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Interview

Morlockk Dilemma

"Ich woll­te auf der Plat­te eine klei­ne Welt zeich­nen – eine mora­lisch sehr ver­kom­me­ne Welt. Da gibt es zwar einen mora­li­schen Kom­pass, aber der ist wahr­schein­lich anders als der gesell­schaft­li­che." – Mor­lockk Dilem­ma im Inter­view über das neue Album "Herz­bu­be", Knei­pen­ro­man­tik und Vergänglichkeit.

Es lässt sich wohl mit Fug und Recht behaup­ten, dass Mor­lockk Dilem­ma einer der her­aus­ra­gends­ten Knei­pen­poe­ten der deutsch­spra­chi­gen Musik­ge­schich­te ist. Seit mehr als 20 Jah­ren rappt das Aus­hän­ge­schild für Rap aus Leip­zig sei­ne wahl­wei­se abstru­sen, mär­chen­haft bild­ge­wal­ti­gen oder schlicht wahn­wit­zi­gen Zei­len auf die eigens pro­du­zier­ten Trademark-​Instrumentals. Auf diver­se Pro­jek­te gemein­sam mit Bru­der im Geis­te Hiob, ver­schie­de­nen Pro­du­zen­ten oder als die Wack­ness aus der Sze­ne fegen­der "eiser­ner Besen" folgt nun Mor­lockk Dilem­mas nächs­tes Solo­al­bum. "Herz­bu­be" dreht sich um einen Lebe­mann, der exzes­siv den schnel­len und ver­gäng­li­chen Freu­den des All­tags fröhnt zuwei­len unge­ach­tet der Kon­se­quen­zen, die das haben kann. Im Rah­men der neu­en Plat­te spra­chen wir dar­über, inwie­weit sich der Künst­ler per­sön­lich die­ser Kon­se­quen­zen bewusst ist. Außer­dem dis­ku­tier­ten wir über die Roman­tik und Anzie­hungs­kraft von alt­ge­dien­ten Knei­pen, Zukunfts­ängs­te und Ver­gäng­lich­keit sowie über den Anspruch, als Künst­ler etwas zu hinterlassen. 

MZEE​.com​: Gera­de erscheint dein neu­es Album "Herz­bu­be". Steht die Plat­te für dich in einer Rei­he mit dei­nen Mix­tapes und EPs oder ist sie eher der Nach­fol­ger des letz­ten Solo-​Albums "Cir­cus Maximus"? 

Mor­lockk Dilem­ma: Tat­säch­lich tren­ne ich das von­ein­an­der. Der ers­te "Besen" war ja eigent­lich eine Com­pi­la­ti­on von Fea­ture­parts. Das war wirk­lich eine Art Mix­tape. Beim zwei­ten Tape war das schon ein biss­chen anders. "Herz­bu­be" bin ich wirk­lich als Kon­zept­al­bum ange­gan­gen. Das war das letz­te Mal bei "Cir­cus Maxi­mus" so. Frü­her ent­hiel­ten mei­ne Alben sehr viel Batt­ler­ap. Dann ein paar Sto­rytel­ler, ein biss­chen Per­sön­li­ches, aber nur sehr an der Ober­flä­che gekratzt. Das ver­su­che ich jetzt zu tren­nen, weil man sonst Gefahr läuft, sich beim 15. Release zu wie­der­ho­len. Ich will die­se "Eiser­ner Besen"-Reihe als Spiel­platz für die gan­zen Battlerap-​Sachen nut­zen und bei den "rich­ti­gen" Mor­lockk Dilemma-​Releases eher die per­sön­li­chen Geschich­ten um den Schrift­stel­ler, der den "eiser­nen Besen" schreibt, erzäh­len. Per­sön­li­cher, aber auch mit mei­nem Humor und der Comic-​esquen Bildsprache.

MZEE​.com​: Wür­dest du denn sagen, dass in "Herz­bu­be" mehr von dei­ner eige­nen Per­son oder von der Kunst­fi­gur Mor­lockk Dilem­ma steckt?

