AzudemSK – ein Gespräch über HipHop-Werte
"Manchmal wird mir meine ewige Geistesexistenz zu viel. Ich möchte dann nicht mehr so ewig drüberschweben. Ich möchte ein Gewicht an mir spüren." – Auf dieses und weitere Zitate aus dem Film "Der Himmel über Berlin" trifft man, wenn man die aktuelle Platte "6000 Fuß über Bayreuth" von AzudemSK und Morlockko Plus hört. Das Zitat beschreibt die Gedanken eines Engels, der über das alte Berlin schwebt und den Gedanken der Menschen lauschen kann, ohne dass sie es mitbekommen. Für AzudemSK zeigt es außerdem, wie man sich als junge Person auf dem Höhepunkt der Pubertät gefühlt hat: in der Luft schwebend, ohne Kontakt zum Boden auf der Suche nach etwas, was dem Leben einen tieferen Sinn verleiht. Im jugendlichen Leichtsinn ist er dem Bedürfnis nach Bodenkontakt nachgekommen, indem er drei Bettlaken aneinander knotete, um aus dem Fenster zu steigen. Mittlerweile steht der frisch gebackene Vater jedoch mit beiden Beinen im Leben und reflektiert seine Aktivitäten von damals. Wir haben uns gefragt, ob die HipHop-Kultur mit all ihren Werten wie Respekt, Loyalität und Gemeinschaft junge Menschen auffangen kann. Oder überwiegt der schlechte Einfluss durch Kraftausdrücke und Gewaltverherrlichung, indem er den Drang zu rebellieren noch verstärkt? Im Interview erklärt AzudemSK, was die Kultur für ihn bedeutet, welchen Einfluss sie auf seine Jugend hatte und wie er den Zusammenhalt in der Szene derzeit wahrnimmt.
MZEE.com: Lass uns mit einer Definitionsfrage beginnen. Der Begriff "Kultur" fällt häufiger auf deiner aktuellen Platte. Würdest du HipHop als Kultur oder Subkultur bezeichnen?
AzudemSK: Mittlerweile hat sich das, was ich als HipHop verstehe, aus der Subkultur herausbewegt. Wenn man versucht, dem Kind einen Namen zu geben, ist es Popkultur geworden. Ich versuche, damit die allgemeine Präsenz und finanzielle Schwere zu benennen. Man hat das Gefühl, es ist mittlerweile mehrheitlich die Musik, die im Radio läuft. Aber es ist Definitionssache. Sprüher haben nichts davon, wenn etwas verkauft wird. Sie würden das, was sie in ihrem Alltag leben, als Teil einer Subkultur bezeichnen. Die gibt es in der Form, in der sie in der Bronx stattgefunden hat, nicht mehr. Es ist nicht mehr das Bild, das sie damals gezeichnet haben, als sie dem Lebensgefühl, dem Tanz, dem Malen und der Musik einen Namen gegeben haben, um es in die Geschäfte zu bringen. Nach den Filmen kam direkt die Industrie. Das war mit Punk sicherlich nicht anders.
MZEE.com: Auf welche Filme beziehst du dich?
AzudemSK: Ich meine die Ausstrahlungen von "Beat Street" in der DDR. Sowie "Wild Style" und "Style Wars" im ZDF. Das war Anfang der 80er. Die haben die Medienlandschaft in Bezug auf HipHop anfänglich geprägt. Etwas zeitversetzt, spätestens zu Beginn der 90er, wurden dann hier die ersten Dinger gemacht, wie man sie in den Filmen gesehen hat. Mit Ghettoblaster und funky Outfit.
MZEE.com: Was bedeutet der Begriff "HipHop-Kultur" für dich?
AzudemSK: Ich habe sie noch analog kennengelernt, wie sie in den Büchern steht. Das hört sich total pathetisch an, aber es ist so. Du warst damals nicht cool, sondern eher ein Außenseiter, wenn du das gemacht hast. Für mich ist es ein Ventil gewesen. Und ein Wiedererkennungsmerkmal, wenn man Leute auf dem Bahnhof oder auf 'ner Jam getroffen hat. Für mich spielt Graffiti eine große Rolle. Deshalb hat jeder dritte Vergleich etwas mit Malen zu tun. Das hat früher eine sehr kleine Gruppe von Leuten ausgezeichnet. Auch dadurch, dass es extrem viel Zeit und Arbeit benötigte. Heutzutage braucht man ein iPhone und Reichweite. Es ist viel einfacher geworden, denn man kann überall nachschauen, wie man ein cooles Tag macht. Die Farbe läuft nicht mehr. Jeder Idiot malt sein drittes Piece und es sieht aus wie im Internet. Das ist vielleicht auch nicht schlimm. Für mich ist HipHop auf jeden Fall sehr viel, was heutzutage leider nicht mehr in der Form gelebt wird, um es mal runterzubrechen.
