Es lässt sich wohl mit Fug und Recht behaupten, dass Morlockk Dilemma einer der herausragendsten Kneipenpoeten der deutschsprachigen Musikgeschichte ist. Seit mehr als 20 Jahren rappt das Aushängeschild für Rap aus Leipzig seine wahlweise abstrusen, märchenhaft bildgewaltigen oder schlicht wahnwitzigen Zeilen auf die eigens produzierten Trademark-Instrumentals. Auf diverse Projekte gemeinsam mit Bruder im Geiste Hiob, verschiedenen Produzenten oder als die Wackness aus der Szene fegender "eiserner Besen" folgt nun Morlockk Dilemmas nächstes Soloalbum. "Herzbube" dreht sich um einen Lebemann, der exzessiv den schnellen und vergänglichen Freuden des Alltags fröhnt – zuweilen ungeachtet der Konsequenzen, die das haben kann. Im Rahmen der neuen Platte sprachen wir darüber, inwieweit sich der Künstler persönlich dieser Konsequenzen bewusst ist. Außerdem diskutierten wir über die Romantik und Anziehungskraft von altgedienten Kneipen, Zukunftsängste und Vergänglichkeit sowie über den Anspruch, als Künstler etwas zu hinterlassen.
MZEE.com: Gerade erscheint dein neues Album "Herzbube". Steht die Platte für dich in einer Reihe mit deinen Mixtapes und EPs oder ist sie eher der Nachfolger des letzten Solo-Albums "Circus Maximus"?
Morlockk Dilemma: Tatsächlich trenne ich das voneinander. Der erste "Besen" war ja eigentlich eine Compilation von Featureparts. Das war wirklich eine Art Mixtape. Beim zweiten Tape war das schon ein bisschen anders. "Herzbube" bin ich wirklich als Konzeptalbum angegangen. Das war das letzte Mal bei "Circus Maximus" so. Früher enthielten meine Alben sehr viel Battlerap. Dann ein paar Storyteller, ein bisschen Persönliches, aber nur sehr an der Oberfläche gekratzt. Das versuche ich jetzt zu trennen, weil man sonst Gefahr läuft, sich beim 15. Release zu wiederholen. Ich will diese "Eiserner Besen"-Reihe als Spielplatz für die ganzen Battlerap-Sachen nutzen und bei den "richtigen" Morlockk Dilemma-Releases eher die persönlichen Geschichten um den Schriftsteller, der den "eisernen Besen" schreibt, erzählen. Persönlicher, aber auch mit meinem Humor und der Comic-esquen Bildsprache.
MZEE.com: Würdest du denn sagen, dass in "Herzbube" mehr von deiner eigenen Person oder von der Kunstfigur Morlockk Dilemma steckt?
Morlockk Dilemma: Es gab jetzt keinen Punkt, an dem ich gesagt habe, dass ich unbedingt mehr von mir zeigen muss. Es waren eher Überlegungen, die sich aus dem Treiben heraus ergeben haben. Viele Sachen entstehen auch aus vorangegangenen Arbeiten. Bei "Hexenkessel" hatte ich ja auch schon ein paar urbane Geschichten dabei. Ich wusste, dass auf dem neuen Alben mehr stattfinden wird, das nicht so wahnsinnig sciencefictionmäßig ist, sondern tatsächlich auch meinen Alltag irgendwie berührt. Die Morlockk Dilemma-Überspitzung ergibt sich dann beim Schreiben, aber die Basis waren Sachen, die von einem Kneipenwochenende hätten inspiriert sein können.
MZEE.com: Darauf kommen wir später noch mal zurück. Lass uns vorher etwas über den Sound der Platte sprechen: Welche Musik hat dich dieses Mal inspiriert? Welche Samples hast du gepickt?
Morlockk Dilemma: Meistens sitzt man am Anfang da, schreibt ins Blaue hinein und irgendwann ergibt sich ein ungefährer Marschplan inhaltlicher Natur. Nachdem "Herzbube" als Thema feststand, wollte ich ein paar Frauengeschichten einweben, was wiederum den musikalischen Rahmen ein bisschen vorgegeben hat. Bei "Kapitalismus jetzt" beispielsweise war die Vorgabe, einen Blick in die Zukunft aus der Vergangenheit zu werfen. Da hatte es sich halt angeboten, mit diesem 70er-Jahre-Synthiekram zu spielen. Eine "Eiserner Besen"-Platte ist natürlich sehr düster. Und bei einer Platte wie "Herzbube", die auch ein paar Songs hat, die etwas cheesier sind, lag es auf der Hand, dass ich wieder mehr Soul und Progressive Rock sample – also nicht so den düsteren Kram. Ich hab' eine relativ große Library. Ich bin ja immer am Samplen und am Beatskizzenbauen, daraus könnte ich mir jederzeit beispielsweise ein düsteres Album zusammenpicken. Das war jetzt insofern nicht unbedingt eine Momentaufnahme, als dass ich meine Einflüsse aus dem vergangenen halben Jahr genutzt hätte. Ich habe eher den passenden musikalischen Unterbau zusammengesetzt.
