HipHop und Videospiele? Auf den ersten Blick zwei Dinge, die sich aufgrund ihres unterschiedlichen Ursprungs nur schwer miteinander vereinbaren lassen. So wurde eines von beiden im Bastelkeller eines Physikers aus Connecticut erfunden, während das andere in den Ghettos von New York das Licht der Welt erblickte. Tatsächlich könnten schon William Higinbotham – der Erfinder von "Tennis for Two", dem vielleicht ersten Videospiel – und Kool DJ Herc kaum verschiedener sein. Denn den ersten Generalsekretär der "Federation of American Scientists" trennen erst einmal Welten von einem der bedeutendsten DJs der Geschichte. Was sie jedoch verbindet, ist die Tatsache, dass sich auf Basis ihres Schaffens ganze Subkulturen bilden. Beide Szenen wachsen und erreichen Abertausende, meist noch junge Menschen. Selbstverständlich ergibt sich daraus eine Schnittmenge an Gaming- und HipHop-affinen Jugendlichen. Ganze Generationen werden gleichermaßen von Spielen wie "Donkey Kong", "Grand Theft Auto" oder "Need for Speed" geprägt wie auch von Platten von Snoop Dogg, 50 Cent oder Drake. Somit ist es nicht überraschend, dass auf diversen HipHop-Alben immer wieder Referenzen zu Videogames in Form von Textpassagen oder Samples zu finden sind. Außerdem stehen Artists, die in ihrer Jugend meist selbst gerne den Controller in die Hand nahmen, fast immer bereitwillig für Sprechrollen und Gastauftritte in verschiedenen Spielen zur Verfügung. Einige von ihnen bringen sogar ihr eigenes Game auf den Markt. Von einfachen Rhythmusspielen bis zum Rapper mit eigener Konsole haben HipHop und Videospiele mehr Verknüpfungen, als man zunächst glauben mag.
Von Level zu Level zu Level
Schon früh outen sich Rapper mit Textreferenzen als Videospiel-Fans und schlagen somit eine Brücke zu der sonst noch so weit entfernten Gaming-Welt. Will Smith – damals noch bekannt als The Fresh Prince – releast 1988 zusammen mit seinem Partner DJ Jazzy Jeff einen Song namens "Human Video Game". Darin beschreibt er, wie er krampfhaft versucht, sein Lieblingsspiel "Donkey Kong" in der Arcadehalle durchzuzocken. Der Track beginnt mit den Zeilen: "Ever since I was younger, I was into video games – 'Tron' or whatever, it didn't matter the name." Etwa zu diesem Zeitpunkt erscheinen auch die ersten 16-Bit-Spielekonsolen für das heimische Fernsehgerät. Zwei von ihnen werden 1994 von Notorious B.I.G. zu echten Statussymbolen erhoben. "Super Nintendo, Sega Genesis – when I was dead broke, man, I couldn't picture this", rappt Biggie auf seinem Hit "Juicy". Auch Deutschrap-Urgestein Curse will in seiner Jugend nur "Mountainbike fahr'n und Amiga spielen wie die anderen Kinder". Durchaus verständlich, wenn man bedenkt, dass die berappten Geräte zu dieser Zeit zwischen 200$ und 1.000$ kosten und somit für die meisten Rapper vor deren Karriere unbezahlbar waren. Sogar die Vorreiterstellung bestimmter Konsolen wird in verschiedenen Textzeilen thematisiert. 