. Mitt­ler­wei­le sind eini­ge HipHop-​Größen wie Prin­ce Paul oder Erick Ser­mon nicht nur Nutzer:innen von Track­lib, son­dern auch Mit­glie­der des Bei­rats der Fir­ma. Zu die­sem gehö­ren auch ehe­ma­li­ge Mit­glie­der von Spo­ti­fy. Das Prin­zip und der Auf­bau der Web­site sind rela­tiv sim­pel: Ins­ge­samt gibt es drei ver­schie­de­ne Abonnement-​Stufen zwi­schen etwa sechs und 36 US-​Dollar pro Monat, die ins­be­son­de­re von Produzent:innen genutzt wer­den. Der Haupt­un­ter­schied liegt hier neben dem Kos­ten­fak­tor im Bereich der Song­an­zahl, die pro Monat genutzt und down­gel­oa­det wer­den darf. Die ver­füg­ba­ren Samples bezie­hungs­wei­se Songs sind dann zusätz­lich in drei Kate­go­rien ein­ge­teilt. Aktu­ell lie­gen die­se preis­lich zwi­schen min­des­tens 50 und maxi­mal 1.500 US-​Dollar. Mit dem zusätz­li­chen Kauf eines Tracks erhält man dann das Lizenz­recht, neue Songs auf Basis des genutz­ten Samples offi­zi­ell zu ver­öf­fent­li­chen. Track­lib ist in die­sem Bereich längst nicht der ein­zi­ge Anbie­ter. Die Beson­der­heit im Gegen­satz zu ande­ren Platt­for­men wie zum Bei­spiel Spli­ce ist, dass ledig­lich Sample-​Material ange­bo­ten wird, das bereits ver­öf­fent­licht wur­de. Das bedeu­tet, dass alle ver­füg­ba­ren Samples von Track­lib bereits offi­zi­ell ver­öf­fent­licht und nicht aus­schließ­lich als Sample-​Material pro­du­ziert wur­den. Dem­entspre­chend kön­nen User:innen auf der Web­site nicht ein­fach belie­bi­ge Sound­ele­men­te hochladen.

Track­lib bie­tet mitt­ler­wei­le Musik aus etli­chen Gen­res wie Hip­Hop, Rock, Reg­gae, Soul, Jazz, Coun­try oder Blues. Zum Teil sind die Songs sogar Tracklib-​Exclusives, wenn sie zum Bei­spiel auf Samples der Platt­form basie­ren. Auch inter­na­tio­na­le Stars sind mit Tei­len ihres Kata­logs dort zu fin­den, bei­spiels­wei­se Ace Of Base, Bil­ly Pres­ton, Char­lie Chap­lin und Ike & Tina Tur­ner. Dies ist kein Wun­der, ist doch die Ver­ga­be von ein­zel­nen Lizenz­rech­ten rela­tiv lukra­tiv. Ins­ge­samt besteht der Tracklib-​Katalog mitt­ler­wei­le aus über 110 000 Songs, zu denen wöchent­lich meh­re­re hun­dert neue Tracks hin­zu­kom­men. HipHop-​Größen wie Questl­ove, DJ Jaz­zy Jeff, Sta­tik Selek­tah, Inspec­tah Deck, Apol­lo Brown und Ludacris haben alle bereits schon für die Web­site gewor­ben. Und tat­säch­lich wird die Platt­form von Tei­len der inter­na­tio­na­len Rap-​Szene genutzt. So basiert der Hit "MIDDLE CHILD" von J. Cole auf einem Tracklib-​Sample. Auch Künstler:innen wie DJ Kha­led, Lil Way­ne und Mary J. Bli­ge bedien­ten sich bereits auf der Plattform.

"Hater ver­ren­ken den Hals. Und laden ein Sam­ple von Spli­ce", rappt Dex­ter und scheint eher weni­ger von den Sample-​Librarys zu hal­ten. Und tat­säch­lich sind die Libra­rys ins­be­son­de­re aus Produzent:innen-Sicht durch­aus zu kri­ti­sie­ren. Dex­ter selbst emp­fin­det den Erwerb von Sample-​Packages zum Bei­spiel als unkrea­tiv und ver­zich­tet daher selbst zumeist auf deren Nut­zung. Auch wenn die Sample-​Auswahl der Libra­rys auf den ers­ten Blick rie­sig erscheint, so ist sie doch ins­ge­samt rela­tiv klein im Ver­gleich zu den Untie­fen des Inter­nets und der Viel­falt von Plat­ten­lä­den. Außer­dem sind die wirk­lich gro­ßen Namen eben häu­fig nicht in den Libra­rys zu fin­den, was die Platt­for­men zusätz­lich etwas ein­tö­nig wir­ken lässt.

