Es ist Mittwochabend gegen 18:55 Uhr. Ich sitze vor meinem Computer und warte darauf, dass ich den Künstler zum vereinbarten Interviewtermin anrufen kann. Kurze Zeit später erreicht mich eine Nachricht samt Foto vom anderen Ende der Welt. "Fünf Minuten, brauche Kaffee" lautet der Kommentar zu den abgebildeten Koffein-Shots. Während sich der Tag für mich gerade dem Ende neigt, beginnt dieser für John Known erst. Wenig verwunderlich, wenn man weiß, dass er sich zum Zeitpunkt unseres Gesprächs in Los Angeles aufhält und die Uhr für ihn erst zehn geschlagen hat. Kurz nach dem angekündigten Kaffee beginnt unser insgesamt zweistündiges Videotelefonat. In unserem Gespräch unterhielten wir uns ausgedehnt über die Konzeption seines musikalischen Werks. Dabei erläuterte der Rapper und DJ unter anderem, worin er den wichtigsten Unterschied zwischen amerikanischem und deutschem Rap sieht. Außerdem fanden wir heraus, was das selbsternannte SoundCloud-Kid inspiriert und wie seine Kontakte zu internationalen Produzenten entstanden.
MZEE.com: Deine Projekte sind strukturell in Serien- und Film-Terminologien gedacht. In welchem Serien-Universum würdest du selbst gerne leben?
John Known: Rick and Morty. Infinite John Knowns, auf jeden! (lacht) Dann habe ich wenigstens Leute, mit denen ich endlich mal Features machen kann.
MZEE.com: Du musstest ja nicht mal überlegen.
John Known: Ja, Rick and Morty oder Adventure Time – das wäre auch gut. Ich habe wegen "Universum" direkt an Rick and Morty gedacht, weil es da ja sehr viel um Universen geht.
MZEE.com: Du sprichst in Interviews über John Known teilweise in der dritten Person und in deinem Pressetext steht, dass dieser mehr als eine Person ist. Betrachtest und planst du deine Projekte – ähnlich wie ein Drehbuchautor – von außen?
John Known: Es ergibt sich einfach. Ich habe gestern einen neuen Track gemacht, dessen Hook lautet: "Alles läuft nach Plan, war aber nie geplant." Das ist halt Fakt. Ich habe mich noch nie hingesetzt und gefragt: "Wie vermarkte ich John Known?" Ich rede von mir in der dritten Person, weil ich mir selbst nicht zugestehe, dass ich noch immer leichte Issues damit habe, das Ganze für wahr zu nehmen. Also mich und diese Geschichte, was ich präsentiere, dass ich Mucke release und so weiter. Einen großen Plan hab' ich mir dazu aber nie gemacht. Das wäre ja noch schlimmer. (lacht) Die ersten Episoden waren zum Teil schon gleichzeitig fertig und ich habe überlegt, wie ich es am einfachsten hinbekomme, meinen Weg zu transportieren. Eine EP "Staffel 1 Episode 1" zu nennen, ist geiler, als ihr irgendeinen bedeutungsschwangeren Titel zu geben, für den du dich in fünf Jahren schämen könntest. Im Zuge dessen hat sich vieles so ergeben. Diese "John Doe"-Platte ist einfach organisch entstanden. Irgendwann saß ich da und dachte: "Scheiße, Digga, du hast einen ganzen Haufen von dieser Art Mucke und diesem Thema. Das ergibt einen roten Faden, eine geschlossene Klammer!" Da wurde aber nicht direkt drauf hingearbeitet. Das ist auf einmal da gewesen. Da sind wir an einen Punkt gekommen, an dem wir damit gearbeitet haben und eine Idee entstanden ist. Ich hab' mir aber noch nie – weder bei einem Track, den ich geschrieben habe, noch bei einer Platte, die ich veröffentlicht habe – vorher länger als fünf Minuten Gedanken darüber gemacht, was ich dort anstellen möchte. Das Wichtigste war für mich immer die Musik. Die Platte muss in sich geschlossen funktionieren, die muss rund sein. Da darf kein Track zu viel oder zu wenig sein. Auch bei den Songs, die wir jetzt gemacht haben, fragte mich der Produzent, wie ich die nennen möchte. Keine Ahnung, wie ich die nennen möchte, weiß ich doch jetzt noch nicht. Wenn ich mir Gedanken mache, muss ich erst mal bei Spotify gucken und googlen, wie oft es schon Tracks mit diesem Namen gibt. Das ist aber alles die größte Nebensache. Mir geht es vor allem darum, Musik zu machen und machen zu können.
