Nach dem "death of papi" errichten die Gaddafi Gals auf ihrem Debütalbum ihren eigenen "Temple". Das Trio – bestehend aus Sängerin slimgirl fat, Produzent walter p99 arke$tra und Rapperin sowie Sängerin blaqtea – präsentiert mit der neuen Platte ein ambitioniertes Projekt mit internationalem Vibe. Zweifelsfrei sorgen die drei Artists mit ihrem englischsprachigen Release dafür, dass Musik aus Deutschland ein Stück weit mehr Diversität verzeichnet und auch über die Grenzen von Deutschland, Österreich und der Schweiz hinaus Aufmerksamkeit erhält. Im Interview sprachen wir deshalb mit den Gaddafi Gals über die Berichterstattung durch US-amerikanische Medien, den experimentellen Soundentwurf und darüber, wie der besungene Tempel eigentlich aussieht.
MZEE.com: Mit den mystisch gesprochenen Worten "Welcome to the temple of Gaddafi Gals" wird euer Album eingeleitet und abgeschlossen. Wie stellt ihr euch euren Tempel als tatsächliches Gebäude vor?
slimgirl fat: Ich stelle mir meinen Raum nicht unbedingt definierbar vor, rein architektonisch gesehen. Aber insgesamt dunkel, marmorverkleidet und ins Endlose gehend, sagen wir's mal so. Es befindet sich eigentlich nichts darin. Nur die Materie und ich. Das ist mein Tempel. Das verbinde ich mit dem Album und dem Gefühl, das ich habe, wenn ich die Platte höre.
blaqtea: Ich stelle mir den Tempel ehrlich gesagt ein bisschen so vor wie aus dem Musikvideo "Shahmaran" von Sevdaliza. Das ist ein weißer Raum mit verschiedenen Gegenständen und in der Mitte ist Wasser mit Guns, Autos, dies das … Aber das Wichtigste in diesem Raum ist das Wasser. Ich glaube, das ist so der Tempel, wie ich ihn mir vorstelle.
MZEE.com: Schreibst du dem Wasser eine symbolische Bedeutung zu?
blaqtea: Wasser ist das Essenzielle. In dem Video von Sevdaliza ist es auch so, dass der Typ, der da reingeht, nichts von dem wahrnimmt, sondern einfach das Wasser trinkt. Weil es am Ende des Tages dann doch das Wichtigste ist. Es ist von all diesen Dingen umgeben, die wir für essenziell halten oder einen Lifestyle bestimmen.
MZEE.com: Eure eigenen visuellen Vorstellungen habt ihr unter anderem zu "Hit On Me" und "Smoked Out Loced Out" umgesetzt. Ihr habt alle Videos gemeinsam mit Dominik Backhaus gedreht. Wart ihr tief in den Produktionsprozess involviert?
walter p99 arke$tra: Ja, voll. Wir machen eigentlich bei jedem Video die Co-Regie und sind stark in die Ideenfindung involviert. Wir arbeiten aber auch sehr bewusst mit Leuten, die ihre eigenen Visionen haben. Das Ästhetische beziehungsweise Visuelle hat bei uns einen sehr starken Standpunkt, weshalb wir dort viel mitwirken.
MZEE.com: Stammt Dominik Backhaus auch aus eurem persönlichen Umfeld?
walter p99 arke$tra: Der stammt aus unserem Umfeld – ganz grob. Es war aber trotzdem eher eine zufällige Fügung. Wir haben uns nach Jahren mal getroffen und dann die ersten Videos gemacht. Das nächste Video wird aber von jemand anderem sein. Wir arbeiten auch gerne mit verschiedenen Leuten zusammen.
slimgirl fat: Sander Houtkruijer heißt der. Das ist ein Director, der auch in Berlin wohnt. Mit dem haben wir uns ganz oft getroffen. Wir lassen uns sehr viel Zeit, wenn die Person, mit der wir arbeiten, das zulässt. Wir versuchen, uns erst mal kennenzulernen und machen schnell klar, dass es eine nachhaltige Sache sein soll. Wir wollen in Zukunft versuchen, noch mal mit den Leuten zusammenzuarbeiten. Das ist wichtig für uns.