Mor­lockk Dilem­ma: Es gab jetzt kei­nen Punkt, an dem ich gesagt habe, dass ich unbe­dingt mehr von mir zei­gen muss. Es waren eher Über­le­gun­gen, die sich aus dem Trei­ben her­aus erge­ben haben. Vie­le Sachen ent­ste­hen auch aus vor­an­ge­gan­ge­nen Arbei­ten. Bei "Hexen­kes­sel" hat­te ich ja auch schon ein paar urba­ne Geschich­ten dabei. Ich wuss­te, dass auf dem neu­en Alben mehr statt­fin­den wird, das nicht so wahn­sin­nig sci­ence­fic­tion­mä­ßig ist, son­dern tat­säch­lich auch mei­nen All­tag irgend­wie berührt. Die Mor­lockk Dilemma-​Überspitzung ergibt sich dann beim Schrei­ben, aber die Basis waren Sachen, die von einem Knei­pen­wo­chen­en­de hät­ten inspi­riert sein können.

MZEE​.com​: Dar­auf kom­men wir spä­ter noch mal zurück. Lass uns vor­her etwas über den Sound der Plat­te spre­chen: Wel­che Musik hat dich die­ses Mal inspi­riert? Wel­che Samples hast du gepickt? 

Mor­lockk Dilem­ma: Meis­tens sitzt man am Anfang da, schreibt ins Blaue hin­ein und irgend­wann ergibt sich ein unge­fäh­rer Marsch­plan inhalt­li­cher Natur. Nach­dem "Herz­bu­be" als The­ma fest­stand, woll­te ich ein paar Frau­en­ge­schich­ten ein­we­ben, was wie­der­um den musi­ka­li­schen Rah­men ein biss­chen vor­ge­ge­ben hat. Bei "Kapi­ta­lis­mus jetzt" bei­spiels­wei­se war die Vor­ga­be, einen Blick in die Zukunft aus der Ver­gan­gen­heit zu wer­fen. Da hat­te es sich halt ange­bo­ten, mit die­sem 70er-​Jahre-​Synthiekram zu spie­len. Eine "Eiser­ner Besen"-Platte ist natür­lich sehr düs­ter. Und bei einer Plat­te wie "Herz­bu­be", die auch ein paar Songs hat, die etwas cheesier sind, lag es auf der Hand, dass ich wie­der mehr Soul und Pro­gres­si­ve Rock sam­ple – also nicht so den düs­te­ren Kram. Ich hab' eine rela­tiv gro­ße Libra­ry. Ich bin ja immer am Samplen und am Beat­skiz­zen­bau­en, dar­aus könn­te ich mir jeder­zeit bei­spiels­wei­se ein düs­te­res Album zusam­men­pi­cken. Das war jetzt inso­fern nicht unbe­dingt eine Moment­auf­nah­me, als dass ich mei­ne Ein­flüs­se aus dem ver­gan­ge­nen hal­ben Jahr genutzt hät­te. Ich habe eher den pas­sen­den musi­ka­li­schen Unter­bau zusammengesetzt.

MZEE​.com​: Du hebst dich ja auch durch dei­ne Wort­wahl von ande­ren Künst­lern ab. Gibt es Lite­ra­tur oder Fil­me, die dich bei der Ent­ste­hung der Plat­te inspi­riert haben oder die du ver­wen­det hast?

