Die Stadt Witten fliegt im Ruhrgebiet schon immer etwas unter dem Radar. Im Gegensatz zu den großen Nachbarstädten Dortmund und Bochum gibt es hier keinen strahlenden Fußballverein, keinen Flughafen und keine ikonische Hymne von Herbert Grönemeyer. Diese Außenseiterrolle nehmen Witten Untouchable gerne an: Vor sechs Jahren setzten Lakmann, AL Kareem und Mess ihre Heimat mit einem lauten "Aaaah!" auf die deutsche Rap-Karte. Statt aktueller Trends und melodiöser Hooks bieten die drei "Ausnahmetalente" auch auf ihrem vor Kurzem erschienenen dritten Album "Trinity" jahrelang perfektioniertes Rap-Handwerk sowie ehrliche und ungeschönte Geschichten aus dem eigenen Leben. Dazu kommt weiterhin die maßgeschneiderte Instrumentierung von Hausproduzent Rooq. Im Interview sprachen wir mit Lakmann und AL Kareem über die neue Platte, die Bedeutung von musikalischer Identität, ihre eigene künstlerische Weiterentwicklung und die Connection zum IMMER.READY-Kollektiv aus Berlin.
MZEE.com: Eure Ruhrpott-Verwurzelung ist ein wichtiger Bestandteil von Witten Untouchable. Wenn ihr den Ruhrpott in drei Worten beschreiben müsstet, welche wären das?
Lakmann: Hart, ungerecht und düster. (lacht)
AL Kareem: Dreckig, grau … und Heimat natürlich, um auch mal was Positives zu sagen.
MZEE.com: Habt ihr eine Hassliebe zum Ruhrgebiet?
Lakmann: Nee. Es ist mehr Liebe als Hass. Solche Fragen sind bei uns auch immer vom Gefühl und der Momentaufnahme abhängig. Wenn man einen schönen Tag hatte und einem die Sonne aus dem Arsch scheint, sagt man "Verbundenheit, Vertrauen und Heimat". Wenn man gerade zwischen Tür und Angel steht, sagt man "dunkel, schmutzig und grau".
MZEE.com: Als erstes Wort hast du "hart" genannt. Was macht die Ruhrpott-Härte aus?
Lakmann: Die Arbeitermentalität. Die Beton-Plätze, das wenige Grün, das wir haben, die schlimmen, frechen Autofahrer, der Streit mit der Nachbarschaft, die Pommesbuden-Klischees – das gehört alles dazu.
MZEE.com: Und wofür steht "düster"?
Lakmann: Für den grauen Alltag im Pott. Für verdunkelte, klischeehafte Hochöfen, die den Himmel verdunkeln. Das ist ein Bild aus meiner Jugend, das gibt's eben tatsächlich.
AL Kareem: Es ist ja auch ein bisschen grau zurzeit. Es geht immer darum, wie man sich gerade fühlt. Ich hätte auch noch schlimmere Worte sagen können. Das war das Positivste, das mir eingefallen ist.
MZEE.com: Findet sich dieser Ruhrpott aus eurer Sicht im Sound der aktuellen Platte wieder?
Lakmann: Eher nicht. Von der musikalischen Seite ist es bis jetzt unser chilligstes Album, das wahrscheinlich angenehmste, souligste und melodiöseste. Vielleicht erkennt man da die Weiterentwicklung. Wir picken die Beats ja auch teilweise nach Momentaufnahmen und einem bestimmten Feeling. Es geht immer darum, dieses Gefühl zu konservieren und auf einem Track zu verewigen. Vor dem Hintergrund ist es im Vergleich zu den anderen Alben und dem Bild vom Ruhrpott, das wir gerade gezeichnet haben, die chilligste Platte geworden. Und auch die erwachsenste.
MZEE.com: Das habe ich ähnlich wahrgenommen. Neben den ernsten, nachdenklichen Songs, die sich auch dieses Mal finden, gibt es einige Tracks, die nach vorne gehen und positiv sind – beispielsweise "Bin immer dran" oder auch "Weed geschenkt".
Lakmann: Bei "Weed geschenkt" sehe ich das auch so. "Bin immer dran" war für mich immer ein Live-Song. Den kann man auf jeden Fall als Partynummer bezeichnen.
MZEE.com: In dem Song geht es ja darum, sich immer weiter zu steigern.