MZEE.com: Man findet überraschend viele Feuilletonartikel über euch. Was meint ihr, wie es dazu kommt, dass ihr dort schon stattfindet, obwohl euch die Szenemedien verhältnismäßig wenig Beachtung schenken?
walter p99 arke$tra: Weil wir gar nicht so sehr der HipHop-Szene zugeordnet werden, glaube ich. Ich meine, es ist schon sehr HipHop – rein vom Einfluss, was wir machen. Die deutsche Szene ist aber ein eingefleischter Kosmos, da finden wir eher nicht statt.
MZEE.com: Habt ihr eine Erklärung dafür, wie ihr es in die ganzen renommierten Tageszeitungen geschafft habt? Das ist ja schon etwas Besonderes, das euch von anderen abhebt.
walter p99 arke$tra: Ich glaube, es hat eine gewisse gesellschaftliche und künstlerische Relevanz, die über das Musik-Ding hinausgeht.
MZEE.com: Wollt ihr denn parallel dazu auch in den HipHop-Medien vertreten sein?
walter p99 arke$tra: Ich persönlich finde auch gerne in den HipHop-Medien statt. Lustigerweise war die BACKSPIN sogar die erste Zeitschrift, die ich jemals gelesen habe. Das war damals die Lil' Flip-Ausgabe. (lacht) Es ist wie ein Kindheitstraum von mir, da mal stattzufinden.
slimgirl fat: Es ist nicht so, dass wir sagen, dass wir da nicht stattfinden wollen. Ich glaube, das passiert automatisch. Ich weiß auch gar nicht, inwiefern es da Regeln gibt. Wir machen eben keinen deutschen HipHop und ich persönlich habe das Gefühl, dass deutscher Rap es dort einfacher hat als eine Crew, die auf Englisch singt und rappt.
MZEE.com: Im Feuilleton finden sich die verrücktesten Genre-Beschreibungen über euch: von "Neo-Cloud-R 'n' B-Rap" oder "Avantgarde-Cloud-Rap" über "R 'n' B-Punk-HipHop" bis "Meme". Was denkt ihr darüber?
(alle lachen)
slimgirl fat: Also, wir tun uns eigentlich schwer damit, das konkret einzuordnen, weil wir selber nicht wüssten, was da zutreffend ist. Was du da aufgezählt hast … Ich kann das ein Stück weit verstehen. Es ist eben ultraschwierig, klassische Genre-Beschreibungen zu benutzen. Nicht nur für uns, auch für viele andere Künstler, die versuchen, einen Sound upzusteppen und anders zu klingen. Ich glaube, dann entsteht automatisch eine neue Genre-Zuordnung.
MZEE.com: Wie würdet ihr euren Soundentwurf beschreiben?
walter p99 arke$tra: Mystisch, organisch, auf die Fresse. Aber auch soft.
slimgirl fat: Ja, soft, aber auch stark und vom Boden gelöst. Schwebend.
MZEE.com: Mit eurem experimentellen Sound gehen ambitionierte Wünsche Hand in Hand. blaqtea, du wünschst dir, dass euer Album etwas auf ästhetischer, musikalischer oder politischer Ebene bewirkt. Wie sehen diese Auswirkungen in deinen oder euren Idealvorstellungen aus?