 

Hip­gno­sis – Lizenz­rech­te und das schein­bar lukra­ti­ve Geschäft

Das Feh­len vie­ler Stars in Sample-​Librarys ist aller­dings kei­ne Über­ra­schung. Vie­le der ganz gro­ßen Fische haben längst eine schein­bar wesent­lich lukra­ti­ve­re Alter­na­ti­ve gefun­den, um mit ihren Lizenz­rech­ten zu han­deln, näm­lich die eige­nen Rech­te an der Musik fast gänz­lich aufzugeben.

Der Hip­gno­sis Songs Fund – oder kurz Hip­gno­sis – wur­de erst 2018 in Lon­don gegrün­det und ist eine Invest­ment­fir­ma, die sich zum Ziel setzt, Rech­te an Songs zu erwer­ben, um die­se dann mög­lichst lukra­tiv zu ver­mark­ten. Der Mit­be­grün­der Merck Mer­cu­ria­dis ist aller­dings kein klas­si­scher Finanz-​Hai, son­dern in der Musik­in­dus­trie bekannt wie ein bun­ter Hund. So manag­te er vor sei­ner Zeit als Kopf von Hip­gno­sis unter ande­rem Bey­on­cé, Elton John und auch Nile Rod­gers, der Hip­gno­sis zusam­men mit ihm grün­de­te. Ihre Idee erscheint sim­pel und erfolg­ver­spre­chend: Es wer­den über­wie­gend Rech­te von Songs erwor­ben, die min­des­tens 20 Jah­re alt sind und einen mög­lichst gro­ßen finan­zi­el­len Erfolg haben oder sogar als Klas­si­ker gel­ten. Die­se Songs sol­len dann best­mög­lich ver­mark­tet wer­den, zum Bei­spiel in Film und Fern­se­hen, für Wer­bung oder TikTok-​Kampagnen und -Chal­lenges. Par­al­lel die­nen die Tracks auch als Kapi­tal­an­la­ge für Investor:innen. Der Grund­ge­dan­ke dabei ist, dass bereits bewähr­te Wer­ke im Ver­gleich zu ande­ren Anla­ge­mög­lich­kei­ten nicht an Wert ver­lie­ren. Ihre Idee scheint auf­zu­ge­hen: So befin­den sich in ihrem Port­fo­lio mitt­ler­wei­le etli­che legen­dä­re Künstler:innen wie Blon­die, The Chains­mo­kers, Mark Ron­son, Neil Young, Rick James und Shaki­ra. Sogar der ein oder ande­re HipHop-​Act hat bereits sei­nen gesam­ten Kata­log oder einen Teil davon an Hip­gno­sis ver­kauft, wie zum Bei­spiel Nel­ly, Pusha T, RZA und Timbaland.

Das jüngs­te soge­nann­te "Fact Sheet" von Hip­gno­sis aus Juni 2021 liest sich defi­ni­tiv beacht­lich. Wäh­rend das Kon­zept stets wei­te­re Ver­mark­tungs­mög­lich­kei­ten auf­zeigt, befin­det sich auch die Invest­ment­fir­ma in per­ma­nen­tem Wachs­tum. Mitt­ler­wei­le sind fast 65 000 Songs in ihrem Port­fo­lio, dar­un­ter 151 Grammy-Gewinner:innen und über 3 700 Songs, die irgend­wo auf der Welt ein­mal die Spit­ze der Charts erklom­men haben. Dabei soll­te jedoch ange­merkt sein, dass Hip­gno­sis selbst sei­ne Daten in die­sem Bereich als "unge­prüft" dekla­riert. Aus dem Song-​Management-​Update geht zudem her­vor, in wel­chen Berei­chen Hip­gno­sis ein­zel­ne Songs plat­ziert: Hier fal­len ins­be­son­de­re die Plat­zie­run­gen in Fil­men und Seri­en, wie zum Bei­spiel in "The Boss Baby 2", ins Auge. Aber auch die Men­ge und Grö­ße von "klas­si­scher" Wer­bung, die jüngst Songs von Hip­gno­sis ver­wen­det, ist beacht­lich. Zu den Kund:innen der Fir­ma zäh­len unter ande­rem Volks­wa­gen, Swa­rov­ski und Apple. Auch im Video­spiel­be­reich nis­tet sich Hip­gno­sis lang­sam ein. Der Sound­track von GTA V erhielt in jüngs­ter Ver­gan­gen­heit einen Song von ihnen und auch im neu­en FIFA 22 wird ein Hipgnosis-​Song zu hören sein. Hier geht die Koope­ra­ti­on sogar noch einen Schritt wei­ter: In Zukunft wird Hip­gno­sis die "Ori­gi­nal Music" von EA Games exklu­siv vertreten.

