Die ganze Welt wird momentan von Corona beherrscht. Wir alle sind mehr oder weniger den ganzen Tag zu Hause und das ist auch richtig so. Doch was fängt man mit sich an, wenn Twitter, Netflix und Co. durchgespielt sind? Wie hält man es so lange mit sich selbst aus? Versuchen, die eigene Person zu akzeptieren, könnte ein guter Anfang sein. Schon der französische Philosoph Voltaire sagte: "Eigenliebe ist das Instrument der Selbsterhaltung." – Ähnlich denkt auch die österreichische Rapperin KeKe. Nur wenige versprühen so viel Ehrlichkeit und sprechen selbstsicher über ihre Gefühle. Wann ihr das gelingt, in welchen Momenten es ihr schwerfällt und wie sich das auf ihre Karriere auswirkt, erklärte uns die ausgebildete Jazz-Sängerin im folgenden Interview.
MZEE.com: Ich musste bei unserem Thema sofort an dich denken, aber da bin ich nicht die Einzige. Du bist jemand, den viele mit Selbstliebe und Empowerment in Verbindung bringen. Was bedeutet dir das?
KeKe: Es ist schön, anderen Leuten dasselbe Gefühl zu vermitteln, das ich mit so vielen Menschen verbinde. Das Thema ist mir einerseits extrem wichtig. Ich freue mich wahnsinnig, wenn das bei den Leuten ankommt, das ist ja der Sinn und Zweck davon. Andererseits habe ich das Gefühl, dass manche Menschen gewisse Dinge auf mich projizieren beziehungsweise sich von mir Ratschläge oder Tipps wünschen, die ich nicht geben kann. Ich bin keine Therapeutin. Aber größtenteils finde ich es sehr schön.
MZEE.com: Verspürst du manchmal den Druck, bestimmten Dingen gerecht werden zu müssen?
KeKe: Ja, vor allem in den Phasen, in denen ich die Tipps, die ich anderen gebe, selbst nicht umsetzen kann. Ich hab' manchmal das Gefühl, dass Menschen auf Social Media schnell glorifiziert werden. Im Gegensatz zu anderen habe ich wenige Follower. Trotzdem schreiben dir Leute viel zu, was du nicht bist. Ich muss genauso lernen wie alle anderen. Ich stehe nicht am Ziel und gebe den Leuten Ratschläge, sondern ich wandere mit. (lacht) Das muss man immer wieder kommunizieren. Aber sonst kann man das gut handlen.
MZEE.com: Viele Frauen zeigen Empowerment durch Nacktheit – auch du. Wieso ist es dir so wichtig, diese zu präsentieren?
KeKe: Ich finde es wichtig, weil ein Frauenkörper etwas komplett Normales ist. Hauptsächlich mache ich es aber, weil ich mir denke: "Ich kann machen, was ich will!" Es ist mein Körper und den kann ich darstellen und präsentieren, wie ich möchte. Feminismus endet nicht bei Nacktheit. Ich mache einfach das, worauf ich Bock hab'. Ich habe nicht so einen normschönen Körper, aber auch der hat Platz. Und Leute, die sich ähnlich fühlen, werden dadurch vielleicht ein bisschen dazu ermutigt, ihren Körper mehr anzunehmen. Es hat viele Aspekte und Gründe.
MZEE.com: Einige Menschen, die ohnehin einem gesellschaftlichen Schönheitsideal nahekommen, posten in den sozialen Medien Bilder mit dem Hashtag der Body Positivity-Bewegung. Sie werden dafür oft kritisiert. Was hältst du davon?
KeKe: (überlegt) Das ist schwierig … Ich denke, das sollte man anders benennen. Anstatt von Body Positivity oder Body Acceptance könnte man einfach von Body Love oder so etwas sprechen. Natürlich setze ich mich mehr für diejenigen ein, die nicht in eine Schönheitsnorm passen. Diese Menschen zu ermutigen, ist mir am wichtigsten, weil ich weiß, wie das ist. Ich weiß, wie es ist, dick zu sein. Which is totally fine. Das ist überhaupt nicht das Ding. Aber ich kenne das Gefühl, aufgrund seines Gewichts diskriminiert zu werden. Menschen, die das niemals erlebt haben, werden auch nie wissen, wie sich das anfühlt. Dann mit etwas zu werben, was aus einer anderen Perspektive entstanden ist, ist schon schwierig. Ich finde, jeder hat ein Recht darauf, seinen Körper öffentlich zu feiern und zu lieben. Man weiß ja auch nicht, was normschöne Menschen für Struggles mit ihren Körpern haben. Aber ich möchte grundsätzlich schon für die sprechen, die eine ähnliche Erfahrung wie ich teilen.
