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Kommentar

Mit Zeigefinger und blinden Augen – Gangster-​Rap und Antisemitismus

Eine neue Bie­le­fel­der Stu­die zeigt einen besorg­nis­er­re­gen­den Zusam­men­hang zwi­schen Gangster-​Rap und Anti­se­mi­tis­mus bei den Hörer:innen des Gen­res auf. Über poli­ti­sche und media­le Reaktionen.

An die­ser Stel­le möch­ten wir Gedan­ken zu aktu­el­len Gescheh­nis­sen aus dem Deutschrap-​Kosmos zum Aus­druck brin­gen. Die jeweils dar­ge­stell­te Mei­nung ist die des:der Autor:in und ent­spricht nicht zwangs­läu­fig der der gesam­ten Redak­ti­on – den­noch möch­ten wir auch Ein­zel­stim­men Raum geben.

Im Fol­gen­den setzt sich unser Redak­teur Simon mit einer Stu­die zu Gangster-​Rap und Anti­se­mi­tis­mus auseinander.

 

Es ist wie­der pas­siert. Gangster-​Rap, das schmud­de­ligs­te der kul­tu­rel­len Schmud­del­kin­der, die es in Deutsch­land so gibt, steht in Ver­ruf. Und das völ­lig zu Recht. Eine Stu­die der Uni­ver­si­tät Bie­le­feld hat erst­ma­lig empi­risch unter­sucht, inwie­fern bestimm­te men­schen­feind­li­che Ein­stel­lun­gen bei Jugend­li­chen mit dem Kon­sum von Gangster-​Rap kor­re­lie­ren. Grob erklärt wur­den dazu 500 Her­an­wach­sen­de bezüg­lich ihres Musik­ge­schmacks befragt. Anschlie­ßend beka­men sie Aus­sa­gen prä­sen­tiert, denen sie in Abstu­fun­gen zustim­men oder wider­spre­chen konn­ten. Die Ergeb­nis­se der Stu­die sind alar­mie­rend. Sie bele­gen, dass das Gen­re ein Pro­blem mit Anti­se­mi­tis­mus in den eige­nen Rei­hen hat. Den­noch las­sen sich Musik und die­se Form der grup­pen­be­zo­ge­nen Men­schen­feind­lich­keit nicht in einen kau­sa­len Zusam­men­hang brin­gen. In den media­len Reak­tio­nen auf die Stu­die geht Letz­te­res kom­plett unter, was wie­der ein­mal zeigt, mit wel­cher eli­tä­ren Arro­ganz gen­re­frem­de Journalist:innen Hip­Hop wei­ter­hin begeg­nen. Auch die Poli­tik zeigt im Kon­text der Stu­die, dass sie die Pro­ble­ma­tik eines sich gesell­schaft­lich gefes­tig­ten Anti­se­mi­tis­mus ent­we­der nicht ver­stan­den hat oder nicht ernst nimmt.

