Fernweh. Eine immerwährende Sehnsucht nach einem anderen Ort. Nach dem Neuen, nach dem Entdecken, nach dem Erleben. Überrascht werden, Erfahrungen machen und Erkenntnisse sammeln. Man sagt, wer reist, erweitert seinen Horizont. Wer reist, erobert neue Welten, zumindest für sich selbst. Und wer reist, der lernt das Zuhause, das Gewohnte und vielleicht sogar den Alltag erst wieder zu schätzen.
Zumindest sagen wir das in Europa. Oder in der westlichen Welt. Doch was ist mit denen, die nicht reisen können – ganz gleich, ob hier oder irgendwo sonst auf der Welt? Empfinden sie ebenfalls Fernweh? Oder ist Fernweh gar ein Gefühl, das erst entsteht, wenn man schon weg war? Also ein Gefühl der privilegierten Welt, ein Gefühl derer, die es sich leisten können?
Der Hofgeismarer Rapper Pimf ist nicht nur viel gereist, sondern hat auch viel übers Reisen gerappt. Über fremde Orte, über die Ferne, über die Sehnsucht, die das Entdecken mit sich bringt. Es lag auf der Hand, mit ihm übers Reisen zu sprechen. Noch besser: über Fernweh – und die verschiedenen Aspekte, die das Thema mit sich bringt. Und über eine ganz große Leidenschaft, die bei ihm mit dem Reisen Hand in Hand geht: das Besuchen von so vielen Fußballstadien und -spielen an so vielen verschiedenen Orten wie möglich.
MZEE.com: Wir sprechen ja heute über das Thema Fernweh. Lass uns dafür mal mit einem kleinen Gedankenspiel beginnen: Wenn du jetzt die Augen zumachst und in Bezug auf Fernweh an einen ganz bestimmten Ort denkst – welchen siehst du dann als erstes vor deinem inneren Auge?
Pimf: Ich hab' einen vor Augen … aber der ist völlig random. (lacht) Ich habe gerade an die montenegrinische Mittelmeerküste gedacht. Da war ich letztes Jahr mit zwei Kumpels. Ich hab' gesehen, wie wir da am Meer sitzen und geile Cevapes gegessen haben. Ich liebe ja sowieso den Balkan-Lifestyle, dieses liebenswerte Chaos.
MZEE.com: Hättest du lieber von einem anderen Ort erzählt?
Pimf: Nee, aber es war jetzt schon sehr random. Ich war letztes Jahr halt auch in Indien und in Gambia, aber denke als erstes an Montenegro und Cevapcici …
MZEE.com: Ist Fernweh für dich ein eher diffuses Gefühl oder immer konkret mit einem ganz bestimmten Ort verbunden?
Pimf: Beides. Manchmal ist es so konkret wie: "Ich muss jetzt nach Holland fahren und 'ne Frikandel essen." Ich denke, bei Sachen, die nah und greifbar sind, ist es ein konkretes Gefühl. Ansonsten eher: "Ich war jetzt drei Wochen zu Hause, mir fällt die Decke auf den Kopf. Ich muss raus – ganz egal, wohin. Hauptsache, irgendwo in die Welt." Aber natürlich möchte ich irgendwann mal nach Südamerika und nach Asien. Man hat tausend Sachen auf einer Liste, die man nicht wirklich ernst meint. Und ich habe oft dieses Gefühl: "Ich setze mich jetzt in mein Auto und fahre genau an diesen einen Ort, weil ich jetzt diese eine Bratwurst in diesem einen Stadion essen möchte." Fernweh gibt es bei mir also sowohl konkret als auch unbestimmt.
MZEE.com: Bist du schon immer viel gereist oder kam das erst, als du alleine reisen konntest?
