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Interview

John Known

"Es ist das Schöns­te, aus Schmer­zen Krea­ti­vi­tät zu zie­hen." – John Known im Inter­view über sein musi­ka­li­sches Werk, den Unter­schied zwi­schen ame­ri­ka­ni­schem und deut­schem Rap und die Zusam­men­ar­beit mit inter­na­tio­na­len Künstlern.

Es ist Mitt­woch­abend gegen 18:55 Uhr. Ich sit­ze vor mei­nem Com­pu­ter und war­te dar­auf, dass ich den Künst­ler zum ver­ein­bar­ten Inter­view­ter­min anru­fen kann. Kur­ze Zeit spä­ter erreicht mich eine Nach­richt samt Foto vom ande­ren Ende der Welt. "Fünf Minu­ten, brau­che Kaf­fee" lau­tet der Kom­men­tar zu den abge­bil­de­ten Koffein-​Shots. Wäh­rend sich der Tag für mich gera­de dem Ende neigt, beginnt die­ser für John Known erst. Wenig ver­wun­der­lich, wenn man weiß, dass er sich zum Zeit­punkt unse­res Gesprächs in Los Ange­les auf­hält und die Uhr für ihn erst zehn geschla­gen hat. Kurz nach dem ange­kün­dig­ten Kaf­fee beginnt unser ins­ge­samt zwei­stün­di­ges Video­te­le­fo­nat. In unse­rem Gespräch unter­hiel­ten wir uns aus­ge­dehnt über die Kon­zep­ti­on sei­nes musi­ka­li­schen Werks. Dabei erläu­ter­te der Rap­per und DJ unter ande­rem, wor­in er den wich­tigs­ten Unter­schied zwi­schen ame­ri­ka­ni­schem und deut­schem Rap sieht. Außer­dem fan­den wir her­aus, was das selbst­er­nann­te SoundCloud-​Kid inspi­riert und wie sei­ne Kon­tak­te zu inter­na­tio­na­len Pro­du­zen­ten entstanden.

MZEE​.com: Dei­ne Pro­jek­te sind struk­tu­rell in Serien- und Film-​Terminologien gedacht. In wel­chem Serien-​Universum wür­dest du selbst ger­ne leben?

John Known: Rick and Mor­ty. Infi­ni­te John Knowns, auf jeden! (lacht) Dann habe ich wenigs­tens Leu­te, mit denen ich end­lich mal Fea­tures machen kann.

MZEE​.com: Du muss­test ja nicht mal überlegen.

John Known: Ja, Rick and Mor­ty oder Adven­ture Time – das wäre auch gut. Ich habe wegen "Uni­ver­sum" direkt an Rick and Mor­ty gedacht, weil es da ja sehr viel um Uni­ver­sen geht.

MZEE​.com: Du sprichst in Inter­views über John Known teil­wei­se in der drit­ten Per­son und in dei­nem Pres­se­text steht, dass die­ser mehr als eine Per­son ist. Betrach­test und planst du dei­ne Pro­jek­te – ähn­lich wie ein Dreh­buch­au­tor – von außen?

