"Ich bin 96 eingezogen. Grauer Block, kleine Wohnung. Sagte selten 'Hi', denn ein schlauer Kopf nimmt keine Drogen. Kahle Wände, Kinderlärm. Väter waren selten da. In der Schule nichts gelernt. Jeder hatte fremde Namen." – Vier von vielen Zeilen, die der Berliner Frustra in den vergangenen Jahren über sein einstiges Zuhause und seine Kindheit gerappt hat. Der Block, so oft als trist und grau beschrieben sowie Grundlage schier endlos vieler Tracks deutscher Straßenrapper, bekommt bei Frustra seit jeher ein anderes Gesicht. Dabei findet sich in seiner Kunst nicht nur die ein oder andere den Kreuzberger Block romantisierende Zeile, sondern vor allem die Beschreibung einer Welt voll Perspektivlosigkeit, von ewigem Ankommen, Haltung, andauernder Sehnsucht und Hoffnung. Und natürlich Frustration. Das Besondere: Die Sprache wirkt nie hart und roh, sondern immer nachdenklich, melancholisch und straight zugleich. Es scheint, als sähe er den Block mit anderen Augen – als mitteilender Beobachter und ehemaliger Bewohner zugleich. Grund genug, Frustra kurz vor der Veröffentlichung seiner neuen EP einen Besuch abzustatten und mit ihm zu sprechen: Wie war das eigentlich, damals – das Aufwachsen im Kreuzberger Block?
MZEE.com: Zu Beginn des Interviews wäre es schön, wenn du erzählen könntest, wann, warum und wie du mit deiner Familie nach Deutschland gekommen bist.
Frustra: Ich bin mit neun Monaten nach Deutschland gekommen. Meine Eltern waren Gastarbeiter und hatten sich in Berlin kennengelernt. Als meine Mutter mit mir schwanger wurde, konnte sie nicht mehr arbeiten und war den ganzen Tag allein zu Hause. Darum hat mein Vater ihr vorgeschlagen, dass er in Berlin weiterarbeitet und sie wieder zur Familie in die Türkei geht. Dort hat sie mich dann auf die Welt gebracht und als ich neun Monate alt war, sind wir zurück nach Berlin geflogen. Wir haben hier zuerst in Neukölln gewohnt und sind 1996 nach Kreuzberg gezogen. Da war ich gerade sieben Jahre alt.
MZEE.com: Was sind deine ersten Erinnerungen an Neukölln?
Frustra: Ich kann mich daran erinnern, dass wir innerhalb von Neukölln ganz oft umgezogen sind und ich immer wieder die Schule wechseln musste. Ich war also ständig "der Neue" … Und ich kann mich daran erinnern, dass die Fenster undicht waren, sodass es im Winter sehr kalt war. Wir haben damals in der Nähe vom Herrmannplatz zu viert in einer Einzimmerwohnung ohne Duschmöglichkeit gewohnt. Mein Vater hat irgendwann eine Plastikwanne gekauft, die wir mit warmem Wasser befüllt und darin gebadet haben … Wir haben auch alle zusammen im Wohnzimmer geschlafen. Es gab eine Art Hochbett, damit da vier Leute schlafen konnten – aber alles war sehr eng beieinander. Meine Mama wurde dann noch mal schwanger und da hat mein Vater entschieden, dass wir in eine größere Wohnung ziehen müssen – nach Kreuzberg.
MZEE.com: Rückblickend gesehen: Warum waren die Verhältnisse für euch so krass?