MZEE.com: Du hebst dich ja auch durch deine Wortwahl von anderen Künstlern ab. Gibt es Literatur oder Filme, die dich bei der Entstehung der Platte inspiriert haben oder die du verwendet hast?
Morlockk Dilemma: Ich muss ehrlich sagen, ich habe in letzter Zeit wenig Zeit zum Lesen gehabt. Es gab jetzt zum Beispiel keine Liebesliteratur, die ich gelesen habe. Aber ich hab' von einem Freund aus Leipzig vor geraumer Zeit einen Tipp bekommen: Jörg Fauser. Das ist ein westdeutscher Schriftsteller, der seine Inspiration auch viel aus Kneipengesprächen gezogen hat. Er hatte wohl auch einen Hang zum Alkoholismus. Der ist, glaube ich, an seinem Geburtstag beim Verlassen der Kneipe besoffen über die Autobahn gelaufen und wurde da überfahren. Wenn mir so etwas in die Finger kommt, lese ich das gerne. Bei "Herzbube" hat mich keine spezielle Literatur inspiriert. Es war eher ein Zusammenspiel von Sachen, die ich irgendwo mal gesehen habe. Ganz schnell war für mich klar, dass das Artwork und der Vibe ein bisschen so sein sollten wie bei Blaxploitation-Filmen in den 70ern, aber eben die deutsche Variante davon. Inspiriert hat mich auch eine Langzeitdokumentation über Leipzig, die heißt "Glaube, Liebe, Hoffnung". Da werden über viele, viele Jahre immer wieder dieselben Personen besucht. Es startet in der Wendezeit, da trifft der Autor Jugendliche aus verschiedenen Szenen. Beispielsweise einen aus der Oi!-Szene, ich glaube, auch einen Nazi und eine New Wave-Olle und begleitet die so bis 2014. Das hat mich megakrass inspiriert, weil es natürlich einen persönlichen Bezug zu meiner Vita hat. Tatsächlich hat diese DVD auch einen krassen Einfluss auf die Idee für den Song "Keine Liebe" gehabt. Da geht es um meine Grünauer Zeit und darum, weshalb später diese ganze Gewaltthematik eine Rolle gespielt hat und wahrscheinlich sogar jetzt noch irgendwie spielt. Zumindest auf der Platte, wenn es darum geht, dass irgendwelche Kneipenabende in Gewaltexzessen ausarten. Insgesamt ist meine Musik eine Art Collage, in der logischerweise durch das Sampling viel aus Puzzlestücken zusammengesetzt wird. Bei den Textinspirationen ist es meistens genauso.
MZEE.com: Textlich ziehen sich auch Kneipenbesuche und die dazugehörige Romantik durch dein kreatives Schaffen. Man kann sich manchmal selbst gar nicht so gut erklären, warum man eine alte, ranzige Kneipe gegenüber einer schicken, gut ausgestatteten Bar bevorzugt, oder?
Morlockk Dilemma: Das stimmt. Man muss dabei auch bedenken, dass es so eine Art Kneipen-Gentrifizierung gibt. Im Wedding gibt es eine Kultbar, die ich schon seit fast einem Jahr gar nicht mehr besuche, weil sie einfach ein Teenie-Treff und total überlaufen geworden ist. Eigentlich will man sich ja eine kleine Insel schaffen, auf der man irgendwie unter sich ist. Es ist tatsächlich schwierig zu erklären. Es ist jetzt nicht so, dass ich gerne in der Vergangenheit rumhänge, aber irgendwie mag ich diesen Flavour so. Tatsächlich verbinde ich hier und da auch Sachen damit, an die ich mich noch dunkel aus meiner Jugend oder Kindheit erinnere. Also, ich war als Kind natürlich nicht in Kneipen, aber man kennt das ja. Irgendwie schwingt da eine Nostalgie mit. Ich mag auch in der Kunst allgemein so eine leichte melancholische, bittersüße Schwere. Wenn einem bewusst wird, dass schon ziemlich viel Zeit hinter einem liegt … Das schimmert in meiner Arbeit durch und deswegen bin ich wahrscheinlich auch immer so ein bisschen im Krieg mit dem Zeitgeist gewesen.