John Known: Es ergibt sich ein­fach. Ich habe ges­tern einen neu­en Track gemacht, des­sen Hook lau­tet: "Alles läuft nach Plan, war aber nie geplant." Das ist halt Fakt. Ich habe mich noch nie hin­ge­setzt und gefragt: "Wie ver­mark­te ich John Known?" Ich rede von mir in der drit­ten Per­son, weil ich mir selbst nicht zuge­ste­he, dass ich noch immer leich­te Issues damit habe, das Gan­ze für wahr zu neh­men. Also mich und die­se Geschich­te, was ich prä­sen­tie­re, dass ich Mucke release und so wei­ter. Einen gro­ßen Plan hab' ich mir dazu aber nie gemacht. Das wäre ja noch schlim­mer. (lacht) Die ers­ten Epi­so­den waren zum Teil schon gleich­zei­tig fer­tig und ich habe über­legt, wie ich es am ein­fachs­ten hin­be­kom­me, mei­nen Weg zu trans­por­tie­ren. Eine EP "Staf­fel 1 Epi­so­de 1" zu nen­nen, ist gei­ler, als ihr irgend­ei­nen bedeu­tungs­schwan­ge­ren Titel zu geben, für den du dich in fünf Jah­ren schä­men könn­test. Im Zuge des­sen hat sich vie­les so erge­ben. Die­se "John Doe"-Platte ist ein­fach orga­nisch ent­stan­den. Irgend­wann saß ich da und dach­te: "Schei­ße, Dig­ga, du hast einen gan­zen Hau­fen von die­ser Art Mucke und die­sem The­ma. Das ergibt einen roten Faden, eine geschlos­se­ne Klam­mer!" Da wur­de aber nicht direkt drauf hin­ge­ar­bei­tet. Das ist auf ein­mal da gewe­sen. Da sind wir an einen Punkt gekom­men, an dem wir damit gear­bei­tet haben und eine Idee ent­stan­den ist. Ich hab' mir aber noch nie – weder bei einem Track, den ich geschrie­ben habe, noch bei einer Plat­te, die ich ver­öf­fent­licht habe – vor­her län­ger als fünf Minu­ten Gedan­ken dar­über gemacht, was ich dort anstel­len möch­te. Das Wich­tigs­te war für mich immer die Musik. Die Plat­te muss in sich geschlos­sen funk­tio­nie­ren, die muss rund sein. Da darf kein Track zu viel oder zu wenig sein. Auch bei den Songs, die wir jetzt gemacht haben, frag­te mich der Pro­du­zent, wie ich die nen­nen möch­te. Kei­ne Ahnung, wie ich die nen­nen möch­te, weiß ich doch jetzt noch nicht. Wenn ich mir Gedan­ken mache, muss ich erst mal bei Spo­ti­fy gucken und goog­len, wie oft es schon Tracks mit die­sem Namen gibt. Das ist aber alles die größ­te Neben­sa­che. Mir geht es vor allem dar­um, Musik zu machen und machen zu können.

MZEE​.com: "John Doe" wird von dir als ein Spin-​off bezeich­net. Was grenzt das Tape von dei­nem Haupt­werk ab und wie fließt es in die­ses ein?

John Known: Das Haupt­werk ist John Known, der Rap­per und MC. John Doe ist ein Teil mei­ner Per­sön­lich­keit auf ein Release gebannt. Der Unter­schied ist eigent­lich ganz klar. Auch wenn "Staf­fel 1 Epi­so­de 3" bereits ein biss­chen in die Rich­tung geführt und mich erst dazu gebracht hat, "John Doe" zu machen. Es ist kei­ne lebens­be­ja­hen­de Musik für mich. John Doe ist ein Teil von mir. Der exis­tiert, den gibt es wirk­lich – ob man es jetzt Per­sön­lich­keits­stö­rung nen­nen will oder nicht. (zuckt mit den Schul­tern) "John Doe" hat zehn Tracks und inklu­si­ve der Skits und Inter­lu­des vier­zehn Titel, das ist ja schon Album­län­ge in Deutsch­land. Bei der Namens­ge­bung habe ich aber tat­säch­lich an die Zukunft gedacht. Wenn ich irgend­wann mal Kin­der habe und mei­ne Krü­mel mich fra­gen: "Papa, was hast du frü­her für Musik gemacht?" Dann zei­ge ich denen nicht mein Debüt­al­bum aka "John Doe". Auf der Plat­te rede ich dar­über, dass ich lachend auf dem Schei­ter­hau­fen ste­he und mir Dro­gen aller Art in den Kopf bal­le­re, um irgend­wie mit der Umge­bung klar­zu­kom­men. Das wür­de ich ein­fach nicht wol­len. Ich will mei­nen Kin­dern in der Zukunft kein nega­ti­ves Bild von mir – aus mei­ner eige­nen Dar­stel­lung – sen­den. Das zum einen. Zum ande­ren auch für mich selbst, um nicht die­sen Film zu fah­ren. Damit die Leu­te nicht sagen: "Das ist John Known mit sei­nem Debüt­al­bum 'John Doe', das ist sein Image. Er ist ein klei­nes, ver­crack­tes Dro­gen­op­fer." Das ist nicht mein Image, das bin ich nicht. Das ist eine Facet­te von mir, die ich im Zuge der Ent­ste­hung die­ser Plat­te gelebt habe, aber es ist nichts, womit ich mich selbst so com­for­ta­ble füh­le, dass ich das durch­zie­hen möch­te. Das kann man viel­leicht an den Tracks und den The­ma­ti­ken der Plat­te hören. Auch wenn ich es selbst geil fin­de, weil es das Schöns­te ist, aus Schmer­zen Krea­ti­vi­tät zu zie­hen. Du gehst dar­an kaputt und ich bin rich­tig dar­an kaputt gegan­gen. Die­se Plat­te hat mei­nen Kopf gefickt. Das wün­sche ich nie­man­dem. (über­legt) Was ich aber sagen muss: James Bla­ke war, als er depres­siv war und depres­si­ve Mucke gemacht hat, viel gei­ler als jetzt. Frü­her fand ich den viel bes­ser! "CMYK" und so wei­ter, hei­li­ge Schei­ße. (lacht) Ich bin ein Minor-​Mensch. Ich mag Moll-​Töne. Hier in L.A. ist es aber schwie­rig, dunk­le Musik zu machen.