MZEE.com: Welche Werte assoziierst du mit dem Begriff "HipHop"?
AzudemSK: Originalität. Die Amis benutzen dafür Ausdrücke wie "The Original", "The OG" oder die "Classics". Es wird sich auf ein Ideal berufen. Darum ging es ja mal. Jeder bringt etwas Eigenes mit. Wenn es funky ist und geil flowt, dann bist du jemand, auch wenn du keine Kohle hast. Du brauchst keine geilen Schuhe dafür oder du malst dir deine so an, dass sie geil aussehen. Es geht nicht um ein gekauftes Image. Retrogott hat das mal ganz gut runtergebrochen: Es gibt immer nur die Kopie der Kopie der Kopie. Wenn man es reflektiert, ist es ein schmaler Grat zwischen Biten und sich inspirieren zu lassen. Ich trage ganz viel HipHop von Leuten um mich herum in mir, trotzdem versuche ich, meinen eigenen Style zu finden. Das ist der Kampf, den man dabei führt.
MZEE.com: Wie schafft man Mehrwert durch das eigene Schaffen?
AzudemSK: Im Endeffekt profitieren alle davon, wenn man sich gegenseitig pusht. Das kann belebend sein. Der Wettbewerb geht mal so und mal so aus. Der über Berliner wie Aggro und Westberlin Maskulin bekannt gewordene Habitus ist grenzüberschreitend gewesen. Auch dadurch, dass er durchaus gewaltaffin war. Diese Darstellung empfinden manche Leute als übertrieben. Es ist zu Teilen auch nervig und zerstörerisch, aber es bedient sich der Competition und die ist Teil des Spiels und kann durchaus belebend sein. Man muss immer neu ausloten, was in welchem Kontext gesagt werden darf. Diese Diskussion ist sehr wertvoll. Die Grundlage ist Respekt. Du gibst Respekt und bekommst Respekt. Das macht etwas mit dir. Wenn du ein junger, unsicherer Bub warst, konnte dir eine bestimmte Handschrift Selbstbewusstsein geben. Dann warst du halt jemand. Das fühlte sich besser an, als einer von vielen zu sein.
MZEE.com: Die Referenz zum Reproduzieren von Werten von Retrogott finde ich interessant. Wie kann die Kultur wachsen, wenn alle immer wieder dieselben Werte reproduzieren?
AzudemSK: Die Leute stellen Regeln auf, dadurch erschafft man Grenzen. Insofern ist es sicherlich das Ende der Kultur, wenn keine Bewegung mehr stattfindet. Dann gibt es dementsprechend keinen Fortschritt mehr. Es ist alles im Wandel zu begreifen. Richtig und Falsch ist nur für den Moment. Im nächsten Moment hast du es verdammt noch mal zu reflektieren. Die Welt ist superschnell geworden, deshalb sind die Menschen mit vielen Situationen einfach überfordert.
MZEE.com: Das gilt auch für Sprache. Was etwa vor zehn bis zwanzig Jahren noch in Texten toleriert wurde, wird heute eindeutig als homophob benannt. Mir fallen da beispielsweise Songs von Savas ein.
AzudemSK: Es gibt genug Sachen, die mittlerweile zurecht in einem anderen Kontext diskutiert werden. Das N-Wort ist auch immer mittendrin. Ich glaube, dass es gerade bei Savas aufgrund seiner späteren Popularität relativ viel beackert worden ist. Da gibt es zeitgenössischere Künstler, bei denen ich mir wünschen würde, dass deren schwachsinnige Texte mehr auf die Tagesordnung der Diskussionswilligen kommen. Es ist unglaublich komisch, was da für Worte benutzt werden. Aber guck mal, wohin wir jetzt gekommen sind. Die Diskussion über Sexismus war noch nie größer. Das ist wichtig und richtig.