1998 zeigt Q-Tip seine (rap-)technische Überlegenheit mit der Line "I'm Nintendo 64 and you Mattel Intellivision". Das Gerät von Mattel gehört zur in dieser Zeit bereits veralteten 16-Bit-Generation. Im Gegensatz dazu kann die modernere Konsole von Nintendo als erste mit einem 64-Bit-System aufwarten und läutet damit eine neue Gaming-Generation ein. Auch in den frühen 2000ern zeigen viele Rapper ihre Liebe zu den Konsolen, die mittlerweile neue technische Stufen erklimmen. So kleidet sich beispielsweise Redman laut seiner Lyrics auf "Let's Get Dirty" passend zur damals neu erscheinenden Sony PlayStation 2: "My dress code is all black when I'm makin' the moves – similar to the new PlayStation 2." Diese kommt mittlerweile auf 128-Bit und kann relativ detailreiche 3D-Grafiken darstellen. Zusätzlich bietet sie noch einige Multimedia-Anwendungen wie einen integrierten DVD-Player. Schon vier Jahre später wird die Leistung der Spielekonsole aus Japan jedoch von einem Konkurrenzprodukt übertroffen. Microsoft bringt die Xbox 360 auf den Markt, die mit 256-Bit sogar noch leistungsstärker ist. Der Rapper Curren$y aus New Orleans scheint ein besonders großer Fan dieses Geräts zu sein, denn in seinem Song "Breakfast" erzählt er von seinem Tagesablauf: "Xbox web browser – download an updated NBA roster. Play an eighty-two game season – Condo full of snacks, Spitta not leaving." Neun Jahre später, im Jahr 2013, kommt schließlich die aktuelle Konsolengeneration auf den Markt. Diese reicht nun mit ihrer Leistung an moderne Computer heran und bietet ebenso viele Multimedia-Anwendungen. Die neuen Geräte erfreuen sich riesiger Nachfrage. So wünscht sich Ras Kass auf dem von Apollo Brown produzierten Track "Deliver Us From Evil" zu Weihnachten dringlichst "a Maybach coupe and a PlayStation 4". All diese Referenzen zeigen, wie weit das Zocken in der HipHop-Szene verbreitet ist. Darüber hinaus hat sich das Genre quasi linear mit den Spielekonsolen vom 16-Bit-Klassiker zum vielseitigen High-End-Gerät gemausert.
Der Sound für die (virtuelle) Straße
Andererseits haben auch die Spielemacher HipHop früh auf dem Radar und adaptieren diese Musikrichtung für sich. So erscheint Ende 1996 das Rhythmus-Game "PaRappa The Rapper", bei dem der Spieler in die Rolle des rappenden Hundes PaRappa schlüpft. Dieser muss verschiedene Battles bestehen. Dabei wird der Rhythmus durch Tastenkombinationen vorgegeben, die der Spieler möglichst im passenden Tempo nachmachen muss. Verpasst er das Timing, gerät PaRappa aus dem Takt. Das Spiel ist bis heute so beliebt, dass sogar eine geremasterte Version für die PlayStation 4 erscheint. Jedoch ist das Game mit den wohl meisten HipHop-Referenzen "Grand Theft Auto: San Andreas" aus dem Jahr 2004. Große Teile der Karte sind Compton nachempfunden – dem Vorort von Los Angeles, aus dem unter anderem Dr. Dre, Kendrick Lamar und The Game stammen. Letzterer leiht sogar dem Charakter B-Dup, der ihm darüber hinaus sehr ähnlich sieht, seine Stimme. Auch Westcoast-Legende MC Eiht spricht eine Spielfigur aus "GTA: San Andreas". Nämlich den Drogendealer Ryder, der optisch N.W.A.-Rapper Eazy-E nachempfunden ist. Noch mehr bleiben aber wahrscheinlich die Radiosender der virtuellen Hood im Gedächtnis. So kann man auf Radio Los Santos – das beim Nachfolger "GTA V" sogar noch existiert – Songs von Tupac oder Cypress Hill lauschen, nachdem man gerade einen Auftragsmord begangen hat. Oder man rast im geklauten Fluchtwagen durch die Innenstadt, während man Public Enemy oder Gang Starr auf Playback FM hört. Auch andere beliebte Spielreihen bedienen sich in ihren Soundtracks an Rapsongs. So zum Beispiel "Need for Speed: Underground". Noch heute erinnern sich Fans der Reihe an den Soundtrack mit Hits wie "Lean Back" von Terror Squad oder "Get Low" von Lil Jon & The East Side Boyz. Eine ähnlich hochkarätige Playlist kann