Pimf: Tatsächlich erst, seitdem ich alleine reisen kann. Meine Eltern hatten nicht so viel Geld und haben das Beste daraus gemacht. Ich war mal in der Türkei und ansonsten 15 Jahre am Timmendorfer Strand. Das war auch geil. Aber als ich in das Alter kam, selbstständig zu reisen, hat sich das gefühlt verhundertfacht. Ich hab' dann eine Vorliebe für außergewöhnlichere Ziele entwickelt. Eben nicht nur Malle und Ägypten, sondern Albanien. Damit bin ich aber nicht aufgewachsen und es gab auch niemanden in meinem Umfeld, der abenteuerlustig war und mich animiert hat, die Welt zu erkunden. Das war alles schon selbstinitiiert.
MZEE.com: Bist du eigentlich ein Zeltreisender?
Pimf: Gar nicht. Ich bin eine kleine Diva beim Reisen. So viel ich auch unterwegs bin – hau mir ab mit Achtbettzimmern und Hostel-Mist. Ich brauche schon ein Doppelzimmer, ein bisschen Komfort muss sein. Das war zum Beispiel letzten November in Indien etwas chaotisch, weil die Verhältnisse dort einfach andere sind. Ich war nur mit Jungs unterwegs, die irgendwo für 5 Euro pennen wollten. Und da zahle ich dann lieber 20 Euro und schlafe wie Gott in Frankreich. Es kommt aber natürlich mal vor, dass das nicht gegeben ist. Zum Beispiel auf dem Jakobsweg in Pilgerherbergen. Da schläft man mit 30 sich in der Midlife-Crisis befindenden, ökologischen Holländerinnen schnarchend eingepfercht in irgendeiner Kirche …
MZEE.com: Welcher Ort in der Ferne hat dich denn am meisten berührt?
Pimf: Gambia. Ich war da letztes Jahr im April und es war ein völliger Schock. Danach habe ich erst mal ein paar Wochen gebraucht, bis ich wieder klarkam. Wir haben spontan ein Angebot von einer großen Hotelanlage gesehen. Da dachten wir uns, dass wir ein paar Tage am Strand chillen und dann auf eigene Faust losziehen könnten. Das hat sich auch als gut herausgestellt, weil ich ja was von den Leuten und der Kultur kennenlernen will. Gambia ist, glaube ich, das kleinste Land Westafrikas und total hinterher und chaotisch. Dort herrscht eine Armut, die man sich nicht vorstellen kann. Ein Dude, mit dem ich jetzt noch Kontakt habe und mich gut verstehe, verdient im Monat 25 Euro. Und davon muss er drei Kinder ernähren. Die Verhältnisse sind natürlich andere, aber die kommen einfach gar nicht klar. Fließend Wasser ist da ein Problem. Gleichzeitig werden aber fünf Hotelbunker an die Küste gezaubert und alle lächeln dich an und machen auf "Sunny Coast of Africa". Dann spielen sie dir irgendwas vor, haben schöne Hotelanlagen und der Rasensprenger läuft den ganzen Tag – aber auf der anderen Straßenseite gibt es kein fließend Wasser. Das hat mir komplett den Boden unter den Füßen weggezogen. Da waren auch viele Pauschal-Urlauber am Start. Ich sag' mal böse: die Ü50-Fraktion, die normalerweise nach Ägypten fliegt, aber einen günstigen Gambia-Deal geschossen hat. Mit denen geht es schon am Flughafen los. Der Urlaub besteht nur aus Planen und da wird dann in schlechtem Englisch gemeckert: "I'll never come back to Africa. This is shit here." Da muss man sich auch echt für seine Landsleute schämen, weil die das einfach nicht einordnen können. Das war wirklich eine krasse Reise.
MZEE.com: Ihr wart dann nicht die ganze Zeit im Hotel?