MZEE.com: "John Doe" wird von dir als ein Spin-off bezeichnet. Was grenzt das Tape von deinem Hauptwerk ab und wie fließt es in dieses ein?
John Known: Das Hauptwerk ist John Known, der Rapper und MC. John Doe ist ein Teil meiner Persönlichkeit auf ein Release gebannt. Der Unterschied ist eigentlich ganz klar. Auch wenn "Staffel 1 Episode 3" bereits ein bisschen in die Richtung geführt und mich erst dazu gebracht hat, "John Doe" zu machen. Es ist keine lebensbejahende Musik für mich. John Doe ist ein Teil von mir. Der existiert, den gibt es wirklich – ob man es jetzt Persönlichkeitsstörung nennen will oder nicht. (zuckt mit den Schultern) "John Doe" hat zehn Tracks und inklusive der Skits und Interludes vierzehn Titel, das ist ja schon Albumlänge in Deutschland. Bei der Namensgebung habe ich aber tatsächlich an die Zukunft gedacht. Wenn ich irgendwann mal Kinder habe und meine Krümel mich fragen: "Papa, was hast du früher für Musik gemacht?" Dann zeige ich denen nicht mein Debütalbum aka "John Doe". Auf der Platte rede ich darüber, dass ich lachend auf dem Scheiterhaufen stehe und mir Drogen aller Art in den Kopf ballere, um irgendwie mit der Umgebung klarzukommen. Das würde ich einfach nicht wollen. Ich will meinen Kindern in der Zukunft kein negatives Bild von mir – aus meiner eigenen Darstellung – senden. Das zum einen. Zum anderen auch für mich selbst, um nicht diesen Film zu fahren. Damit die Leute nicht sagen: "Das ist John Known mit seinem Debütalbum 'John Doe', das ist sein Image. Er ist ein kleines, vercracktes Drogenopfer." Das ist nicht mein Image, das bin ich nicht. Das ist eine Facette von mir, die ich im Zuge der Entstehung dieser Platte gelebt habe, aber es ist nichts, womit ich mich selbst so comfortable fühle, dass ich das durchziehen möchte. Das kann man vielleicht an den Tracks und den Thematiken der Platte hören. Auch wenn ich es selbst geil finde, weil es das Schönste ist, aus Schmerzen Kreativität zu ziehen. Du gehst daran kaputt und ich bin richtig daran kaputt gegangen. Diese Platte hat meinen Kopf gefickt. Das wünsche ich niemandem. (überlegt) Was ich aber sagen muss: James Blake war, als er depressiv war und depressive Mucke gemacht hat, viel geiler als jetzt. Früher fand ich den viel besser! "CMYK" und so weiter, heilige Scheiße. (lacht) Ich bin ein Minor-Mensch. Ich mag Moll-Töne. Hier in L.A. ist es aber schwierig, dunkle Musik zu machen.
MZEE.com: Hat John Doe mit dieser Reflexion dann einen Einfluss auf John Known?