blaqtea: (überlegt) Der erste Anspruch, den wir an das Album hatten, war, dass wir eine neue Soundästhetik erschaffen. Klar, man kann nichts gänzlich Neues machen. Also, könnte man schon, aber ob das für alle Leute oder einen Großteil zugänglich wäre? Man könnte super experimentell werden, aber es ging uns eigentlich darum, aus den Influences, die wir haben, eine eigene Ästhetik zu schaffen. Dieser Anspruch steht vor allem anderen – auch vor den Lyrics. Es war die Frage, mit welchen Strukturen wir in den Songs arbeiten wollen: Was können wir neu machen? Was können wir anders machen, verändern oder brechen? Ich glaube, das war ein großer Teil des Schaffensprozesses. In zweiter Linie sind wir natürlich politische Personen, wir werden auch politisiert. Dadurch können die Lyrics ebenfalls politisch gelesen werden, aber ich glaube, dass der Sound genau durch die Priorität der Ästhetik entstanden ist.
MZEE.com: Würdet ihr euch wünschen, dass mehr Leute in Deutschland neue Sounds nach vorne bringen?
blaqtea: Ich glaube, uns juckt gar nicht, was die anderen machen. Wir haben einfach das gemacht, was uns gefehlt hat und das haben wir selbst kreiert. Klar, es wäre geil, wenn die deutsche Musikindustrie neuere Sachen macht. Vielleicht gehen die aber auch an uns vorbei, weil wir darauf nicht den Fokus gelegt haben.
walter p99 arke$tra: Ja, wirklich experimentell ist die deutsche Szene jetzt nicht. Da wollten wir vielleicht einen kleinen Beitrag leisten, damit sich das ein bisschen ändert.
slimgirl fat: Ich sehe das auch ähnlich und hoffe, dass da nichts an mir vorbeigegangen ist. Das ist auch so eine Sache. Man hat nicht das Gefühl, dass deutscher HipHop progressiv ist – ausgenommen Ebow.
MZEE.com: Die potenzielle Tragweite eurer Musik steigt schon dadurch, dass die Texte auf Englisch sind. War das Projekt von Anfang an englisch-international gedacht?
walter p99 arke$tra: Es war jetzt nicht wirtschaftlich gedacht, aber wir haben uns von Anfang an an internationalen Sachen gemessen und orientiert.
MZEE.com: Stand dabei ein gemeinschaftlicher, globaler Gedanke im Raum?
walter p99 arke$tra: Ja, das auf jeden Fall. Unsere Einflüsse kamen aus allen möglichen Ecken und die Fusion dessen musste einfach auf Englisch geschehen.
MZEE.com: Die englischen Texte haben euch bereits Anfang des Jahres zu internationaler Aufmerksamkeit verholfen. Ihr konntet beispielsweise beim South by Southwest-Festival in Austin spielen. Hat sich dieser Auftritt in irgendeiner Weise von euren anderen unterschieden?
blaqtea: Auf jeden Fall. Beim Auftritt an sich haben wir die Show so durchgezogen, wie wir sie immer machen, aber es war schon ein krasses Gefühl, weil unser Sound sehr durch amerikanischen HipHop inspiriert und beeinflusst ist. Den Sound dann in den Staaten auf die Bühne zu bringen und das zu performen … Da macht man sich ganz andere Gedanken und ich habe mich schon gefragt, wie die Leute das gerade aufnehmen. Ob es für die Leute weird ist, dass wir aus Europa kommen und englischsprachige Musik machen, die diese HipHop-Einflüsse hat. Gleichzeitig war es ein großartiges Gefühl, das dort machen zu dürfen.
MZEE.com: War die Interaktion mit dem Publikum anders als in Deutschland?
blaqtea: Also, ich kann jetzt nicht sagen, dass ein Publikum in den Staaten so oder so ist. Man muss es, glaube ich, in dem Kontext vom South by Southwest-Festival betrachten, das auch irgendwo ein Industrie-Festival ist. Die Leute waren aber sehr positiv, haben mitgevibt und es war an sich eine superschöne Erfahrung.
MZEE.com: Wie kam es überhaupt zu diesem Auftritt?
slimgirl fat: Wir wurden tatsächlich von der Stadt München vorgeschlagen – neben ganz vielen weiteren Acts. Dann ging es durch eine Jury und wir wurden gefragt, ob wir es machen wollen.