Der­zeit machen HipHop-​Songs nur etwas über vier Pro­zent vom Gesamt­port­fo­lio aus. Par­al­lel dazu ist das Streaming-​Geschäft aber die aktu­ell größ­te Ein­nah­me­quel­le für Hip­gno­sis. Ein Bereich, in dem ins­be­son­de­re Rap-​Tracks in den letz­ten Jah­ren enorm erfolg­reich gewor­den sind. Es dürf­te also nur eine Fra­ge der Zeit sein, bis der Anteil an HipHop-​Songs im Port­fo­lio von Hip­gno­sis steigt. Es ist zu beach­ten, dass die "Sta­tis­ti­ken" von der Fir­ma selbst stam­men und dem­entspre­chend über­wie­gend schwie­rig zu über­prü­fen sind. Zudem sei ange­merkt, dass die Rech­te vie­ler Hits oft bei meh­re­ren Par­tei­en lie­gen. So tau­chen auch Songs von Künstler:innen auf der Hipgnosis-​Webseite auf, die auf den ers­ten Blick gar nicht zum Port­fo­lio gehö­ren: Bru­no Mars, A$AP Rocky, Jus­tin Bie­ber, Ty Dol­la $ign, Rihan­na, Bey­on­cé und Storm­zy. Der Über­hit "Sexy­Back" von Jus­tin Tim­ber­la­ke gehört zum Bei­spiel zum Kata­log von Tim­ba­land, auch wenn die­ser hier "nur" gefea­tur­et ist. Trotz­dem besaß er an die­sem Song Autoren­rech­te und gab die­se 2019 an Hip­gno­sis mit sei­nem gesam­ten rest­li­chen Kata­log ab.

Jus­tin Tim­ber­la­ke - Sexy­Back (Offi­ci­al Video) ft. Timbaland

Finan­zi­ell scheint das Kon­zept von Hip­gno­sis per­fekt auf­zu­ge­hen: So konn­ten in den letz­ten Jah­ren sowohl für die Invest­ment­fir­ma selbst als auch für ihre Investor:innen grund­sätz­lich Gewin­ne erzielt und auch gestei­gert wer­den. Auch für Künstler:innen bezie­hungs­wei­se kon­kret für die vor­he­ri­gen Rechteinhaber:innen scheint sich das Kon­zept zu ren­tie­ren. Doch hier soll­te defi­ni­tiv genau­er hin­ge­se­hen wer­den, denn das Geschäft mit den Lizenz­rech­ten birgt auch eini­ge Stol­per­fal­len. "Mein Tele­fon, es klin­gelt, die vom Tat­ort wär'n soweit. Ich sag': 'Nein, ich mach kei­ne Wer­bung für die Poli­zei'", rappt Fato­ni auf "Legit" zusam­men mit Juse Ju und trifft damit eine ent­schei­den­de Schwach­stel­le bei dem Geschäft mit Hip­gno­sis. Lie­gen die Rech­te für Songs erst mal bei der Invest­ment­fir­ma, kann die­se damit im Prin­zip machen, was sie möch­te. Und auch wenn sich Hip­gno­sis als musik- und kul­tur­nah dar­stellt, so steht letzt­lich doch die Gewinn­ma­xi­mie­rung an ers­ter Stel­le. Die Nut­zungs­rech­te der Songs könn­ten also frü­her oder spä­ter bei Unter­neh­men und Orga­ni­sa­tio­nen lan­den, die nicht nur kri­tisch zu betrach­ten sind, son­dern unter Umstän­den sogar als grund­sätz­lich men­schen­feind­lich gelten.

Frag­wür­di­ge Part­ner­schaf­ten und Wer­be­deals gibt es schon ewig. Die Lis­te von frag­wür­di­gen Koope­ra­tio­nen ist lang, aber in den meis­ten Fäl­len sind sie zumin­dest von den Künstler:innen oder ihren direk­ten Vertreter:innen selbst ver­ein­bart wor­den. Die­se Selbst­be­stim­mung ist bei dem Geschäft mit Hip­gno­sis qua­si nicht mehr gege­ben. Statt­des­sen besteht sogar die Gefahr, die HipHop-​Kultur noch extre­mer durch die kul­tu­rel­le Aneig­nung der Wer­be­kul­tur zu ver­wäs­sern. Und die­se "Gefahr" wird mitt­ler­wei­le zur Rea­li­tät: Anfang 2021 grün­de­te Tobi­as Kar­goll ali­as Toxik von Hip​hop​.de zusam­men mit Phil­lip Bön­del "THE AMBITION": eine Bera­tungs­agen­tur für Mar­ken im Hin­blick auf das wirt­schaft­li­che Poten­zi­al der HipHop-​Kultur und von HipHop-Akteur:innen. Ein durch­aus kri­tisch zu betrach­ten­des Unter­fan­gen, denn schließ­lich ist dies der offen­sicht­li­che Ver­such, mit den kul­tu­rel­len Leis­tun­gen ande­rer Per­so­nen finan­zi­el­le Gewin­ne zu erzie­len und etwa­ige Fir­men und Mar­ken in den HipHop-​Kosmos ein­zu­schleu­sen. Und das, obwohl etli­che Mar­ken wie Nike, Car­hartt oder jüngst Rava­ni auch ohne ver­mit­teln­de Agen­tu­ren einen enor­men finan­zi­el­len Push erle­ben, sofern ihre Mode von Künstler:innen getra­gen oder in Tracks erwähnt wird.

