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Kommentar

Karten aufn Tisch – deutscher Rap macht Politik

Die Reak­tio­nen inner­halb der Sze­ne auf den Anschlag von Hanau haben gezeigt, dass deut­scher Rap wie­der poli­ti­scher wird. Künst­ler bezie­hen in Tex­ten Stel­lung und enga­gie­ren sich in unter­schied­li­chen Berei­chen. Über die Not­wen­dig­keit, sich außer­halb der Musik zu positionieren.

An die­ser Stel­le möch­ten wir Gedan­ken zu aktu­el­len Gescheh­nis­sen aus dem Deutschrap-​Kosmos zum Aus­druck brin­gen. Die jeweils dar­ge­stell­te Mei­nung ist die des Autors und ent­spricht nicht zwangs­läu­fig der der gesam­ten Redak­ti­on – den­noch möch­ten wir auch Ein­zel­stim­men Raum geben.

Im Fol­gen­den setzt sich unser Redak­teur Simon mit der Poli­ti­sie­rung in Tei­len der Rap­sze­ne auseinander.

 

Der Anschlag in Hanau am 19.02.2020, bei dem Gök­han Gül­te­kin, Sedat Gür­büz, Said Nesar Hash­e­mi, Mer­ce­des Kier­pacz, Ham­za Kur­to­vić, Vili-​Viorel Păun, Fatih Sara­çoğ­lu, Fer­hat Unvar und Kaloyan Vel­kov aus ras­sis­ti­schen Moti­ven umge­bracht wur­den, hat auf poli­ti­scher und gesell­schaft­li­cher Ebe­ne zum Teil beschä­mend gerin­ge Reak­tio­nen her­vor­ge­ru­fen. Zwar zeig­ten alle Men­schen in den ent­spre­chen­den Posi­tio­nen das ihnen mög­li­che Höchst­maß an (öffent­lich­keits­wirk­sa­mer) Betrof­fen­heit und Vol­ker Bouf­fier ver­si­cher­te den Hin­ter­blie­be­nen, es "beim nächs­ten Mal bes­ser machen" zu wol­len. Mehr als Lip­pen­be­kennt­nis­se sind aus die­ser Zeit aber nicht geblie­ben. Kei­ner­lei per­so­nel­le Kon­se­quen­zen bei Poli­tik, Ver­fas­sungs­schutz oder Poli­zei. Ekla­tan­tes Fehl­ver­hal­ten und unent­schuld­ba­re Ver­säum­nis­se vor – ver­schlos­se­ner Not­aus­gang – und wäh­rend der Tat – einen Ver­wun­de­ten erst mal nach dem Aus­weis fra­gen, ihn dann als Schutz­schild nut­zen – wur­den nicht auf­ge­ar­bei­tet, geleug­net und muss­ten erst durch jour­na­lis­ti­sche Arbeit auf­ge­deckt wer­den. Grund­le­gen­de Refor­men in den ent­spre­chen­den Insti­tu­tio­nen sucht man ver­geb­lich. Die lan­ge Lis­te an trau­ri­gen Absur­di­tä­ten las­sen einen fas­sungs­los zurück. Auch ein Jahr nach dem Anschlag las­sen sich kei­ne tat­säch­li­chen Kon­se­quen­zen fin­den. Wer sich wei­ter mit der The­ma­tik befas­sen möch­te, dem sei die "Initia­ti­ve 19. Febru­ar in Hanau" ans Herz gelegt.

Deut­lich ehr­li­cher und auf­rich­ti­ger als vie­le der ver­ant­wort­lich Han­deln­den haben sich gro­ße Tei­le der Rap­sze­ne in Deutsch­land ver­hal­ten. Sowohl im unmit­tel­ba­ren Nach­gang als auch vor Kur­zem, als sich der Anschlag jähr­te. Dass bei­spiels­wei­se Jalil und Ramo in Hanau waren, um der Opfer zu geden­ken, ist nur ein klei­ner Aus­schnitt eines hoff­nungs­voll stim­men­den Bil­des, das sich aktu­ell zeich­nen lässt. Sei es der Bene­fiz­song "Bist du wach?" von Azzi Memo und ande­ren, ein nicht enden wol­len­der Strom an Soli­da­ri­täts­be­kun­dun­gen mit den Opfern und Hin­ter­blie­be­nen via Social Media und auf ent­spre­chen­den Ver­an­stal­tun­gen oder viel­fa­che Kri­tik an den oben beschrie­be­nen Ver­hält­nis­sen: Sel­ten konn­te ein so gro­ßes Zusam­men­rü­cken als Reak­ti­on auf gesell­schaft­li­che Ein­schnit­te beob­ach­tet wer­den. Natür­lich ist das auf den ers­ten Blick nicht mehr, als Bouf­fier und der hes­si­sche Innen­mi­nis­ter Beuth gemacht haben, aller­dings sind die ent­spre­chen­den Möglich- und Ver­ant­wort­lich­kei­ten über­haupt nicht vergleichbar.