John Known: Komplett. Alles, was ich musikalisch mache, ist eine konstante Reflexion. "Atmosphäre" – mein erster Track, den ich releast habe: Da erzähle ich, wie ich in der Küche sitze, Bacon mache und Joints rauche. Einfach kurz reflektiert, was ich dort mache. (grinst) Ich habe vorab kein großes Thema, über das ich schreibe. Ich setze mich einfach hin, höre den Beat und fange an. Vieles kommt aus dem Unterbewusstsein, wenn nicht sogar der Hauptteil meiner Texte. Ey, im letzten halben Jahr war ich kurzzeitig obdachlos und musste bei Freunden schlafen, weil meine Wohnung okkupiert war. Ich habe meine komplette Familie wegen Streitigkeiten verloren. Ich habe nur noch Kontakt zu meiner Mama, zu niemandem sonst, das war's. Die Familie ist jetzt nicht groß, aber es sind schon ein paar Leute gewesen. Es sind im letzten Jahr im Privaten einfach so viele Bomben geplatzt, die alle auf "John Doe" wiederzufinden sind. Was interessant ist: Die Leute münzen die Inhalte alle komplett auf John, auf mich. Es geht auf den Songs – zum Beispiel "Sekunden im Dezember" – aber auch um ein Familienmitglied von mir, da rede ich aus ihrer Sicht. Bei "lfdy" reflektiere ich den kompletten Zustand von Larry Clarks "Kids". Ich weiß nicht, ob du den kennst, das ist ein Film von 1995, mit zwei Figuren namens Telly und Cas. Für das Interlude zum Song habe ich einfach nur das, was Telly am Ende sagt, nachgesprochen. Hier habe ich also zum Beispiel nur widergespiegelt, dass die Probleme in der Gesellschaft und der Jugend heutzutage exakt die gleichen wie in den 90ern sind. Nur mit dem kleinen Unterschied, dass wir alle Smartphones haben. Ansonsten hat sich aber nichts verändert. "bisnichmehrgeht", ein Feature mit Tighty, ist eine komplette Realtalk-Geschichte, die da stattgefunden hat. Ich hab' mich in Situationen gebracht, zum Teil bewusst, zum Teil ist es einfach passiert. Und so ist es eine komplette Reflexion. Deswegen ist es für mich auch ein Ekel gewesen. Je länger die Platte gedauert hat und je später sie rauskam, desto anstrengender war es für mich, weil es wirklich einfach belastend ist – beziehungsweise war. Das ist ekelhaft. (lacht) Gleichzeitig aber auch wunderschön, so etwas für sich selbst geschaffen zu haben. Ich höre mich auf dem Outro und habe gemerkt: "Okay, du musst was ändern!" Ich hab' von "Alles Wegen Dir" insgesamt drei Versionen aufgenommen und als ich die letzte Version hörte, habe ich den Kontakt zu meiner Ex endgültig abgebrochen. Es sind sehr viele Schlüsselmomente.
MZEE.com: Auf Genius.com hast du einige Passagen deiner Songtexte selbst annotiert. Möchtest du damit Interpretationsspielräume gezielt eingrenzen?
John Known: Ich mache Annotations bei meinen Texten, damit die Leute auch nachvollziehen können, was ich da gemeint hab' – wieso, weshalb, warum. Ich möchte verstanden und nicht missverstanden werden, Transparenz liefern. Guck mal, ich habe damals Eminem gehört, noch bevor ich richtig Englisch sprechen konnte. Ich wusste aber alles über ihn, weil es überall stand. Ich wusste, dass "Kill You" von seiner Mutter handelt, weil andere darüber geschrieben haben. Man konnte sich hineinversetzen und Empathie aufbauen. Das ist etwas, das ich in der Musik als sehr wichtig erachte – die Verbundenheit oder auch, damit relaten zu können. Dafür habe ich auch die "John Doe"-Platte gemacht, damit sich Menschen das Ding anhören und sich klarmachen, dass alles vielleicht doch nicht so schlimm ist, wie sie denken. Und damit wissen, dass es immer noch schlimmer gehen kann. Deswegen auch Genius. Ich versuche schon, nach und nach weniger kryptisch zu werden. Auch wenn ich auf "John Doe" gute und klare Bilder geschaffen hab', kann ich einfach nicht erwarten, dass jeder weiß, wer Marquis de Sade ist. Damit ist das für mich relativ wichtig, auch Redundanzen oder Fachwörter zu erklären. Mir fallen manchmal Wörter ein, von denen ich selber nicht weiß, was sie bedeuten. Dann google ich die, schaue, ob sie in den Kontext des Textes passen und erwähne die dann später bei Genius, weil ich selbst nicht wüsste, was die eigentlich heißen. So können die Leute am Start sein, sich auf mich einlassen und sagen: "Ah, nee, der ist mir doch ein bisschen zu krank. Der meint das ja wirklich ernst!" (lacht)
MZEE.com: Das sticht auf jeden Fall hervor. Ich habe das bisher bei keinem Künstler in Deutschland auf diese Art und Weise gesehen. Bei den US-Rappern ist das ja wieder ganz anders.