das Game "Saints Row: The Third" aufweisen. Mit "Power" von Kanye West und "Yonkers" von Tyler, The Creator hat es ein paar waschechte HipHop-Klassiker im Gepäck. Für die allseits beliebte "Call Of Duty"-Reihe steuert Eminem sogar einen exklusiven Track bei. Doch auch deutsche Rapper gibt es in verschiedenen Games zu hören. Kool Savas zum Beispiel ist mit dem Track "Grind On" auf "Tony Hawk's Underground 2" vertreten. Marteria, der bereits 2010 auf "Endboss" seine Gamingaffinität unter Beweis stellt, kann von sich behaupten, mit "Verstrahlt" ein Jahr später der erste deutschsprachige Künstler auf einem "FIFA"-Soundtrack zu sein. Nur Harris schaffte es früher, allerdings nicht mit einem Song. Er war bereits 2005 als Kommentator bei "FIFA Street" zu hören. Insgesamt scheint deutscher Rap – ebenso wie der große amerikanische Bruder – im Spielefieber zu sein. So sind in den Instagram-Feeds vieler Rapper hierzulande oft aktuelle Renner wie "Fortnite" zu sehen. Der wohl größte Gamingfan in der deutschen Rapszene ist allerdings Max Nachtsheim alias Rockstah. Dieser schreibt bereits 2015 für das Magazin Gameswelt Kolumnen und spricht in seinem aktuellen Podcast "Die Mancave" ebenfalls zu einem Großteil über das Zocken. Außerdem werden seine Gamingsessions regelmäßig auf Twitch gestreamt.
Mittendrin statt nur dabei
Die zuvor erwähnte "Tony Hawk"-Reihe ist ebenfalls ein gutes Beispiel dafür, wie tief HipHop im Gaming verankert ist. Abgesehen von den vielen Rapsongs in den einzelnen Soundtracks kann man in "Tony Hawk's American Wasteland" sogar Lil Jon als spielbaren Charakter freischalten – genauso wie Tyler, The Creator in "Tony Hawk's Pro Skater 5". Ebenfalls lassen sich Snoop Dogg auf "True Crime: LA" und RZA vom Wu-Tang Clan auf "DJ Hero 2" spielen. Der Wu-Tang Clan ist es auch, der als erste Rap-Crew ein eigenes Spiel bekommt. "Wu-Tang: Shaolin Style" erscheint am 30. November 1999 ausschließlich für die PlayStation. Das Beat 'em up-Game ist in etwa vergleichbar mit "Mortal Kombat" und bietet ebenfalls Finisher-Techniken, die final im Kampf eingesetzt werden. So kann man sich mit einem ausgewählten Wu-Tang-Member durch die "36 Chambers" kämpfen, um den Hüter des "Wu-Tang-Styles" zu befreien. Musikalisch ist das Ganze unterlegt von RZA-Beats und exklusiven Wu-Tracks. In der Sammler-Edition wird das Game sogar mit einem speziellen "Wu"-Controller ausgeliefert. Dieser ist geformt wie das Logo des Clans und wird heute als Sammlerstück für circa 250€ gehandelt. 50 Cent bringt ebenfalls sein eigenes Game auf den Markt. Der Third-Person-Shooter "50 Cent: Bulletproof" aus dem Jahr 2005 lässt den Spieler zusammen mit 50, Tony Yayo und Young Buck in die Schattenwelt von New York City eintauchen. Der Nachfolger "50 Cent: Blood In The Sand", das im mittleren Osten spielt, wird leider ein Flop und so stellt er seine Videospielreihe ein. Der absolute Champion, was Rapper als Spielcharaktere angeht, ist allerdings die legendäre "Def Jam"-Reihe. Der erste Teil des Beat 'em up-Games "Def Jam: Vendetta" erscheint 2003 und bietet neben Joe Budden, Method Man und DMX – welcher der erste Gegner im Story-Modus ist – zahlreiche weitere Rapper als Charaktere an. Aufgrund des großen Anklangs, den das Game findet, erscheint bereits ein Jahr später mit "Def Jam: Fight For NY" ein Sequel, das nun noch mehr Künstler präsentiert. Insgesamt sind 67 Charaktere spielbar, darunter natürlich viele Rap-Artists. 