Pimf: Doch, wir haben schon jede Nacht im Hotel gepennt. Aber jeder Mensch dort fungiert auch als Guide und für 10 Euro fährt er dich den ganzen Tag rum. Ganz absurd war es dann zum Beispiel am Grenzübergang in den Senegal. Dort wurde ich in ein Hinterzimmer geholt, weil die Probleme mit Stempeln in meinem Pass hatten … Grundsätzlich brauchst du eine Gelbfieber-Impfung, wenn du von Gambia in den Senegal willst. Und ein Typ neben mir hatte die nicht. Also hat er 10 Dollar in den Reisepass gelegt und konnte dann weiter. Auch wenn ich schon wilde Sachen auf anderen Reisen im Balkan oder in Indien erlebt habe – die gebündelte Armut in Gambia hat mich einfach mitgenommen.
MZEE.com: Welches Land hat dich mehr beeindruckt – Gambia oder Indien?
Pimf: Schwierig zu sagen. In Indien war ich wesentlich länger – drei Wochen. Ich habe viele Orte bereist und viel mehr gesehen. In Gambia war ich deutlich kürzer und habe dementsprechend nicht so viel sehen können. Ich habe zwar einige Ziele und Orte besucht, aber es wurde einem auch dort noch viel vorgespielt. In Indien war ich mit einem Kumpel, der da Familie hat. Ich war also viel näher an der Kultur, habe die Familie auch kennengelernt und war viel tiefer drin. Deshalb habe ich dazu eine ganz andere Beziehung und würde mich da auf jeden Fall viel schneller eingrooven und zurechtfinden als in Gambia.
MZEE.com: Glaubst du, es gibt einen Ort auf der Welt, an den du ziehen könntest und von dem aus du nie wieder Fernweh hättest?
Pimf: Nein. Wenn du auf Bali wohnst, ist es ja auch dein Alltag. Es gibt immer eine Sehnsucht nach dem Ungewissen und neuem Input. Auch auf Bali fällt dir irgendwann die Decke auf den Kopf und du hast genug davon. Klar, hier und da lässt es sich besser aushalten – Leute aus anderen Regionen würden das bestimmt unterschreiben. Aber ich als privilegierter, weißer Cis-Mann, der wohlbehütet aufgewachsen ist, habe eigentlich keinen Anspruch darauf, dass es einen noch besseren Ort gibt, an den es unbedingt gehen muss.
MZEE.com: Es gibt Menschen, die noch nie weit weg waren. Ein Freund von mir aus Berlin war zum Beispiel noch nie außerhalb der Stadt. Er hat aber nicht das Gefühl, dass ihm etwas fehlt. Kannst du das nachvollziehen?
Pimf: Ja, voll. Solche Leute kenne ich auch aus der Kleinstadt. Nicht jeder kennt die ganzen Möglichkeiten, die einem zur Verfügung stehen oder ist so offen. Ich kann das aber nachvollziehen, weil man ja oft einfach mit Situationen und Lebensabschnitten zufrieden ist. Und es kann dir genauso als Reisender passieren, dass du in einen Trott gerätst. Erst kommt das "Ich muss jetzt wieder reisen" und dann wird das Ganze eher zur Eintönigkeit, zu einer Beschäftigung. Plötzlich fehlt diese Adrenalin-Dröhnung, die es vielleicht bei einem von zehn Malen gibt. Deswegen kann ich nachvollziehen, wenn Leute zum Beispiel Computer zocken und sich dadurch in eine fremde Paradieswelt begeben, die für sie Glück bedeutet. Ich persönlich bin nicht so, aber das hat auch alles Vor- und Nachteile. Viele tun immer so, als hätten sie das Leben verstanden, weil sie reisen und die ganze Welt kennen. Das ist es halt auch nicht. Reisen ist nicht die Lösung für alle Probleme. Zock Computer, wenn du Bock drauf hast und es dich glücklich macht. (überlegt) Was man noch dazu sagen muss: Reisen bringt auch negative Sachen mit sich. Umweltverschmutzung, Billigfliegerwahn – man kann das auf so vielen Ebenen kritisieren und als dumm abstempeln. Aber viele tun immer so, als wäre Reisen das ultimative Ziel. Nach dem Motto: "Geld macht nicht glücklich, es sind ja die Momente." Doch Reisen allein macht auch nicht glücklich. Deshalb kann ich es auf jeden Fall nachvollziehen, wenn es einem nicht fehlt.
