An dieser Stelle möchten wir Gedanken zu aktuellen Geschehnissen aus dem Deutschrap-Kosmos zum Ausdruck bringen, die woanders keinen Platz finden. Dabei kommt nicht nur die MZEE.com Redaktion zu Wort, sondern auch andere Szene-affine Persönlichkeiten wie Rapper, Veranstalter oder Produzenten. Wer sich also mitteilen möchte, soll hier auch die Möglichkeit haben, dies zu tun. Die jeweils dargestellte Meinung entspricht jedoch nicht zwangsläufig der unserer Redaktion – wir sehen aber ebenfalls nicht die Notwendigkeit, diesen Stimmen ihren Raum zu nehmen.
Im Folgenden beschäftigt sich unser Redakteur Wende mit der Frage, welche Probleme sich im Zuge der Corona-Krise für Rapper ergeben und wie diesen Abhilfe zu schaffen ist.
Der Lockdown traf auch die Rapszene mit voller Wucht. Abgesagte Konzerte, Tourneen und der ausfallende Festivalsommer sorgen dafür, dass Künstler, Veranstalter und Produzenten um ihre Lebensgrundlage fürchten. Alle müssen sich darauf einstellen, dass der Zustand des eingeschränkten Zusammenlebens weiterhin anhält. Wann wir zur "Normalität" zurückkehren können, bleibt ungewiss. Besonders, weil auch die politische Situation nicht leicht zu überblicken ist. Und während die Länder nach und nach die Einschränkungen und Maßnahmen lockern, gewinnen die kruden Lügen von Verschwörungstheoretikern immer mehr an Popularität. Die Situation scheint unübersichtlich und verängstigend. Was jedoch sicher ist: Ein tatsächliches Ende der Maßnahmen und Einschränkungen wäre nur dann möglich, wenn vollständige Herdenimmunität erreicht oder ein Impfstoff gefunden wurde. Solange dies nicht der Fall ist, müssen wir die Einschränkungen hinnehmen und uns mit sukzessiven Lockerungen einem Normalzustand nähern. Wann dieser Zustand endlich eintritt und wie er sich gestaltet, ist noch nicht abzusehen – weder für die Gesellschaft an sich noch für die Rapszene im Speziellen.
Für Künstler besteht gegenwärtig fast ein Berufsverbot, weil sie nicht vor einem großen Publikum auftreten dürfen, sodass infolge der abgesagten Konzerte auch keine Einnahmen erzeugt werden können. Um dem entgegenzuwirken, hat die Bundesregierung weitreichende Maßnahmen beschlossen. Gesetzesänderungen sorgen dafür, dass Tickets für Veranstaltungen, die wegen der Covid-19-Pandemie abgesagt wurden, in Gutscheine umgetauscht werden können. So können Veranstalter und Künstler mit den bereits getätigten Einnahmen weiter wirtschaften. Trotzdem entsteht eine finanzielle Lücke, denn der Gutschein wird später eingelöst und der Künstler bei dem verschobenen Konzert kein Geld verdienen. Also eine Maßnahme, die nur kurzfristig wirkt. Auch die Regelungen für die Künstlersozialkasse wurden angepasst: Eine Herabsetzung oder Stundung der Abgaben ohne Verlust des Versicherungsschutzes ist zugesichert. Immerhin ist dies ein Entgegenkommen, aber wiederum nur ein Aufschub. Weiterhin wurde das Stipendienprogramm "Reload" von der Kulturstiftung des Bundes ins Leben gerufen, mit dem Künstlergruppen bei Gewinn bis zu 25.000 Euro für ausgefallene Konzerthonorare in Anspruch nehmen können. Die Unterstützung für Solokünstler und Gruppen, die das Stipendium nicht erhalten, bleibt an dieser Stelle offen. Die GEMA bietet zudem mit einem Hilfsfond an, dass beispielsweise Vorauszahlungen für künftige Wiedergaben eines Songs geleistet werden. Auf den ersten Blick scheint dies eine sinnvolle Maßnahme zu sein, doch nur für diejenigen, die ausreichend viele Wiedergaben erhalten. Somit also noch ein Angebot, das nicht allen hilft. Zumindest scheint den politischen Entscheidungsträgern inzwischen bewusst zu sein, dass Kunst und Kultur durchaus systemrelevant sind. Es bleibt jedoch der fade Beigeschmack, dass die Unterstützung der Kultur insgesamt eine untergeordnete Rolle spielt.
Nicht nur von staatlicher Seite wird ein Beitrag geleistet – viele Künstler sind auch selbst aktiv geworden, um finanzielle Engpässe zu schließen und den Kontakt zu den Fans zu erhalten. Wohnzimmer- und Streamingkonzerte wurden zum Beispiel von Max Herre oder Fatoni, Juse Ju und Panik Panzer angeboten. SSIO und Alligatoah spielten Parkplatzkonzerte, während MC Rene signierte Plattenraritäten aus seiner Schatzkammer anbot. Xatar und SSIO haben einen Podcast initiiert und Jan Delay postet derweil Videos auf YouTube aus der goldenen "Eimsbush"-Ära.