MZEE​.com: Hat John Doe mit die­ser Refle­xi­on dann einen Ein­fluss auf John Known?

John Known: Kom­plett. Alles, was ich musi­ka­lisch mache, ist eine kon­stan­te Refle­xi­on. "Atmo­sphä­re" – mein ers­ter Track, den ich releast habe: Da erzäh­le ich, wie ich in der Küche sit­ze, Bacon mache und Joints rau­che. Ein­fach kurz reflek­tiert, was ich dort mache. (grinst) Ich habe vor­ab kein gro­ßes The­ma, über das ich schrei­be. Ich set­ze mich ein­fach hin, höre den Beat und fan­ge an. Vie­les kommt aus dem Unter­be­wusst­sein, wenn nicht sogar der Haupt­teil mei­ner Tex­te. Ey, im letz­ten hal­ben Jahr war ich kurz­zei­tig obdach­los und muss­te bei Freun­den schla­fen, weil mei­ne Woh­nung okku­piert war. Ich habe mei­ne kom­plet­te Fami­lie wegen Strei­tig­kei­ten ver­lo­ren. Ich habe nur noch Kon­takt zu mei­ner Mama, zu nie­man­dem sonst, das war's. Die Fami­lie ist jetzt nicht groß, aber es sind schon ein paar Leu­te gewe­sen. Es sind im letz­ten Jahr im Pri­va­ten ein­fach so vie­le Bom­ben geplatzt, die alle auf "John Doe" wie­der­zu­fin­den sind. Was inter­es­sant ist: Die Leu­te mün­zen die Inhal­te alle kom­plett auf John, auf mich. Es geht auf den Songs – zum Bei­spiel "Sekun­den im Dezem­ber" – aber auch um ein Fami­li­en­mit­glied von mir, da rede ich aus ihrer Sicht. Bei "lfdy" reflek­tie­re ich den kom­plet­ten Zustand von Lar­ry Clarks "Kids". Ich weiß nicht, ob du den kennst, das ist ein Film von 1995, mit zwei Figu­ren namens Tel­ly und Cas. Für das Inter­lude zum Song habe ich ein­fach nur das, was Tel­ly am Ende sagt, nach­ge­spro­chen. Hier habe ich also zum Bei­spiel nur wider­ge­spie­gelt, dass die Pro­ble­me in der Gesell­schaft und der Jugend heut­zu­ta­ge exakt die glei­chen wie in den 90ern sind. Nur mit dem klei­nen Unter­schied, dass wir alle Smart­phones haben. Ansons­ten hat sich aber nichts ver­än­dert. "bis­nich­mehr­geht", ein Fea­ture mit Tigh­ty, ist eine kom­plet­te Realtalk-​Geschichte, die da statt­ge­fun­den hat. Ich hab' mich in Situa­tio­nen gebracht, zum Teil bewusst, zum Teil ist es ein­fach pas­siert. Und so ist es eine kom­plet­te Refle­xi­on. Des­we­gen ist es für mich auch ein Ekel gewe­sen. Je län­ger die Plat­te gedau­ert hat und je spä­ter sie raus­kam, des­to anstren­gen­der war es für mich, weil es wirk­lich ein­fach belas­tend ist – bezie­hungs­wei­se war. Das ist ekel­haft. (lacht) Gleich­zei­tig aber auch wun­der­schön, so etwas für sich selbst geschaf­fen zu haben. Ich höre mich auf dem Out­ro und habe gemerkt: "Okay, du musst was ändern!" Ich hab' von "Alles Wegen Dir" ins­ge­samt drei Ver­sio­nen auf­ge­nom­men und als ich die letz­te Ver­si­on hör­te, habe ich den Kon­takt zu mei­ner Ex end­gül­tig abge­bro­chen. Es sind sehr vie­le Schlüsselmomente.

MZEE​.com: Auf Geni​us​.com hast du eini­ge Pas­sa­gen dei­ner Song­tex­te selbst anno­tiert. Möch­test du damit Inter­pre­ta­ti­ons­spiel­räu­me gezielt eingrenzen?