 

Ver­mark­tung abseits von Agen­tu­ren und klas­si­schen Werbepartner:innen

Die voll­stän­di­ge Selbst­ver­mark­tung von Künstler:innen ist hier ver­mut­lich die sichers­te Lösung, da sie prin­zi­pi­ell vor pro­ble­ma­ti­schen Koope­ra­tio­nen und finan­zi­el­ler Aus­nut­zung schützt. Par­al­lel ist mit die­ser Lösung aber auch ein Mehr­auf­wand für Künstler:innen ver­bun­den. Und auch wenn die­ser Weg zumeist finan­zi­ell weni­ger lukra­tiv ist, so ist das Prin­zip des Adbus­tings für Independent-​Labels und -Künstler:innen sel­ten ein­fa­cher umsetz­bar gewe­sen. Die Mög­lich­kei­ten der digi­ta­len Selbst­ver­mark­tung sind nahe­zu unend­lich – irgend­wo zwi­schen "simp­lem" Merch-​Verkauf und einem Patreon-​Account. Die eige­nen "Mar­ken" der Künstler:innen las­sen sich per­fekt ver­brei­ten und das eins­ti­ge Dilem­ma des rei­nen Aus­ver­kaufs erüb­rigt sich, da nahe­zu alle Künstler:innen Teil des kapi­ta­lis­ti­schen Ver­wer­tungs­spiels sind. Einen gänz­lich ande­ren Ansatz der Musik­ver­wer­tung lie­fert Viva con Agua. Das Unter­neh­men grün­de­te 2020 ein eige­nes Label, Viva con Agua Music, von wel­chem Musik­ein­nah­men direkt für die Unter­stüt­zung der inter­na­tio­na­len Was­ser­pro­jek­te von Viva con Agua ver­wen­det wer­den. Hier ver­öf­fent­lich­te zum Bei­spiel jüngst der Rap­per Keno von Moop Mama ein gemein­sa­mes Album zusam­men mit der Sän­ge­rin Dit­ty und dem Musi­ker David Rad­dish – "RAIN IS COMING" von FARAWAY FRIENDS.

 

Ver­wer­tung von Musik – Bes­se­rung in Sicht?

Ins­ge­samt gibt es in naher Zukunft eine Viel­zahl an teil­wei­se neu­en finan­zi­el­len und künst­le­ri­schen Ver­wer­tungs­mög­lich­kei­ten für Künstler:innen, nicht zuletzt durch die mitt­ler­wei­le in Kraft tre­ten­den recht­li­chen Ver­än­de­run­gen, wel­che in den Berei­chen Social Media und Nut­zung von Sam­pling eini­ges ver­än­dern. Wie effek­tiv die­se Ver­än­de­run­gen wirk­lich wer­den, bleibt abzu­se­hen. Denn eine Viel­zahl an Künstler:innen kann – ins­be­son­de­re in Zei­ten einer glo­ba­len Pan­de­mie – nicht von der Kunst an sich leben. Dem­entspre­chend reiz­voll erschei­nen Platt­for­men und Unter­neh­men wie Track­lib oder Hip­gno­sis. Dabei könn­te spe­zi­ell das Geschäfts­mo­dell von Track­lib in naher Zukunft schei­tern, soll­ten die Ver­än­de­run­gen im UrhG tat­säch­lich für eine voll­stän­di­ge Lega­li­sie­rung des Sam­plings, zumin­dest in Deutsch­land, sor­gen. Par­al­lel muss sich bei dem finan­zi­ell lukra­ti­ven Geschäft mit Part­nern wie Hip­gno­sis auch stets die Fra­ge gestellt wer­den, inwie­weit gewis­se Optio­nen wirk­lich ethisch und mora­lisch ver­tret­bar sind. Die­se Fra­ge dürf­te das Züng­lein an der Waa­ge sein, wenn es dar­um geht, ob ein­zel­ne Künstler:innen auch Künstler:innen blei­ben oder sich zuneh­mend in der Ver­mark­tungs­in­dus­trie fest­set­zen, wie es zum Bei­spiel Prot­ago­nis­ten wie Nile Rod­gers, RZA oder Tim­ba­land seit etli­chen Jah­ren tun.

(Alec Weber)
(Titel­bild von Dani­el Fersch)