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Kommentar

Lockdown ohne Ende – quo vadis HipHop?

Mit dem Beginn der Pan­de­mie sorg­ten sich vie­le um das Wohl der HipHop-​Community. Hat sich nach einem Jahr mit Covid-​19 etwas an der pre­kä­ren Lage für Künst­ler getan? Die Ant­wort ist: nicht wirk­lich. Ein Kommentar.

An die­ser Stel­le möch­ten wir Gedan­ken zu aktu­el­len Gescheh­nis­sen aus dem Deutschrap-​Kosmos zum Aus­druck brin­gen. Die jeweils dar­ge­stell­te Mei­nung ist die des Autors und ent­spricht nicht zwangs­läu­fig der der gesam­ten Redak­ti­on – den­noch möch­ten wir auch Ein­zel­stim­men Raum geben.

Im Fol­gen­den bilan­ziert unser Redak­teur Wen­de ein Jahr Covid-​19-​Pandemie für die HipHop-Community.

 

Die ers­ten Son­nen­ta­ge erfreu­en das Gemüt. Zar­te Früh­lings­ge­füh­le kei­men. Die Lust, eine Kon­zert­kar­te zu erwer­ben oder den Fes­ti­val­ka­len­der zu fül­len, steigt und die Sehn­sucht nach Lebens­freu­de und Kon­zer­ten wächst ste­tig. Doch lei­der wur­den die ers­ten gro­ßen Fes­ti­vals bereits abge­sagt. Auch das splash! ver­kün­de­te unlängst die schlech­ten Neu­ig­kei­ten. Ver­mut­lich kön­nen selbst klei­ne­re Fes­ti­vals oder Kon­zer­te wie­der nicht statt­fin­den, wenn­gleich eini­ge Künst­ler Tour­neen oder lüt­te Open-​Airs ange­kün­digt haben. Man fühlt sich, als wäre die Welt und mit ihr der HipHop-​Kosmos seit März 2020 ste­hen geblie­ben. Schon vor einem Jahr kom­men­tier­te ich den Umgang der Rap-​Community mit der Corona-​Krise. Damals gelang­te ich zu dem Schluss, dass ent­we­der der Staat die Hil­fen hoch­fah­ren oder Her­den­im­mu­ni­tät erreicht wer­den muss, damit die HipHop-​Community, so wie wir sie ken­nen, fort­be­stehen kann. Nun könn­te man mei­nen, dass sich seit­dem nichts geän­dert hat und der­sel­be Arti­kel ein­fach noch mal neu ver­öf­fent­licht wer­den kann. Doch ist die­se Ver­mu­tung wirk­lich zutref­fend oder haben sich wich­ti­ge Ände­run­gen ergeben?

Vor einem Jahr beschrieb ich die Unüber­sicht­lich­keit der poli­ti­schen Maß­nah­men, zwi­schen stär­ke­ren Ein­schrän­kun­gen und Locke­run­gen, zwi­schen soli­da­ri­scher Rück­sicht­nah­me und spal­te­ri­schen Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen. Für die Prot­ago­nis­ten der Com­mu­ni­ty, Künst­ler, Ver­an­stal­ter, Tech­ni­ker – um nur eini­ge zu nen­nen –, lie­fen vie­le staat­li­che Hilfs­an­ge­bo­te an. Mei­ne dama­li­ge Mah­nung, dass die Maß­nah­men zum Erhalt der Kul­tur nicht aus­rei­chen wür­den, falls eine Her­den­im­mu­ni­tät nicht zeit­nah erreicht wer­den wür­de, erscheint aktu­el­ler denn je. Noch gehen die Imp­fun­gen näm­lich deut­lich zu schlep­pend vor­an. Man han­gelt sich von Lock­down zu Lock­down, zar­te Öff­nungs­schrit­te wer­den teil­wei­se wie­der kas­siert und das Virus mutiert wei­ter. Es ent­steht der Anschein, als wür­de kein nach­hal­ti­ger Plan für die kom­men­den Mona­te existieren.

Wie gehen Musik­schaf­fen­de aktu­ell mit die­ser wei­ter­hin pre­kä­ren Lage um? Releases erschei­nen trotz der Pan­de­mie, wodurch zumin­dest etwas Ein­kom­men gene­riert wer­den kann. Doch ein Release ohne dazu­ge­hö­ri­ge Tour ist wie Pom­mes ohne Mayo. Zwar haben man­che Künst­ler die ers­ten Tour­nee­da­ten für 2021 ver­öf­fent­licht, vie­le muss­ten aber direkt wie­der ver­scho­ben wer­den. Und selbst das bereits ver­scho­be­ne Kon­zert wird viel­leicht noch mal ver­legt. Damit feh­len den Künst­lern zen­tra­le Ein­nah­men. Feh­len­de Pla­nungs­si­cher­heit stellt alle vor immense Her­aus­for­de­run­gen, für die, die von ihrer Kunst leben, ist es jedoch gera­de­zu ein unlös­ba­res Pro­blem. Denn wenn man nicht weiß, wann, wo und wie ein Kon­zert mög­lich sein könn­te, ist eine Tour unplan­bar. Folg­lich fehlt die Per­spek­ti­ve auf finan­zi­el­le Sicher­heit – genau wie vor noch einem Jahr.