John Known: Ich mache Anno­ta­ti­ons bei mei­nen Tex­ten, damit die Leu­te auch nach­voll­zie­hen kön­nen, was ich da gemeint hab' – wie­so, wes­halb, war­um. Ich möch­te ver­stan­den und nicht miss­ver­stan­den wer­den, Trans­pa­renz lie­fern. Guck mal, ich habe damals Emi­nem gehört, noch bevor ich rich­tig Eng­lisch spre­chen konn­te. Ich wuss­te aber alles über ihn, weil es über­all stand. Ich wuss­te, dass "Kill You" von sei­ner Mut­ter han­delt, weil ande­re dar­über geschrie­ben haben. Man konn­te sich hin­ein­ver­set­zen und Empa­thie auf­bau­en. Das ist etwas, das ich in der Musik als sehr wich­tig erach­te – die Ver­bun­den­heit oder auch, damit rela­ten zu kön­nen. Dafür habe ich auch die "John Doe"-Platte gemacht, damit sich Men­schen das Ding anhö­ren und sich klar­ma­chen, dass alles viel­leicht doch nicht so schlimm ist, wie sie den­ken. Und damit wis­sen, dass es immer noch schlim­mer gehen kann. Des­we­gen auch Geni­us. Ich ver­su­che schon, nach und nach weni­ger kryp­tisch zu wer­den. Auch wenn ich auf "John Doe" gute und kla­re Bil­der geschaf­fen hab', kann ich ein­fach nicht erwar­ten, dass jeder weiß, wer Mar­quis de Sade ist. Damit ist das für mich rela­tiv wich­tig, auch Red­un­dan­zen oder Fach­wör­ter zu erklä­ren. Mir fal­len manch­mal Wör­ter ein, von denen ich sel­ber nicht weiß, was sie bedeu­ten. Dann goog­le ich die, schaue, ob sie in den Kon­text des Tex­tes pas­sen und erwäh­ne die dann spä­ter bei Geni­us, weil ich selbst nicht wüss­te, was die eigent­lich hei­ßen. So kön­nen die Leu­te am Start sein, sich auf mich ein­las­sen und sagen: "Ah, nee, der ist mir doch ein biss­chen zu krank. Der meint das ja wirk­lich ernst!" (lacht)

MZEE​.com: Das sticht auf jeden Fall her­vor. Ich habe das bis­her bei kei­nem Künst­ler in Deutsch­land auf die­se Art und Wei­se gese­hen. Bei den US-​Rappern ist das ja wie­der ganz anders.

John Known: Ja, das ist schei­ße, Dig­ga. In Ame­ri­ka machen das alle. Als XXX sein "?"-Album raus­ge­hau­en hat, kamen die gan­zen Tex­te direkt auf Geni­us und er hat auf Insta­gram dann geschrie­ben, dass die Leu­te vie­le Stel­len falsch run­ter­ge­schrie­ben haben und er das kor­ri­gie­ren müs­se. Genau das ist es. Bevor die Leu­te mich falsch ver­ste­hen und irgend­was inter­pre­tie­ren, nut­ze ich die Mög­lich­keit defi­ni­tiv. Ich fin­de es aber auch scha­de, dass Geni­us hier nicht so groß ist. Die gan­zen For­ma­te, die es davon in den Staa­ten gibt, sind genial.

MZEE​.com: Auf dei­nen "S01"-EPs hast du immer eng mit je einem Pro­du­zen­ten gear­bei­tet, auf "John Doe" erst­mals mit meh­re­ren. Du hast eben­falls vie­le Erfah­run­gen als DJ gesam­melt. Hast du schon dar­an gedacht, dich selbst als Pro­du­cer auszuprobieren?

