"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Ich sehe der Welt gedankenverloren dabei zu, wie sie an mir vorbeizieht. Mein Zug rollt langsam in den Hanauer Bahnhof ein, als ich mich frage, wie all das immer noch passieren kann. Die Black Lives Matter-Bewegung ist momentan allgegenwärtig – in allen sozialen Medien, in allen Zeitungen und in aller Munde. Aber dass Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe sterben und Gewalt psychischer und physischer Natur erfahren, passiert nicht erst seit George Floyd. So viele Bilder, Worte und Eindrücke schwirren mir im Kopf rum. Und während mir "216" im Ohr dröhnt, lässt mich OG Keemo diese berechtigte, unvorstellbare Wut ein wenig mehr nachempfinden.
Er erzählt von Gesprächen mit seinem Vater, wie sie meine Eltern nie mit mir führen mussten. Darüber, wie er das Blaulicht auf seiner Haut spürt. Stereotype, die ihn vermutlich bereits sein gesamtes Leben verfolgen. Er verarbeitet Schwarze Geschichte und das Leid darin, welches wir – die weiße Mehrheitsgesellschaft – zu verantworten haben. Es ist auch unsere Geschichte. Eine, von der wir nur profitiert haben. Die eine Ungleichheit hervorgebracht hat, welche die wenigsten, die dadurch nicht benachteiligt sind, sehen wollen. Aber die Betroffene unaufhörlich zu spüren bekommen. Keemo spricht von Folgen wie verwehrten Bildungsmöglichkeiten. Vom Unverständnis und Unwissen der anderen, das sie nicht vom Urteilen und Reden abhält. Davon, kategorisiert zu werden. Immer das Doppelte geben zu müssen und sich nicht verstecken zu können. Sich wehren zu müssen, um nicht weiter hilflos zu sein. Er beschreibt eine Prägung, die ihre Spuren hinterlässt und nie ganz verschwinden kann. Ein Leben, das mir komplett fremd ist, weil ich sehr privilegiert und weiß bin. All diese Gefühle, die sich am Ende in einem bündeln – Wut. Er kreiert ein so präzises Bild, dass es einem Angst machen kann und sollte.
OG Keemo hat mir mit dem Track "216" seine Lebensrealität zweifellos verdeutlicht. Deswegen, glaube ich, ist es manchmal schon ein Anfang, genauer zuzuhören. Den Menschen, die etwas Wichtiges zu sagen haben. Wir können alle so viel von ihnen und für sie lernen. Um nach dem Zuhören weiter gegen Rassismus handeln zu können. Spätestens jetzt, wenn wir es bisher nicht getan haben. Denn so sollte sich niemand fühlen müssen.
(Yasmina Rossmeisl)