Frustra: Weil meine Eltern nicht genug verdient haben. Meine Mama hat früh aufgehört zu arbeiten, weil sie ja zwei Kinder hatte. Ich weiß nicht, wie damals die Kindergartenverhältnisse waren – aber meine Eltern hatten beschlossen, dass meine Mutter auf uns aufpasst. Zu dem Zeitpunkt konnten meine Eltern auch noch nicht so gut Deutsch sprechen, das kam erst viel später. Vielleicht hatten sie Angst, sich nicht richtig ausdrücken zu können oder niemanden zu kennen, der weiß, wie man so etwas organisiert. Das hat dann dazu geführt, dass mein Vater Alleinverdiener war, viel gearbeitet hat und selten zu Hause war – es hat aber vorne und hinten nicht gereicht. Das haben wir als Kinder zum Glück nie gemerkt: Meine Mutter hatte nämlich immer das große Talent, nicht an uns ranzulassen, dass wir arm waren. Sie hat uns immer das Gefühl gegeben, dass es uns an nichts fehlt und wir genug Essen auf dem Tisch haben. Dieses Bewusstsein kam erst als Jugendlicher, als man angefangen hat, sich mit anderen in der Schule zu vergleichen. Der eine hat einen Markenrucksack, der andere nicht. Der eine trägt Nike-, der andere No-Name-Schuhe. Da wurde mir bewusst, dass ich unter ärmeren Verhältnissen aufgewachsen bin als meine Mitschüler.
MZEE.com: Wenn man in diesen Verhältnissen lebt, was ist dann die Motivation, nicht aufzugeben statt an der Situation zu verzweifeln?
Frustra: Ich glaube, wenn du in einem Bezirk wie Nord-Neukölln wohnst und von Lebensrealitäten umgeben bist, die wie deine sind, hast du nicht das Gefühl, dass es dir so schlecht geht. Und die Perspektive, in Deutschland irgendwie aus diesen Verhältnissen rauszukommen, war der Antrieb für meine Eltern, immer weiterzumachen. Und irgendwann ging es dann auch weiter. Mein Vater hat weitergearbeitet, mehr Geld verdient und einen Dienstwagen bekommen. Nicht, wie man ihn sich von einem Handelsvertreter vorstellt. Er hat auf dem Bau gearbeitet und konnte sein Baufahrzeug mit nach Hause nehmen – also hatten wir auf einmal ein Auto. Es gab immer wieder kleine Meilensteine, die uns das Gefühl gegeben haben, dass es voran geht.
MZEE.com: Was war das für ein Haus, in dem ihr in Neukölln gelebt habt?
Frustra: Es war ein altes, vierstöckiges Haus mit Altbauwohnungen, zwei Parteien pro Etage. Ich weiß noch, dass die Toiletten im Hausflur waren – das war wohl üblich in Berlin. Irgendwann wurde es saniert und die Wohnungen hatten Toiletten, aber immer noch keine Duschmöglichkeit. Deswegen gab es ja die Plastikwanne … (lächelt) Es gibt nicht viele Bilder aus meiner Kindheit, weil meine Eltern keine Kamera hatten. Doch auf einem Foto bin ich in der Wanne. Da war ich vielleicht zwei Jahre alt, stehe in dieser Wanne und freue mich, dass meine Mama mir gleich warmes Wasser über den Kopf schüttet. An dieses Bild denke ich öfter und muss grinsen, weil es so eine Unbeschwertheit zeigt, obwohl es ganz ärmliche Verhältnisse waren. Das ist ganz paradox …
MZEE.com: Und in was für ein Haus seid ihr in Kreuzberg gezogen?
Frustra: In ein Hochhaus. Im Grunde, wie man es sich so vorstellt – zehn Etagen, als Betonkomplex gebaut, der mit drei anderen Hochhäusern verbunden ist. Mit großen Klingelschildern, weil pro Etage drei Familien wohnen. Für uns war das ein Aufstieg, weil wir auf einmal eine 4-Zimmer-Wohnung mit 90 Quadratmetern hatten. Für uns war das die Welt. Im Innenhof hatten wir einen Bolz- und Spielplatz mit Sandkasten und Rutsche – für mich als Siebenjähriger war das einfach nur schön. Ich konnte Fußball spielen und mit meinem kleinen Fahrrad die Runden drehen … Wenn ich jetzt darüber nachdenke, kommt mir die Wohnung klein vor, aber als kleiner Junge war sie für mich riesig. Ich hatte zum ersten Mal ein eigenes Zimmer. Ein eigenes Bett, einen eigenen Fernseher und einen eigenen Schreibtisch – ich hab' mich tatsächlich reich gefühlt. Mein bester Freund hat im ersten Stock gewohnt, ich im sechsten und entweder waren wir beieinander oder haben im Hof Fußball gespielt. Das sind die ersten Erinnerungen, die ich habe, wenn ich an 96 denke.