Mor­lockk Dilem­ma: Ich muss ehr­lich sagen, ich habe in letz­ter Zeit wenig Zeit zum Lesen gehabt. Es gab jetzt zum Bei­spiel kei­ne Lie­bes­li­te­ra­tur, die ich gele­sen habe. Aber ich hab' von einem Freund aus Leip­zig vor gerau­mer Zeit einen Tipp bekom­men: Jörg Fau­ser. Das ist ein west­deut­scher Schrift­stel­ler, der sei­ne Inspi­ra­ti­on auch viel aus Knei­pen­ge­sprä­chen gezo­gen hat. Er hat­te wohl auch einen Hang zum Alko­ho­lis­mus. Der ist, glau­be ich, an sei­nem Geburts­tag beim Ver­las­sen der Knei­pe besof­fen über die Auto­bahn gelau­fen und wur­de da über­fah­ren. Wenn mir so etwas in die Fin­ger kommt, lese ich das ger­ne. Bei "Herz­bu­be" hat mich kei­ne spe­zi­el­le Lite­ra­tur inspi­riert. Es war eher ein Zusam­men­spiel von Sachen, die ich irgend­wo mal gese­hen habe. Ganz schnell war für mich klar, dass das Art­work und der Vibe ein biss­chen so sein soll­ten wie bei Blaxploitation-​Filmen in den 70ern, aber eben die deut­sche Vari­an­te davon. Inspi­riert hat mich auch eine Lang­zeit­do­ku­men­ta­ti­on über Leip­zig, die heißt "Glau­be, Lie­be, Hoff­nung". Da wer­den über vie­le, vie­le Jah­re immer wie­der die­sel­ben Per­so­nen besucht. Es star­tet in der Wen­de­zeit, da trifft der Autor Jugend­li­che aus ver­schie­de­nen Sze­nen. Bei­spiels­wei­se einen aus der Oi!-Szene, ich glau­be, auch einen Nazi und eine New Wave-​Olle und beglei­tet die so bis 2014. Das hat mich mega­krass inspi­riert, weil es natür­lich einen per­sön­li­chen Bezug zu mei­ner Vita hat. Tat­säch­lich hat die­se DVD auch einen kras­sen Ein­fluss auf die Idee für den Song "Kei­ne Lie­be" gehabt. Da geht es um mei­ne Grü­nau­er Zeit und dar­um, wes­halb spä­ter die­se gan­ze Gewalt­the­ma­tik eine Rol­le gespielt hat und wahr­schein­lich sogar jetzt noch irgend­wie spielt. Zumin­dest auf der Plat­te, wenn es dar­um geht, dass irgend­wel­che Knei­pen­aben­de in Gewalt­ex­zes­sen aus­ar­ten. Ins­ge­samt ist mei­ne Musik eine Art Col­la­ge, in der logi­scher­wei­se durch das Sam­pling viel aus Puz­zle­stü­cken zusam­men­ge­setzt wird. Bei den Text­in­spi­ra­tio­nen ist es meis­tens genauso.

MZEE​.com​: Text­lich zie­hen sich auch Knei­pen­be­su­che und die dazu­ge­hö­ri­ge Roman­tik durch dein krea­ti­ves Schaf­fen. Man kann sich manch­mal selbst gar nicht so gut erklä­ren, war­um man eine alte, ran­zi­ge Knei­pe gegen­über einer schi­cken, gut aus­ge­stat­te­ten Bar bevor­zugt, oder?

Mor­lockk Dilem­ma: Das stimmt. Man muss dabei auch beden­ken, dass es so eine Art Kneipen-​Gentrifizierung gibt. Im Wed­ding gibt es eine Kult­bar, die ich schon seit fast einem Jahr gar nicht mehr besu­che, weil sie ein­fach ein Teenie-​Treff und total über­lau­fen gewor­den ist. Eigent­lich will man sich ja eine klei­ne Insel schaf­fen, auf der man irgend­wie unter sich ist. Es ist tat­säch­lich schwie­rig zu erklä­ren. Es ist jetzt nicht so, dass ich ger­ne in der Ver­gan­gen­heit rum­hän­ge, aber irgend­wie mag ich die­sen Fla­vour so. Tat­säch­lich ver­bin­de ich hier und da auch Sachen damit, an die ich mich noch dun­kel aus mei­ner Jugend oder Kind­heit erin­ne­re. Also, ich war als Kind natür­lich nicht in Knei­pen, aber man kennt das ja. Irgend­wie schwingt da eine Nost­al­gie mit. Ich mag auch in der Kunst all­ge­mein so eine leich­te melan­cho­li­sche, bit­ter­sü­ße Schwe­re. Wenn einem bewusst wird, dass schon ziem­lich viel Zeit hin­ter einem liegt … Das schim­mert in mei­ner Arbeit durch und des­we­gen bin ich wahr­schein­lich auch immer so ein biss­chen im Krieg mit dem Zeit­geist gewesen.