Um eines klar­zu­stel­len: Die Stu­die an sich ist aus meh­re­ren Grün­den kom­plett rich­tig und wich­tig. Rapper:innen gefal­len sich oft in pro­vo­kan­ten Aus­sa­gen. Häu­fig wer­den dabei zumin­dest die Gren­zen des guten Geschmacks über­schrit­ten und auch die Repro­duk­ti­on sexis­ti­scher, anti­se­mi­ti­scher und gewalt­ver­herr­li­chen­der Spra­che ist oft genug zu hören. Davon, dass im deut­schen Rap ins­be­son­de­re Anti­se­mi­tis­mus viru­lent ver­brei­tet ist, kön­nen gera­de Betrof­fe­ne ein Lied sin­gen. Die dar­aus fol­gen­de The­se, dass ent­spre­chen­de Tex­te nega­ti­ven Ein­fluss auf die poli­ti­schen Welt­bil­der der juve­ni­len Fans neh­men, klingt da erst mal plau­si­bel. Die ernüch­tern­den Ergeb­nis­se der Stu­die las­sen in die­ser Hin­sicht tat­säch­lich kein gutes Haar am Gen­re. Mit einer deut­li­chen sta­tis­ti­schen Signi­fi­kanz stim­men jun­ge Hörer:innen häu­fi­ger anti­se­mi­ti­schen Äuße­run­gen zu. Anders aus­ge­drückt: Gangster-​Rap zu hören und eher anti­se­mi­tisch ein­ge­stellt zu sein, hängt häu­fig zusam­men. Doch es gibt durch­aus Punk­te am Stu­di­en­de­sign, die zumin­dest die Vehe­menz die­ser Aus­sa­ge rela­ti­vie­ren. Es reich­te bei­spiels­wei­se aus, aus einer Lis­te mit über 80 Musiker:innen, die ver­meint­lich in die Schub­la­de "Gangster-​Rap" pas­sen, zwei aus­zu­wäh­len, um als Hörer:in des Gen­res zu gel­ten. Das klingt für mein Lai­en­ohr nicht wirk­lich vali­de. Das Ergeb­nis zeigt den­noch unmiss­ver­ständ­lich, dass Gangster-​Rap und Anti­se­mi­tis­mus häu­fig Hand in Hand gehen.

Aller­dings lässt sich des­halb noch lan­ge nicht sagen, dass Fans anti­se­mi­tisch wer­den, weil sie bestimm­te Songs hören. Wel­che poli­ti­sche Ein­stel­lung ein Mensch im Lau­fe sei­nes Lebens ent­wi­ckelt, hängt von einer Viel­zahl sozia­li­sa­ti­ons­be­ding­ter Ein­fluss­fak­to­ren ab, für die Musik in aller Regel nur den pas­sen­den Sound­track bie­tet. Zu einem ähn­li­chen Fazit kom­men auch die Bie­le­fel­der Forscher:innen. Sie erklä­ren aus­drück­lich: "Aus den vor­lie­gen­den Daten kön­nen kei­ne Schlüs­se bezüg­lich des Kau­sal­ver­hält­nis­ses zwi­schen Gangsta-​Rap-​Konsum und anti­se­mi­ti­schen Ein­stel­lun­gen gezo­gen wer­den. Es ist nicht ein­deu­tig, ob das Hören von Gangsta-​Rap zu anti­se­mi­ti­schen Ein­stel­lun­gen führt, ob Men­schen, die gene­rell eher anti­se­mi­tisch ein­ge­stellt sind, lie­ber Gangsta-​Rap hören, oder ob sich die­se zwei Fak­to­ren gegen­sei­tig bedin­gen."

Doch schaut man sich die ver­öf­fent­lich­ten Zei­tungs­ar­ti­kel zur The­ma­tik an, schei­nen vie­le der Journalist:innen, die sich damit befasst haben, die­sen Absatz in der Stu­die nicht gele­sen zu haben. Egal, ob ZEIT oder WDR – der Tenor ist der glei­che: Rapper:innen äußern sich anti­se­mi­tisch und machen so unse­re Jugend juden­feind­lich. Dass die gemach­ten Pau­scha­li­sie­run­gen voll­kom­men unzu­rei­chend sind, um die­se Kau­sa­li­tät her­zu­stel­len, wird dabei mehr oder weni­ger gekonnt unter den Tep­pich gekehrt. So kön­nen die Hörer:innen in aller Regel anti­se­mi­ti­sche Aus­sa­gen über­haupt nicht deco­die­ren. Dies bie­tet zwar ganz eige­ne Gefah­ren, lässt aber die unter­stell­te Kau­sal­ket­te noch unplau­si­bler erschei­nen. Da passt es ins schlam­pig gear­bei­te­te Bild, dass mal eben Song­zi­ta­te frei erfun­den wer­den: "Als Bei­spiel nann­ten sie das Schlag­wort 'Rothschild-​Verschwörung' in man­chen Songs", sagt ZEIT ONLINE bei der Vor­stel­lung der Stu­die und meint es ernst. Wer schon mal irgend­ei­nen Song gehört hat, in dem die "Rothschild-​Verschwörung" auf­taucht, kann sich ger­ne melden.