MZEE.com: Glaubst du denn, dass man Fernweh erst entwickelt, wenn man schon weg war?
Pimf: Ja, schon. Du hast ja einen Horizont. Und wenn du immer nur da hinguckst, verändert er sich nicht. Aber wenn du einmal hingehst und siehst, dass dahinter noch mehr ist, denkst du dir beim nächsten Mal: "Okay, jetzt geh' ich mal woanders hin und schaue, was dort ist." Ich denke, je mehr man sieht, desto größer wird das Fernweh und desto mehr Lust bekommt man auch auf Neues. Es gibt aber auch Leute, die sich mit ihrem Status quo einfach zufriedengeben. Meine Eltern zum Beispiel. Seit ich begonnen habe, umherzureisen, machen meine Eltern das jetzt auch. Man braucht schon so einen Kick-Off. Ich habe ja auch Freunde, die arbeiten, seitdem sie 16 sind. Die sind ausgelernt, nehmen im Jahr drei Wochen Urlaub, fliegen vielleicht nach Malle und trinken ein paar Bierchen – und das passt für die, weil sie nichts anderes kennen. Das ist ihr Horizont und da gehen sie nicht drüber hinaus.
MZEE.com: Du hast vorhin gesagt, dass du privilegiert bist. Meinst du, dass die Sehnsucht nach der Ferne ein Gefühl der privilegierten Welt ist? Ein Gefühl derer, die sich Reisen überhaupt leisten können?
Pimf: Krasse Frage. Da gibt es natürlich auch mehrere Ebenen. Zurück zu Gambia. Der Kollege, mit dem ich noch in Kontakt bin, hat so eine krasse Sehnsucht danach, mich in Deutschland zu besuchen. Die Leute dort stellen sich Europa wie den Himmel vor. Das ist halt deren Sehnsucht. Menschen, die aus welchen Gründen auch immer flüchten, haben auch eine Sehnsucht nach dem guten Leben. Wohingegen ich eine Sehnsucht danach habe, ein paar gute Wochen zu haben, Land und Leute kennenzulernen – aber dann bin ich auch wieder froh, in meinen fixen deutschen Strukturen zu sein. Das ist halt ein anderes Fernweh.
MZEE.com: Eigentlich ist es doch das totale Gegenteil: Er sehnt sich nach einer neuen Heimat, einem anderen Alltag, während wir davon eine Pause haben wollen. Er möchte nicht mehr zurück und wünscht sich ein neues Leben in der Ferne – wir möchten immer wieder nach Hause kommen.
Pimf: Ja, total. Und unsere Sehnsucht kommt natürlich daher, dass uns die Türen offenstehen und Möglichkeiten gegeben sind, unseren Horizont überhaupt erweitern zu können. Er wird niemals nach Deutschland kommen können, weil er sich den Flug nicht leisten kann. Aber er zieht total viel Kraft daraus, dass es da noch etwas gibt. Und irgendwann ist es vielleicht besser. Das ist eine Sehnsucht, die die Menschen auch teilweise funktionieren lässt, während es für mich hingegen nur eine Art Endorphin-Spritze ist. Wären uns diese Möglichkeiten nicht gegeben, hätten wir privilegierten Menschen sicher nicht so ein Fernweh. Es wird ja auch einfach immer krasser. Wenn du 20, 30 Jahre zurückblickst, war es nichts Ungewöhnliches, dass Menschen nur in Deutschland waren. Aber durch Möglichkeiten wie Billigflieger, Urlaubspiraten, Bahn-Plus-Angebote, dadurch, dass uns diese Türen geöffnet wurden und wir einfach nur mal neugierig reingeguckt haben, entwickelt sich so eine Reise-Sehnsucht.