MZEE​.com​: Die­se "Kneipen-​Gentrifizierung", wie du sie nennst, kann ja auch etwas Voy­eu­ris­ti­sches haben. Nach dem Mot­to: "Komm, wir gehen jetzt mal in die­se beschis­se­ne Knei­pe und gucken uns die Leu­te da an." 

Mor­lockk Dilem­ma: Ja, es wird iro­nisch gefei­ert. Das mag ich auch nicht. Mit 14, 15 Jah­ren habe ich ange­fan­gen, in Knei­pen rum­zu­hän­gen, die aber eigent­lich wie Jugend­clubs waren. Aber da hat­te man dann echt mit spiel­süch­ti­gen Alko­ho­li­kern und sol­chen Leu­ten zu tun. Nicht, dass ich da jetzt die Nähe suche oder mich erst da voll­kom­men füh­le … Aber irgend­wie, auch wenn es teil­wei­se trau­ri­ge Gestal­ten sind, ist das halt ein biss­chen ehr­li­cher als die­se Club-​Bekanntschaften. Ich gehe auch noch ab und zu in Clubs, aber in der Knei­pe füh­le ich mich ein­fach woh­ler. Der Ver­hal­tens­ko­dex ist eigent­lich klar: Es ist alles ein biss­chen rau­er, aber ehr­li­cher. Wenn dann dort Leu­te auf Men­schen­sa­fa­ri gehen, geht das halt ver­lo­ren. Da wird so ein biss­chen das Bio­top zer­stört. Aber wie gesagt, es gibt wahn­sin­nig vie­le Knei­pen in Ber­lin. Da ist es jetzt nicht so schlimm, dann geht man halt ein­fach in eine andere.

MZEE​.com​: Auf der ande­ren Sei­te spricht ja abso­lut nichts dage­gen, wenn Leu­te aus ver­schie­de­nen gesell­schaft­li­chen Schich­ten und Wel­ten mal mit­ein­an­der abhängen. 

Mor­lockk Dilem­ma: Nee, über­haupt nicht. Eigent­lich ist es ja cool, wenn dann nicht nur die alten Trin­ker­le­bern an der The­ke hän­gen. Die freu­en sich ja auch, wenn da mal jun­ge Leu­te kom­men. Aber wenn es dann halt nur noch jun­ge Leu­te sind, wird es denen bestimmt auch zu bunt. Das ist, glau­be ich, so ein biss­chen die Kritik.

MZEE​.com​: Wenn wir über Knei­pen­ur­ge­stei­ne spre­chen, die seit Jahr­zehn­ten an der The­ke sit­zen: Denkst du auch manch­mal kri­tisch über die­sen Lebens­stil nach? Hat­test du viel­leicht schon mal den Gedan­ken, dass du das zu sehr romantisierst? 

Mor­lockk Dilem­ma: Tat­säch­lich ver­su­che ich auf der Plat­te, etwas kri­ti­scher damit umzu­ge­hen. Man muss sehen, wie gut mir das gelun­gen ist. Es ist jetzt ja auch nicht die ers­te Plat­te, auf der das Knei­pen­the­ma eine Rol­le spielt. Das zieht sich eigent­lich seit Plat­te eins als roter Faden durch. Und ich habe schon ver­sucht, die Schat­ten­sei­ten nicht zu glo­ri­fi­zie­ren. In der Hook von "Ein Prost auf uns" sage ich ja auch: "Bis einer lie­gen bleibt". Die­ser exzes­si­ve Life­style kann auch nach hin­ten los­ge­hen. Jeder kennt Schick­sa­le aus sei­nem eige­nen Bekann­ten­kreis, in denen jemand mal auf dem Boden lie­gen geblie­ben ist. Ich ken­ne Leu­te, die ein Herz­ver­sa­gen hat­ten. Ich ken­ne Leu­te, die im Koma lagen. Ich glau­be schon, dass die Schat­ten­sei­te in mei­ner Arbeit genü­gend Platz bekommt. Man bekommt den Ein­druck, dass nicht alles hei­te­rer Son­nen­schein ist.

MZEE​.com​: Wie hältst du es denn bei dir per­sön­lich? Hast du bei­spiels­wei­se schon mal Pha­sen ein­ge­legt, in denen du gar nichts getrun­ken hast? 