John Known: Dar­an gedacht ja, ver­sucht auch, aber es ist eine ganz ein­fa­che Geschich­te: Ich rap­pe seit über zehn Jah­ren und nur des­we­gen kann ich behaup­ten, dass mein Flow und mei­ne Tech­nik adäquat sind. Wenn ich jetzt anfan­ge zu pro­du­zie­ren, brau­che ich wahr­schein­lich wie­der zehn Jah­re, um auf dem Level zu sein, auf dem ich mich sel­ber fea­turen wol­len wür­de. Bevor ich nun Ener­gie in etwas ande­res ste­cke, obwohl ich mit so vie­len kras­sen Leu­ten abhän­ge, die so hef­tig pro­du­zie­ren, küm­me­re ich mich lie­ber dar­um, dass mei­ne Tech­nik beim Rap­pen ste­tig bes­ser wird. Damit ich dort mei­nen Teil bei­tra­gen kann, anstatt zu ver­su­chen, mei­ne Mucke selbst zu pro­du­zie­ren. Die Leu­te, mit denen ich arbei­te oder gear­bei­tet habe … Das ist ein­fach nur ein Traum gewe­sen. Wenn ich jetzt sagen wür­de, dass ich das nun selbst mache, wäre das schon fast eine Belei­di­gung denen gegen­über. (lacht) Die Jungs pro­du­zie­ren teil­wei­se schon weit über zehn Jah­re, die sind auf einem Level, da brau­che ich es gar nicht zu ver­su­chen. Mein Anspruch ist da auch ein­fach viel zu hoch. Ich gebe ger­ne bei einer Ses­si­on eine Idee rein oder baue irgend­ein Grund­ge­rüst fer­tig, wenn ich ein gei­les Sam­ple gefun­den hab'. Ins­ge­samt feie­re ich mei­ne Leu­te um mich her­um aber ein­fach zu hart. (grinst)

MZEE​.com: Und die Pro­du­cer kön­nen auch eins zu eins das umset­zen, was du dir für dei­ne Songs wünschst?

John Known: Dig­ga, ich bin jetzt gera­de in L.A. und habe zwei Tage mit Lege Kale Ses­si­on gemacht, der hat unter ande­rem an "iSpy" von Kyle und Lil Yach­ty mit­ge­wirkt. Ich bin seit sechs Jah­ren Fan, seit­dem ich ihn bei Sound­Cloud ent­deckt habe. Ich hab' auf fast jeden sei­ner Free-​Download-​Beats Tex­te oder Grund­la­gen geschrie­ben – auch für Sachen, die spä­ter ver­öf­fent­licht wur­den. Dann hab' ich ihn jetzt ange­hau­en und mein­te: "Ich bin in L.A., lass uns Mucke machen." Er hat geant­wor­tet und wir haben in zwei Tagen acht Songs gemacht. Die haben wir nicht gemacht, weil wir Druck hat­ten und die schnell machen muss­ten, son­dern weil jeder Beat, den er anfing zu bau­en, mir in die Fres­se geschla­gen hat. (lacht)

MZEE​.com: Die nächs­te Staf­fel an EPs lässt also nicht mehr lan­ge auf sich warten?

John Known: Nee, es kommt als ers­tes viel­leicht mein rich­ti­ges Debüt­al­bum. Also eins, bei dem ich sagen kann: "Hier, Kin­der, hört euch das an. Papa war rich­tig geil unter­wegs!" (lacht) Im Zuge des­sen kom­men auch noch neue Epi­so­den, ich bin aber gera­de expli­zit wegen der Album­pro­duk­ti­on in den Staa­ten. Für posi­ti­ve, selbst­re­flek­tier­te Mucke. Für "Ich fahr' mit dem Chal­len­ger durch die City"-Mucke, für posi­ti­ve Vibes und so wei­ter. Die ande­ren Epi­so­den sind fast alle zum Teil fer­tig. Ich sit­ze mit Tor­ky Tork an einem Hau­fen Tracks. Mit dem möch­te ich ger­ne eine machen. Mit Suga­Boy habe ich noch eini­ges offen. Ich habe auch noch ein kom­plet­tes John Doe-​Mixtape, mit so 15, 16 Songs à zwei Minu­ten. Mit eben­die­sem Vibe wie auf der aktu­el­len Schei­be. Alles in der Pipe­line, das wird jetzt ein biss­chen struk­tu­riert. Gera­de bin ich dabei, mein Manage­ment zu wech­seln, dies das. Ich bin hier in die Staa­ten mit mehr oder weni­ger gar nichts gekom­men! (lacht) Aber ich dach­te mir dann: "Okay, dann bist du hier jetzt allei­ne unter­wegs, nut­ze die Zeit …" (über­legt) Ja, die­ses Jahr kommt noch rich­tig kras­ses Zeug. Yeah. (grinst)

MZEE​.com: Du scheinst ja super­flei­ßig zu sein.

John Known: Geht nicht anders. Ich mache ja sonst auch nichts mehr.

MZEE​.com: Dass du alles bis auf das Mikro an den Nagel gehan­gen hast, erwähn­test du vor eini­ger Zeit auch in einem ande­ren Inter­view. Haben sich dadurch neue Mög­lich­kei­ten ergeben?