Die­ser Situa­ti­on begeg­ne­te die Bun­des­re­gie­rung damals mit Sofort­hil­fen: Die Künst­ler­so­zi­al­kas­se (KSK) bot Stun­dun­gen an. In der Gegen­wart sieht es aber weit­aus düs­te­rer aus. Denn wie man ein­schlä­gi­gen Medi­en ent­neh­men kann, wur­den etwa die Novem­ber­hil­fen erst im Febru­ar aus­ge­zahlt. Der Bun­des­re­gie­rung muss man durch­aus zugu­te­hal­ten, dass neue und umfang­rei­che­re Hilfs­pro­gram­me initi­iert wur­den. Die KSK zum Bei­spiel kommt den Künst­lern immer noch ent­ge­gen. Die finan­zi­el­len Lücken wach­sen jedoch sowohl auf staat­li­cher Sei­te als auch bei den Künst­lern und eine belast­ba­re Per­spek­ti­ve ist so nicht direkt zu sehen. Somit ist die Situa­ti­on trotz zusätz­li­cher Hil­fen nicht unbe­dingt bes­ser gewor­den. Dass es immer noch viel zu viel Luft nach oben gibt, kann man allein schon dar­an able­sen, dass die KSK auf ihrer Web­site Hin­wei­se dazu bereit­hält, wie Hin­zu­ver­diens­te zu ver­steu­ern sind. Es ist also fest­zu­hal­ten, dass die finan­zi­el­le Lage der Prot­ago­nis­ten immer noch mehr als ange­spannt ist. Und neben dem Mate­ri­el­len fehlt es wei­ter­hin an etwas ande­rem Wesent­li­chen: posi­ti­ven Emo­tio­nen. Wie ich schon vor einem Jahr anmerk­te: "Das Gefühl, wenn die Crowd eine Line mit­rappt, der Applaus, der Zusam­men­halt und die Kon­tak­te, die auf Jams geknüpft wer­den, die Batt­les, die von Ange­sicht zu Ange­sicht statt­fin­den und die gemein­sa­men Wer­te sind das, was die­se posi­ti­ven Emo­tio­nen her­vor­bringt. Ein Live-​Event steht für Lebens­freu­de, Aus­ge­las­sen­heit und ganz schlicht und ergrei­fend eine gute Zeit."

Hat sich nun seit einem Jahr also wirk­lich nichts geän­dert? Trägt man die Fak­ten zusam­men, bestä­tigt sich das Gefühl: Die heu­ti­ge HipHop-​Welt sieht der vor einem Jahr erschre­ckend ähn­lich. Wei­ter­hin kei­ne Kon­zer­te und Fes­ti­vals, feh­len­de Ein­nah­men für die Prot­ago­nis­ten der Com­mu­ni­ty – Covid-​19 hat auch die HipHop-​Gemeinde immer noch voll im Griff. Da an der Pan­de­mie gegen­wär­tig kaum etwas zu ändern ist, muss es trotz­dem einen rich­ti­gen Weg vor­wärts geben. Ers­te Lösungs­an­sät­ze sind bereits vor­han­den: So haben Ver­an­stal­ter etwa Hygie­ne­kon­zep­te für Events erar­bei­tet. Sie for­dern auch mit Recht, dass die­se Kon­zep­te beach­tet und umge­setzt wer­den. Dass es geht, zeig­ten jüngst die Ber­li­ner Phil­har­mo­ni­ker. 1 000 Besu­cher wur­den getes­tet, konn­ten in dem zur Hälf­te besetz­ten Saal mit Mas­ke Platz neh­men und end­lich wie­der Kul­tur genie­ßen. Ein Pilot­pro­jekt, das hof­fent­lich Schu­le macht und auch von HipHop-​Veranstaltern adap­tiert wer­den kann. Sol­che Kon­zep­te, die von Kul­tur­schaf­fen­den erar­bei­tet wer­den, soll­ten Zei­chen genug sein, dass die poli­ti­sche Füh­rung einen Teil ihrer Ver­ant­wor­tung auch an Ver­an­stal­ter, Künst­ler und Besu­cher abge­ben kann oder zumin­dest selbst kon­kre­te Kon­zep­te umset­zen muss. Selbst­re­dend mit aller Vor­sicht – schließ­lich ist Covid-​19 kein Herbst­schnup­fen. Doch alle Betei­lig­ten, hin­ter, auf oder vor der Büh­ne, brau­chen das Gefühl, nicht mehr aus­ge­lie­fert zu sein und tat­kräf­tig etwas an der Situa­ti­on zu ändern, Per­spek­ti­ven zu erar­bei­ten und Lebens­freu­de statt­fin­den zu las­sen. Dies ist nach über einem Jahr Pan­de­mie mehr als nötig.

(Wen­de)
(Gra­fik von Dani­el Fersch)