Lakmann: In einem 16er werden bei uns häufig mehrere Themen behandelt. Der Konsens wird da vielleicht eher im Beat oder der Hook gefunden – die transportieren dann ein positives Feeling und bieten einen Kontrapunkt zu den depressiven, düsteren Sachen. Trotzdem kann jeder von uns in seinem Part zwei oder drei Lines haben, die den alltäglichen Hustle in einen melancholischen Kontext setzen. Das macht das Zusammenspiel aus und ist vielschichtiger als nur auf einen Happy-Beat Happy-Lyrics zu rappen.
MZEE.com: Kann man diesen selbstbewussteren, erwachseneren Vibe auf eure aktuelle Situation zurückführen? Seid ihr in einer angenehmeren Position als beispielsweise bei der ersten Witten Untouchable-Platte?
AL Kareem: Man lernt, immer besser damit umzugehen, was man hat oder was einem scheinbar zusteht und arrangiert sich mit der Situation. Es war allgemein einfach unser Ziel, eine Platte zu machen, die etwas souliger ist. Sowohl von den Beats als auch von den Themen her. Es wurde uns häufig angekreidet, dass sich unser Themenspektrum viel auf das Meckern beschränkt, gerade auf Rap und die Szene bezogen. Ich denke, wir sind gedanklich alle etwas weiter als vor fünf Jahren. Das Album knüpft an Songs wie "Das hier ist mein Leben" an. Natürlich hast du die düsteren Nummern wie "Fremd im Revier" oder "Tagaus, Tagein". "Zum Glück" oder "Für immer hier" bieten den positiven Gegenpol. Im Unterton hörst du zwar immer, dass es die gleichen Leute mit den gleichen Problemen sind, aber wir gehen erwachsener damit um. Wir wollten unsere Persönlichkeit, die sich entwickelt hat, in den Texten wiedergeben. Und nicht wieder ein Album machen, auf dem wir nur schimpfen, weil wir Witten Untouchable sind.
Lakmann: Das kann ich so unterschreiben, aber ich möchte noch eine Sache hinzufügen: Es könnte natürlich immer besser laufen. Für drei Leute in einer Band und einen Producer müsste noch viel mehr gehen. Natürlich haben wir eine treue Fanbase, die vorbestellt und die Platten erwartet. Aber beispielsweise beim Booking merkst du, wie du die Veranstalter jedes Mal von vorne anschreiben musst. Sicher gibt es vier, fünf Leute, die dich immer buchen. Aber während der Organisation, bei Videodrehs oder wenn du eine Platte in den Laden stellen willst, ist es bei Gruppen, die auch außerhalb der Szene eben nicht so einen Durchbruch haben, immer wie ein Anfang von Null. Das kotzt einen als Band auch an. Hätten wir noch ein Jahr gewartet, hätten die Leute ja schon wieder von einem Comeback geredet. Das wirkt dann so, als würden wir nichts gebacken kriegen. Wenn du drei Jahre nichts releast, denken die Leute, du wärst weg vom Fenster. Das ist total Banane und falsch. Natürlich hofft man, dass man auf Erfolgen aufbauen und mit der Zeit auch mehr Platten verkaufen kann, aber möglicherweise spricht man eben immer nur eine gewisse Schnittmenge an Leuten an. Diese Steigerung gelingt vielleicht anderen Acts besser, die eben auch vieles bedienen, das wir nicht abdecken.
MZEE.com: Viele Hörer sind gerade eher daran gewöhnt, dass alle zwei Tage ein neuer Track kommt als alle zwei Jahre ein Album.