John Known: Was dar­an echt geil ist: Ich mache dadurch jetzt auch so Singer-​Songwriter-​Sessions und schrei­be Tex­te für ande­re, wenn das Ange­bot da ist. Das ist ganz lus­tig. Es ist wie im Retail im Ein­zel­han­del arbei­ten: Ab einem gewis­sen Punkt kriegst du mehr Pro­zen­te und hast noch mehr Spaß. (lacht) Es ist immer noch schei­ße, aber das ist okay. Du kannst dir die Jacke jetzt halt doch kau­fen, soll­test du nicht, aber ist egal. Ich arbei­te tat­säch­lich ein biss­chen ohne Struk­tur. Man könn­te jetzt auch sagen, dass ich aus den Songs mit Lege Kale direkt eine neue Epi­so­de mache, aber nee. Ich möch­te mich für die­se Episoden-​Dinger am liebs­ten – jetzt zum Bei­spiel mit Tor­ky – noch mal eine Woche irgend­wo hin­set­zen und zwei, drei, vier, fünf Tracks machen und dann raus­su­chen. Das sind eben so geschlos­se­ne Din­ger, die sich erst durch den Pro­du­zen­ten schließen.

MZEE​.com: Auf wel­che Styl­es darf man sich auf den kom­men­den Pro­jek­ten sonst noch freuen?

John Known: Das Album wird auf jeden Fall tech­nisch kaputt machen. Was Flow angeht, mache ich jetzt mal ein neu­es Level für Deutsch­land auf. Ich will nicht arro­gant klin­gen oder so, aber ohne Scheiß: Ich fick' die alle. Wenn die­se Tracks kom­men, dann ist aus. (grinst) Ich hab' da Pat­terns raus­ge­hau­en, Alter. Boah. Ich arbei­te ja mit nicht-​deutschsprachigen Leu­ten zusam­men. Das heißt, mein Anspruch liegt nicht dar­in, die geils­te Pun­ch­li­ne zu kre­ieren, damit Capi sagt: "Oh mein Gott, ich muss den signen, das ist so ein har­ter Typ!" – Ich sor­ge dafür, dass da ein Ami sitzt und sagt: "What the fuck, yo, your flow is chil­led, man! Why aren't you doin' this shit in Eng­lish? You would kill the sce­ne!" Mein Ansatz war immer: Scheiß auf Deutsch­land, die haben eh nichts drauf. Nur Lie­be an die Sze­ne, aber ich hab' nie­man­den, an dem ich mich ori­en­tie­re, was mei­ne Tech­nik oder so angeht. Es waren damals Mor­lockk Dilem­ma und V-​Mann – V-​Mann, nicht Hiob – die mir den größ­ten Input gege­ben haben, aber da war ich 16. Das war der letz­te gro­ße Input, den ich von Deutschrap bekom­men habe und das waren auch nur Stakkato-​Patterns. Seit­dem hat Deutsch­land kei­ner­lei Ein­fluss mehr auf mich, was Musik angeht. Das heißt, du kannst auf der nächs­ten Plat­te von mir inter­na­tio­na­len Fla­vour erwarten.

MZEE​.com: Auf dem Intro von "Du weißt" wird auch Fol­gen­des über dich gesagt: "Das ist kein Deutschrap mehr. Das ist ame­ri­ka­ni­scher Rap mit deut­scher Spra­che." – Ist die Dif­fe­ren­zie­rung von ame­ri­ka­ni­schem und deut­schem Rap für dich eine Fra­ge der Inno­va­ti­on oder wor­in siehst du den Unterschied?

