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Interview

Audio88 – ein Gespräch über Hass

"Wir sehen alle, dass der brau­ne Mob immer grö­ßer wird. Trotz­dem fragt man uns, ob es rich­tig sei, mit Aggres­sio­nen zu reagie­ren. War­um sind die ande­ren Men­schen nicht auch so wütend wie ich?" ‒ Audio88 über die poli­ti­schen Umstän­de des letz­ten Jah­res und sei­ne dar­aus resul­tie­ren­de Wut.

Viel­leicht liegt es dar­an, dass man gera­de non­stop Zeit im Inter­net ver­bringt und mehr von der Zwie­tracht dort mit­be­kommt. Viel­leicht liegt es auch dar­an, dass alle frus­triert sind und sich die Gemü­ter noch schnel­ler als sonst erhit­zen. Gefühlt sieht man weit und breit nur noch Feind­se­lig­keit. Uns stell­te sich die Fra­ge, ob man einen Kampf gegen den Hass füh­ren und der Ver­ge­bung einen grö­ße­ren Platz in sei­nem Leben geben soll­te – oder ist Hass doch die trei­ben­de Kraft, um gegen Ungleich­hei­ten in der Gesell­schaft anzu­kämp­fen? Audio88 & Yas­sin sind als Kunst­fi­gu­ren in der Sze­ne für ihren unver­kenn­ba­ren Zynis­mus bekannt. Zei­len wie "Was fällt denen ein, zu strei­ken, wenn ich zur Arbeit muss? Der klei­ne Mann darf wie­der lei­den und ihr legt die Füße hoch" oder "Swi­pe durch das Leid der Welt und teil's. Denn geteil­tes Leid bringt dop­pelt so viel Likes" sind dafür prä­gnan­te Bei­spie­le. Als Men­schen machen sie jedoch oft schlicht auf Miss­stän­de auf­merk­sam – ohne zwei­te Ebe­ne, ohne Witz. Dafür auf­rich­tig, ehr­lich und mit uner­müd­li­chem Wil­len. Seit Jah­ren sprin­gen sie für anti­ras­sis­ti­sche Bewe­gun­gen oder den anti­fa­schis­ti­schen Wider­stand in die Bre­sche und set­zen Zei­chen gegen Sexis­mus, Homo­pho­bie und Dis­kri­mi­nie­rung. Auf ihrem aktu­el­len Album "Todes­lis­te" üben sie eher Ver­gel­tung als Ver­ge­bung. Im ech­ten Leben hin­ge­gen sind sie zwei reflek­tier­te Men­schen, denen Ver­ge­bung bei Wei­tem kein Fremd­wort ist. Wir woll­ten mehr über die­se Wider­sprü­che her­aus­fin­den und tra­fen erst Audio88 und spä­ter Yas­sin zum Interview.

Mit dem sze­nen­in­ter­nen Gott­va­ter des Has­ses, Audio88, haben wir uns dar­über unter­hal­ten, woher sein Hass kommt, gegen wen er sich rich­tet und was er sich davon über­haupt erhofft. War­um er wütend ist und dar­über, war­um Feu­er nicht gleich Feu­er ist. Über sei­ne Erfah­run­gen mit Ron­ny und Enri­co in Cott­bus und Fried­rich Merz. Über Poli­tik und dar­über, wie es sich anfühlt, immer der­je­ni­ge zu sein, der sofort mit Hass ver­bun­den wird. Dar­über, ver­ge­ben zu kön­nen. Und über Liebe.

MZEE​.com: Fan­gen wir da an, wo alles begann: in Cott­bus. Auf eurem letz­ten Album habt ihr dei­ner Ex-​Heimat einen gan­zen Song bezie­hungs­wei­se kon­kret eine Abrech­nung gewid­met. Hast du dort gelernt, zu hassen? 

Audio88: Ja, ich den­ke schon. Ich bin zwar nicht in Cott­bus gebo­ren, aber hin­ge­zo­gen, als ich zehn oder elf Jah­re alt war. Vor­her war es ruhi­ger und behü­te­ter, außer­dem war ich zu jung, um wirk­lich zu has­sen. Ich wür­de daher nicht nur sagen, dass ich in Cott­bus gelernt habe, zu has­sen, son­dern eher, dass ich Hass in Cott­bus erst ken­nen­ge­lernt habe.

MZEE​.com: Auf dem gleich­na­mi­gen Song "Cott­bus" sprichst du wie­der­holt nega­tiv von Enri­co. Was hat es mit ihm auf sich? 

Audio88: Enri­co gibt es tat­säch­lich. Er war bei mir in der Klas­se, aber ich hät­te auch ande­re Bei­spie­le nen­nen kön­nen. Enri­co war lei­der kein Ein­zel­fall. Es gab auch einen Eric, einen Mar­tin und sogar zwei Ron­nys, die alle die­sel­be Jacke (Anm. d. Red.: Jacke mit KKK-​Aufdruck) ange­zo­gen hätten.