MZEE.com: Glaubst du, dass Social Media da eine Rolle spielt – beispielsweise im Vergleich zur Generation unserer Eltern?
Pimf: Auf jeden Fall – allen voran Instagram. Good life ist immer top Content: "Schaut her, wie geil ich am Pool chille oder individuell durch Indien reise." Da ist ja für jeden was dabei. Man sieht, dass es bei allen anderen immer krass ist. Es ist definitiv ein Wettkampf, der dem Ganzen nicht guttut und das krass anfeuert. Ich kenne das ja auch von mir selber. Ich denke schon, dass das ein ganz großer Faktorbei der Sache ist. Nicht nur, dass es uns möglich ist, sondern auch, dass es in der Gesellschaft dadurch einen Wettkampf gibt.
MZEE.com: Kommen wir mal zum Gegenteil von der Ferne – dem Zuhause. Wie wichtig ist es für dich, dass es einen Ort gibt, der deine Heimat darstellt?
Pimf: Ich finde gar nicht so sehr, dass es der Ort ausmacht, sondern Menschen oder bestimmte Sachen, die dir ein Gefühl von Heimat geben. Wenn du dich mit deinen Freunden oder deiner Familie umgibst, fühlst du dich einfach wohl und geborgen. Dabei geht es mir nicht darum, ob das in Hamburg, Berlin oder Hofgeismar ist. Da sind einfach meine Leute, deswegen geht es mir gut, fühle ich mich zu Hause und halte es lange dort aus. Es gibt nicht den einen "place to be". Hofgeismar kann etwas, das Berlin nicht kann und umgekehrt. Für mich ist es dann einfach immer ein Kontrast. Kleinstadt – alles ruhig. Und dann halt raus in die große Welt … Diesen Kontrast zu haben, ist mir sehr wichtig. Hier kannst du abschalten, dort kannst du aufdrehen.
MZEE.com: Wenn deine Heimat an Menschen hängt, kann sie sich auch kontinuierlich verändern, oder?
Pimf: Ja, ich habe ja auch Freunde aus Hamburg, Würzburg und dem Ruhrpott und besuche die da. Ich komme zum Beispiel nach Würzburg und fühle mich dort zu Hause. Ich könnte zwar nicht den Penny finden, aber ich weiß, wo der Kiosk vor der Haustür ist. Da sind Freunde von mir und deswegen fühle ich mich dort zu Hause, auch wenn da nicht mein Bett steht. In Hamburg fühle ich mich genauso zu Hause wie in Hofgeismar, selbst wenn ich da nur noch drei Wochen im Jahr bin. Aber ich habe dort meine Wohlfühlzone und die hängt mit den Leuten zusammen.
MZEE.com: Wenn du sagst, dass es sehr an den Menschen statt an Orten an sich liegt, dann hast du dich beispielsweise in Indien nicht zu Hause gefühlt, richtig?
Pimf: Ich finde, da muss man noch mal zwischen Europa und einem Land wie Indien oder Gambia differenzieren. Das sind natürlich ganz andere Lebens- und Infrastrukturen. Und ich lebe seit 27 Jahren in der europäischen Struktur. Wenn ich nach Indien komme, ist das natürlich etwas Befremdliches, dass es so eine Überdosis an allem ist. Dort anzukommen und sich mit vollem Herzen darauf einzulassen, dauert wesentlich länger. Aber ich habe ja in Indien auch die Familie meines Freundes besucht – und dann fühle ich mich dort ebenfalls zu Hause. Wir waren bei denen, haben zusammen gegessen und gesoffen. Dabei fühle ich mich als Teil des Ganzen und nicht als der Weiße, der in einem Viertel unterwegs ist und schief angeguckt wird. An einem Abend hatte der Gott der Sikh-Religion, Guru Nanak, seinen 550. Geburtstag und wir sind in eine Art Moschee gegangen, in der eine riesige Party gefeiert wurde. Wir waren die einzigen Europäer unter den ganzen Sikhs. Es war eine richtig gute Stimmung und wir wurden total akzeptiert. Alles war ganz bunt geschmückt und man konnte Kerzen anzünden – in dem Moment fühlt man sich da auch einfach wohl. Aber genauso gibt es Momente, in denen du in einem Viertel unterwegs bist, schief angeguckt und ständig angequatscht wirst. Da denkst du dir schon, dass das in Deutschland anders ist.