MZEE.com: Diese "Kneipen-Gentrifizierung", wie du sie nennst, kann ja auch etwas Voyeuristisches haben. Nach dem Motto: "Komm, wir gehen jetzt mal in diese beschissene Kneipe und gucken uns die Leute da an."
Morlockk Dilemma: Ja, es wird ironisch gefeiert. Das mag ich auch nicht. Mit 14, 15 Jahren habe ich angefangen, in Kneipen rumzuhängen, die aber eigentlich wie Jugendclubs waren. Aber da hatte man dann echt mit spielsüchtigen Alkoholikern und solchen Leuten zu tun. Nicht, dass ich da jetzt die Nähe suche oder mich erst da vollkommen fühle … Aber irgendwie, auch wenn es teilweise traurige Gestalten sind, ist das halt ein bisschen ehrlicher als diese Club-Bekanntschaften. Ich gehe auch noch ab und zu in Clubs, aber in der Kneipe fühle ich mich einfach wohler. Der Verhaltenskodex ist eigentlich klar: Es ist alles ein bisschen rauer, aber ehrlicher. Wenn dann dort Leute auf Menschensafari gehen, geht das halt verloren. Da wird so ein bisschen das Biotop zerstört. Aber wie gesagt, es gibt wahnsinnig viele Kneipen in Berlin. Da ist es jetzt nicht so schlimm, dann geht man halt einfach in eine andere.
MZEE.com: Auf der anderen Seite spricht ja absolut nichts dagegen, wenn Leute aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten und Welten mal miteinander abhängen.
Morlockk Dilemma: Nee, überhaupt nicht. Eigentlich ist es ja cool, wenn dann nicht nur die alten Trinkerlebern an der Theke hängen. Die freuen sich ja auch, wenn da mal junge Leute kommen. Aber wenn es dann halt nur noch junge Leute sind, wird es denen bestimmt auch zu bunt. Das ist, glaube ich, so ein bisschen die Kritik.
MZEE.com: Wenn wir über Kneipenurgesteine sprechen, die seit Jahrzehnten an der Theke sitzen: Denkst du auch manchmal kritisch über diesen Lebensstil nach? Hattest du vielleicht schon mal den Gedanken, dass du das zu sehr romantisierst?
Morlockk Dilemma: Tatsächlich versuche ich auf der Platte, etwas kritischer damit umzugehen. Man muss sehen, wie gut mir das gelungen ist. Es ist jetzt ja auch nicht die erste Platte, auf der das Kneipenthema eine Rolle spielt. Das zieht sich eigentlich seit Platte eins als roter Faden durch. Und ich habe schon versucht, die Schattenseiten nicht zu glorifizieren. In der Hook von "Ein Prost auf uns" sage ich ja auch: "Bis einer liegen bleibt". Dieser exzessive Lifestyle kann auch nach hinten losgehen. Jeder kennt Schicksale aus seinem eigenen Bekanntenkreis, in denen jemand mal auf dem Boden liegen geblieben ist. Ich kenne Leute, die ein Herzversagen hatten. Ich kenne Leute, die im Koma lagen. Ich glaube schon, dass die Schattenseite in meiner Arbeit genügend Platz bekommt. Man bekommt den Eindruck, dass nicht alles heiterer Sonnenschein ist.
MZEE.com: Wie hältst du es denn bei dir persönlich? Hast du beispielsweise schon mal Phasen eingelegt, in denen du gar nichts getrunken hast?
Morlockk Dilemma: Ich bin kein Freund davon, zum Beispiel immer im Januar gar nichts zu trinken. Das ist für mich Quatsch. Natürlich bereut man ein sehr anstrengendes Wochenende mal, wenn der Kater hart ist. Ich habe vor ungefähr vier Jahren aufgehört zu rauchen, weil ich da wirklich negative Effekte bemerkt habe. Gerade durch die Kombination aus Rauchen, wenig Schlaf und Alkohol. Das geht stark an die Substanz. Ich mache diesen ganzen Rapkram mit Auftritten, Reisen und so weiter ja nun schon seit gut 20 Jahren, das ist eben anstrengend. Ich versuche auch, mehr Sport zu machen. Die Wochenenden sind teilweise schon hart. Wenn ich in Gesellschaft bin, trinke ich einfach gerne etwas. Das macht mir Spaß und das würde ich auch nicht abstellen wollen. Aber ich weiß natürlich, dass man es übertreiben kann. Deswegen gibt es jetzt nicht mehr so Phasen, in denen ich tagelang unter der Woche durchsaufe. Das versuche ich einzuhalten. Klappt nicht immer, aber ich will mich da nicht so einem Dogmatismus hingeben. Wenn ich jetzt sage, ich trinke unter der Woche nichts … Das klingt zwar schön, kann ich aber nicht einhalten. Oder sowas wie "Ich trinke jetzt gar nichts mehr", das kriege ich eh nicht hin. Ich versuche halt, es chilled zu halten und ansonsten auf meine Gesundheit zu achten.