MZEE.com: Es zeigt auch, dass die Kultur wächst und sich entwickelt. Dinge werden jetzt anders gewertet. Spiegelt das auch den Wandel an vielen Stellen unserer Gesellschaft wider?
AzudemSK: Sicherlich noch zu wenig. Der Wandel geht viel zu langsam vor sich. Das hat auch seine Gründe in diesem politischen System. Es geht unfassbar schleppend voran. Man spürt fast nichts von Veränderung, die man friedvoll anschiebt. Deswegen sind Werte wie Solidarität unglaublich wichtig, um nicht depressiv zu werden.
MZEE.com: Auf dem Song "Katastrophe" thematisierst du Kultur in Zeiten der Corona-Krise. Es ist eine sehr schwere Zeit, in der man mehr zusammenhalten muss als vorher. Hast du das Gefühl, dass der Zusammenhalt innerhalb der Szene sich eher zum Positiven oder zum Negativen entwickelt?
AzudemSK: Ich krieg' den so gut wie gar nicht mit. Das nimmt vermutlich jeder anders wahr. Ich erlebe es nicht als Push oder Glücksfall, dass man sich jetzt füreinander Zeit nehmen kann, denn unter vernünftigen Leuten trifft man sich nicht mit vielen verschiedenen Haushalten in geschlossenen Räumen. Ich hatte geplant, Songs mit einer Band aufzunehmen, das hat nicht geklappt. Für mich fühlt es sich an, als ob jemand einen Stock in die Speichen gesteckt hat. Es ist eher ein Hindernis. Natürlich tauscht man sich aus und ist gemeinsam traurig, das ist auch Zusammenhalt. Aber andere Zusammenkünfte wären mir lieber. Man muss einfach gucken, dass man nicht depri wird. Ich glaube, das geht vielen so.
MZEE.com: Du hättest auch sicherlich nicht so einen Song geschrieben, wenn es dich nicht negativ belasten würde, oder?
AzudemSK: Ich habe mir am Anfang ausgerechnet, wie groß das finanzielle Loch wird und völlig missachtet, was mir das emotional wegnimmt. Ich hatte eine geile Platte, auf die ich mich gefreut habe und die habe ich einfach nicht live gespielt. Das hat mich ein halbes Jahr später in ein schwarzes Loch gerissen. Ich habe dann einfach aufgehört, Pläne zu machen, weil die Frustrationsgrenze immer weiter gesunken ist. Jetzt habe ich eine Release-Party vor mir und freue mich drauf. Aber Konzerte im Clubbereich werde ich dieses Jahr wohl nicht mehr spielen.
MZEE.com: Du sagst ja auch auf dem Track, dass du die letzte Platte nicht mal live gerappt hast.
AzudemSK: Es ist wild, weil die dafür ausgelegt war. Die fängt mit "Mutter Sonne" an, das sollte auf der Tapefabrik auf der Hauptbühne geschehen als Releaseparty und ich habe es dort richtig knallen gesehen. Pünktlich zur Tapefabrik war ja Lockdown. Ich hätte mit meiner Frau zusammen von 1 Uhr bis 3 Uhr morgens Aftershowparty gespielt und noch mit zwei Kumpels die Fassade vorne am Schlachthof gemalt. Es wäre mein Tag gewesen. Deshalb war es für mich wie ein Schlag ins Gesicht.
MZEE.com: Lass uns über Graffiti sprechen. Beim Malen arbeitet man oft mit anderen zusammen und muss sich aufeinander verlassen. Wie hast du das Gemeinschaftsgefühl in der Graffiti-Szene erlebt?
AzudemSK: Ich habe, glaube ich, alles an Gut und Böse erlebt. Ich sprühe gerade weniger, weil ich Vater geworden bin. Es ist ein krass narzisstischer Sport, das muss man sich bewusst machen. Ich schreibe meinen Namen. Obwohl ich sagen muss, dass die politische Agitation im professionellen Graffitibereich zugenommen hat. Das befürworte ich. Ich finde es auch schön, dass die Sachen immer besser aussehen. Hier im Wedding sieht man das schon. Die Migrantifa und 1UP sind echt aktiv hier und ich feier' das sehr. Ansonsten ist es auch viel Wunschdenken. Crews waren für mich immer Freundeskreise und da herrscht oft Fluktuation. Mit bestimmten Leuten hat man über 20 Jahre zu tun, mit anderen nach vielen Jahren nichts mehr. Ich halte den sogenannten Zusammenhalt in der Szene oft für Heuchelei. Es gibt viel Opportunismus, das weiß jeder Metrosprüher. Das sind unheilige Allianzen, wie wir sagen. Eine Hand frisst die andere, da muss man sich nichts vormachen.