John Known: Ja, das ist scheiße, Digga. In Amerika machen das alle. Als XXX sein "?"-Album rausgehauen hat, kamen die ganzen Texte direkt auf Genius und er hat auf Instagram dann geschrieben, dass die Leute viele Stellen falsch runtergeschrieben haben und er das korrigieren müsse. Genau das ist es. Bevor die Leute mich falsch verstehen und irgendwas interpretieren, nutze ich die Möglichkeit definitiv. Ich finde es aber auch schade, dass Genius hier nicht so groß ist. Die ganzen Formate, die es davon in den Staaten gibt, sind genial.
MZEE.com: Auf deinen "S01"-EPs hast du immer eng mit je einem Produzenten gearbeitet, auf "John Doe" erstmals mit mehreren. Du hast ebenfalls viele Erfahrungen als DJ gesammelt. Hast du schon daran gedacht, dich selbst als Producer auszuprobieren?
John Known: Daran gedacht ja, versucht auch, aber es ist eine ganz einfache Geschichte: Ich rappe seit über zehn Jahren und nur deswegen kann ich behaupten, dass mein Flow und meine Technik adäquat sind. Wenn ich jetzt anfange zu produzieren, brauche ich wahrscheinlich wieder zehn Jahre, um auf dem Level zu sein, auf dem ich mich selber featuren wollen würde. Bevor ich nun Energie in etwas anderes stecke, obwohl ich mit so vielen krassen Leuten abhänge, die so heftig produzieren, kümmere ich mich lieber darum, dass meine Technik beim Rappen stetig besser wird. Damit ich dort meinen Teil beitragen kann, anstatt zu versuchen, meine Mucke selbst zu produzieren. Die Leute, mit denen ich arbeite oder gearbeitet habe … Das ist einfach nur ein Traum gewesen. Wenn ich jetzt sagen würde, dass ich das nun selbst mache, wäre das schon fast eine Beleidigung denen gegenüber. (lacht) Die Jungs produzieren teilweise schon weit über zehn Jahre, die sind auf einem Level, da brauche ich es gar nicht zu versuchen. Mein Anspruch ist da auch einfach viel zu hoch. Ich gebe gerne bei einer Session eine Idee rein oder baue irgendein Grundgerüst fertig, wenn ich ein geiles Sample gefunden hab'. Insgesamt feiere ich meine Leute um mich herum aber einfach zu hart. (grinst)
MZEE.com: Und die Producer können auch eins zu eins das umsetzen, was du dir für deine Songs wünschst?
John Known: Digga, ich bin jetzt gerade in L.A. und habe zwei Tage mit Lege Kale Session gemacht, der hat unter anderem an "iSpy" von Kyle und Lil Yachty mitgewirkt. Ich bin seit sechs Jahren Fan, seitdem ich ihn bei SoundCloud entdeckt habe. Ich hab' auf fast jeden seiner Free-Download-Beats Texte oder Grundlagen geschrieben – auch für Sachen, die später veröffentlicht wurden. Dann hab' ich ihn jetzt angehauen und meinte: "Ich bin in L.A., lass uns Mucke machen." Er hat geantwortet und wir haben in zwei Tagen acht Songs gemacht. Die haben wir nicht gemacht, weil wir Druck hatten und die schnell machen mussten, sondern weil jeder Beat, den er anfing zu bauen, mir in die Fresse geschlagen hat. (lacht)
MZEE.com: Die nächste Staffel an EPs lässt also nicht mehr lange auf sich warten?