Mor­lockk Dilem­ma: Ich bin kein Freund davon, zum Bei­spiel immer im Janu­ar gar nichts zu trin­ken. Das ist für mich Quatsch. Natür­lich bereut man ein sehr anstren­gen­des Wochen­en­de mal, wenn der Kater hart ist. Ich habe vor unge­fähr vier Jah­ren auf­ge­hört zu rau­chen, weil ich da wirk­lich nega­ti­ve Effek­te bemerkt habe. Gera­de durch die Kom­bi­na­ti­on aus Rau­chen, wenig Schlaf und Alko­hol. Das geht stark an die Sub­stanz. Ich mache die­sen gan­zen Rap­kram mit Auf­trit­ten, Rei­sen und so wei­ter ja nun schon seit gut 20 Jah­ren, das ist eben anstren­gend. Ich ver­su­che auch, mehr Sport zu machen. Die Wochen­en­den sind teil­wei­se schon hart. Wenn ich in Gesell­schaft bin, trin­ke ich ein­fach ger­ne etwas. Das macht mir Spaß und das wür­de ich auch nicht abstel­len wol­len. Aber ich weiß natür­lich, dass man es über­trei­ben kann. Des­we­gen gibt es jetzt nicht mehr so Pha­sen, in denen ich tage­lang unter der Woche durchs­au­fe. Das ver­su­che ich ein­zu­hal­ten. Klappt nicht immer, aber ich will mich da nicht so einem Dog­ma­tis­mus hin­ge­ben. Wenn ich jetzt sage, ich trin­ke unter der Woche nichts … Das klingt zwar schön, kann ich aber nicht ein­hal­ten. Oder sowas wie "Ich trin­ke jetzt gar nichts mehr", das krie­ge ich eh nicht hin. Ich ver­su­che halt, es chil­led zu hal­ten und ansons­ten auf mei­ne Gesund­heit zu achten.

MZEE​.com​: Klingt eigent­lich ganz ver­nünf­tig für mich.

Mor­lockk Dilem­ma: Wie gesagt, man kann halt auch mal rich­tig auf die Brau­se hau­en, aber irgend­wo anders nimmst du dir da was weg. Man kann sei­nen Kör­per da, glau­be ich, nicht so ver­ar­schen. Mei­ne Zwan­zi­ger waren auf jeden Fall sehr, sehr wild. Jetzt gehen mei­ne Drei­ßi­ger auch schon so lang­sam dem Ende ent­ge­gen. Da muss man halt ein biss­chen gucken. Noch macht es Spaß, auf die Brau­se zu hau­en, von daher muss ich dann an ande­rer Stel­le ein biss­chen gucken.

MZEE​.com​: Kom­men wir zurück zur Musik. Du hast in unse­rem letz­ten Inter­view gesagt, dass du dei­ne Plat­ten ger­ne wie Hör­spiel­ge­schich­ten anord­nest. Beim Herz­bu­ben geht es da ja platt gesagt um einen ziem­li­chen Wahn­sinns­kerl, der alles bekommt, was er möch­te. Wür­dest du das auch so sehen? 

Mor­lockk Dilem­ma: Ja, na klar. Was die Her­an­ge­hens­wei­se angeht: Ich wün­sche mir, dass man das Album anmacht, es von vor­ne bis hin­ten durch­hört und dass es einen wie ein Kurz­film mit­nimmt in eine düs­te­re, aber trotz­dem bun­te Welt. Das ist mir bei der Plat­te hof­fent­lich geglückt. Es geht natür­lich um den Prot­ago­nis­ten, der auf die Kacke haut. Es gibt ein Auf und Ab: Auf der einen Sei­te ist er natür­lich der Ladyl­over, der Filou, der Hal­lo­dri, der durch das Dickicht einer nicht näher genann­ten Metro­po­le fla­niert. Auf der ande­ren Sei­te gibt es immer wie­der Pha­sen, in denen er inne­hält und Selbst­zwei­fel hat. Neben "Ein Prost auf uns" gibt es die­se Situa­tio­nen auch in "Das Biest", nach­dem er die Dame sei­ner Wahl abge­schleppt hat und dann wie­der allei­ne ist und einen ein­sa­men Moment erlebt. Wenn man so will, sind die­se Geschich­ten auch aus mei­nem Leben gegriffen.