MZEE.com: In deinen Tracks rappst du, dass in dem Hochhaus keine Deutschen gewohnt haben. Wie war das in der Schule?
Frustra: Sehr durchmischt – von polnischen, russischen, türkischen bis hin zu deutschen Kindern. Total multikulti, aber für mich war das ein normales Bild. In der Oberstufe wurde dann noch mal deutlich stärker selektiert. Die meisten deutschen Mitschüler sind aufs Gymnasium gekommen, während die ausländischen entweder auf einer Gesamtschule oder einer Realschule gelandet sind. Am Block waren unsere Vormieter tatsächlich die vorletzte deutsche Familie, die ausgezogen ist. Später ging auch die letzte und es wollten keine Deutschen mehr hier wohnen. Mittlerweile sind wohl wieder ein, zwei deutsche Familien hinzugekommen. Aber es ist schon erdrückend, wie viel mehr ausländische Familien hier am Block wohnen.
MZEE.com: Was meinst du, woran es liegt, dass die deutschen Familien alle ausgezogen sind?
Frustra: Vielleicht muss man dazu sagen, dass dieses Hochhaus ein Sozialbau ist. Menschen mit weniger Geld oder Arbeitslose haben ein Anrecht darauf, diese Wohnungen anzumieten oder bekommen sie angeboten. Ich möchte eigentlich nicht so schwarz-weiß denken, aber es kann sein, dass deutsche Familien nicht mit arbeitslosen Ausländern zusammenwohnen wollten. Hinzukommt die Problematik bis heute, dass man als Ausländer nicht so einfach eine Wohnung bekommt. Angenommen, du bist bei einer Besichtigung und ein Ausländer und ein Deutscher haben dieselben Qualifikationen. Dann kann es eben sein, dass der Eigentümer beim deutschen Namen ein besseres Gefühl hat und sich für diese Familie entscheidet. Dann bleibt einem irgendwann gar nichts anderes mehr übrig, als im Block zu wohnen. Es ist ja auch nicht besonders schön dort – auch, wenn ich Block-Panorama und die Ästhetik eines Hochhauses schön finde und romantisiere. Aber so, wie es von außen aussieht, ist es ja von innen nicht: Wenn mein Bruder, der immer noch ein sehr kleines Zimmer hat, sich ein neues Möbelstück kaufen oder das Zimmer umstellen will, kann er das meistens nicht, weil der Platz fehlt. Das wirkt vielleicht banal, aber auch das ist der Block.
MZEE.com: Wenn ich von außen auf all das gucke – wie einen Block, in dem Deutsche nicht wohnen wollen und eine Kindheit, in der man oft gemieden wird –, so klingt das Ganze nach einer Parallelwelt zum restlichen Berlin. Hast du das damals ebenfalls so empfunden?