Keineswegs fehlen nur die Einnahmen aus den Konzerten und Tourneen. Auch die Produktion eines neuen Albums ist erschwert. Nicht jeder Künstler hat die Möglichkeit, innerhalb der eigenen vier Wände Neues zu schaffen. Dazu kommt, dass für verschiedene Phasen der Fertigstellung mehrere Beteiligte wie Produzenten oder Featuregäste zusammenkommen müssten. Es gibt zwar Möglichkeiten, online gemeinsam Musik zu machen, aber vermutlich gestaltet sich dies schwieriger, als direkt gemeinsam ein neues Album zu produzieren. Dementsprechend kann gegenwärtig nicht unbedingt auf eine Vergütung aus einem neuen Release gebaut werden.
In der Rap-Szene sind neben den Künstlern noch weitere Mitwirkende betroffen. So trifft es auch größere Unternehmen der Musikbranche, zum Beispiel Veranstaltungsagenturen. Für sie besteht die Möglichkeit, auf Kurzarbeit umzustellen. Damit kann eine etwaige Insolvenz verhindert werden, auch wenn die betroffenen Mitarbeiter in jedem Fall mit weniger Einkommen wirtschaften müssen. Selbstständige oder Kleinstunternehmer dieses Wirtschaftszweigs, wie etwa Stagehands oder Tontechniker, können staatliche Unterstützung erhalten, allerdings gilt dieser Beitrag nur für einen begrenzten Zeitraum. Anhand dieser Beispiele wird deutlich, dass die aktuellen Einschränkungen die Kulturbranche existenziell und nicht nur Künstler trifft.
Insgesamt verschieben die unterschiedlichen Reaktionen auf den Lockdown und die weiterhin schwierige Zeit danach das Problem nur, denn gegenwärtig können die verschiedenen Akteure der Szene kaum Einnahmen generieren. Inwiefern durch Parkplatz- oder Streamingkonzerte finanzielle Lücken geschlossen werden können, ist mehr als fraglich. Hier sind auch die Rezipienten gefragt. Nun gilt es, durch Käufe von Platten und Merch oder durch Streaming die Künstler direkt zu unterstützen.
Soweit zu den finanziellen Aspekten des Lockdowns und zur Reduzierung der Kontakte für Künstler, Produzenten und Veranstalter. Für alle, insbesondere die Rezipienten und Künstler, fehlt jedoch etwas, das in keiner Weise durch staatliche Maßnahmen ersetzt werden kann: positive Emotionen und Rap als Gemeinschaft. Das Gefühl, wenn die Crowd eine Line mitrappt, der Applaus, der Zusammenhalt und die Kontakte, die auf Jams geknüpft werden, die Battles, die von Angesicht zu Angesicht stattfinden und die gemeinsamen Werte sind das, was diese positiven Emotionen hervorbringt. Ein Live-Event steht für Lebensfreude, Ausgelassenheit und ganz schlicht und ergreifend eine gute Zeit.
Alle – Künstler, Veranstalter und Hörer – sind auf Veranstaltungen und eine weitere Lockerung der Kontaktbeschränkungen angewiesen. Nicht nur, um Einnahmen zu generieren, sondern auch, um positive Emotionen zu gestalten und zu erleben. Streaming- oder Parkplatzkonzerte stellen zwar eine Alternative dar, können aber nicht den direkten Kontakt in der verschwitzen Luft eines Konzerts, den Live-Sound, die Interaktion zwischen Künstler und Publikum oder das Gemeinschaftserlebnis ersetzen.
Man muss sich zwar mit dem, was angeboten wird, zunächst arrangieren, dennoch gibt es auch Positives. Wer etwa das Fatoni-Konzert auf ARTE ohne Publikum verfolgte, erlebte eine unvergleichlich intime Stimmung und eine ganz besondere Lockerheit im Umgang mit der Situation. Trotz der fehlenden direkten Resonanz durch andere Zuschauer fühlte man sich so, als würde man unmittelbar daran teilnehmen.
Für Fans gibt es also diverse Angebote. Diese können helfen, die Sehnsucht nach einem Konzert zu überbrücken, aber die Lücke bleibt. Für Künstler und Veranstalter stellen Gutscheine statt Rückerstattung und weitere Maßnahmen eine Überbrückung dar, aber langfristig werden alle, die ihren Lebensunterhalt mit Musik verdienen, auf eine größere Menschenansammlung angewiesen sein. Weitere staatliche Hilfen werden folgen müssen, damit die Rap-Szene der Gegenwart auch im anstehenden Sommer und Herbst existiert. Rap als Teil der Kulturszene ist systemrelevant für das Zusammenleben. Rap kann Ausdruck einer politischen Meinung sein, Persepktiven aufzeigen oder einen Teil der Identität ausmachen. Und gerade hier entsteht der Eindruck, dass nicht genug von staatlicher Seite getan wird, um der Szene zu helfen. Genau deshalb kann es nur eine Forderung geben: mehr maßgeschneiderte, effektive Unterstützung und Programme zum Erhalt und zur Entwicklung der vielfältigen Rap-Szene. Vor allem für diejenigen, die nicht kommerziell erfolgreich sind. Trotzdem ist der Lockdown und die gegenwärtige Zeit der Kontaktbeschränkungen nicht ohne Perspektive. Denn durch ihn entstehen innovative Formate und sind viele spannende Entwicklungen im HipHop möglich.
(Wende)
(Titelbild von Daniel Fersch)