Lakmann: Wir müssen uns fragen, ob das richtig ist, nur weil es alle machen. Eigentlich ist es inflationär – wie Fast Food. Und Fast Food ist auf Dauer nicht gesund. Vielleicht ist es auf Dauer auch für den Künstler nicht gesund, jeden zweiten Tag einen Song zu releasen. Vielleicht fällst du nach einem gewissen Hype, der dich in die Top drei gebracht hat, auch wieder herunter … Wobei das natürlich immer noch ein sanfteres Fallen ist wie bei einem Untergrund-Künstler. Wenn du diesen Status einmal erreicht hast, fällst du nicht unter eine bestimmte Stufe und verkaufst immer deine 20 000, 30 000 Scheiben oder hast im entsprechenden Sinne die Streams. Die Mechanismen in der Szene und in der Industrie sind nicht konstant mit den Werten von HipHop vereinbar und deckungsgleich. Die richten sich nach der Schnelllebigkeit in der Gesellschaft und danach, was gerade angesagt ist. Früher waren es CDs und mp3s, jetzt sind es halt Downloads und Spotify. Die bedienen das komplett und richten sich nach deren Formeln. Aber nach Werten wie Langlebigkeit schaut niemand. Wären die Industrie-Mechanismen konstanter, beispielsweise nach den HipHop-Werten ausgerichtet, hätte man immer eine gewisse Diversität und verschiedene, gleichberechtigt nebeneinander stehende Acts in der Szene. Weil es nicht so ist, gibt es ja so viele Rapper, die das machen, was der aktuelle Trend vorgibt. Wie viele Künstler kennst du, die keine eigene Handschrift haben? Die gehen von Gangsterrap über Conscious Rap über Trap zu MC Fitti und wieder zurück. Deren Style ist es, das mitzureiten, was gerade am erfolgreichsten ist.
MZEE.com: Kommen wir zurück zu eurer Platte: Ihr habt euren Stil durchaus weiterentwickelt und auch moderner klingen lassen, während ihr euch gleichzeitig treu geblieben seid. Denkt ihr, dass jüngere Hörer, die beispielsweise Kareem aus dem IMMER.READY-Umfeld kennen, so an dieses Subgenre von Rap herangeführt werden könnten?
AL Kareem: Danke erst mal, das sehe ich auch so. Ich habe sowieso das Gefühl, dass die jüngeren Hörer viel eher bereit sind, auch älteren Rap zu hören und in der Vergangenheit zu graben, als die älteren Hörer dazu bereit sind, einen neuen Witten Untouchable-Sound zu hören. Ich merke das auch an dem Feedback von Leuten, die eigentlich nur meine Solo-Sachen kennen. Die sind voll hyped auf die Witten Untouchable-Sachen und geben sich das. Ich konnte die mitnehmen. Andersherum hatte ich das Gefühl, dass einige eher wollten, dass ich "mal wieder sowas wie früher" machen solle … Das muss aber nicht der Realität entsprechen, vielleicht waren das auch nur fünf Kommentare oder so. Viele Jüngere haben einfach viel mehr Bock auf Musik und wollen alles hören.
Lakmann: Das muss man ja auch relativieren. Wenn du 16 Jahre alt bist, ist Musik von früher etwas, das du mit 14 gehört hast. Ich hätte die Engstirnigkeit und die Scheuklappen fifty-fifty auf die ältere und die neuere Generation verteilt. Das Problem dabei ist, dass die ältere Generation auf ein Zehn-Jahres-Spektrum zurückguckt … Da sind die Jüngeren halt sechs Jahre alt gewesen. Das kann man nur schlecht in Verbindung setzen. Die verschiedenen Arten von Musik zu vergleichen, finde ich auch eher falsch. Allerdings ist es natürlich möglich, die alten Werte mit modernerer Musik zu vermitteln. Du kriegst bei uns immer Bars, Bars, Bars – drei Rapper, die mit 'ner Menge Lyrics ankommen. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal unserer Crew. Dazu kommt noch die Instrumentierung von Rooq, die die Musik auch nur schwer mit unseren jeweiligen Solo-Releases vergleichbar macht. Diese Gruppe ist mehr als die Summe ihrer Einzelteile. Du kannst nicht sagen, dass du eine Portion vom Mess-Album, eine vom Kareem-Album und eine vom Lakmann-Album nimmst und das Ergebnis wie Untouchable klingt. Es beginnt immer mit dem Beat von Rooq, den wir zu dritt bearbeiten. Wir überlegen uns nie ohne den Beat, jetzt mal einen Themensong über Dachziegel zu machen. (lacht) Wir versuchen immer, uns auf das musikalische Gerüst von Rooq einzustimmen. Dadurch bewegen wir uns auch unabhängig von irgendwelchen Szenehypes und finden eher in unserem eigenen Mikrokosmos statt. Vielleicht ist es auch nicht so vorteilhaft, auf jeden Zug aufzuspringen, nur weil er vermeintlich erfolgreich ist. Viele Leute träumen ja davon, ein Klassiker-Album zu machen – mit einem Produzenten, der dir den Sound auf deine Person maßschneidert und so weiter. Wenn man diesen eigenen Sound einmal gefunden und erreicht hat, ist es doch eigentlich falsch, diesen stiefmütterlich zu behandeln. Wenn du beispielsweise Eminem als Negativbeispiel nimmst: Wenn ich einmal wie Eminem klinge, warum probiere ich dann nicht einfach, das zu konservieren und mich trotzdem noch neu zu erfinden? Oder wenn ich einmal wie 50 Cent klinge, wieso probiere ich nicht auf diese Art, andere Sachen zu machen? Es geht darum, eine musikalische Identität zu finden. Wenn du die einmal hast, bist du viel gelassener und auch experimentierfreudiger. Du kannst mehr ausprobieren, ohne dass es heißt, dass du die Seiten wechseln, auf Züge aufspringen und Hypes jagen würdest. Das machen eher Leute, die ihre Identität noch nicht gefunden haben.