MZEE.com: Ich habe dir zum Thema "Fernweh" ein Zitat von Curse mitgebracht: "Doch das beste Buch beschreibt auch nicht das, was ich letztlich such'. So buch' ich den nächsten Flug, weil ich hör', wie die Ferne ruft. Zieh' mich zurück aus dem bedrückenden Leben zwischen Verrückten und reduzier' mich auf Hütten aus Lehm und Dächern mit Lücken. In Anbetracht dessen, dass Strand und Wasser mir weiterhelfen, mein Hauptproblem zu verstehen, muss ich feststellen, dass ich es selber bin." – Kennst du das Gefühl, zu verreisen, weil man vor sich selber oder einem Problem wegläuft?
Pimf: Voll. Das habe ich die letzten eineinhalb Jahre gemacht. Nicht vor einem Problem, sondern vor mir selber. Ich war völlig am durchdrehen, weil ich dachte, dass mir die Zeit wegläuft. Ich dachte: "Ich bin jetzt jung. Jetzt ist die Zeit, jetzt muss ich reisen, weil ich sonst nicht glücklich auf meinem Sterbebett liege." Ich will ja auch Musik machen und dafür braucht man Input. Also bin ich los. Und dann kommst du nach Hause und merkst, dass alles wie immer und nichts passiert ist. Also musst du wieder los und was Krasseres finden. Und jedes Mal kommst du nach Hause und merkst, dass das eine kurze Dröhnung war, aber nichts, was dich langfristig heilt. Das Gefühl, das Curse beschreibt, kenne ich jedenfalls zu gut.
MZEE.com: Apropos "weggehen": Es gibt Rapper, die für ihre Albumproduktion wegfahren, weil sie das Gefühl haben, woanders besser Musik machen zu können. Warum hilft es beim Musikmachen über sein Leben, nicht an dem Ort zu sein, an dem man es eigentlich verbringt?
Pimf: Ich glaube, man kann dort einfach konzentriert und unabgelenkt arbeiten und ist für sich. Wenn du zu Hause bist, kann mal ein Kumpel anrufen und dann fährt man noch schnell hier und da hin. Das geht natürlich nicht, wenn du woanders bist. Ich denke, es ist ein ganz großer Punkt, dass man sich nur auf eine Sache fokussiert und alles andere ausblendet.
MZEE.com: Es ist ja kein Geheimnis, dass du ein riesiger Fußballfan bist und letztes Jahr sehr viele Stadien und Spiele gesehen hast. Kannst du mir kurz deine Statistik nennen: Wie viele Stadien waren es und warst du dabei ausschließlich in Europa unterwegs?
Pimf: Ich wollte letztes Jahr 50 Fußballstadien in zehn verschiedenen Ländern besucht haben. Ganz egal wo, auch wenn es größtenteils Europa war. Ich habe letztendlich 94 Spiele in 74 Stadien in 18 Ländern gesehen. Das war wirklich irre.
MZEE.com: Welches war das abgefahrenste Stadion, in dem du warst?
Pimf: Schwierig zu sagen. Ich glaube aber, die Balkan-Nummern. Ich war im Stadion in Tetovo. Das ist eine Grenzstadt in Nordmazedonien hin zum Kosovo. Es ist wirklich alles komplett auseinandergefallen. Dieses Stadion war komplett zertrümmert. Das Cover von meinem Song "Wo ist die Liebe" ist da entstanden – das sind Sitzschalen aus dem Stadion. Irgendwann musste ich auf Toilette und habe gefragt, wo ich pinkeln kann. Und dann wurde mir gesagt: "Ja, einfach hier." Also habe ich in der Ecke eines Kastenhäuschens gepinkelt, weil die keine Toiletten da hatten. Es lag auch überall Müll herum.