MZEE.com: Gerade, weil du diese Erfahrungen gemacht hast und dich trotzdem nicht scheust, dich in allen Facetten zu zeigen: In welchen Momenten tust du Dinge, weil du glaubst, dass diese getan werden müssen und nicht, weil dir dann danach ist?
KeKe: Ich spreche es leider zu selten an, wenn ich mich nicht wohlfühle. Ich will eigentlich, dass mein Instagram eine Celebration ist. Allerdings erwähne ich schon immer wieder, dass es völlig okay ist, sich nur zu akzeptieren und nicht zu lieben. Man kann sich ja nicht permanent mega finden. (lacht) Das ist unrealistisch. Aber ich möchte das mehr thematisieren. Ich mache das nicht absichtlich, sondern distanziere mich grundsätzlich von Social Media, wenn es mir nicht gut geht. Wenn es mir besser geht, bin ich wieder motiviert, Dinge zu teilen. Aber ich habe noch nie ein Bild gepostet, obwohl mir überhaupt nicht danach war. Da hätte ich das Gefühl, es würde mir jemand die Kontrolle nehmen. Das taugt mir nicht.
MZEE.com: Bei einem Live-Auftritt hat man ja leider keine Wahl, wenn man sich nicht danach fühlt, aufzutreten. Wie gehst du damit um?
KeKe: Ganz ehrlich? Augen zu und durch. Da kann man nicht viel machen. Das muss man einfach als Job ansehen. Ich erinnere mich dann daran, dass ich grundsätzlich etwas tue, das mir Spaß macht und dass ich blessed bin, diesen Job machen zu können. Danach schaue ich einen schönen Film im Hotel an und esse etwas Gutes. Fertig. Da muss man einfach die Zähne zambeißen.
MZEE.com: Du hast recht schnell größere Aufmerksamkeit bekommen, obwohl du noch nicht so lange auf der Bildfläche bist. Überfordert dich das manchmal?
KeKe: Ja, ich fand das schon ein bisschen überfordernd. Ich stehe ja immer noch am Start. Ich bin froh über alles, was passiert ist. Dass ich so viele coole Leute kennengelernt habe und wahnsinnig viel erleben durfte. Aber es ist trotzdem ein bisschen schräg. Das ganze Business ist einfach etwas, an das man sich gewöhnen muss. Es gibt Momente, in denen ich sehr hadere und kämpfe. Am Ende des Tages ist Musikmachen aber das, was ich am liebsten mache und auch am besten kann. Alles hat halt seine Licht- und Schattenseiten.
MZEE.com: Du bist sehr aktiv auf Instagram. Inwiefern hast du das Gefühl, dass soziale Medien deine Selbstwahrnehmung verändern?
KeKe: Früher hat das mehr verändert als jetzt. Dadurch, dass ich Instagram zum größten Teil positiv konsumiere, fühle ich mich meistens gut dabei. Ich folge auf meinem privaten Account vielen Leuten, die mir ein schönes Gefühl geben. Manchmal merkt man natürlich auch, dass es einen negativ beeinflusst. Man beginnt, an sich zu zweifeln und sich ein bisschen weniger zu mögen. Dann muss man sich gedanklich schnappen und eine Pause einlegen. Das hilft mir am meisten.
MZEE.com: Wie wichtig, glaubst du, ist die Bestätigung anderer dafür, sich selbst lieben zu können?
KeKe: Ich glaube, es ist eine Lebensaufgabe, dass das Bedürfnis nach äußerlicher Bestätigung nicht mehr zählt. Genauso, wie sich nicht mit anderen zu vergleichen. Das muss man vermutlich sein ganzes Leben lang üben. Ich würde lügen, wenn ich sage, dass mir Bestätigung nicht wichtig wäre. Aber ich arbeite daran, dass es immer weniger wichtig wird. Es sollte einen nicht erschüttern, wenn man mal keine Bestätigung bekommt. Auch wenn sie etwas Schönes ist, vor allem, wenn sie von bestimmten Leuten kommt. Das ist aber auch etwas, an dem ich grade intensiv arbeite. Dass ich an meine Entscheidungen und an das, was ich bin und tue, glaube, ohne dass mir die ganze Zeit jemand Applaus dafür geben muss. Es ist wahnsinnig schwierig, von alldem überzeugt zu sein, wenn nicht zu hundert Prozent hinter einem gestanden wird. Ich finde es aber super important, dass man das lernt.