John Known: Ame­ri­ka­ni­scher Rap bedeu­tet für mich Vibe. Wenn ich hier mit den Jungs rede, dann geht es um den Vibe. Es ist scheiß­egal, wor­über du redest. Deutsch­land hat bei­spiels­wei­se kei­ne Stripclub-​Kultur. Die deut­schen Rap­per ver­su­chen, die­se Stripclub-​Kultur-​Mucke in Deutsch­land zu machen und zu kopie­ren, aber wir haben die­se kul­tu­rel­le Kom­po­nen­te gar nicht. Es ist in den USA total in der Mit­tel­schicht akzep­tiert und des­halb gibt es auch die­se Musik. Die­se gan­ze Tyga-​Mucke und has­te nicht gese­hen. Ich fin­de, in Deutsch­land ver­su­chen wir krampf­haft, die­sen Sound zu imi­tie­ren, in den letz­ten Jah­ren auch den fran­zö­si­schen PNL-​Sound und so wei­ter. Wir haben – für mich gefühlt – kei­ner­lei eige­ne Kul­tur und Grund­la­ge, um irgend­wie eigen­stän­di­ge Mucke zu machen. Und des­we­gen ori­en­tie­ren wir uns immer irgend­wo anders und um uns her­um. Ich bin auf­ge­wach­sen mit einem Jour­na­lis­ten als Vater und Goe­the und Schil­ler als alte, deut­sche Dicht­kunst. Ich habe den kul­tu­rel­len Hin­ter­grund von deut­scher Dicht­kunst, weißt du? Ich ver­wen­de zum Teil auch ver­al­te­te Gram­ma­tik, die falsch klingt, die aber vor 100 Jah­ren noch kor­rekt war. OG Kee­mo ist auch einer, der das zum Teil macht. Der Unter­schied zum Vibe: Die Amis haben hier ein­fach die drit­te oder vier­te Gene­ra­ti­on an Kin­dern von Musi­kern. Du hast hier Söh­ne von Vätern, die Rap­per waren, deren Väter Blues-​Sänger und deren Väter Jazz-​Sänger waren. Das ist eine musi­ka­li­sche DNA, die hier so drin ist, das haben wir in Deutsch­land nicht. MC Rene hat gera­de sein ers­tes Kind, weißt du, wie ich mei­ne? Das fängt gera­de erst an bei uns, wäh­rend bei denen ein Jaden Smith am Start ist. Wen haben wir denn hier bei uns? Wir haben Jimi Blue Och­sen­knecht oder was? (lacht) Bei der "John Doe"-Platte war Kane der Exe­cu­ti­ve Pro­du­cer, der kommt aus Eng­land. Der hat schon mit Ski Mask The Slump God und Juice WRLD gear­bei­tet und das nicht wegen Fame, son­dern weil das ech­te Künst­ler sind. Des­halb arbei­tet er auch mit mir, weil er sagt, dass ich ein ech­ter Künst­ler bin. Er ver­steht nichts, aber ich erklä­re ihm, wor­über ich spre­che. Er kann es nach­voll­zie­hen und emo­tio­nal rela­ten, fin­det sich wie­der und der Rest pas­siert mit dem Flow, der Melo­die und der Stim­me. Das ist mein Fokus, der Text kommt immer.

MZEE​.com: Wenn man sich mit dir beschäf­tigt, merkt man schnell, dass du ger­ne Musik diggst und vie­le Inspi­ra­tio­nen ver­ar­bei­test. Hast du aktu­ell einen Geheim­tipp, der dich beson­ders inspiriert?

John Known: All­ge­mein Sound­Cloud. Ein kon­kre­ter Künst­ler … (über­legt) Das Aminé-​Album hat mich sehr geflasht, auch wenn es schon ein biss­chen älter ist. Ich ken­ne Ami­né seit über vier Jah­ren durch Sound­Cloud. Ich fin­de es rich­tig schön, ihn auf ARTE Tracks über sei­ne Mucke reden zu sehen. Ich bin ein SoundCloud-​Kid, er ist ein SoundCloud-​Kid. Dass er jetzt auf einem Level ist, dass ein Jack Black über ihn spricht, ist schon rich­tig geil und freut mich sehr. Ansons­ten YNG YAJ, der heißt als Pro­du­zent Ordi­na­ry Young­star und star­tet jetzt auch eine eige­ne Rap­kar­rie­re. Er ist super­krass, wirk­lich sick. Das ist der klei­ne Bru­der von mei­nem Pro­du­zen­ten, mit dem ich jetzt hier war. Der pro­du­ziert wie gesagt eben­falls sel­ber und ist einer mei­ner Lieb­lings­pro­du­cer. Ich will irgend­wann auch eine Ses­si­on mit ihm machen, aber er wohnt lei­der noch in Ohio. Sei­ne Musik ist auf jeden Fall ein­fach was ande­res. Ich hab' auch einen klei­nen, pri­va­ten Digg-​Account – "Gin & Gems" heißt der – und wenn man sich für mei­ne Ein­flüs­se inter­es­siert, geht man ein­fach auf die­se Sei­te und sieht knapp 6 500 gelik­te Songs und 5 000 oder 6 000 gere­pos­te­te Tracks. Das sind alles Ein­flüs­se von mir – alles Zeug, was ich pum­pe und wodurch mei­ne Mucke kre­iert wird. Wie du schon gesagt hast, ich bin seit Ewig­kei­ten DJ und dadurch ist das pas­siert. Ich hab' lan­ge House auf­ge­legt und immer mehr B-​Seiten mit gei­len Remi­xen und so wei­ter gesam­melt. Als ich dann wie­der ange­fan­gen habe zu rap­pen, ist das alles inein­an­der ver­schwom­men. Dass ich jetzt von Lege Kale pro­du­ziert wer­de und mit ihm Mucke mache, ist ein­fach so ein Traum. Vor zwei Jah­ren habe ich noch sei­ne Musik im Club gespielt. Tau­send Dank an Insta­gram, dass ich veri­fied bin. Die Leu­te sehen mei­nen blau­en Haken und ant­wor­ten sogar, das ist in Ame­ri­ka wirk­lich ein Ding. In den USA ist Social Media noch mal viel rele­van­ter als in Deutsch­land. Dig­ga, kennst du AYLEK$, die Ex von Trip­pie Redd? Sie hat über 1,4 Mil­li­on Fol­lower auf Insta­gram. Ich habe sie ange­schrie­ben und mein­te, dass ich im Stu­dio bin und sie vor­bei­kom­men kön­ne. Sie hat geant­wor­tet! Auch wenn es dann zu nichts gekom­men ist: Wir hat­ten eine Kon­ver­sa­ti­on, Dig­ga! Nur, weil ich einen blau­en Haken habe. Das ist ein Äqui­va­lent für locker 80 000 Follower.