MZEE.com: Da prallen oft Egos aufeinander, oder?
AzudemSK: Es ist viel Politik dabei im Sinne von Machtanspruch und Diplomatie. Du lernst dich selbst immer wieder kennen. Wie gehe ich damit um? Berufe ich mich jetzt aufs Faustrecht, obwohl ich es verachte? Wo kann ich hingehen und wo nicht? Wenn du dort hingehst, feindet dich einer an. Dann gibt es aber keinen Ärger, weil man gemeinsame Freunde hat. Es ist alles regelbar, aber manchmal ist es auch irrational dumm und krass Macker-behaftet. Das muss man ganz klar sagen. In solchen Momenten fühle ich jede Frau, die sich da nicht aufgehoben fühlt.
MZEE.com: Mittlerweile organisieren sich ja auch viel mehr Frauen untereinander.
AzudemSK: Zum Glück. Das ist gerade unglaublich präsent und es gibt richtig gute Zugsprüherinnen. Nicht, dass es die früher nicht gegeben hätte. Lady Pink hat schon in den 80ern echt gekillt. Aber die trauen sich jetzt alle viel mehr. Das hat lange gebraucht und das lag natürlich oft auch an den Mackern. Der Druck ist groß.
MZEE.com: Es gibt auf deinem Album eine Anspielung auf das Aneinanderknoten von drei Bettlaken, um aus dem Fenster zu klettern. Auch du warst, wie vermutlich die meisten von uns, als Jugendlicher manchmal mit der Situation zu Hause überfordert. Was hat dich damals emotional aufgefangen?
AzudemSK: Sicherlich der Freundeskreis. Ich hatte damals schon viele Freunde und dadurch viele Bezugspunkte. Ich war auch mal bei anderen Familien zum Abendbrot. Das hat mich aufgefangen, wenn es zu Hause Ärger gab. Mit den Bettlaken wollte ich einfach mal ausprobieren, ob das geht. Das war aus dem ersten Obergeschoss in einem Altbau. Drei Bettlaken haben gereicht, aber es war schon ordentlich. Ich habe mich hinterher selbst gewundert, warum das sein musste. Aber es musste sein. Damit habe ich mir einen Weg über die laute Treppe im Flur gespart. So 'ne Treppe knarzt ja. Auf dem Track ist das Sample: "Ich will ein Gewicht an mir spüren". Deswegen fand ich die Geschichte mit dem Bettlaken passend. Es hat etwas davon: ein Gewicht an sich spüren. Das hat auch viel mit Schwerkraft oder Bodenhaftung zu tun. Da kann man viele Vergleiche ziehen.
MZEE.com: Man sagt ja auch, dass Sprüher:innen keine Höhenangst haben sollten.
AzudemSK: In Stresssituationen gut zu reagieren, hilft dabei, sich selbst kennenzulernen. Das macht das Malen zu dem, was es ist. Deswegen macht man das. Wenn du in London irgendeinen Zaun hochkletterst und nicht weißt, was gleich passiert, dann stellst du dich bestimmten Ängsten. Das war Gold wert, dadurch war ich relaxter. Man verbringt unglaublich viel Zeit mit sich selbst. Ich habe unter der Woche nachts in der westfälischen Kleinstadt gemalt und bin am nächsten Morgen in die Schule gegangen. Das hat alles geklappt, obwohl ich sehr wenig geschlafen habe. Es hat mir ein Ventil gegeben. Auf der Kehrseite begegnet man die ganze Zeit Ängsten.
MZEE.com: Ich frage mich, warum man es trotzdem immer wieder macht, obwohl es teilweise so gefährlich ist und man große Angst hat.