Frustra: Ich habe das erst in der Oberschule so richtig gemerkt. Meine deutschen Mitschüler haben zum Beispiel zum Geburtstag voll viele Geschenke bekommen. Oder die Großeltern kamen am Wochenende und haben mal 100 Euro mitgebracht. Das gab es bei uns nie: Wir haben keine Geburtstage gefeiert und uns auch sonst nicht beschenkt. Ein Unterschied waren natürlich auch Markenklamotten. Es wurde schnell deutlich, dass sich die Ausländer nicht so viel leisten konnten und Deutsche gut ausgerüstet zur Schule kamen. Und natürlich haben wir die Unterschiede auch am Ende der Grundschule schon gemerkt, als es die Empfehlungen gab, auf welche Schule man künftig gehen soll. Da wurde den meisten ausländischen Schülern trotz guter Noten geraten, auf die Realschule zu gehen. Entweder wegen der Sprachbarriere oder weil die Eltern nicht fit genug waren, um bei Hausaufgaben zu helfen. Und die ersten Generationen der Gastarbeiter haben den Lehrern eben vertraut. So wurden die Kinder dann auf die Realschule geschickt, obwohl die Noten auch fürs Gymnasium gereicht hätten … Wenn man die Grundschule hier in Berlin verlässt, ist man elf oder zwölf Jahre alt. Wenn du so früh auf Anraten eines Lehrers eine falsche Entscheidung triffst, hast du direkt schlechtere Karten für die Zukunft. Wenn du nicht aufs Gymnasium gehst, kannst du später nicht studieren. Dir werden also ganz früh Jobs wie Arzt oder Architekt verwehrt. So ist der Weg für Ausländer zu guten Jobs einfach schwerer … Das war jedenfalls früher so – mittlerweile machen ja auch mehr Abitur und gehen studieren. Ich habe auch einen Bachelor gemacht und wenn ich mal Kinder habe, weiß ich es ja auch besser.
MZEE.com: Hattest du in deiner Kindheit oder Jugend das Gefühl, ausgeschlossen zu werden oder nicht willkommen zu sein?
Frustra: Meistens nicht, weil ich oft unter meinesgleichen war … Ich wurde ausgeschlossen, wenn meine Eltern das Geld für Klassenfahrten nicht bezahlen konnten. Man konnte damals einen Antrag beim Sozialamt stellen, sodass ich zumindest auf einer von vier Fahrten dabei war. Ein Ausschluss ist aber auch, wenn im Sommer alle im Freibad sind und du kein Geld dafür hast. Wir sind dann teilweise einfach über den Zaun geklettert. Aber du hast natürlich oft einen finanziellen Ausschluss an gesellschaftlichen und kulturellen Sachen, die du einfach nicht machen kannst. Ich hatte auch einen deutschen Kumpel und als ich einmal bei ihm war, musste ich in seinem Zimmer warten, während die Familie gegessen hat. Die Eltern meinten, dass sie nur für drei gekocht haben und ich könne warten oder nach Hause gehen. Das war ein schreckliches Gefühl – vor allem, weil meine Mutter kulturell gesehen ganz anders drauf ist. Sie kocht jedes Mal für zwei Personen mehr, weil es ja sein könnte, dass jemand einen Freund oder eine Freundin mitbringt. Das Thema Gastfreundlichkeit wurde bei uns ganz anders gelebt. Trotzdem hatte ich nie das Gefühl, grundsätzlich ausgeschlossen zu werden.
MZEE.com: Wie hast du Deutschland generell in deiner Jugend wahrgenommen – positiv oder negativ?
Frustra: Beides. Positiv, weil ich wusste, dass ich in einem Land lebe, in dem es viele Möglichkeiten gibt. Aber ich wusste auch, dass ich in einem Block lebe. Und dass ich aus keinem Akademikerhaushalt komme und irgendwo auch eine Sprachbarriere habe. Dass ich mich hier nicht deutsch fühle – und in der Türkei auch nicht türkisch. Das waren alles Themen, die mich als Jugendlicher immer wieder frustriert und wütend gemacht haben. Aber ich habe Deutschland nicht gehasst, weil der Ort nichts dafür kann. Ich habe immer versucht, etwas zu finden, das ich tun kann, damit es mir besser geht und ich weniger wütend bin. Ich habe dann versucht, über den Bildungsweg rauszukommen und das im Endeffekt auch geschafft. Über die Zeit wurde der Frust dann immer weniger.
MZEE.com: Ist in der Zeit eigentlich auch dein Künstlername entstanden?