2007 wird dann mit "Def Jam: Icons" der letzte Teil der Reihe releast. Dieser ist in der Charakterwahl deutlich eingeschränkter. Der bereits angekündigte Nachfolger "Def Jam: Icon 2" erblickt aufgrund der Schließung eines Electronic Arts-Studios gegen Ende 2007 nie das Licht der Welt. Jedoch wurde auf einer mittlerweile geschlossenen Website eine Betaversion des Spiels geleakt. In dieser konnte man Ludacris und T.I. als Kämpfer in drei verschiedenen Arenen spielen. Selbstverständlich wird die gesamte Reihe nicht nur von kämpfenden Rappern getragen, sondern auch von deren Musik. Songs von Onyx, OutKast oder Xzibit – um nur wenige zu nennen – machen die Videospiele zu einem Muss für jeden Gaming-affinen HipHop-Hörer. Schließlich werden sie in Kooperation mit dem erfolgreichsten HipHop-Label aller Zeiten releast. 2015 gibt es sogar den Versuch, so etwas wie ein deutsches "Def Jam" auf die Beine zu stellen. "Beef Over Germany" erscheint als Smartphone-App und beinhaltet neben Eko Fresh, Haftbefehl und Schwesta Ewa noch einige andere Hochkaräter der deutschen Rapszene. Nachdem das Game im Vorfeld einen regelrechten Hype auslöst, erhält es nach seinem Release jedoch fast ausschließlich negative Kritiken. Letztendlich wird es sogar aus den App-Stores entfernt.

Diggin' in the Games
Ebenso wie die Videospiele HipHop als Musik adaptieren, nutzen auch HipHop-Künstler Sounds aus den Games für sich. So basiert der eingangs erwähnte Track "Human Video Game" von Will Smith auf einem Sample aus dem besungenen Game "Donkey Kong". Insgesamt scheinen die Games um den starken Gorilla gerade bei Produzenten sehr beliebt zu sein. Der Beatmaker Chemist benutzt eine Melodie aus "Donkey Kong Country" für "Eat Your Vegetables" von Childish Gambino. In einem Interview mit Fuse.TV wird dieser auf das von seinem Produzenten genutzte Sample angesprochen und sagt: "He actually samples a lot of video games, specifically Donkey Kong. I didn't even know it, which was really funny because nerds were losing their minds about it." Aus ebendieser Spielereihe stammt auch die Melodie aus "6 God" von Drake. Bei den Streichern bedient sich Produzent Boi-1da am Soundtrack zu "Donkey Kong Country 2: Diddy Kong's Quest". Sogar Producer-Legende Swizz Beatz nutzt Samples aus Videogames für seine Songs. Der Hit "Money, Cash, Hoes" von Jay-Z und DMX enthält einen Loop aus dem Sega Genesis-Beat 'em up-Game "Golden Axe" von 1989. Gleichermaßen von Soundtracks beeinflusst ist "FromdaTomb$" von Joey Bada$$. Das Piano- und Trompetensample stammt aus dem Maintheme des Krimigames "L.A. Noire". Auch Young Jeezys Nummer-eins-Hit "Soul Survivor" mit Akon enthält Sounds aus einem Videospiel. Die Samplequelle dazu entstammt keinem geringeren Game als dem James Bond-Klassiker "GoldenEye 007" für das Nintendo 64. Die Liste der Videospielsoundtracks, die bereits in HipHop-Songs verarbeitet wurden, könnte man ewig weiterführen. Viele Rapper und Produzenten sind in ihrer Jugend mit ebenjenen Melodien aufgewachsen. Diese verwenden sie nun für ihre eigenen Songs. So wäre es nicht verwunderlich, wenn weiterhin fleißig aus Games gesamplet wird. Damit würden zwei Jugendkulturen, die in ihrem Ursprung so verschieden sind wie nur irgend möglich, noch weiter zusammenrücken, als es ohnehin bereits der Fall ist.
(Nico Maturo)
(Titelbild: Daniel Fersch, Foto: Nico Maturo)