MZEE​.com: Du hast eben erwähnt, dass du durch dei­nen Vater schon im frü­hen Kin­des­al­ter an Gedich­te her­an­ge­führt wur­dest, was letzt­lich ein wich­ti­ger Ein­fluss für dein heu­ti­ges Schaf­fen war. Zum Abschluss wür­de ich ger­ne von dir wis­sen, was du einem Kind in die­sem Alter mit auf den Weg geben würdest.

John Known: Mensch­lich­keit. Mensch­lich­keit und das Bewusst­sein für sei­ne Umge­bung. Dem Kind nicht den Druck auf die Schul­tern legen, die gan­ze Welt ver­än­dern zu müs­sen, son­dern es unter­stüt­zen, einen gesun­den Ver­stand auf­zu­bau­en und für sei­ne Umge­bung das Bes­te zu tun. Also der bes­te Mensch zu sein, der man für sei­ne Umge­bung sein kann. Nicht für den Pla­ne­ten ins­ge­samt, das ist mei­ner Mei­nung nach ein­fach nicht mög­lich. Es macht den Men­schen nur ver­rückt, die Pro­ble­me der gan­zen Welt anzu­ge­hen. Lie­ber das eige­ne Ding machen und sich selbst nicht ver­ges­sen. Ganz vie­le machen ihr Glück von ande­ren Men­schen abhän­gig. Auch die gan­ze Jugend, die sich mit irgend­wel­chen Pain­kil­lern, Xan­ax und so wei­ter zudröhnt, um irgend­wel­chen Issues zu ent­kom­men. Das ist genau der fal­sche Weg. Der Kopf plagt, weil sie den­ken, eine Mil­li­on Geschich­ten regeln zu müs­sen, obwohl es eigent­lich gar nicht rele­vant ist. Ich wür­de einem Kind mit­ge­ben, den Blick auf das Wesent­li­che nicht zu ver­lie­ren und sich nicht ver­rückt zu machen. Und Fan­ta­sie! Ich wür­de einem Kind Fan­ta­sie geben. Ich ver­ach­te Helikopter-​Eltern, ganz ehr­lich. Ich wür­de mein Kind imp­fen las­sen, ein­fach aus dem Grund, weil unse­re Welt an dem Punkt ange­kom­men ist, an dem es not­wen­dig ist, geimpft zu wer­den. Ist viel­leicht schei­ße, aber wenn du dein Kind nicht imp­fen lässt, macht das die Welt nicht anders und Masern gehen dadurch auch nicht weg. (lacht) Ich wür­de mein Kind ger­ne im Dreck spie­len las­sen, es sich auch einen Arm bre­chen las­sen. Ein­fach nur damit es weiß, wie man einen Nagel ins Brett haut, wenn es dann irgend­wann von zu Hau­se aus­zieht. Das wür­de ich einem Kind mit­ge­ben wollen.

(Jens Paep­ke)
(Fotos: Bruce Thompson)