Frustra: Ja. (grinst) Zur Zeit des Aggro-Berlin-Hypes war ich riesiger Fan von Savas und Bushido. Ich habe damals auch selber mit meinen Jungs aus dem Block Musik gemacht und angefangen, unter dem Künstlernamen "Frustration" zu rappen. Mit der Zeit habe ich ihn in "Frustra" abgewandelt, weil es etwas weniger frustriert klingt. Der Name kommt auf jeden Fall aus einer Zeit, in der ich wahnsinnig wütend und frustriert war …
MZEE.com: Noch mal zurück zum Thema "Deutschland": Hattest du das Gefühl, dass Deutschland ein Land ist, in dem dir alle Türen offenstehen oder dir viel verwehrt wird?
Frustra: Das ist eine schwierige Frage, über die ich noch nie nachgedacht hab'. (überlegt) Ich wusste immer, dass es leichter ist, sich mit blauen Augen, blonden Haaren und dem Namen "Müller" zu bewerben als mit meinem Namen. Ich hatte aber nie das Gefühl, wegen meines Namens abgelehnt zu werden, sondern dachte immer, dass mir die Qualifikation fehlt. Also musste ich alles dafür tun, dass man mich gar nicht ablehnen kann. Mir war schon klar, dass es eine ungleiche Behandlung gibt. Ich habe aber versucht, Motivation daraus zu schöpfen und nicht in eine Depression zu verfallen, die dazu führt, dass ich gar nichts mehr hinkriege.
MZEE.com: In deinem neuen Video hast du kurz die Polizei erwähnt. Mit Straßenrap verbindet man das Thema ja oft – hat sie in deinem Leben jemals eine Rolle gespielt?
Frustra: Nicht direkt, aber bei unseren Nachbarn stand öfter die Polizei vor der Tür. Und wir wurden natürlich von Zivilpolizisten auf der Straße angehalten und gefragt, ob wir Drogen dabei haben. Man hat grundsätzlich gemerkt, dass diese Kontrollen immer bei denselben Menschen passieren. Als ich meinen Führerschein hatte, wurde ich auch ziemlich oft angehalten. Mein bester Freund hatte damals eine C-Klasse von seinem Vater, mit der wir im Sommer rumgefahren sind. Allein in der Zeit wurden wir mehrere Male einfach so von der Polizei rausgezogen. Ich will nicht sagen, dass alle Polizisten so sind, aber man hat schon das Gefühl, dass gewisse Stereotypen öfter kontrolliert werden.
MZEE.com: Was hat das in euch ausgelöst?
Frustra: Es hat uns wütend gemacht, weil es so eine unnötige Zeitverschwendung ist. Wir wussten ja, dass die das nur machen, weil sie Bock drauf und sonst nichts zu tun haben. Irgendwann war man darauf eingestellt, hat gewisse Polizisten schon an der Gangart erkannt und ist einen anderen Weg gegangen. Wir wussten dann auch, wie man sich zu verhalten hat, damit die Sache schnell vorbei ist. Aber natürlich waren wir von der Willkür und Schikane frustriert. Ich will nicht den Eindruck erwecken, dass sowas wöchentlich passiert ist – aber öfter als bei Mitbürgern, die vielleicht blond und blauäugig waren.
MZEE.com: Du hattest eben angesprochen, dass manche Mitschüler Markenklamotten hatten und andere nicht. Solche Statussymbole sind ja oft auch ein großes Thema für Rapper. Was für eine Bedeutung hatten sie für dich – auch im Kontext der Rapszene?