MZEE.com: Inwiefern fällt die Erziehung und Sozialisation ins Gewicht, wenn es darum geht, sein eigenes Ding machen zu können?
KeKe: Die eigene Geschichte spielt sicher immer eine Rolle. Das hat wahrscheinlich viel mit der Sicherheit zu tun, die man im Leben erfährt. Manche bekommen davon mehr, manche weniger und die, die weniger bekommen, müssen sich das erarbeiten.
MZEE.com: Gehen Selbstliebe und Egoismus Hand in Hand?
KeKe: Ja. Ich habe mich früher oft für mein streckenweise egoistisches Verhalten geschämt. Mittlerweile bin ich ganz froh, dass ich die Fähigkeit habe, mich zu schonen. Alles in Maßen. Es ist ein Balanceakt, auf sich zu schauen und auch egoistische Entscheidungen zu treffen, aber gleichzeitig anderen damit nicht zu schaden oder sie zu belasten. Ein gewisser Egoismus ist für mich aber superwichtig, um zu überleben.
MZEE.com: Wie weit reicht denn gesunder Egoismus?
KeKe: Ich habe diesen Punkt ganz sicher schon oft in meinem Leben überschritten und Leute damit verletzt. Manchmal weiß ich nicht, wo gesunder Egoismus aufhört. Zum Beispiel habe ich eine Freundschaft beendet, obwohl ich gewusst habe, dass es die andere Person sehr verletzt. Vor allem, weil ich dabei auch starke Kritik geäußert hab'. Ich habe gesagt, dass ich mich vor manchen Dingen, die dieser Mensch tut, schützen muss. Meine Energie und mein Frieden waren mir wichtiger als der Schmerz und die Probleme des anderen. Irgendwie muss ich damit leben, dass diese Person mich jetzt hasst oder das scheiße fand. Ich glaube, man kann es manchmal nicht verhindern, anderen Leuten wehzutun. Selbstschutz ist einfach important. Je älter ich werde, desto weniger Toleranz habe ich für Bullshit. Mein Circle ist inzwischen sehr klein und besteht nur aus Leuten, die sich gegenseitig guttun und bereichern.
MZEE.com: Wieso ist Self Care gerade für Frauen ein so großes Thema?
KeKe: Wahrscheinlich, weil es immer noch ein bisschen komisch ist, wenn Männer sich da ganz offen artikulieren. Das klingt so Mittelalter-mäßig. (lacht) Aber Männer reden immer noch weniger darüber, wie sie fühlen. Es herrscht ein gesellschaftlicher Druck, weil man Frauen eher "erlaubt", über emotionale Dinge zu reden, da sie die vermeintlich sozialeren Wesen sind. Voll der Bullshit. Jeder soll darüber reden können, wie es ihm geht. Das sind komische Dynamiken. Langer Rede, kurzer Sinn: Es liegt an der Gesellschaft.
MZEE.com: Deine Community nehme ich als eher weiblich wahr. Bekommst du auch Nachrichten von Männern, die toll finden, für was du stehst?
KeKe: Ja, auf jeden Fall. Auch Leute, die ich kenne und bei denen es mich wahnsinnig überrascht hat. Ich kriege immer wieder DMs von Männern, die sich damit identifizieren können und das finde ich wunderschön. Darauf bin ich extrem stolz und glücklich. Es ist ja das Ziel, dass man auch als Mann mehr darüber reden kann.
MZEE.com: Die aktuelle Zeit lässt sich – wenn man die Möglichkeiten hat – dazu nutzen, um wieder mehr zu sich selbst zu finden. Was machst du momentan oder auch allgemein, um dich selbst besser kennenzulernen?
KeKe: Therapie. Ich bin sehr privilegiert und habe das Glück, dass ich in Therapie gehen kann. Ich bin da bei jemandem, der Coaching und Gesprächstherapie macht. Es ist crazy, wie die Therapeutin mir in kurzer Zeit schon geholfen hat, zum Beispiel mit dem Rauchen aufzuhören. Im Moment läuft das natürlich anders ab, auch mit Sicherheitsabstand, aber ich brauche das einfach. Sie hilft mir sehr, ohne kann ich nicht. Ich habe Dinge über mich erfahren, die ich vorher nicht erkennen konnte. Aus aktuellem Anlass habe ich lange überlegt, ob ich in die Praxis fahren soll, aber ich brauche diesen Raum einfach. Über das Telefon kann ich mich nicht so fallen lassen. Sonst sehe ich seit einem Monat eh fast keine Seele mehr.
MZEE.com: Es geht ja auch um die Atmosphäre, die diese Menschen schaffen können. Die gibt einem die Möglichkeit, über sehr persönliche Dinge zu reden.