MZEE.com: Da ihr eben "Das hier ist mein Leben" vom Vorgängeralbum angesprochen habt: Das ist auch der Song, den ich von der Platte noch am häufigsten höre. Der fällt ein bisschen raus, läuft viel über den Vibe und funktioniert auch live extrem gut.
AL Kareem: Das ist das Geile, Mann. Das hat uns ein gutes Gefühl für diese Art von Rhythm und Musik gegeben. Ich denke, dass auch einige Songs vom neuen Album uns andere Live-Momente bescheren werden. So entwickeln wir uns durch die Alben auch auf der Bühne weiter. Dadurch merken wir, dass wir mit der richtigen Geschwindigkeit auf der richtigen Route unterwegs sind. Wir probieren gerade auch, in unserem Live-Programm die richtige Mischung aus den drei Platten zu schaffen. Zum Glück müssen wir nur noch gucken, welche neuen Songs wir dazu packen. Der Katalog, den wir schon haben, knallt live immer und kommt krass an – egal, ob wir vor 100, 400 oder 5 000 Leuten spielen.
Lakmann: "Das hier ist mein Leben" stellte echt einen Wendepunkt dar. Wir haben gemerkt, dass das funktioniert und wollten davon noch mehr haben. Es war der erste etwas modernere, experimentierfreudigere Song und wir waren alle endglücklich, als der live gezündet hat. Es gibt nichts Schlimmeres, als einen fetten Song im Studio zu machen, es aber live nicht gebacken zu bekommen, dass der Funke überspringt. Das ist für mich eine Horrorvorstellung und ich hoffe, dass das bei den neuen Songs gar nicht der Fall ist.
MZEE.com: "Das hier ist mein Leben" ist ja der letzte Song auf "Republic of Untouchable". Auch von eurem ersten Album habe ich das Outro "Aeon" als den Song im Gedächtnis, den ich am häufigsten und sehr gerne gehört habe. Ich finde, es gibt einer Platte total viel, wenn das Outro ein besonderer Song ist, der sie abrundet.
Lakmann: Wenn es eine Gemeinsamkeit in der Konzipierung unserer Alben gibt, ist es auf jeden Fall so, dass wir bewusst ein Outro wählen. Wir nehmen da jetzt nicht irgendeinen Battlerap- oder Livesong. Es gibt immer diesen abschließenden, alles umfassenden Schluss-Track. Und genau diese Songs haben über die Jahre auch die Livekonzerte überlebt. Du merkst ja, welche Tracks live nicht so gut ankommen, anstrengend zu performen sind oder nur im Studio funktionieren … Die Outros spielen wir immer noch. Meistens hauen wir die direkt nacheinander raus.
AL Kareem: Wir haben bei jeder Show zwei Outros. Ab jetzt sind's drei. (lacht)
Lakmann: Wir stehen eben in dieser Tradition und müssen auch überlegen, wie wir das dritte Outro jetzt in unser Programm einbetten. Die Songs sind uns wichtig geworden. Natürlich vor allem – wie vorhin bereits gesagt – "Das hier ist mein Leben", weil das für uns eine ganz neue Art von Song war, die wir so vorher noch nie gemacht haben. Da haben wir mit der Erwartungshaltung gebrochen und es ist angekommen. Und darüber sind wir echt glücklich.
AL Kareem: Ich bin gespannt, ob das neue Outro der letzte Song der Show wird. "Das hier ist mein Leben" ist schon immer ein sehr grandioses Finale. Vielleicht betten wir den auch zwischendurch ein.
Lakmann: Der hat ja auch Cuts in der Hook, das ist eher so ein chilliger Moment für die Crowd.
