"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Just wurde pandemiebedingt auch das diesjährige splash! abgesagt. Für mich ein Anlass, an meine liebsten Momente des Festivals zu denken. Einer davon war 2013, als ich zu früh an der Strandbühne ankam, weil ich dort irgendeinen Gig sehen wollte. Edgar Wasser war gerade dabei, den letzten Song seines Auftritts zu spielen: "44 Bars".
Ich kannte Edgar zuvor nur aus den negativen Erzählungen eines Bekannten, der ihn wohl als Support-Act bei einem Samy Deluxe-Konzert gesehen hatte. Er zeigte großes Unverständnis darüber, dass so einer bei Samy spielt – mit seinen offensichtlich und betont unsarkastisch homophoben und anderweitig geschmacklosen Texten. Mir hatte das gereicht, um mich nicht weiter mit dem Künstler auseinanderzusetzen. Innerhalb der drei Minuten, die von seinem Auftritt noch übrig waren, sollte sich das jedoch als Fehler entpuppen. Im Gegensatz zu meinem – inzwischen ehemaligen – Bekannten war ich nämlich in der Lage, die zweite Ebene in Lines wie "Und jeder von ihnen ist mein bester Freund, es sei denn, er ist mit Homosexualität verseucht" und "Ich wollte nie Blut vergießen, ich bin pubertierend. Ich glaub', Computerspiele haben mich dazu getrieben" zu erkennen. Das düster gehaltene Piano-Instrumental schafft von Anfang an die perfekte Atmosphäre für den bissigen, auf den ersten Blick nicht offensichtlichen Humor. Mit seinen "44 Bars" hat Edgar Wasser bei mir und meinen Freunden jedenfalls einen so bleibenden Eindruck hinterlassen, dass ich acht Jahre später nicht mehr weiß, wen ich an diesem Tag auf dieser Bühne eigentlich sehen wollte.
Um abschließend vielleicht doch noch versöhnliche Worte zu finden: Nicht jeder hat den gleichen Humor, schon gar nicht meinen. Geschweige denn denselben Musikgeschmack. Ich hatte in diesem Moment jedenfalls großen Spaß und gerade in das gesamte Werk von Edgar Wasser eingeordnet halte ich "44 Bars" für einen wunderbaren Einstieg.
(Michael Collins)