John Known: Nee, es kommt als erstes vielleicht mein richtiges Debütalbum. Also eins, bei dem ich sagen kann: "Hier, Kinder, hört euch das an. Papa war richtig geil unterwegs!" (lacht) Im Zuge dessen kommen auch noch neue Episoden, ich bin aber gerade explizit wegen der Albumproduktion in den Staaten. Für positive, selbstreflektierte Mucke. Für "Ich fahr' mit dem Challenger durch die City"-Mucke, für positive Vibes und so weiter. Die anderen Episoden sind fast alle zum Teil fertig. Ich sitze mit Torky Tork an einem Haufen Tracks. Mit dem möchte ich gerne eine machen. Mit SugaBoy habe ich noch einiges offen. Ich habe auch noch ein komplettes John Doe-Mixtape, mit so 15, 16 Songs à zwei Minuten. Mit ebendiesem Vibe wie auf der aktuellen Scheibe. Alles in der Pipeline, das wird jetzt ein bisschen strukturiert. Gerade bin ich dabei, mein Management zu wechseln, dies das. Ich bin hier in die Staaten mit mehr oder weniger gar nichts gekommen! (lacht) Aber ich dachte mir dann: "Okay, dann bist du hier jetzt alleine unterwegs, nutze die Zeit …" (überlegt) Ja, dieses Jahr kommt noch richtig krasses Zeug. Yeah. (grinst)
MZEE.com: Du scheinst ja superfleißig zu sein.
John Known: Geht nicht anders. Ich mache ja sonst auch nichts mehr.
MZEE.com: Dass du alles bis auf das Mikro an den Nagel gehangen hast, erwähntest du vor einiger Zeit auch in einem anderen Interview. Haben sich dadurch neue Möglichkeiten ergeben?
John Known: Was daran echt geil ist: Ich mache dadurch jetzt auch so Singer-Songwriter-Sessions und schreibe Texte für andere, wenn das Angebot da ist. Das ist ganz lustig. Es ist wie im Retail im Einzelhandel arbeiten: Ab einem gewissen Punkt kriegst du mehr Prozente und hast noch mehr Spaß. (lacht) Es ist immer noch scheiße, aber das ist okay. Du kannst dir die Jacke jetzt halt doch kaufen, solltest du nicht, aber ist egal. Ich arbeite tatsächlich ein bisschen ohne Struktur. Man könnte jetzt auch sagen, dass ich aus den Songs mit Lege Kale direkt eine neue Episode mache, aber nee. Ich möchte mich für diese Episoden-Dinger am liebsten – jetzt zum Beispiel mit Torky – noch mal eine Woche irgendwo hinsetzen und zwei, drei, vier, fünf Tracks machen und dann raussuchen. Das sind eben so geschlossene Dinger, die sich erst durch den Produzenten schließen.
MZEE.com: Auf welche Styles darf man sich auf den kommenden Projekten sonst noch freuen?
John Known: Das Album wird auf jeden Fall technisch kaputt machen. Was Flow angeht, mache ich jetzt mal ein neues Level für Deutschland auf. Ich will nicht arrogant klingen oder so, aber ohne Scheiß: Ich fick' die alle. Wenn diese Tracks kommen, dann ist aus. (grinst) Ich hab' da Patterns rausgehauen, Alter. Boah. Ich arbeite ja mit nicht-deutschsprachigen Leuten zusammen. Das heißt, mein Anspruch liegt nicht darin, die geilste Punchline zu kreieren, damit Capi sagt: "Oh mein Gott, ich muss den signen, das ist so ein harter Typ!" – Ich sorge dafür, dass da ein Ami sitzt und sagt: "What the fuck, yo, your flow is chilled, man! Why aren't you doin' this shit in English? You would kill the scene!" Mein Ansatz war immer: Scheiß auf Deutschland, die haben eh nichts drauf. Nur Liebe an die Szene, aber ich hab' niemanden, an dem ich mich orientiere, was meine Technik oder so angeht. Es waren damals Morlockk Dilemma und V-Mann – V-Mann, nicht Hiob – die mir den größten Input gegeben haben, aber da war ich 16. Das war der letzte große Input, den ich von Deutschrap bekommen habe und das waren auch nur Stakkato-Patterns. Seitdem hat Deutschland keinerlei Einfluss mehr auf mich, was Musik angeht. Das heißt, du kannst auf der nächsten Platte von mir internationalen Flavour erwarten.
