Lange Zeit war deutscher HipHop ein Produkt für Independent Labels. Ein Produkt, das man selbst an den Kunden bringen musste. Das hat sich, vor allem in den letzten Jahren, massiv geändert. Major Labels wie Sony und Universal haben inzwischen je zwei eigene Sub-Labels für Musiker aus der Rap-Sparte. Doch was bedeutet das überhaupt für das Genre an sich? Klar, deutscher Rap läuft jetzt im Radio. Aber ist das überhaupt noch der HipHop, für den man gerne die Fahne hochhält? Wird HipHop vielleicht durch die Aufmerksamkeit und die Einflussnahme der Major Labels poplastiger? Oder hat das überhaupt keinen Einfluss, weil unter anderem immer mehr große Rapper mit ihren eigenen Labels an den Start gehen? Um den ein oder anderen Einblick in diese Thematik zu bekommen, haben wir zehn Rapper gefragt: "Hat das Interesse der Major Labels HipHop die verdiente Reichweite verschafft oder ihn zu massentauglicher Radioware gemacht?"
Lance Butters: Es gibt zu wenig Rapper, die eigene Kunst machen. Stattdessen lassen sich viele formen, um Geld zu verdienen und hohe Chartplatzierungen zu erzielen. Um in den Charts zu landen, dürfte ich als Lance Butters nicht mehr über Marihuana rappen – aber andere dürfen über Koks reden. Die Künstler singen über Drogen und ich rappe über Marihuana. Das eine geht und das andere nicht. Die Frage ist, bist du ein selbstsicherer Typ, der weiß, wo er hinwill und der auf seine Stärken vertraut? Wenn ja, dann kommen solche Labels nicht auf dich zu. Weil Major Labels versuchen, dich hier und da zu formen und wenn die dann die Zahlen haben, um zu belegen, dass es auf diese Art und Weise funktioniert, dann machst du das natürlich. Der HipHop, der momentan im Radio läuft, ist kein HipHop. Ich rede hier nicht als Backpacker. Aber Rap von damals hatte Inhalte, die Texte heute sind nicht mal mehr selbst geschrieben. Die Major Labels haben einen Weg gefunden, HipHop zu Radiomusik zu machen. Hauptsache, keine Gesellschaftskritik und nicht zu aggressiv. Major Labels haben aus HipHop gemacht, was eine Pril-Werbung mit Geschirrspüler macht, damit er Mainstream wird.
Antifuchs: Ich zitiere mich dafür aus meinem Song "IWNWIW" selbst: "Bis heute nicht erwachsen, aber macht nichts. Dieselben Hobbys wie mit 18, pöbeln, kiffen, schlafen. Nur, dass ich heut dafür bezahlt werd'." Es liegt also – egal, ob ohne oder mit Major Label-Deal – an den Künstlern selbst, wie sie mit sich und ihrer Kunst umgehen.
David Pe: Yin und Yang. Ich könnte das ewig ausführen, aber im Endeffekt kann es das eine nicht ohne das andere geben. Ohne Nebenwirkungen geht es nicht.
FALK: Ich glaube, die Schuld oder den Verdienst nur bei den Majors zu suchen, ist ein bisschen zu kurz gedacht. Ja, Deutschrap bekommt seine verdiente Reichweite und ja, Deutschrap wird in diesen Sphären der Aufmerksamkeit vermehrt zu massentauglicher Radiomusik. Das liegt aber nicht nur an den Labels, sondern an der untrennbaren Verknüpfung von Künstlern, Labels, Magazinen, Konsumenten, Vertriebswegen, Digitalisierung und eben dem Konsum. Labels gehen auf Künstler zu, von denen sie sich – im Zusammenhang mit ihrem Image, ihrer Musik und ihren Fans – Erfolge und Kohle versprechen. Magazine berichten überwiegend über Künstler, die Klicks generieren, um ihre Mitarbeiter zu bezahlen. Konsumenten sind faul geworden und werden erdrückt vom Angebot, weswegen sie meistens diejenigen hören, die sie kennen oder über die viel berichtet wird. Künstler machen Musik, die ihnen ihre Rechnungen bezahlt und das Leben ermöglicht, das sie sich erträumt haben. Diese Rapper kollaborieren dann auch vornehmlich mit Künstlern, die Erfolg garantieren. Am Ende ist das die Entscheidung eines jeden Einzelnen, was sie mit wem machen und mit welcher Intention – manchmal auch auf Kosten der Kunst und der Vielfalt. Letztendlich gibt es aber auch genügend MCs, die ihr Ding machen und damit erfolgreich sind. Die findet man aber nicht immer oben in den sozialen Netzwerken oder in den Trends, sondern einen Millimeter darunter. Manchmal muss man sich die Zeit nehmen.
Fabian Römer: Ich glaube, da kann ich jedermann beruhigen. Deutschrap spielt im herkömmlichen Medium Radio keine große Rolle. Ich schaue ab und an in die Airplay Top 100 und da ist "Vermissen" von Henning May und Juju der einzige Rapsong in den Top 30. Deswegen ist die Frage fast hinfällig. Ich würde mir sogar wünschen, dass Rap noch mehr Gehör in den herkömmlichen Medien findet und nicht nur durch Spotify in die Charts kommt. Gerade auf den konservativen Sendern ist der Rapanteil immer noch verschwindend gering. Das finde ich sehr schade. Generell fühlt sich Radio aktuell leider nach einem Auslaufmodell an. Spätestens, wenn alle Autos einen einfachen Internetzugang ermöglichen, werden die meisten auf Internetradio und Playlists umsteigen. Es sei denn, die Radios finden einen Weg, sich zu transformieren und neue Wege zu gehen.
