"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
"Warum kommt Hafts Album denn schon wieder im Winter? Das ist Räubermusik und da wird's früher dunkel, was 'ne Frage, behindert?" – Diese infamen Zeilen von Haftbefehl genießen mittlerweile Kultstatus. Und tatsächlich dürfte es kein Zufall sein, dass die Solo-Releases des Offenbachers stets in den düsteren Jahreszeiten erschienen sind. Auch bei seinem Debütalbum "Azzlack Stereotyp" wählte man den Herbst als Veröffentlichungszeitpunkt. Und genau in diese Jahreszeit passt es hinein: Denn Haftis Erstling ist kalt, ungemütlich und dunkel.
Trotz all der Finsternis, die das Album versprüht, könnte man "Azzlack Stereotyp" aber auch mit dem Frühling assoziieren. Denn die Platte läutete im deutschen Rap eine gewisse Erneuerung ein. Das Spiel des Rappers mit der deutschen Sprache, bei dem ausländische Begriffe oder ganze Satzteile mit verwoben werden, ist heute allgegenwärtig. Doch damals, im Jahr 2010, stieß der selbsternannte Azzlack viele Rap-Heads vor den Kopf. Mal wurde er als Randerscheinung abgetan, oft sogar belächelt. Was viele Kritiker aber übersahen: Hafti gab Rap nicht nur neue sprachliche Impulse – er war und ist schlicht ein exzellenter MC. Seine eigenwillige und bis dato völlig ungewohnte Vortragsweise lenkte nur etwas von der Rap-Technik ab. Denn "Azzlack Stereotyp" vereint beeindruckende Reimketten, ausgeklügelte und abwechslungsreiche Flows sowie eingängige Hooks. Die Lyrics kommen ähnlich ausgereift daher und brennen sich durch seine einzigartige Formulierungsgabe ins Gedächtnis: Zeilen wie "Wenn nicht mit Rap, dann mit der Pumpgun" sind szeneintern schon zum geflügelten Wort geworden. Verbunden mit der kaltblütigen Präsenz des Protagonisten entstand so ein Album, das zu Recht als Klassiker des deutschen Gangster-Rap gilt.
Mittlerweile wird Haftbefehl in der Rapszene akzeptiert und respektiert. Vor neun Jahren musste er sich dies erst noch erkämpfen. Aber "Azzlack Stereotyp" hatte schon damals alle Zutaten, die den Offenbacher noch heute zu einem der interessantesten Straßenrapper des Landes machen: Die Musik ist düster, rau und authentisch auf der einen, innovativ und eigen auf der anderen Seite. Bleibt also zu hoffen, dass bis zum nächsten Release nicht mehr allzu viele Winter vergehen.
(Florian Peking)