MZEE.com: Auf dem Intro von "Du weißt" wird auch Folgendes über dich gesagt: "Das ist kein Deutschrap mehr. Das ist amerikanischer Rap mit deutscher Sprache." – Ist die Differenzierung von amerikanischem und deutschem Rap für dich eine Frage der Innovation oder worin siehst du den Unterschied?
John Known: Amerikanischer Rap bedeutet für mich Vibe. Wenn ich hier mit den Jungs rede, dann geht es um den Vibe. Es ist scheißegal, worüber du redest. Deutschland hat beispielsweise keine Stripclub-Kultur. Die deutschen Rapper versuchen, diese Stripclub-Kultur-Mucke in Deutschland zu machen und zu kopieren, aber wir haben diese kulturelle Komponente gar nicht. Es ist in den USA total in der Mittelschicht akzeptiert und deshalb gibt es auch diese Musik. Diese ganze Tyga-Mucke und haste nicht gesehen. Ich finde, in Deutschland versuchen wir krampfhaft, diesen Sound zu imitieren, in den letzten Jahren auch den französischen PNL-Sound und so weiter. Wir haben – für mich gefühlt – keinerlei eigene Kultur und Grundlage, um irgendwie eigenständige Mucke zu machen. Und deswegen orientieren wir uns immer irgendwo anders und um uns herum. Ich bin aufgewachsen mit einem Journalisten als Vater und Goethe und Schiller als alte, deutsche Dichtkunst. Ich habe den kulturellen Hintergrund von deutscher Dichtkunst, weißt du? Ich verwende zum Teil auch veraltete Grammatik, die falsch klingt, die aber vor 100 Jahren noch korrekt war. OG Keemo ist auch einer, der das zum Teil macht. Der Unterschied zum Vibe: Die Amis haben hier einfach die dritte oder vierte Generation an Kindern von Musikern. Du hast hier Söhne von Vätern, die Rapper waren, deren Väter Blues-Sänger und deren Väter Jazz-Sänger waren. Das ist eine musikalische DNA, die hier so drin ist, das haben wir in Deutschland nicht. MC Rene hat gerade sein erstes Kind, weißt du, wie ich meine? Das fängt gerade erst an bei uns, während bei denen ein Jaden Smith am Start ist. Wen haben wir denn hier bei uns? Wir haben Jimi Blue Ochsenknecht oder was? (lacht) Bei der "John Doe"-Platte war Kane der Executive Producer, der kommt aus England. Der hat schon mit Ski Mask The Slump God und Juice WRLD gearbeitet und das nicht wegen Fame, sondern weil das echte Künstler sind. Deshalb arbeitet er auch mit mir, weil er sagt, dass ich ein echter Künstler bin. Er versteht nichts, aber ich erkläre ihm, worüber ich spreche. Er kann es nachvollziehen und emotional relaten, findet sich wieder und der Rest passiert mit dem Flow, der Melodie und der Stimme. Das ist mein Fokus, der Text kommt immer.
MZEE.com: Wenn man sich mit dir beschäftigt, merkt man schnell, dass du gerne Musik diggst und viele Inspirationen verarbeitest. Hast du aktuell einen Geheimtipp, der dich besonders inspiriert?