Disarstar: Ich glaube, dass der Wert von Major Labels irgendwie überschätzt ist. Insbesondere in Deutschland. Die krass erfolgreichen Acts sind zu großen Teilen gar nicht bei Majors, sondern bei Independent Labels. Deswegen ist die Frage ein bisschen obsolet. Ich glaube, ehrlich gesagt, es hat irgendwie mit Majors angefangen und sie haben HipHop die verdiente Reichweite verschafft.
AzudemSK: Definitionssache. Major Labels haben dafür gesorgt, dass Menschen glauben, zu wissen, dass HipHop jetzt massentauglich und ausschließlich sexistisch sei. Diese Maschinerie bedient sich an Aspekten der Kultur, die nachweislich Kundschaft triggert. Zumeist junge, vielfach haltlose Menschen, die nach Vorbildern verlangen. Je nach Sozialisierung und anderen Einflüssen sind das halt mal die Macker oder eben Menschen mit Intellekt. Major Labels haben schon in den 90ern theoretisch dafür gesorgt, dass HipHop missbraucht wurde. Und mit dem Aufkommen der entsprechenden Industrie auch zu Teilen praktisch. Dadurch, dass das Analoge, das Naive, das Intuitive und das Reine aufgeweicht, mundgerecht verpackt und letztlich ersetzt worden ist. Durch leere Worthülsen, Image-Gehabe und Verkaufsstrategien. Den Labels ist es vollkommen wumpe, wer die U-Bahn malt oder eine starke Platte mit Rückgrat macht. Mir bedeutet es sehr viel, zu sehen, wer in dieser Zeit noch Sachen fürs Herz macht. Nur fürs Herz. Einfach so. Charakter zeigen. Das blanke Gefühl der Verbundenheit und die Tiefe der Emotionen, die durch ehrliche, persönliche Musik und damit verbundene Momente hergerufen werden können, werden niemals zur massentauglichen Radioware. Hier werden meines Erachtens nach lieber niedere Instinkte bedient – und das vorsätzlich. Mit HipHop hat das oftmals nichts zu tun.
Vega: Ich finde tatsächlich: weder noch. Es gibt zwar viele Deutschrap-Songs, die auf Platz eins der Singlecharts landen, aber im Radio läuft meines Wissenstands nach immer noch selten Deutschrap. Ich glaube, dass die erfolgreichen Künstler ihre Reichweite auch ohne Major Labels aufgebaut hätten. Ich denke nur, dass an vielen Stellen – wie auch bei mir – die Arbeit mit einem Major viele Abläufe professionalisieren kann.
Mine: Das ist wie die Frage nach Huhn oder Ei. Allerdings bin ich davon überzeugt, dass Major Labels nicht unbedingt stark investieren, bevor sie nicht riechen, dass es sich rentiert. Dass HipHop massentaugliche Radioware geworden ist, daran hat keiner Schuld. Das ist eine Entwicklung, die schon immer passiert ist, sobald ein Genre oder ein Gemüse oder eine Klamotte oder oder … kommerziell erfolgreich wird. Es wird halt ausgeschlachtet, bis keiner mehr dafür Geld ausgeben will. In einem kapitalistischen Land aber auch nachvollziehbar. Ich persönlich würde mir wünschen, dass man vielleicht ab und an im Vorhinein die Texte der Künstler durchliest, bevor man sie veröffentlicht. Da hängt schon eine Verantwortung dran, auf die oft geschissen wird, solange die Kasse klingelt. Das empfinde ich teilweise als moralisch schwierig.
Cengiz: Grundsätzlich würde ich sagen, dass ein Major Label es dem Künstler viel leichter machen kann. Das Netzwerk und die finanzielle Kraft können das Sprungbrett sein. Problem an der ganzen Sache ist, dass ein Major Label den Künstler bei Misserfolg auch gerne mal schnell absägt und er sofort von der Bildfläche verschwindet. Das soll nicht heißen, dass man ohne ein Major keinen Erfolg haben kann. Ganz im Gegenteil, wie wir gerade in der jetzigen Phase erleben. Die meisten Künstler sind ohne Major unterwegs, lösen riesige Hypes aus, spielen auf Festivals auch außerhalb vom splash! oder dem Openair Frauenfeld und laufen im Radio oder TV. Man muss zwischen zwei Arten von Major-Künstlern unterscheiden. Die einen erwarten einen Karrierepush und die anderen sind so groß, dass sie viele Dinge aus der Hand geben und Musik gar nicht mehr die Haupteinnahmequelle ist. Aber es gibt auch Künstler, die mit ihrem eigenen Team alles selbstständig aufbauen und dementsprechend auch weniger Abgaben haben. Dadurch, dass Instagram und Streaming mittlerweile einen unfassbar hohen Stellenwert haben, können sich die Selbstständigen auch ohne Major relativ einfach bekannt machen. Klar ist der Deal bei einem großen Major ein Segen, wenn der Karrierepush funktioniert. Klappt es aber nicht, kann es ganz schnell zum Fluch werden. Am Ende des Tages hat es für die Rapszene kaum schlechte Auswirkungen, wenn Major Labels die Musik auf den Markt bringen. Rap wird größer und ist nicht mehr die Musikrichtung, die früher als "asozial" abgestempelt wurde.
(Lukas Päckert & Anna Eberding)
(Fotos von Daniel Hoffmann (Lance Butters), Janick Zebrowski (Antifuchs), Eric Anders (David Pe), Ramon Haindl (Fabian Römer), Maximilian König (Disarstar), David Henselder (AzudemSK), Dominic Louth (Mine), Basti Sevastos (Cengiz), Grafik von Puffy Punchlines)