MZEE.com: War dort auch das verrückteste Spiel?
Pimf: Nee, das verrückteste Spiel war das Belgrad-Derby. Roter Stern gegen Partizan, die zwei großen Clubs aus der serbischen Hauptstadt. Das Derby lockt jedes Jahr Tausende Fußballfans von überall an und ist eines der spektakulärsten Derbys auf der Welt. Die Leute drehen da 90 Minuten komplett durch. Es gibt die ganze Zeit Choreos, Pyro, Pöbeleien, Sitze fliegen aufs Spielfeld. Das ist das krasseste Spiel, das ich jemals gesehen hab'. Für viele, die sich für Fußball-Fankultur interessieren, ist es auch das Spiel überhaupt.
MZEE.com: Und welches Stadion war am weitesten weg von zu Hause?
Pimf: In Nepal habe ich ein Spiel im Himalaya gesehen. Das war richtig geil. Von der Tribüne aus hattest du einen Blick über das Gebirge, es war total gutes Wetter und der Platz war einfach nur aus Asche, weil es keinen Rasen gab. Wir haben das Spiel dann mit nepalesischen Kids geguckt, Erdnüsse gesnackt und 10 Prozent-Bier aus Nepal getrunken. Einfach am anderen Ende der Welt im Himalaya, wo ich nie gedacht hätte, dass wir da Fußball gucken könnten – total geil. Wenn du Fußballreisen machst, dann weißt du zum Beispiel, dass in Deutschland am nächsten Wochenende um 15:30 Uhr gespielt wird. Das gibt es so im Balkan und auch in Nepal nicht. Da wird auch bei Erstliga-Spielen einen Tag vorher auf Facebook gepostet, dass morgen um 11:30 Uhr Anstoß ist – das ist dann einfach mal mittwochs. Du kannst dir also nie sicher sein, ob das wirklich hinhaut, und planst total ins Blaue. In Nepal war ich da megaverzweifelt und habe die ganzen Clubs angeschrieben und auf Instagram gesucht, ob die in der Zeit ein Spiel haben und es kam nichts zurück. Und einen Tag vor Abreise meldete sich dann der nepalesische Rekordmeister bei mir auf Instagram und schrieb, dass morgen Anstoß ist. Wir sind natürlich hin. Am Abend haben sie mir noch mal geschrieben, dass sie sich gefreut haben, dass wir da waren. Die sind sogar noch zum Hotel gekommen und haben mir ein Trikot und einen Schal geschenkt – obwohl das Spiel, zu dem sie mich hingeschickt hatten, nicht mal eins von denen war, sondern von irgendwelchen anderen Teams.
MZEE.com: Was bedeutet denn das Besuchen von Fußballstadien in anderen Ländern für dich?
Pimf: Es kommt mir dabei gar nicht nur auf das Gekicke auf dem Rasen an – das ist oft ganz unterirdisch. Aber du lernst die Menschen und die Kultur beim Fußball total unverfälscht kennen. Du hast im Stadion vom Hartz IV-Empfänger bis hin zum Manager die ganze Bandbreite in ihrer reinsten Emotion. Du kannst die Kultur einfach richtig aufsaugen. In Serbien drehen die Leute zum Beispiel völlig durch, weil das ihre Art ist – in Indien stehen sie eher total schüchtern da und gucken sich das Spiel an. Du bekommst ganz konkrete Eindrücke und kommst mit Leuten in Kontakt. Vor allem, wenn viele Menschen da sind und du auffällst. Auf die Idee kommt man vielleicht nicht, wenn man sich nicht für Fußball interessiert. Aber ich würde es jedem empfehlen, einfach mal irgendwo auf der Welt Fußball zu gucken. Es passieren total spannende Sachen im und ums Stadion, weil die Menschen da eben sind, wie sie sind. Am Big Ben in London oder auch in einer Hotelanlage in Gambia sind die Menschen ganz anders – dort rechnet man mit Touristen und die Leute sprechen Englisch mit dir. Bei einem Zweitliga-Spiel in Nepal rechnet aber niemand mit Touristen. Es ist also für dich und die Leute einfach cool. Wie gesagt, wir haben das Spiel dort mit nepalesischen Kids geguckt. Die saßen die ganze Zeit bei uns, haben mit uns gespielt, gejubelt und die Mannschaft angefeuert – das würde sonst nie passieren, wenn wir einfach vor der Hauptattraktion in Kathmandu stehen würden.