MZEE.com: Klingt eigentlich ganz vernünftig für mich.
Morlockk Dilemma: Wie gesagt, man kann halt auch mal richtig auf die Brause hauen, aber irgendwo anders nimmst du dir da was weg. Man kann seinen Körper da, glaube ich, nicht so verarschen. Meine Zwanziger waren auf jeden Fall sehr, sehr wild. Jetzt gehen meine Dreißiger auch schon so langsam dem Ende entgegen. Da muss man halt ein bisschen gucken. Noch macht es Spaß, auf die Brause zu hauen, von daher muss ich dann an anderer Stelle ein bisschen gucken.
MZEE.com: Kommen wir zurück zur Musik. Du hast in unserem letzten Interview gesagt, dass du deine Platten gerne wie Hörspielgeschichten anordnest. Beim Herzbuben geht es da ja platt gesagt um einen ziemlichen Wahnsinnskerl, der alles bekommt, was er möchte. Würdest du das auch so sehen?
Morlockk Dilemma: Ja, na klar. Was die Herangehensweise angeht: Ich wünsche mir, dass man das Album anmacht, es von vorne bis hinten durchhört und dass es einen wie ein Kurzfilm mitnimmt in eine düstere, aber trotzdem bunte Welt. Das ist mir bei der Platte hoffentlich geglückt. Es geht natürlich um den Protagonisten, der auf die Kacke haut. Es gibt ein Auf und Ab: Auf der einen Seite ist er natürlich der Ladylover, der Filou, der Hallodri, der durch das Dickicht einer nicht näher genannten Metropole flaniert. Auf der anderen Seite gibt es immer wieder Phasen, in denen er innehält und Selbstzweifel hat. Neben "Ein Prost auf uns" gibt es diese Situationen auch in "Das Biest", nachdem er die Dame seiner Wahl abgeschleppt hat und dann wieder alleine ist und einen einsamen Moment erlebt. Wenn man so will, sind diese Geschichten auch aus meinem Leben gegriffen.
MZEE.com: Im Intro verliest ein Sprecher die Sätze: "Wenn man Karriere macht, ist immer die Frage, wie lange sie hält. Wie wird ein Mensch damit fertig, der in den letzten Jahren zwischen hoch und tief eine ganz beachtliche Fallhöhe überlebt hat?" – Sind Vergänglichkeit und Zukunftsängste Themen, die dich in letzter Zeit vermehrt beschäftigt haben?
Morlockk Dilemma: Persönlich habe ich keine Zukunftsängste. Ich kenne solche Gefühle aber. Es gab ja auch Phasen, in denen ich nicht nur von Rap gelebt, sondern normal noch 40 Stunden die Woche gearbeitet habe. Da hatte ich komischerweise mehr Zukunftsängste als jetzt, wo ich quasi nur meine Musik mache und selbstständig bin. Ich könnte jetzt ein halbes Jahr lang die Wand anstarren oder Playstation spielen, dabei würde halt keine Kohle rumkommen. Aber solange ich on fire bin und hungrig bleibe, kommt auch etwas auf den Tisch. Seit dieser Zustand der Fall ist und es quasi von meinem Hunger abhängt, ob ich etwas zu fressen kriege, habe ich paradoxerweise einen sehr, sehr positiven Blick in die Zukunft. Aber ich kenne das, ja. Und für meine Arbeit fand ich es wichtig, weil es halt trotzdem zum Leben dazugehört. Retrospektiven spielen in meinem Alter dann irgendwie doch mehr eine Rolle als vor zehn Jahren. Ich bin zugänglicher für solche Thematiken geworden. Vor zehn Jahren war es halt vor allem Battlerap. Die Themen, die mehr die Künstlerseele und die Suche nach Gründen für Verhaltensweisen und Ähnliches betreffen, sind erst in den letzten drei, vier Jahren in den Fokus gerückt. Da öffnen sich Themenspektren, wodurch ich für die nächsten Jahre noch viel Material habe. Mir fallen Anekdoten ein, über die man bestimmte Geschichten erzählen kann. Deswegen gibt es auch diese Aufsplittung in "Eiserner Besen", wo dann ein bisschen mehr diese Comic-haften Abfahrten drauf sind, und andere Releases, wo etwas mehr erklärt wird.