MZEE​.com: In Ber­lin ging es dann rich­tig los und du wur­dest Teil einer Sze­ne, die dei­nen per­sön­li­chen Wer­ten in vie­len Punk­ten wider­spricht. Was hat es damals und heu­te in dir aus­ge­löst, Teil von etwas zu sein, das du ablehnst? 

Audio88: Ich weiß, wor­auf du hin­aus­willst. Aber auch wenn es Leu­te gibt, die Kol­le­gah und mich in einer Rei­he sehen und den­ken, wir wür­den das­sel­be tun, gibt es für mich kei­ner­lei Berüh­rungs­punk­te. Kol­le­gah habe ich, wenn wir bei die­sem Bei­spiel blei­ben, auch nur ein­mal in einem Back­stage gese­hen. Von daher sehe ich da genau so wenig Ver­bin­dung wie zu den No Angels, Boy­bands oder irgend­ei­nem ande­ren Quatsch. Wir bewe­gen uns nicht in der­sel­ben Sze­ne, nur weil wir bei­de dop­pel­sil­bi­ge Rei­me nut­zen. Heu­te gibt es sowie­so unglaub­lich vie­le ver­schie­de­ne Sub­sze­nen, sei es Trap, Afro­trap, Lean Rap, Mum­ble Rap und was es noch so gibt. Frü­her hat­te ich immer das Gefühl, dass ich mich mit Yas­sin, Mor­lockk Dilem­ma und Retro­gott in einer ganz klei­nen Sze­ne inner­halb der Sze­ne bewegt habe. Mit dem Feind­bild, um das es zu die­ser Zeit oft ging, hat­ten wir aber maxi­mal Berüh­rungs­punk­te, wenn wir uns im splash!-Backstage über den Weg gelau­fen sind. Ansons­ten hat­te man nichts mit­ein­an­der zu tun. Von Bushi­do und "Jung Bru­tal Gut­aus­se­hend" habe ich nur bei MTV mitbekommen.

MZEE​.com: Die poli­ti­schen Umstän­de des letz­ten Jah­res haben ziem­lich viel Nähr­bo­den für Hass geschaf­fen. Glaubst du, dass es ziel­füh­rend ist, dei­nen Unmut dies­be­züg­lich in Hass umzuwandeln? 

Audio88: Zum einen den­ke ich nicht, dass ich die allei­ni­ge Ver­ant­wor­tung tra­ge, um Miss­stän­de zu ändern. Ich wür­de mir auch nicht ein­bil­den wol­len, dass mei­ne Lie­der oder Tex­te eine der­art gro­ße Schlag­kraft hät­ten. Nichts­des­to­trotz krie­ge ich die­se Fra­ge oft gestellt und so lang­sam pisst sie mich ein biss­chen an. Wir leben schließ­lich alle auf dem­sel­ben Pla­ne­ten, sehen die­sel­ben Miss­stän­de und vor allem, dass der brau­ne Mob immer grö­ßer wird. Trotz­dem fragt man uns, ob es der rich­ti­ge Weg sei, mit Aggres­sio­nen zu reagie­ren. Dann fra­ge ich mich immer, war­um die ande­ren Men­schen nicht auch so wütend sind wie ich. Ich fin­de es faul, zu sagen: "Das ist der fal­sche Weg, also set­ze ich mich die nächs­ten zehn Jah­re auf mein ver­fick­tes Sofa und über­le­ge mir einen Weg, der sich für alle rich­tig anfühlt." Am Ende unter­nimmt nie­mand etwas. In einer JUICE-​Review zu "Stern­zei­chen Hass" wur­de geschrie­ben, dass es nicht der rich­ti­ge Weg sei, Feu­er mit Feu­er zu bekämp­fen. Da dach­te ich mir: "Es ist ein­fach nicht das­sel­be Feuer."

MZEE​.com: Um noch mal zurück zu "Cott­bus" zu kom­men: Mein Ein­druck ist, dass der Song vor allem ein Appell an die­je­ni­gen ist, die lie­ber zuse­hen, als ein­zu­schrei­ten. Wer regt dich mehr auf: die eigent­li­chen Täter oder die­je­ni­gen, die nicht ein­grei­fen und men­schen­feind­li­ches Ver­hal­ten so legitimieren?

Audio88: Die neh­men sich nichts, schlim­mer oder bes­ser fin­de ich da kei­nen. In Deutsch­land kommt es gera­de zu einer gesamt­ge­sell­schaft­li­chen unter­las­se­nen Hil­fe­leis­tung. Es bren­nen Asyl­hei­me und Deut­sche ste­hen drum her­um, klat­schen und hal­ten die Feu­er­wehr von der Arbeit ab. Oder die Feu­er­wehr applau­diert direkt mit. Das ist für mich Deutsch­land und es ist ein­fach nur ekelhaft.

MZEE​.com: Noch extre­mer wird es auf Social Media – Twit­ter platzt vor Hate Speech, Belei­di­gun­gen und Shit-​Talk. Was gibt es dir, dei­nem Hass im Inter­net frei­en Lauf zu lassen? 