AzudemSK: Man wird immer ruhiger und irgendwann bist du bei dir. Es ist absurd. Du merkst auch, dass der Rest des Tages nur abgespult wird und erst beim Sprühen der Stecker in die Steckdose gesteckt wird. Du bist in einer anderen Dimension, die viel puristischer ist. Ich sage auf dem Titeltrack: "Hab' nur beim Straßesprühen gerade so ein Gefühl von Wirklichkeit." Bei mir ist das Malen der einzige Moment am Tag, an dem ich an nichts denke. Das ist dieser Moment, in dem du einfach machen musst. Du überlegst eigentlich gar nicht. Wenn man unter Stress ist, zählt nur, ob die Verbindung am Handy mit dem Checker steht oder ob der Takt gleich kommt, wenn du im Tunnel stehst. Diese Stresssituationen geben unglaublich viel her. Es ist unvergleichlich. Es gibt Leute, die für 48 Stunden nach Singapur fliegen, um diesen Thrill zu erleben, nur um da ein scheiß Bild zu sprühen, und hoffentlich einer Prügelstrafe entgehen. Das ist die Steigerung von dem, was ich gerade erzählt habe.
MZEE.com: Du bist kürzlich Vater geworden. Haben sich deine Ansichten bezüglich Graffiti und jugendlicher Rebellion verändert?
AzudemSK: Ich weiß, was du meinst, aber ich würde es anders begründen. Ich frage mich bis zum heutigen Zeitpunkt, wie meine Mutter bei meiner Agitation so unfassbar ruhig und vertrauensvoll bleiben konnte. Ich weiß nicht, ob ich das schaffen würde. Ich hatte damals Ärger und Gerichtsverfahren mit 15, 16. Ich war kurz vor dem Aus meiner Schulkarriere. Dann bin ich mit meiner Mutter zum Arbeitsamt gefahren. Sie hat gesagt: "Wenn du arbeiten möchtest, sag denen, was du willst." Als ich dort gewesen bin, wollte ich wieder in die Schule gehen. Sie hat mich getestet. Meine Tochter ist frech, wach und fordernd. Das ist sehr schön zu sehen. Die hat Bock. Aber ich hoffe nicht, dass sie so viel Druck in sich spürt, das so intensiv ausdrücken zu müssen. Das kann man auch kanalisieren. Es muss ja zu Hause nicht so laut sein. Sie kann auch geerdet und gebettet aufwachsen.
MZEE.com: Ich denke, dass man sich als junger Mensch gegen die Eltern auflehnt, ist nicht ungewöhnlich. Aber wenn es zu krass wird, kann es ein Signal dafür sein, dass zu Hause etwas im Argen liegt.
AzudemSK: Mein Stiefvater ist irgendwann dem Suff verfallen. Auch für meine Schwester war es nicht cool zu Hause. Trotzdem bin ich Fan, wenn ich daran denke, wie meine Mutter das gemacht hat, obwohl es zwischendurch kacke war. Sie hat ihr Leben lang gearbeitet und nichts geerbt, da sie Vollwaise ist. Dann hat sie sich zwischendurch eben falsch entschieden. Aber das macht sie nicht zu einem schlechteren Menschen.
MZEE.com: Unsere Eltern sind auch ein Produkt ihrer Umwelt.
AzudemSK: Die Geschichten meiner Eltern sind von beiden Seiten tragisch. Vollwaise auf der einen Seite, Selbstmord auf der anderen Seite. Das ist alles sehr schlimm. Da fragst du nicht nach als Kind. Du willst eigentlich Spaß haben und jeden Tag Kindergeburtstag feiern.
MZEE.com: Können frühe Schicksalsschläge einen widerstandsfähiger machen, weil man einen Mechanismus finden muss, um damit klarzukommen?
AzudemSK: Das schult einen. Ich habe letztens Kinderbücher von mir gesehen, in die ich mit Wachsmalstiften schwarz und rot gekritzelt habe. Das sind klassische Anzeichen von innerem Druck bei Kindern, die sich nicht artikulieren können. Später hat man es kanalisiert. Du bist froh, wenn du Ruhe in deinem Zimmer hast und malen oder texten kannst. Irgendwie findet man seinen Weg da raus. Deshalb ist meine Musik so melancholisch und schwermütig.
MZEE.com: Danke für deine Offenheit – damit habe ich nicht gerechnet. Ich reflektiere deine Musik jetzt ganz anders.