Ins­ge­samt lässt sich eine Ver­schie­bung der Prio­ri­tä­ten und Inhal­te in unser aller Lieb­lings­gen­re beob­ach­ten. So kommt es ver­mehrt zu expli­zit poli­ti­schen Äuße­run­gen und Posi­tio­nie­run­gen, die fern­ab von jeg­li­cher "Mit Poli­tik hab' ich nichts am Hut"-Mentalität sind. Das geschieht sowohl in musi­ka­li­scher Form als auch in Inter­views und eben auf Social Media. Auf­ru­fe zur Unter­stüt­zung unter­schied­li­cher kari­ta­ti­ver oder ähn­li­cher Orga­ni­sa­tio­nen fin­den sich aktu­ell bei­na­he eben­so häu­fig in den ein­schlä­gi­gen Insta-​Storys wie der Ver­weis auf die neu­es­te Deluxe-​Box des Cou­sins vom Label­kol­le­gen. Voll­kom­men neu ist die­ser stär­ker wer­den­de Fokus auf poli­ti­sche Inhal­te und das Klar­stel­len bestimm­ter Stand­punk­te mit Sicher­heit nicht. Sieht man die Aspek­te "unpo­li­tisch" und "poli­tisch" als Tief- und Hoch­punkt einer Wel­len­be­we­gung, schei­nen wir uns aller­dings nach einem lan­gen Marsch durch ein tie­fes Tal gera­de wie­der auf die Spit­ze eines Wel­len­bergs zuzu­be­we­gen. Ähn­lich poli­tisch ein­deu­tig for­mu­lier­te Songs dürf­te es in der hohen Anzahl zuletzt Ende der 90er bis Anfang der 2000er gege­ben haben.

Die augen­fäl­ligs­ten Bei­spie­le für die­se Ent­wick­lung, gera­de auf musi­ka­li­scher Ebe­ne, sind Künst­ler wie Fato­ni, Audio88 & Yas­sin oder Syla­bil Spill. Die­se Bei­spie­le zei­gen, dass mit einer inhalt­li­chen Wand­lung auch häu­fig eine ver­än­der­te Dar­stel­lung der Künst­ler­per­so­na ein­her­geht. Zuneh­mend wird eine vor­her über Jah­re auf­ge­bau­te distan­zier­te und iro­ni­sche Grund­hal­tung und das damit defi­nier­te Image abge­legt und zuguns­ten von kla­rer Posi­tio­nie­rung ersetzt. Aus Wit­zen über untrag­ba­re Zustän­de wer­den State­ments gegen genau die­se Zustän­de. Yas­sin stellt im BUNKER:TALK in dem Zusam­men­hang fest, dass man die Zeit, in der man sich einen Witz über bestimm­te gesell­schaft­li­che Situa­tio­nen aus­denkt, auch ein­fach "sinn­vol­ler", näm­lich mit hand­fes­ter Kri­tik, nut­zen kann. Mit den ein­deu­ti­ger und ernst­haf­ter for­mu­lier­ten State­ments gehen zudem oft deut­lich per­sön­li­che­re Tex­te und weni­ger Schutz von Pri­vat­sphä­re ein­her. Anders­her­um gesagt: Kunst­fi­gur und tat­säch­li­che Per­sön­lich­keit wer­den zuneh­mend mit­ein­an­der ver­knüpft und bei vie­len kommt damit offen­sicht­lich ein gestei­ger­tes Bewusst­sein für die eige­ne Wir­kung und die Mög­lich­kei­ten, Mei­nung zu machen. Dass so etwas heu­te ver­mehrt pas­siert, könn­te auch dar­an lie­gen, dass die frü­he­ren "Gate­kee­per", also Musik­fern­se­hen und Radio, durch Spo­ti­fy und Co. ersetzt wur­den. Damit gibt es für Künst­ler auch kei­nen Grund mehr, mit ihrer Mei­nung hin­term Berg zu hal­ten und damit even­tu­ell Air­play zu verspielen.

Doch auch der ange­spro­che­ne Akti­vis­mus und die poli­ti­sche Posi­tio­nie­rung abseits der Musik fin­den sich vor allem in den letz­ten drei bis vier Jah­ren immer häu­fi­ger: 1UP arbei­tet mit dem Sea-​Watch-​Verein zusam­men und ver­kauft Shirts, deren Erlös der frei­wil­li­gen See­not­ret­tung zugu­te­kommt. Syla­bil Spill rief vor zwei Jah­ren das Tracksrunner-​Projekt ins Leben, bei dem er sich als Leichtathletik-​Trainer für Jugend­li­che enga­giert. Unent­wegt muss er dabei gegen ras­sis­ti­sche Angrif­fe ankämp­fen. Ree­per­bahn Kareem trai­niert Kin­der und Jugend­li­che in sei­nem Vier­tel, um sie von der Stra­ße weg­zu­hal­ten. Rap­per wie Dis­ar­star und PTK kom­mu­ni­zie­ren immer offe­ner ihre Teil­nah­me an poli­ti­schen Aktio­nen. Ins­ge­samt scheint sozia­les und poli­ti­sches Enga­ge­ment in ähn­li­chem Maße zuzu­neh­men wie die Ideen für neue Geschäfts­mo­del­le bei manch ande­ren Rappern.

Auch wenn Zynis­mus zur Not immer eine siche­re Bank ist, ist die aktu­el­le Ent­wick­lung durch­aus zu begrü­ßen. Nach einer sehr lan­gen Pha­se, in der deut­scher Rap haupt­säch­lich durch sound­äs­the­ti­sche Neue­run­gen auf sich auf­merk­sam machen konn­te, tre­ten momen­tan ver­mehrt eben poli­tisch gewich­ti­ge Inhal­te in den Vor­der­grund. Natür­lich ist die Sze­ne inzwi­schen längst viel zu groß, um eine sol­che Ent­wick­lung all­ge­mein­gül­tig fest­zu­ma­chen. Vom "poli­ti­sier­ten" Deutschrap zu reden, ist daher mit Sicher­heit ver­früht und auch nicht unbe­dingt wün­schens­wert. Aktu­ell wer­den eini­ge Künst­ler dadurch aber so span­nend wie sel­ten zuvor in ihrer Kar­rie­re. Ganz abge­se­hen davon, dass die aktu­el­len Zustän­de sol­che Posi­tio­nie­run­gen auch ein­fach erfor­der­lich machen.

(Simon Back)
(Gra­fik von Dani­el Fersch)