Audio88: Dies­be­züg­lich habe ich mit mei­nen Tex­ten ja schon lan­ge ein Ven­til, daher gibt mir Twit­ter in die­sem Kon­text nichts. Ich fin­de es oft amü­sant. Wahr­schein­lich wer­den sich mei­ne Tweets aber wie­der auf ein abso­lu­tes Mini­mum beschrän­ken, sobald unse­re Pro­mo­pha­se vor­bei ist. (lacht) Es macht ja auch Spaß: Ich konn­te kei­ne 20 Tracks über Fried­rich Merz machen, aber ich konn­te 20 000 Tweets über ihn machen. Hof­fent­lich weiß in drei Jah­ren nie­mand mehr, wer der Schwanz über­haupt ist. Dann ist es wahr­schein­lich bes­ser, mei­ne Krea­ti­vi­tät in ein paar blö­de Sprü­che zu bal­lern, statt ihm Raum in mei­ner wirk­li­chen Kunst zu bie­ten. Ich hof­fe wirk­lich, dass sich bald nie­mand mehr an ihn erin­nert, weil er alles ver­kackt hat. (lacht)

MZEE​.com: Im rea­len Leben wird es zur­zeit selbst im Freun­des­kreis manch­mal unan­ge­nehm. Auf dem Track "Freun­de" gibst du klar zu ver­ste­hen, dass du "Freun­de" schnell aus dem Freun­des­kreis eli­mi­nierst, soll­ten sie sich gegen dei­ne Grund­wer­te stel­len. Bist du da wirk­lich so konsequent? 

Audio88: Ja, klar. Ich habe nicht sehr vie­le Freun­de, weil ich kein sym­pa­thi­scher Mensch bin. (lacht) Außer­dem bin ich kei­ne 16 mehr und jeden Tag mit mei­ner Jugend­cli­que unter­wegs. Über die Jah­re hat man halt ein paar Leu­te aus­sor­tiert, weil man mit bestimm­ten Per­so­nen nichts mehr zu tun haben will. Gene­rell wür­de ich sagen, dass ich mir mein Umfeld sehr bewusst aus­su­che. Das ist aber kei­ne neue Ent­wick­lung – ich hat­te immer wenig Freun­de. (lacht) Der Song war abge­se­hen davon auch der ers­te, den wir für das Album gemacht haben. Text­lich ist der, glau­be ich, drei oder vier Jah­re alt.

MZEE​.com: Wür­dest du ger­ne häu­fi­ger ver­ge­ben können? 

Audio88: Ich kann ver­ge­ben. Es geht bei dem Song ja nicht um Leu­te, die mir einen Zwan­ni schul­den oder schlecht über mich gere­det haben. Aber wenn du dich so ver­hältst wie die Per­so­nen in dem Song und anti­se­mi­ti­sche, sexis­ti­sche oder ras­sis­ti­sche Wit­ze reißt und das bei dir zur Nor­ma­li­tät gehört, will ich nichts mit dir zu tun haben – dann will ich ein­fach nicht dein Freund sein. Sol­che Men­schen brau­che und will ich in mei­nem Umfeld nicht.

MZEE​.com: Bevor wir zum Ende kom­men, geht es noch mal an die Sub­stanz: Wie gefähr­lich ist die­ser Hass für dich selbst? 

Audio88: Ich sehe da kei­ne Gefahr. Isso.

MZEE​.com: Rich­tet sich dein Hass nie gegen dich selbst? 

Audio88: Nee, ich bin ganz gut mit mir.

MZEE​.com: Wie kommst du damit zurecht, dass dich so vie­le Leu­te sofort mit Hass oder Mis­an­thro­pie verbinden? 

Audio88: Ich weiß, dass dem so ist. Das Misanthropie-​Ding fällt mitt­ler­wei­le ein biss­chen weg – hoff' ich zumin­dest. Es ist ja nicht so, dass wir gegen alle Men­schen sind. Ansons­ten kom­me ich damit ganz gut klar. Zum Glück kommt es nur sel­ten vor, dass mich Men­schen, die mich nicht ken­nen, umar­men möch­ten. Ich habe natür­lich auch selbst dazu bei­getra­gen. Mei­ne letz­te Solo­plat­te hieß "Stern­zei­chen Hass", da ist es klar, dass mich Leu­te schnell mit dem The­ma asso­zi­ie­ren. Es resul­tiert ja auch dar­aus, wie ich mich in Lie­dern und Inter­views gebe. Da brau­che ich mich nicht zu beschwe­ren. Trotz­dem nervt es manch­mal, immer wie­der die­sel­ben Fra­gen gestellt zu bekom­men. Aber wem gin­ge das nicht so?

MZEE​.com: Was nimmt in dei­nem Leben mehr Platz ein? Hass oder Liebe? 

Audio88: Liebe.

(Jonas Jan­sen)
(Fotos von V.Raeter)