AzudemSK: Ich bin da recht schmerzfrei und fühle mich damit wohl. Gerade wenn man die alten Sachen hört wie "Titel Thesen Temperamente". Da ist ganz viel Befreiung drin. Es sind ganz viele Tracks drauf, die ich heute anders aufnehmen würde. Damals war es voll der jugendliche Lifestyle. Alle Platten sind autobiografisch. Wie soll es auch anders sein? Man schreibt aus seiner Perspektive.
MZEE.com: Ich muss gerade an Morlockko Plus denken, der durch die Maske keine Emotionen preisgibt. Er hat eine Kunstfigur erschaffen, die nicht redet.
AzudemSK: Durch die Beats ist es unglaublich emotional. Die Diversität hat mich positiv überrascht. Du hast die aktuelle Platte ja gehört. Es hört sich nach Morlockko an, ist aber trotzdem sehr bunt. Er ist ein Platten- und Filmnerd. Ich feiere seinen musikalischen Anspruch bis ins Detail. Das ist abgefahren. Der Film, aus dem wir gesamplet haben, heißt "Der Himmel über Berlin". Ich habe vor 15 Jahren mal etwas davon rausgeschnitten und für eine CD verwendet, die ich auf dem Schulhof verteilt habe. Dann habe ich Dilemma diese Samples vorgeschlagen und er hat sie sofort gefeiert. Er kannte den Film nicht, deshalb habe ich die Stellen benannt, die mir wichtig waren und er hat sie ins Album integriert.
MZEE.com: Eine Line, die mir besonders im Kopf geblieben ist, lautet: "Morlockko zieht vor, ich fülle aus." – Wie hast du die Zusammenarbeit erlebt?
AzudemSK: Die Zeile bezieht sich darauf, dass er auch Graffitibezug hat. Er hat früher gesprüht, dadurch haben wir gemeinsame Bekannte in Leipzig. Die Zusammenarbeit war sehr intuitiv und freundschaftlich, die Arbeitsteilung war sehr effektiv. Durch den Lockdown haben wir uns nur mit FFP2-Maske und auf Abstand getroffen. Den Rest haben wir uns hin- und hergeschickt. Das Album ging superschnell vonstatten, auch für meine Schreibgeschwindigkeit komischerweise. Ich habe einen alten Beat von ihm abgestaubt, der jetzt der Titeltrack geworden ist. Ich war nicht sicher, ob ich dem gewachsen bin. Dann habe ich geschrieben, aufgenommen und wir waren beide sehr glücklich damit. Das Beatpicking hat sich aktualisiert, weil er weitere Beats gebaut hat. Er hat auch einen super Presswerkdeal gemacht, sodass wir trotz Corona und Kurzarbeit zeitnah pressen konnten. Ein Inside-Job.
MZEE.com: Zum Abschluss etwas Positives: Was ist dein schönstes Erlebnis innerhalb der Szene gewesen?
AzudemSK: Vielen Sachen steht diese Auszeichnung zu. Ich habe mit einem meiner Jugendidole letztes Jahr einen Track aufgenommen. Mit den Leuten HipHop zu machen und in einem näherem Abstand zu stehen, als man sich damals je hätte vorstellen können – 20 Jahre, nachdem man diese Tapes gehört hat … Das war ein abstrakter Moment für mich. Der Track ist noch nicht releast. Ich habe in den letzten Jahren auch immer wieder mit Graffiti-Idolen von mir gesprüht. Jeder dieser Momente ist Gold wert. Ich habe mit zwei Generationen links und rechts von mir im Schacht gestanden. Der eine hätte der Vater vom anderen sein können. Die Sternstunden sind, wenn sich Kreise schließen. Das ist HipHop. Wenn ich in Büchern stehe mit Bildern, die ich vergessen habe. Wenn ich gemerkt habe, ich war Teil von einem Ganzen. Das, was man früher als Toy immer gehofft hat, wenn man am Rand vom Breakdance-Circle stand, sein Blackbook dabei hatte und geguckt hat, wer dabei ist und reintaggen soll. Und jetzt kommen Kids und bitten um 'n Sketch in ihrem Buch. Abgefahren.
(Malin Teegen)
(Fotos von V.Raeter)