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Kommentar

Black Lives Matter – vom Aufschrei bis zur konkreten Forderung

An die­ser Stel­le möch­ten wir Gedan­ken zu aktu­el­len Gescheh­nis­sen aus dem Deutschrap-​Kosmos zum Aus­druck brin­gen, die woan­ders kei­nen Platz fin­den. Im neu­en Kom­men­tar setzt sich unser Redak­teur mit der "Black Lives Matter"-Bewegung und der Fra­ge aus­ein­an­der, wie die HipHop-​Szene reagie­ren muss.

An die­ser Stel­le möch­ten wir Gedan­ken zu aktu­el­len Gescheh­nis­sen aus dem Deutschrap-​Kosmos zum Aus­druck brin­gen, die woan­ders kei­nen Platz fin­den. Dabei kommt nicht nur die MZEE​.com Redak­ti­on zu Wort, son­dern auch ande­re Szene-​affine Per­sön­lich­kei­ten wie Rap­per, Ver­an­stal­ter oder Pro­du­zen­ten. Wer sich also mit­tei­len möch­te, soll hier auch die Mög­lich­keit haben, dies zu tun. Die jeweils dar­ge­stell­te Mei­nung ent­spricht jedoch nicht zwangs­läu­fig der unse­rer Redak­ti­on – wir sehen aber eben­falls nicht die Not­wen­dig­keit, die­sen Stim­men ihren Raum zu nehmen.

In unse­rem aktu­el­len Kom­men­tar setzt sich unser Redak­teur Dani­el mit der "Black Lives Matter"-Bewegung und der Fra­ge aus­ein­an­der, wie auch in der HipHop-​Szene dar­auf reagiert wer­den muss. 

 

Black Lives Matter.

Es fühlt sich schreck­lich an, das schrei­ben zu müs­sen. Schreck­lich, weil damit das Wis­sen ein­her­geht, dass wir als ver­meint­lich intel­li­gen­te Spe­zi­es uns gegen­sei­tig sagen müs­sen, dass jeder von uns von Bedeu­tung ist. Dass jedes Indi­vi­du­um – gleich des Geschlechts, der Her­kunft, der Haut­far­be und auch unab­hän­gig von jeder ande­ren Eigen­schaft, die uns unter­schei­det – ein Recht auf Leben und Frei­heit hat. Doch in einer Welt, deren Macht­po­si­tio­nen vor­wie­gend von alten, wei­ßen Män­nern besetzt und zu ihren Guns­ten und ent­spre­chend kapi­ta­lis­ti­scher Zie­le genutzt wer­den, wird nicht jeder Mensch gleich behan­delt, erhält nicht jeder Mensch die glei­chen Rech­te, lebt nicht jeder Mensch in Frei­heit. Und genau des­we­gen muss die­ser Satz geschrie­ben und gespro­chen wer­den. Immer und immer wie­der. Von Betrof­fe­nen, aber auch von jenen, die frei­wil­lig oder unfrei­wil­lig vom Pro­blem pro­fi­tie­ren. "Black Lives Matter".

Beson­ders in einer Sze­ne, deren Exis­tenz auf die­ser Unge­rech­tig­keit fußt. Die HipHop-​Kultur galt schon immer als aus einer poli­tisch moti­vier­ten Agen­da erwach­sen und ist damit auch untrenn­bar ver­bun­den mit der The­ma­ti­sie­rung der Unter­drü­ckung schwar­zer Men­schen in den USA – genau­so wie weltweit.

Und dar­um ist es gera­de für Hip­Hop – egal, ob in den Staa­ten oder hier­zu­lan­de – wich­tig, die "BLM"-Bewegung wei­ter anzu­trei­ben, ihr eine Platt­form zu geben und sich ihres Ursprungs immer wie­der bewusst zu wer­den. Selbst wenn wir uns in einer Sze­ne befin­den, die sich mitt­ler­wei­le eher als Unter­hal­tungs­kul­tur ver­steht, kön­nen Künst­ler wie Kon­su­men­ten ihren Teil bei­tra­gen. Vom schlich­ten Auf­merk­samm­a­chen in Kom­men­ta­ren, Gesprä­chen und Inter­views über Soli­da­ri­täts­be­kun­dun­gen, Spen­den­auf­ru­fe und Ver­an­stal­tun­gen bis hin zu direk­ter Teil- und Ein­fluss­nah­me auf das Politgeschehen.

Denn kon­kre­te Poli­tik ist wohl einer der wich­tigs­ten nächs­ten Schrit­te des Move­ments. Ob im Zuge der von Mar­tin Luther King ange­führ­ten Demons­tra­ti­on im Jahr 1967, den LA Riots von 1992 oder wie­der und wie­der in den ver­gan­ge­nen zehn Jah­ren: Wann immer die über­schäu­men­de Frus­tra­ti­on der schwar­zen Bevöl­ke­rung in den USA beson­ders hoch­koch­te, wann immer aus der schein­ba­ren Hilf­lo­sig­keit eine star­ke und lau­te Pro­test­be­we­gung wur­de, wur­de sie vom Staat auf bru­ta­le Art eingedämmt.

