An dieser Stelle möchten wir Gedanken zu aktuellen Geschehnissen aus dem Deutschrap-Kosmos zum Ausdruck bringen. Die jeweils dargestellte Meinung ist die des Autors und entspricht nicht zwangsläufig der der gesamten Redaktion – dennoch möchten wir auch Einzelstimmen Raum geben.
In unserem aktuellen Kommentar beschäftigt sich unser Redakteur Daniel mit der Kritik am Frauenbild von Bonez MC.
Auch wenn man sich schon viele Jahre mit dem Mikro- und Makrokosmos "deutscher Rap" beschäftigt, wartet er doch gelegentlich mit Überraschungen auf. Meist sind diese dann allerdings leider negativer Natur. Dennoch gibt es sie, die vereinzelten Fälle von positiven Ereignissen, die dafür sorgen, dass man zumindest ansatzweise den Glauben daran behält, dass Rap nicht ganz so verkommen ist, wie es oftmals scheint. Vor Kurzem bin ich auf genau so eine Situation gestoßen und sie begann, wie fast alles im deutschen Rap heutzutage beginnt: mit einer Instagram-Story.
In einer solchen äußerte sich Bonez MC – wenig überraschend – erst mal mehr als fragwürdig. In einem von ihm verfassten Text erklärte er, dass Frauen, die Sport machten, kochen könnten und Schach oder Instrumente spielten, "Sexy [sic]" seien. Daraufhin echauffierte er sich darüber, dass die Frau von heute jedoch leider nichts könne – abgesehen davon, in einer Shishabar zu sitzen und Selfies zu machen. Fast ironisch, dass der eigene Topcontent hauptsächlich aus Selfies mit wahllosen Handgesten oder als Telefon zweckentfremdeten Schuhen und Geldscheinen besteht. Bonez' logische Schlussfolgerung zum Problem der Frau: Genau dies sei der Grund dafür, dass sie heute nur noch auf "Titten und Arsch reduziert" würden. Natürlich geht der Rapper hier nicht grundlos so analytisch vor. Er möchte dem weiblichen Geschlecht einen Ausweg aus der Misere bieten. Seiner Meinung nach sollten Frauen sich in einer Tanzschule anmelden, denn die Reduzierung auf ihre Körper käme auch daher, dass sie diesen nicht bewegen könnten und obendrein nicht wüssten, wo der indische Ozean liege.
Die Absurdität dieser Aussagen soll aber gar nicht Thema dieses Kommentars sein. Denn auch wenn es derartige Ansichten von Männern wie Bonez nicht weniger falsch und problematisch macht: Solche Denkmuster sind weder im Rapkontext noch gesellschaftlich neu. Daher muss gar nicht erwähnt werden, wie dumm und frauenverachtend diese Zeilen sind – nicht zuletzt, weil das bereits überraschend viele andere taten. Und bei genau diesen Reaktionen handelt es sich um einen dieser eingangs erwähnten, positiven Momente, mit denen die Szene einen überrascht.
Ungewöhnlich viele Medien und User griffen die Instagram-Story auf und widersprachen deren Inhalt entschieden. Noizz, laut.de, 16bars, rap.de und Hiphop.de sind dabei nur einige Namen. Darüber hinaus gab es Dutzende von Artikeln, Tweets und Posts, die sich entweder schlicht gegen Bonez aussprachen oder sich über seine Aussage lustig machten. Warum das Echo von allen Seiten so groß war, obwohl derartige Positionen und Äußerungen in der Rapwelt nicht selten sind, könnte vor allem an zwei Faktoren liegen. Einerseits an der schieren Drastik – um kein beleidigendes Wort zu verwenden – der Aussage. Andererseits an der Tatsache, dass hier kein Raptext zitiert wurde, dessen Inhalt der Rapper mit "künstlerischer Freiheit" oder "absichtlicher Provokation, um der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten" entschuldigen könnte. Hier äußert sich die Person hinter dem Künstlernamen Bonez MC und wirft ihre ganz persönlichen Gedanken in den Äther.