Rich­tig absurd wird es aber erst, wenn die poli­ti­sche Exe­ku­ti­ve ins Spiel kommt. Die Stu­die in Auf­trag gege­ben hat Sabi­ne Leutheusser-​Schnarrenberger, FDP-​Politikerin und Anti­se­mi­tis­mus­be­auf­trag­te von NRW. Sie bläst zum einen in das glei­che Horn wie die oben genann­ten Medi­en (Gangster-​Rap berei­te den "Nähr­bo­den für spä­te­re ver­fes­tig­te anti­se­mi­ti­sche Ein­stel­lun­gen"). Zeit­gleich sorgt zum ande­ren das eben­falls FDP-​geführte Schul­mi­nis­te­ri­um in NRW dafür, dass die Zusam­men­ar­beit an Schu­len mit der Orga­ni­sa­ti­on DITIB wie­der auf­ge­nom­men wird. Der türkisch-​sunnitische Ver­ein arbei­tet auf mehr oder min­der direk­te Anwei­sun­gen der Erdoğan-​Regierung und hat nicht nur ein paar Antisemitismus-​Skandale pro­du­ziert. Die Ima­me von DITIB wer­den in der Tür­kei aus­ge­bil­det und sind Beam­te des tür­ki­schen Staa­tes. Eine Beob­ach­tung durch den Ver­fas­sungs­schutz wird der­zeit geprüft. Offen gezeig­te Sym­pa­thien für die Grau­en Wöl­fe und Kin­der, die in Moscheen Kriegs­sze­nen nach­spie­len "dür­fen": Die Orga­ni­sa­ti­on ist mit Sicher­heit nicht geeig­net, anti­se­mi­ti­sche Hal­tun­gen abzu­bau­en. Zum einen wird also mit dem Fin­ger auf ein Musik­gen­re gezeigt und des­sen Bedeu­tung für die poli­ti­sche Sozia­li­sa­ti­on von Jugend­li­chen pau­schal erhöht. Zum ande­ren holt man sich eine Orga­ni­sa­ti­on ins Boot, die einem auto­ri­tä­ren Regime hörig, reli­gi­ös min­des­tens kon­ser­va­tiv und in der Ver­gan­gen­heit immer wie­der durch mas­sivst anti­se­mi­ti­sche Bot­schaf­ten auf­fäl­lig gewor­den ist. Die­se Orga­ni­sa­ti­on soll jetzt bei der Koor­di­na­ti­on und inhalt­li­chen Gestal­tung des isla­mi­schen Reli­gi­ons­un­ter­rich­tes in NRW unter­stüt­zend wir­ken. DITIB hat damit deut­lich direk­ter Ein­fluss auf die Sozia­li­sa­ti­on Her­an­wach­sen­der, als es irgend­ein Song jemals haben könn­te. Wenn man sich dann ansieht, wie nah Ver­öf­fent­li­chung der Stu­die und Ankün­di­gung der Zusam­men­ar­beit zeit­lich bei­ein­an­der­lie­gen, muss man sich fra­gen, wie vie­le zusam­men­hän­gen­de Gedan­ken sich dabei wirk­lich gemacht wurden.

Anti­se­mi­tis­mus ist ein gesamt­ge­sell­schaft­li­ches Pro­blem, das auch als sol­ches erkannt und ange­gan­gen wer­den muss. Der Hass auf Jüd:innen kommt nicht mit Gangster-​Rap und er wird nicht ver­schwin­den, wenn die Musik indi­ziert wird. Die Stu­die kann den­noch mit Sicher­heit dabei hel­fen, das Pro­blem zu ana­ly­sie­ren und Lösungs­an­sät­ze zu fin­den. Die momen­ta­ne media­le und poli­ti­sche Reak­ti­on dar­auf kann es mit Sicher­heit nicht.

(Simon Back)
(Gra­fik von Dani­el Fersch)