Es mag Zuge­ständ­nis­se sei­tens der wei­ßen Bevöl­ke­rung geben und gege­ben haben, die Aus­ein­an­der­set­zung der USA mit dem Ras­sis­mus­pro­blem mag vor­an­ge­trie­ben wor­den sein und auch das gesell­schaft­li­che Bewusst­sein dafür scheint geschärf­ter als je zuvor. Doch eine tat­säch­li­che, deut­li­che Ver­bes­se­rung der Lage und des Lebens Schwar­zer Men­schen ist nach wie vor nicht auszumachen.

Damals wie heu­te man­gelt es dabei an einer poli­ti­schen Kraft, die die Moti­va­ti­on der Bewe­gung auf­greift. Eine Par­tei links der Demo­kra­ten – oder zumin­dest mehr Ein­fluss­nah­me ent­spre­chen­der Tei­le inner­halb die­ser – die aus dem berech­tig­ten Auf­schrei der Bevöl­ke­rung kon­kre­te Wor­te und For­de­run­gen for­mu­liert. Wann und ob sich die­se je bil­den wird, steht in den Ster­nen. Doch die aktu­el­le Lage zwi­schen Coro­na, hoher Arbeits­lo­sig­keit und Wirt­schafts­kri­se bie­tet einer sol­chen Kraft wohl mehr Nähr­bo­den, als es je zuvor der Fall war. Und des­halb ist es von umso grö­ße­rer Bedeu­tung, die Pro­tes­te auf­recht­zu­er­hal­ten und die Bewe­gung wei­ter­hin zu unter­stüt­zen – in den Staa­ten sowie in Deutsch­land. Die HipHop-​Szene bekle­ckert sich viel zu oft nicht gera­de mit Ruhm, wenn sie ihre inter­nen Pro­ble­me wie Sexis­mus, Homo­pho­bie und Ras­sis­mus für ein, zwei Wochen auf­greift. Denn dann the­ma­ti­siert sie die­se kurz, nur um die Dis­kus­si­on wie­der ver­san­den zu las­sen, sobald ihr klar wird, dass der Kampf gegen die Pro­ble­me beschwer­lich und selbst­kri­tisch sein wird. Viel­leicht gelingt es zumin­dest in die­sem Fall – bezo­gen auf ein Pro­blem, dem die gesam­te Kul­tur zugrun­de liegt – ein­mal durch­zu­hal­ten und die Pro­test­be­we­gung zu sein, als die sie sich so ger­ne sieht.

Und dabei muss auch nicht aus­nahms­los jeder hoch­po­li­tisch wer­den und ellen­lan­ge Abhand­lun­gen zur Pro­ble­ma­tik schrei­ben. Dar­auf auf­merk­sam zu machen, die Bewe­gung zu unter­stüt­zen, Teil von Pro­tes­ten zu sein und vor allem auch die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem The­ma kann schon ein ers­ter, wich­ti­ger Schritt sein. Sich durch Bücher wie "Ein Neger darf nicht neben mir sit­zen" von David Mayon­ga aka Roger Rekless für das The­ma zu sen­si­bi­li­sie­ren. Ganz genau hin­zu­hö­ren und zu sehen, was OG Kee­mo im "216"-Video rappt und zeigt. Künst­ler wie Samy Delu­xe zu unter­stüt­zen, die auf­ste­hen und sich äußern – egal, ob ihre Namen bekannt und in aller Mun­de sind oder sie ganz außer­halb des Ram­pen­lichts exis­tie­ren. Und vor allem auch die eige­nen Gedan­ken, Gefüh­le und Pri­vi­le­gi­en zu reflek­tie­ren. Wer nichts tut, wer weg­sieht, wer igno­riert, ist Teil des Problems.

Es geht um die Unter­drü­ckung, Aus­beu­tung und Ermor­dung von Men­schen – und dar­um kann kein Mensch auf der gan­zen Welt sich sei­ner Ver­ant­wor­tung ent­zie­hen. Egal wer, egal woher. Ein jeder muss sei­nen Bei­trag leis­ten. Im Hip­Hop, in der Gesell­schaft und hof­fent­lich auch sehr, sehr bald in der Politik.

Und bis es soweit ist, wer­de ich es trotz – oder gera­de wegen – des schreck­li­chen Gefühls immer wie­der schrei­ben und dar­auf auf­merk­sam machen.

Black Lives Matter.

(Dani­el Fersch)
(Titel­bild von Dani­el Fersch)