Wer sich dann jedoch in die Kommentarspalte besagter Artikel und Posts begibt, den trifft die Ernüchterung so hart wie plötzlich. Denn hier tummeln sich von Anbeginn an auch mehr als genug Leute, die das Ganze "nicht so eng" oder exakt wie Bonez sehen. Vom den eigenen Privilegien nicht bewussten "Habt ihr keine anderen Probleme?"-Poster bis hin zum in Bezug auf Frauenhass liebend gern erwähnten "Nicht alle Frauen sind so, aber viele"-Argument. Besonders beliebt hierbei sind auch die aus der vermeintlich eigenen Erfahrung berichtenden Kerle, die schon Frauen erlebt hätten, die selbst nichts könnten und sich daher als "Golddigger" an ihnen gütlich getan hätten. Wobei ein Blick auf die Profile dieser Männer vermuten lässt, dass – sogar, wenn diese Geschichten zuträfen – es da wohl nicht viel mehr als eine Hand voll Katzengold zu "diggen" gab. Zu guter Letzt dann noch jene Frauen, die sich dem Mahlstrom der Misogynie bewusst oder unbewusst entziehen wollen, indem sie selbst "nach unten" treten – will sagen, gegen andere Frauen.
Eine solche "Gegenwehr", die Rapper sowie ihre Aussagen und Taten gegen jedwede Kritik verteidigen will, gibt es dabei allerdings zu fast jedem Thema. Und die Beweggründe dafür liegen oftmals in der mangelnden Selbstreflexion, fehlendem Hinterfragen der eigenen Denkmuster oder schlichtem Unvermögen, sich ernsthaft an einem konstruktiven Diskurs zu beteiligen. Deshalb ist es wichtiger, sich auf die "Erfolge" zu konzentrieren, welche die Kritik an Bonez mit sich brachte.
Denn tatsächlich sah sich der Rapper letztlich gezwungen, zurückzurudern – auch wenn seine Erklärung für den Post mindestens so halbgar und dumm wie der Post selbst war und wohl dem HipHop-Pendant zur "Mausgerutscht"-Entschuldigung entspricht. Er stellte klar, den Text verfasst zu haben, als er bekifft auf der Couch lag – wohl das männliche Gegenstück zu der geforderten körperlichen wie geistigen Bildung der Frau – seine DMs las und von deren Inhalt auf sämtliche Frauen schloss. Am Ende fügt er noch hinzu, dass jeder, der glaube, er (Bonez) hätte etwas gegen Frauen, ihm "einen blasen" könnte und betont dabei, dass dies für beide Geschlechter gelte.
War die Kritik damit letztlich der berühmte Tropfen auf den heißen Stein? Ja und nein. Sicher wird ein einziger Shitstorm einen Rapper wie Bonez MC nicht zum Umdenken verleiten. Dafür sehen sich diese Typen viel zu oft mit unterschiedlichsten Shitstorms und regelmäßiger Kritik konfrontiert. Auch seine Fans werden sich nur bedingt davon überzeugen lassen, das Denken ihres Idols zu hinterfragen. Dass er es aber zumindest als notwendig ansah, sich zum Schein zu entschuldigen, lässt erahnen, dass ihm – oder seinem Management – bewusst ist, dass die breite Masse ihn nicht jede Grenze überschreiten lässt. Und genau an diesen Punkt muss angeknüpft werden. Weitere Äußerungen dieser Art müssen in dem Moment, in dem sie fallen oder gepostet werden, umgehend mit der gleichen Vehemenz kritisiert werden. Artikel, die sich mit der Musik von Bonez und Co. beschäftigen, dürfen die problematischen Denkmuster nicht verschweigen. Sie müssen sie seiner "Kunst" immer entgegenstellen und darauf achten, nicht zum reinen Promovehikel eines Menschen zu werden, der veraltete Rollenbilder und frauenfeindliche Ansichten reproduziert. Sie müssen Gegenpositionen aufzeigen, die vielleicht kein Umdenken bei den entsprechenden Leuten verursachen, jedoch alleine um der Gegenposition selbst Willen von großer Bedeutung sind.
Vermutlich nur eine Utopie, doch wenn genug Tropfen fallen, höhlen sie den ein oder anderen Stein ja vielleicht. Oder sie sammeln sich zu einem Meer der Kritik, das dann nicht mehr "bekifft auf der Couch" wegentschuldigt werden kann – denn wenn einer sich mit Meeren wie dem indischen Ozean auskennt, dann ja wohl Bonez MC.
(Daniel Fersch)
(Grafik von Daniel Fersch)