Frustra: Ich habe viel Savas gehört, der sich sehr amerikanisch gekleidet hat. Viel XXXL, Urban Jackets und Baggies – und gerne mal Markenklamotten wie FUBU und Rocawear. Genau das habe ich dann auch angestrebt – ich habe in meinem Keller noch die College-Jacke von Rocawear mit ganz vielen Stickern drauf. Ich war super stolz auf sie. Und sowas war viel wert, weil das direkt dazu führte, ob du cool warst oder nicht. Und diese Coolness war absolut wichtig. Wir haben damals Bushido gehört und in unserer Gegend war es beliebt, Cordon-Jacken und Picaldi-Jeans zu tragen. Diese Jeans haben wir uns alle gekauft, weil sie ein preiswerter Diesel-Verschnitt waren. Die kosteten um die 40 Euro, was völlig im Rahmen war. Die hat Bushido zum Beispiel im Video zu "Ghetto" getragen. Alpha- und Cordon-Sport-Jacken, Picaldi-Hose – das war das Outfit von einem im Ghetto lebenden Ausländer, wenn ich das jetzt mal so plakativ sagen darf. Das Thema Fashion und Brands war ein großes Thema, aber nicht, was den Preis anging. Wenn heute Gucci und PRADA im Trend sind, hatten wir es noch gut, weil unsere Markenklamotten nicht so teuer waren. Damals haben wir es geschafft, Marken aus Deutschland und nicht aus Übersee zu etablieren.
MZEE.com: Waren es auch die Rapper aus Berlin, mit denen ihr euch identifizieren konntet oder habt ihr mit Ami-Rap angefangen?
Frustra: Schon mit Ami-Rap. Aber wir haben die Sprache nicht verstanden, weswegen wir mit deutscher Musik dann mehr anfangen konnten. Und natürlich habe ich auch immer sehr auf Berlin geguckt. Aggro Berlin und Savas waren ja die größten Künstler in Deutschland, aber ich hatte auch immer Azad im Blick. Er hat mich extrem inspiriert und dieses Jogginghosen-Bomberjacken-Ding ganz groß gemacht. Ich mochte seine Lässigkeit – er war auch vom Kleidungsstil her nicht weit weg von Bushido. Samy Deluxe zum Beispiel war gar nicht mein Ding. Der war mir immer zu Baggy und zu XXXL.
MZEE.com: Wenn du alle Erfahrungen und Erlebnisse deiner Kindheit und Jugend rückblickend betrachtest: Wie findest du es, wenn Menschen – gerade auch in der Rapszene – den Block an sich und das Leben darin positiv darstellen oder romantisieren?
Frustra: Wenn sie wirklich aus dem Block kommen, ist das völlig okay. Ich war aber immer abgefuckt, wenn Künstler in den Block gefahren sind, um hier Videos zu drehen, aber dann am Stadtrand in einem Einfamilienhaus leben. Da gibt es ja genügend Beispiele. Wenn aber jemand herkommt und die Message hat: "Hier ist vieles Scheiße, aber nicht alles schlecht", dann finde ich das nicht so schlimm. Ich persönlich bin kein Fan davon, das Ganze zu glorifizieren, weil es am Ende nicht gut ist. Gesamtgesellschaftlich möchte man doch eigentlich, dass es keine Armut gibt und Menschen einen Job haben. Aber das Gegenteil ist hier der Fall – man hört morgens kaum Wecker, weil die Leute nicht aufstehen müssen. Und sowas möchte ich viel eher thematisieren.
MZEE.com: Hast du das Gefühl, dass die meisten über das rappen, was sie wirklich erlebt haben, oder sich eher ein Straßenrap-Image aufbauen?
Frustra: Ich glaube, dass viele über das rappen, was sie aus Geschichten kennen oder wie sie sich den Block vorstellen. Viele, die ganz hart auf Block tun, sind sicher nicht von hier. Aber ich finde, so lange es authentisch und gut erzählt ist, ist es fast schon egal.
MZEE.com: Wie viel hat das Kreuzberg heute für dich mit dem Kreuzberg deiner Kindheit zu tun? Was hat sich verändert, was ist gleich geblieben?