MZEE​.com​: Im Intro ver­liest ein Spre­cher die Sät­ze: "Wenn man Kar­rie­re macht, ist immer die Fra­ge, wie lan­ge sie hält. Wie wird ein Mensch damit fer­tig, der in den letz­ten Jah­ren zwi­schen hoch und tief eine ganz beacht­li­che Fall­hö­he über­lebt hat?" Sind Ver­gäng­lich­keit und Zukunfts­ängs­te The­men, die dich in letz­ter Zeit ver­mehrt beschäf­tigt haben?

Mor­lockk Dilem­ma: Per­sön­lich habe ich kei­ne Zukunfts­ängs­te. Ich ken­ne sol­che Gefüh­le aber. Es gab ja auch Pha­sen, in denen ich nicht nur von Rap gelebt, son­dern nor­mal noch 40 Stun­den die Woche gear­bei­tet habe. Da hat­te ich komi­scher­wei­se mehr Zukunfts­ängs­te als jetzt, wo ich qua­si nur mei­ne Musik mache und selbst­stän­dig bin. Ich könn­te jetzt ein hal­bes Jahr lang die Wand anstar­ren oder Play­sta­ti­on spie­len, dabei wür­de halt kei­ne Koh­le rum­kom­men. Aber solan­ge ich on fire bin und hung­rig blei­be, kommt auch etwas auf den Tisch. Seit die­ser Zustand der Fall ist und es qua­si von mei­nem Hun­ger abhängt, ob ich etwas zu fres­sen krie­ge, habe ich para­do­xer­wei­se einen sehr, sehr posi­ti­ven Blick in die Zukunft. Aber ich ken­ne das, ja. Und für mei­ne Arbeit fand ich es wich­tig, weil es halt trotz­dem zum Leben dazu­ge­hört. Retro­spek­ti­ven spie­len in mei­nem Alter dann irgend­wie doch mehr eine Rol­le als vor zehn Jah­ren. Ich bin zugäng­li­cher für sol­che The­ma­ti­ken gewor­den. Vor zehn Jah­ren war es halt vor allem Batt­ler­ap. Die The­men, die mehr die Künst­ler­see­le und die Suche nach Grün­den für Ver­hal­tens­wei­sen und Ähn­li­ches betref­fen, sind erst in den letz­ten drei, vier Jah­ren in den Fokus gerückt. Da öff­nen sich The­men­spek­tren, wodurch ich für die nächs­ten Jah­re noch viel Mate­ri­al habe. Mir fal­len Anek­do­ten ein, über die man bestimm­te Geschich­ten erzäh­len kann. Des­we­gen gibt es auch die­se Auf­split­tung in "Eiser­ner Besen", wo dann ein biss­chen mehr die­se Comic-​haften Abfahr­ten drauf sind, und ande­re Releases, wo etwas mehr erklärt wird.

MZEE​.com​: Du hast auch schon über Uto­pien und Dys­to­pien geschrie­ben oder ange­pran­gert, was in unse­rer Gesell­schaft viel­leicht falsch läuft. Kannst du dir eine Uto­pie aus­ma­len, in der du am glück­lichs­ten wärst? Oder die die bes­te für unse­re Gesell­schaft wäre?