KeKe: Ja, voll. Ich sage jetzt nur ganz wenig darüber, weil ich das nicht so gut erklären kann, aber sie arbeitet auch mit einer Art Gedankenkonditionierung. Man geht an einen Punkt in dem Raum und stellt sich etwas Bestimmtes vor. Auf der anderen Seite des Raumes denkt man über andere Dinge nach. Wenn wir also gewisse Gefühle abrufen möchten, stelle ich mich an den entsprechenden Platz. Deswegen ist meine Therapie ziemlich verbunden mit dem Ort. Aber um zum Wesentlichen zurückzukommen: Wenn man die Möglichkeit hat, eine Therapie zu machen, kann ich das jedem empfehlen. Vor allem jetzt.
MZEE.com: Was kann man machen, damit mehr Leute sich trauen, in Therapie zu gehen, ohne sich dafür zu schämen oder sich "krank" zu fühlen?
KeKe: Wenn man darüber redet, wird es normalisiert. Je mehr Menschen darüber reden, dass sie in Therapie gehen, desto weniger werden das komisch finden. Ich bin der Meinung, dass jeder in Therapie gehört, weil Psychohygiene unfassbar wichtig ist. Auch für Menschen, die kein akutes Problem haben. Deswegen quatsche ich viel darüber. Vielleicht motiviert das auch andere, darüber zu reden. Das wäre cool. Natürlich immer mit dem Gedanken dahinter, dass nicht jeder überall zur Therapie gehen kann. Das ist ein riesiges Privileg. Schade, aber leider ist es noch so.
MZEE.com: Fällt es dir nicht manchmal schwer, darüber zu reden? Eine Therapie ist ja etwas wahnsinnig Intimes.
KeKe: Ich glaube, ich gehe meinen Freunden schon richtig auf die Nerven damit, weil jeder dritte Satz mit "Also, meine Therapeutin hat gesagt …" anfängt. (lacht) Ich bin bei gewissen Dingen auch bei meinen Freunden sehr outspoken, das ist einfach meine Art. Ich finde es auch völlig ok, wenn man das nicht ist. Das ist ein Prozess. Man muss ja nichts sagen, womit man sich in dem Moment unwohl fühlt. Aber man kann im Kollektiv versuchen, das Thema Mental Health zu normalisieren. Da ist ein so enormes Stigma drauf, dass sich die Leute schämen, wenn sie zum Beispiel Medikamente nehmen oder eine psychische Erkrankung haben. Die Scham und Angst, sich mitzuteilen, machen das Problem nur schlimmer. Deswegen bin ich immer voll happy, wenn die Leute sich trauen, darüber zu reden. Ich bin aber auch niemandem böse, wenn er es nicht schafft. Das allerschlimmste ist Erwartung und Druck. Aber wenn man nicht darüber kommunizieren kann, kann es auch in etwas Schlimmerem resultieren. Manche Leute reden ihr ganzes Leben lang nicht über ihre Probleme, begehen dann von einem auf den anderen Tag Suizid und keiner versteht jemals, wieso das passiert ist. Es gibt so viele Berichte über Menschen, die sich das Leben genommen haben und von ihrem Umfeld als total normal und happy beschrieben wurden. Das ist etwas, das man immer wieder kommunizieren muss: Psychische Krankheiten sind kein Witz. Sie müssen ernst genommen werden und dürfen nicht mit Scham behaftet sein. Es ist genauso wichtig, psychisch gesund zu sein wie körperlich. (seufzt) Deswegen quatsche ich halt bissl drüber.
MZEE.com: Es heißt auch: Nur wer sich selbst liebt, kann geliebt werden. Glaubst du das?
KeKe: Ich glaube das nicht. Ich habe mich ganz lange und viele Jahre meines Lebens nicht geliebt und hatte immer Menschen um mich, die mich geliebt haben. Für mich persönlich stimmt es also nicht so. Ich denke aber schon, dass es das Leben für einen selbst und das Umfeld nicht leicht macht, wenn man null in sich vertraut. Es ist ein schwieriger Weg, aber ich hatte immer das Glück, dass ein paar Leute da waren, die mich supportet haben.
MZEE.com: Das ist sehr schön. Zuletzt würde ich gerne noch wissen, was du deinem 16-jährigen Ich heute mit auf den Weg geben würdest.
KeKe: Dass es besser wird. Es wird wirklich besser. Es klingt vielleicht kitschig, aber es stimmt: "It's always darkest before the dawn."
(Yasmina Rossmeisl)
(Fotos von Lousy Auber)