Frustra: Es werden viel mehr Wohnungen und Häuser gebaut. Keine Sozialbauwohnungen, sondern schicke, dreifach verglaste und mit Fußbodenheizung ausgestattete Wohnungen. Ich glaube, es hat sich aufgrund der Gentrifizierung viel geändert, sodass sich das Klientel an manchen Orten in Kreuzberg verändert hat. Aber da, wo die Blocks stehen, ist es nicht schöner geworden. Da wurden keine neuen Wohnungen gebaut. Ich denke, es ist schwierig, Kreuzberg als ganzen Bezirk zu betrachten, weil die Schere zwischen Arm und Reich groß ist. Es gibt einerseits Wohnungen, für die du zwei Millionen zahlen müsstest. Und andererseits hast du eben die Blocks. Ärmere Menschen werden verdrängt, weil sie sich die Wohnungen nicht mehr leisten können. Zum Beispiel werden Häuser saniert, die Kosten auf die Mieten geschlagen und die Leute müssen ausziehen. Kreuzberg ist ein interessanter Bezirk, weil er im Zentrum der Stadt liegt, aber trotzdem viele Menschen aus der Unterschicht hier wohnen. Das liegt daran, dass Kreuzberg ein Randbezirk war, als die Mauer noch stand, und niemand hier wohnen wollte. Erst als die Mauer fiel, war Kreuzberg in der Mitte. Was insofern spannend ist, als dass sich in anderen europäischen Hauptstädten wie Paris oder London kaum jemand eine Miete in der Stadtmitte leisten kann. Da findet in Berlin eben auch ein Wandel statt. Was beispielsweise Gewalt angeht, ist es deutlich besser geworden. Gangs wie die 36 Boys und Black Panthers gibt es zum Beispiel nicht mehr.
MZEE.com: Haben solche Gangs in deiner Jugend denn eine Rolle gespielt?
Frustra: Die 36 Boys waren am Kotti – nicht weit von dem Ort, an dem ich wohne. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich weiß noch, dass es damals Probleme mit Nazis gab, die nach Kreuzberg kamen und ein paar Ausländer gejagt haben. Die 36 Boys wurden dann gegründet, um gegen so etwas anzugehen. Es ging dabei darum, sich selbst zu schützen und nicht um andere Leute zu unterdrücken oder zu erpressen.
MZEE.com: Sind Kreuzberg und der Block ein Ort, an dem du dir vorstellen kannst, dein Leben zu verbringen?
Frustra: Nein, definitiv nicht. Ich weiß, dass ich hier gut zurechtkomme, aber es ist kein Ort, an dem ich Kinder großziehen möchte. Im Winter sind öfter mal Obdachlose und Drogenabhängige im Treppenhaus, um sich vor Kälte zu schützen. Da liegen auch mal Nadeln rum. Ich hätte schon ein Problem damit, wenn ich mal jemanden einlade, der Aufzug kaputt ist und er durchs Treppenhaus muss, in dem Nadeln liegen. Als Kind habe ich mal meine dreckigen Schuhe vor der Tür stehen lassen und die waren dann eben weg. Daran spürt man, dass eben doch nicht alles schön ist. Ich möchte später auch nicht mit dem Gefühl leben, in derselben sozialen Schicht geblieben zu sein. Ich möchte schöner wohnen, ein größeres Fenster haben, nicht auf kahle Wände gucken. Ich habe mal gerappt: "Würde hier jemand im Lotto gewinnen, wäre er morgen schon weg." Das ist einfach so – es ist kein schöner Ort.
MZEE.com: Zum Abschluss noch mal eine emotionalere Frage: Welche Gerüche und welche Musik erinnern dich am meisten an deine Kindheit und Jugend in Berlin?
Frustra: Was Gerüche angeht, ist es türkisches Essen, weil meine Mutter immer gut gekocht hat. Und zum Thema Musik würde ich sagen "Der beste Tag meines Lebens" von Kool Savas, weil ich das Album sehr mit Kreuzberg verbinde. Die Fahne hat er ja auch selber immer hochgehalten. Das war die Phase, in der ich begonnen habe, mich aktiv mit deutschem Rap zu beschäftigen – und mit einer Art von Musik, die nicht nur Gewalt thematisiert, sondern die eher aus der Sicht eines großen Bruders etwas mit auf den Weg geben möchte …
(Florence Bader)