Mor­lockk Dilem­ma: Ich weiß gar nicht, ob ich dem Anspruch gerecht wer­den kann. Gera­de zu "Apo­ka­lyp­se Jetzt"-Zeiten habe ich schon ver­sucht, auf die Sys­te­ma­tik der Welt zu schimp­fen, sie zu ver­ur­tei­len und für tot zu erklä­ren. Ich habe aber rück­bli­ckend erkannt, dass ich nicht unbe­dingt die Gesell­schaft ver­bes­sern woll­te, son­dern es mir zu die­ser Zeit ein­fach schei­ße ging und ich des­halb eben geschimpft habe. Eigent­lich voll die Assi-​Reaktion. Von wegen: "Mir geht es so kacke und des­we­gen ist jetzt alles kacke." Man könn­te die jet­zi­ge Pha­se viel­leicht mei­ne Biedermeier-​Phase nen­nen, in der ich mich ins Pri­va­te zurück­zie­he. Die gesell­schaft­li­chen Zusam­men­hän­ge und dass da drau­ßen alles kaputt­geht, geht mir eigent­lich am Arsch vor­bei, solan­ge die Knei­pe offen hat – so nach dem Mot­to. Zumin­dest, was die Kunst­fi­gur betrifft. Die­ses Ide­al­bild ver­su­che ich, auf der Plat­te zu zeich­nen. Im Übri­gen soll­te das Album erst "Eros in Dys­to­po­lis" hei­ßen. Also ein Wort­spiel aus Metro­po­lis und Dys­to­pie, aber das fan­den sie dann zu kom­pli­ziert. Ich mache jetzt eine Remix­plat­te namens "Eros in Dys­to­po­lis", weil der Titel dann doch zu gut ist. Der bezeich­net halt, dass ich auf der Plat­te eine klei­ne Welt zeich­nen woll­te – eine mora­lisch sehr ver­kom­me­ne Welt. Da gibt es zwar einen mora­li­schen Kom­pass, aber der ist wahr­schein­lich anders als der gesell­schaft­li­che. So eine Knei­pen­lo­gik halt. Von außen betrach­tet ist es eine ver­kom­me­ne Welt, man suhlt sich in sei­nem Unglück. Aber trotz­dem gibt es dar­in wun­der­schö­ne Geschich­ten zu erzählen.

MZEE​.com​: Eine Knei­pe ist ja auch ein Mikrokosmos. 

Mor­lockk Dilem­ma: Genau. Das ist das, was die Plat­te so ein biss­chen beschreibt. Sie hat aber nicht den Anspruch, der Gesell­schaft etwas vor­zu­le­ben oder ein gutes Bei­spiel zu sein. Das ist Quatsch. Es ist eine kras­se Ver­dich­tung von The­men aus dem Unter­holz. Ich hof­fe, ich konn­te die Fra­ge beant­wor­ten. (lacht)

MZEE​.com​: Kom­men wir zur letz­ten Fra­ge. Soll­te bald die Apo­ka­lyp­se, die du gemein­sam mit Hiob ja immer wie­der her­bei­ge­ru­fen hast, ein­tre­ten: Wenn du dir einen Track aus dei­ner Dis­ko­gra­phie aus­su­chen und für ande­re Gene­ra­tio­nen oder Spe­zi­es in einer Kap­sel kon­ser­vie­ren könn­test – wel­cher wäre das?

Mor­lockk Dilem­ma: Auf jeden Fall kei­ner, der irgend­ei­ne Bot­schaft hat. Also wahr­schein­lich irgend­et­was von "Eiser­ner Besen" – das wäre mein Humor. (lacht) "Oh mein Gott, wir haben eine Kap­sel gefun­den, nur das Bes­te der Mensch­heit wur­de hier ver­sie­gelt!" Und dann kommt da halt so ein akus­ti­scher Mit­tel­fin­ger. Es ist ja nicht mein Anspruch, irgend­et­was zu hin­ter­las­sen, also den Zahn muss man sich zie­hen. Es wird viel­leicht für ein paar Leu­te sehr wich­tig sein, was man gemacht hat, aber auch die wer­den das irgend­wann ver­ges­sen. Da braucht man sich über­haupt kei­ner Illu­si­on hin­ge­ben. Aber dar­um geht es auch gar nicht. Ich glau­be, für mich als Schaf­fen­der ist es viel wich­ti­ger, dass ich in gewis­sen Abstän­den ein Album mache und mein Tun archi­vie­re wie ein Bil­der­al­bum oder Buch im Regal. Das muss man dann auch nicht noch mal raus­zie­hen und sich anse­hen. Haupt­sa­che, das Regal ist voll, wenn ich gehe. Wenn es einem dar­um gin­ge, dass irgend­wel­che Plät­ze nach einem benannt wer­den, soll­te man Dik­ta­tor wer­den. (lacht)

(Malin Tee­gen & Alex­an­der Hollenhorst)
(Fotos von Jero­me Reichmann)