John Known: Allgemein SoundCloud. Ein konkreter Künstler … (überlegt) Das Aminé-Album hat mich sehr geflasht, auch wenn es schon ein bisschen älter ist. Ich kenne Aminé seit über vier Jahren durch SoundCloud. Ich finde es richtig schön, ihn auf ARTE Tracks über seine Mucke reden zu sehen. Ich bin ein SoundCloud-Kid, er ist ein SoundCloud-Kid. Dass er jetzt auf einem Level ist, dass ein Jack Black über ihn spricht, ist schon richtig geil und freut mich sehr. Ansonsten YNG YAJ, der heißt als Produzent Ordinary Youngstar und startet jetzt auch eine eigene Rapkarriere. Er ist superkrass, wirklich sick. Das ist der kleine Bruder von meinem Produzenten, mit dem ich jetzt hier war. Der produziert wie gesagt ebenfalls selber und ist einer meiner Lieblingsproducer. Ich will irgendwann auch eine Session mit ihm machen, aber er wohnt leider noch in Ohio. Seine Musik ist auf jeden Fall einfach was anderes. Ich hab' auch einen kleinen, privaten Digg-Account – "Gin & Gems" heißt der – und wenn man sich für meine Einflüsse interessiert, geht man einfach auf diese Seite und sieht knapp 6 500 gelikte Songs und 5 000 oder 6 000 gerepostete Tracks. Das sind alles Einflüsse von mir – alles Zeug, was ich pumpe und wodurch meine Mucke kreiert wird. Wie du schon gesagt hast, ich bin seit Ewigkeiten DJ und dadurch ist das passiert. Ich hab' lange House aufgelegt und immer mehr B-Seiten mit geilen Remixen und so weiter gesammelt. Als ich dann wieder angefangen habe zu rappen, ist das alles ineinander verschwommen. Dass ich jetzt von Lege Kale produziert werde und mit ihm Mucke mache, ist einfach so ein Traum. Vor zwei Jahren habe ich noch seine Musik im Club gespielt. Tausend Dank an Instagram, dass ich verified bin. Die Leute sehen meinen blauen Haken und antworten sogar, das ist in Amerika wirklich ein Ding. In den USA ist Social Media noch mal viel relevanter als in Deutschland. Digga, kennst du AYLEK$, die Ex von Trippie Redd? Sie hat über 1,4 Million Follower auf Instagram. Ich habe sie angeschrieben und meinte, dass ich im Studio bin und sie vorbeikommen könne. Sie hat geantwortet! Auch wenn es dann zu nichts gekommen ist: Wir hatten eine Konversation, Digga! Nur, weil ich einen blauen Haken habe. Das ist ein Äquivalent für locker 80 000 Follower.
MZEE.com: Du hast eben erwähnt, dass du durch deinen Vater schon im frühen Kindesalter an Gedichte herangeführt wurdest, was letztlich ein wichtiger Einfluss für dein heutiges Schaffen war. Zum Abschluss würde ich gerne von dir wissen, was du einem Kind in diesem Alter mit auf den Weg geben würdest.
John Known: Menschlichkeit. Menschlichkeit und das Bewusstsein für seine Umgebung. Dem Kind nicht den Druck auf die Schultern legen, die ganze Welt verändern zu müssen, sondern es unterstützen, einen gesunden Verstand aufzubauen und für seine Umgebung das Beste zu tun. Also der beste Mensch zu sein, der man für seine Umgebung sein kann. Nicht für den Planeten insgesamt, das ist meiner Meinung nach einfach nicht möglich. Es macht den Menschen nur verrückt, die Probleme der ganzen Welt anzugehen. Lieber das eigene Ding machen und sich selbst nicht vergessen. Ganz viele machen ihr Glück von anderen Menschen abhängig. Auch die ganze Jugend, die sich mit irgendwelchen Painkillern, Xanax und so weiter zudröhnt, um irgendwelchen Issues zu entkommen. Das ist genau der falsche Weg. Der Kopf plagt, weil sie denken, eine Million Geschichten regeln zu müssen, obwohl es eigentlich gar nicht relevant ist. Ich würde einem Kind mitgeben, den Blick auf das Wesentliche nicht zu verlieren und sich nicht verrückt zu machen. Und Fantasie! Ich würde einem Kind Fantasie geben. Ich verachte Helikopter-Eltern, ganz ehrlich. Ich würde mein Kind impfen lassen, einfach aus dem Grund, weil unsere Welt an dem Punkt angekommen ist, an dem es notwendig ist, geimpft zu werden. Ist vielleicht scheiße, aber wenn du dein Kind nicht impfen lässt, macht das die Welt nicht anders und Masern gehen dadurch auch nicht weg. (lacht) Ich würde mein Kind gerne im Dreck spielen lassen, es sich auch einen Arm brechen lassen. Einfach nur damit es weiß, wie man einen Nagel ins Brett haut, wenn es dann irgendwann von zu Hause auszieht. Das würde ich einem Kind mitgeben wollen.
(Jens Paepke)
(Fotos: Bruce Thompson)