MZEE.com: Für dich ist es auch völlig egal, in welcher Liga die spielen?
Pimf: Je exotischer, umso egaler. In Deutschland würde ich jetzt nicht 300 Kilometer für ein Fünftliga-Spiel fahren. Beim Groundhopping (Anm. d. Red.: das Hobby, Fußballspiele in möglichst vielen Städten zu besuchen) plant man zum Beispiel, zum Belgrad-Derby zu fahren und schaut dann, was man auf dem Weg noch so mitnehmen könnte. Da nimmt man dann auch ein Zweitliga-Spiel in Ungarn mit. Dafür würde ich aber nicht extra nach Ungarn fahren. Ich will jedenfalls nicht nur die Champions League sehen und bin offen für alles. Gerade in exotischeren Ländern ist die erste Liga wie bei uns die Kreisliga – dann ist das auch einfach egal.
MZEE.com: Zum Abschluss noch eine letzte Frage: Kennst du es, dass bestimmte Gerüche, Gegebenheiten oder auch Beats bei dir Fernweh auslösen können?
Pimf: Auf jeden Fall. Dazu gibt's auch 'ne Geschichte … Die kannst du eigentlich nicht abdrucken, aber egal. Kennst du das Lied "Monster" von Robin Schulz? Ich war im Januar mit Weekend und ein paar anderen in Malaga und hab' gesehen, dass Levante gegen Sevilla im spanischen Pokal spielt. Ich wollte hinfahren, aber niemand wollte mitkommen. Wir hatten aber einen Mietwagen, also bin ich alleine hin. Drei Stunden hin, Spiel angeguckt und drei Stunden zurück – ich war völlig übermüdet. Auf dem Hinweg lief schon dieser Robin Schulz-Song. Richtig schlimme Radionummer. Ich hab's schön laut gemacht, Fenster runter und war voll drin. Dann habe ich mich ins Stadion reingekämpft und das Spiel geschaut. War auch total geil. Und auf dem Rückweg war ich kurz vorm Einschlafen und dann lief nachts um zwei wieder dieser Song. Der hat mich total motiviert, dass ich diese Rückfahrt noch schaffe – und jetzt hab' ich halt eine Verbindung zu diesem ganz schlimmen Song. Ich höre mir den mittlerweile manchmal sogar auf Spotify an … (grinst) Aber ich kenne es natürlich auch, wenn ich Evidence oder Dilated Peoples höre und Sehnsucht nach dem sonnigen Kalifornien habe. Wenn ich Musik aus New York höre, bin ich im Kopf unterwegs in den Straßen von Brooklyn. Das gibt einem immer eine Sehnsucht mit. Ich höre auch in jeder Lebenslage Musik und verbinde Sachen dann nicht nur mit Beats, sondern eben auch mit Songs. Ey, aber bring das mit dem Robin Schulz-Song nicht.
MZEE.com: Wie? Das ist das Ende unseres Interviews, natürlich bringe ich das.
Pimf: Okay … Leute, dann sorry. Aber was soll ich sagen – es ist, wie es ist.
(Florence Bader)
(Fotos von Friedrich VanZandt und Pimf)