MZEE.com: Du hast auch schon über Utopien und Dystopien geschrieben oder angeprangert, was in unserer Gesellschaft vielleicht falsch läuft. Kannst du dir eine Utopie ausmalen, in der du am glücklichsten wärst? Oder die die beste für unsere Gesellschaft wäre?
Morlockk Dilemma: Ich weiß gar nicht, ob ich dem Anspruch gerecht werden kann. Gerade zu "Apokalypse Jetzt"-Zeiten habe ich schon versucht, auf die Systematik der Welt zu schimpfen, sie zu verurteilen und für tot zu erklären. Ich habe aber rückblickend erkannt, dass ich nicht unbedingt die Gesellschaft verbessern wollte, sondern es mir zu dieser Zeit einfach scheiße ging und ich deshalb eben geschimpft habe. Eigentlich voll die Assi-Reaktion. Von wegen: "Mir geht es so kacke und deswegen ist jetzt alles kacke." Man könnte die jetzige Phase vielleicht meine Biedermeier-Phase nennen, in der ich mich ins Private zurückziehe. Die gesellschaftlichen Zusammenhänge und dass da draußen alles kaputtgeht, geht mir eigentlich am Arsch vorbei, solange die Kneipe offen hat – so nach dem Motto. Zumindest, was die Kunstfigur betrifft. Dieses Idealbild versuche ich, auf der Platte zu zeichnen. Im Übrigen sollte das Album erst "Eros in Dystopolis" heißen. Also ein Wortspiel aus Metropolis und Dystopie, aber das fanden sie dann zu kompliziert. Ich mache jetzt eine Remixplatte namens "Eros in Dystopolis", weil der Titel dann doch zu gut ist. Der bezeichnet halt, dass ich auf der Platte eine kleine Welt zeichnen wollte – eine moralisch sehr verkommene Welt. Da gibt es zwar einen moralischen Kompass, aber der ist wahrscheinlich anders als der gesellschaftliche. So eine Kneipenlogik halt. Von außen betrachtet ist es eine verkommene Welt, man suhlt sich in seinem Unglück. Aber trotzdem gibt es darin wunderschöne Geschichten zu erzählen.
MZEE.com: Eine Kneipe ist ja auch ein Mikrokosmos.
Morlockk Dilemma: Genau. Das ist das, was die Platte so ein bisschen beschreibt. Sie hat aber nicht den Anspruch, der Gesellschaft etwas vorzuleben oder ein gutes Beispiel zu sein. Das ist Quatsch. Es ist eine krasse Verdichtung von Themen aus dem Unterholz. Ich hoffe, ich konnte die Frage beantworten. (lacht)
MZEE.com: Kommen wir zur letzten Frage. Sollte bald die Apokalypse, die du gemeinsam mit Hiob ja immer wieder herbeigerufen hast, eintreten: Wenn du dir einen Track aus deiner Diskographie aussuchen und für andere Generationen oder Spezies in einer Kapsel konservieren könntest – welcher wäre das?
Morlockk Dilemma: Auf jeden Fall keiner, der irgendeine Botschaft hat. Also wahrscheinlich irgendetwas von "Eiserner Besen" – das wäre mein Humor. (lacht) "Oh mein Gott, wir haben eine Kapsel gefunden, nur das Beste der Menschheit wurde hier versiegelt!" Und dann kommt da halt so ein akustischer Mittelfinger. Es ist ja nicht mein Anspruch, irgendetwas zu hinterlassen, also den Zahn muss man sich ziehen. Es wird vielleicht für ein paar Leute sehr wichtig sein, was man gemacht hat, aber auch die werden das irgendwann vergessen. Da braucht man sich überhaupt keiner Illusion hingeben. Aber darum geht es auch gar nicht. Ich glaube, für mich als Schaffender ist es viel wichtiger, dass ich in gewissen Abständen ein Album mache und mein Tun archiviere wie ein Bilderalbum oder Buch im Regal. Das muss man dann auch nicht noch mal rausziehen und sich ansehen. Hauptsache, das Regal ist voll, wenn ich gehe. Wenn es einem darum ginge, dass irgendwelche Plätze nach einem benannt werden, sollte man Diktator werden. (lacht)
(Malin Teegen & Alexander Hollenhorst)
(Fotos von Jerome Reichmann)