MZEE.com: Das ist ja auch ein schönes Kompliment, wenn man eine ganze Jury überzeugen kann.
slimgirl fat: Auf jeden Fall! Das war eine richtig schöne Chance. Es ist total cool, wenn jemand an der Tür klopft und fragt, ob wir darauf Bock hätten. Da war es ja auch noch nicht safe, aber es hat letztlich alles geklappt. Das schätzen wir total und wie Ebru (Anm. der Red.: blaqteas bürgerlicher Vorname) schon gesagt hat, war das eine super Erfahrung. Alleine, so eine Reise zu machen und außerhalb von Deutschland, Österreich und der Schweiz zu spielen.
MZEE.com: Tatsächlich habt ihr auch schon davor international stattgefunden: Im Rahmen eurer 2017 erschienenen EP "the death of papi" hat die New York Times über euch berichtet. Gibt es dazu eine Hintergrundgeschichte?
walter p99 arke$tra: Ich glaube, die fanden uns einfach gut und mochten den Sound. (lacht) Aber klar, es ist natürlich toll, wenn eine der größten Zeitungen der Welt über einen schreibt. Eben, weil wir sehr von amerikanischem HipHop beeinflusst sind. Dass die es dann auch feiern, ist ein tolles Kompliment.
MZEE.com: Konntet ihr darüber einen Kontakt aufbauen?
walter p99 arke$tra: Das nicht, aber wir hoffen, dass sie auch zum neuen Album was machen werden. Das werden wir dann sehen.
MZEE.com: Ein anderer internationaler Beitrag ist ein englisches VICE-Interview mit euch. Dort sagt slimgirl fat: "Being unpolitical is pure laziness and I don't have time for that. It is, in fact, dangerous." – Worin seht ihr die größte Gefahr, wenn man sich nicht politisch positioniert?
slimgirl fat: Ich glaube, man macht einen großen Fehler, wenn man in unserer heutigen Zeit seine Stimme enthält. Als einzelne Person kann man Macht ausüben – im positiven Sinne. Ich glaube, dass sich jeder damit beschäftigen sollte und da geht es in erster Linie auch um Selbstreflexion. Zu wissen, was ich als einzelne Person überhaupt ausrichten kann. Nicht politisch sein, das geht gerade wirklich nicht mehr. Es gibt natürlich viele Faktoren, die zu so einer Faulheit führen können. Zu sagen, dass man als Einzelperson nichts bewirken könne, ist eine Ausrede. Ich finde es schlichtweg wichtig.
MZEE.com: Welche konkreten Konsequenzen siehst du dabei?
slimgirl fat: Gleichgültigkeit wäre für mich so eine Konsequenz – beispielsweise gegenüber dem Planeten. Ich bin da gerade so drin und mache mir Sorgen. Das hat für mich mit den Landtagswahlen und der AfD angefangen. Das ist für mich auf jeden Fall die Gefahr. Menschen stellen eine dar. Die Natur an sich zerstören wir damit ja auch.
MZEE.com: Zum Abschluss möchten wir noch wissen, ob ihr euch wegen eures Namens eigentlich häufig politisch erklären müsst.
slimgirl fat: Witzigerweise nicht. Und das finden wir gut. Das spricht dafür, dass die Kunst da ihre Form angenommen hat und Bände spricht.
walter p99 arke$tra: Bei Namen ist es ja oft so, dass sie mitwachsen und selbstverständlich werden.
blaqtea: Also, es nicht so, dass wir das noch nie gefragt worden sind. Wenn man sich mit dem auseinandersetzt, was wir machen und auch den Titel der EP "the death of papi" sieht, ist es selbstverständlich, was wir mit dem Namen meinen.
(Jens Paepke)
(Fotos: Joanna Legid)