MZEE.com: Ihr bleibt bisher als Witten Untouchable bewusst unter euch. Gab es beispielsweise durch die Connection über Kareem schon mal Überlegungen, mit den IMMER.READY-Leuten oder zumindest morten zu arbeiten?
Lakmann: Erst mal wollen wir uns natürlich immer weiterentwickeln. Stillstand ist der Tod für einen Künstler. Man muss nur miteinander vereinbaren, sich weiterzuentwickeln und sich gleichzeitig treu zu bleiben. Das ist die große Kunst des Erwachsenwerdens in der Musik, das kann ich dir nach 20 Jahren auf jeden Fall sagen. Darauf kann man im Endeffekt alles reduzieren und zurückführen. Wenn du auf eine musikalische Karriere schaust, muss an erster Stelle stehen: "Keep it real." Sich selbst treu zu bleiben und sich weiterzuentwickeln, ohne den "Keep it real"-Gedanken im Hinterkopf zu haben – egal, wie der konkret für jemanden aussieht oder wie jeder den für sich definiert – ist nur das Weiterentwickeln einer Rolle, quasi einer anderen Figur. Und da ist Stillstand der Tod. Stell dir vor, ich würde vier Alben machen, die alle gleich klingen. Mit den gleichen Mustern, den gleichen Beats und der gleichen Erzählweise. Ich glaube, bei Untouchable merkt man eine ganz klare Weiterentwicklung vom ersten zum dritten Album. Die Entwicklung vom zweiten zum dritten Album lässt sich vielleicht noch besser verfolgen und nachvollziehen, weil die zeitlich näher aneinander sind. Wenn wir es als Gruppe schaffen, immer wieder Scheiben zu veröffentlichen, die anders klingen als die davor, bin ich mit meiner kreativen Karriere eigentlich hochzufrieden. Mehr kannst du nicht erwarten. Ich weiß, dass wir uns darin treu bleiben, mit wem wir Musik machen und wie wir das tun. Rooq kann uns jeden Beat schicken, den er will. Wenn wir darauf zünden und es schaffen, einen geilen Track daraus zu machen, erfüllen wir schon zwei Kriterien für das Untouchable-Gerüst: den Rooq-Beat und drei Parts von uns. Somit haben wir eine große Spielwiese, auf der wir uns frei entfalten können. Wir müssen uns nicht nach Boom bap anhören, aber auch nicht nach dem neuesten Trend, Mumble Crumble, was auch immer da jetzt kommen mag. Wir können immer von allem losgelöst und befreit arbeiten. Und vielleicht hat man Glück und erschafft einen eigenen Trend. Das ist ja auch nicht verkehrt. Stell dir vor, wir würden so einen Witten Untouchable-Vorzeigesong machen, der voll durch die Decke geht. Dann würden auf einmal alle Beats von Rooq haben wollen. Das ist ja dann immer der Fall. Leute kämen zusammen, die Songs nach dem gleichen Schema machen würden – mehrere Rapper, jeder 16 Bars, zwei Hooks und am Ende irgendein Outro. Unsere eigene Schablone füllen wir in dem Sinn immer besser aus.
AL Kareem: Wir sind einfach näher an uns selbst dran, an unseren Personen und Charakteren. Die Musik wird immer realitätsgetreuer, es sind weniger Fiktion und imaginäre Szenarien.
Lakmann: Und dadurch, dass wir uns selbst treu bleiben, sind wir vielleicht nicht die obererfolgreichsten, aber auch nicht so sehr von Trends und Hypes abhängig, genauso wenig wie von irgendwelchen Featurekonstellationen. Wie viele Leute featuren sich gegenseitig, damit sie immer präsent und in aller Munde bleiben? Sobald der Nächste mit einer Top Ten-Single rauskommt, ruft das Management da an und fragt, ob man mal was gemeinsam machen könnte. Versteh mich nicht falsch, das ist total wertfrei gemeint. Jeder Manager und jedes Label würde sich so einen Act wünschen. Aber ich weiß nicht, wie lange sowas funktioniert.
AL Kareem: Um auf deine Frage nach Kooperationen mit den IMMER.READY-Jungs zurückzukommen: Ich kann dir auf jeden Fall sagen, dass morten da richtig Bock drauf hat. Der fragt mich voll oft nach A cappellas und will Remixe machen, ich werd' ihm da auch welche zukommen lassen. Es gibt nur das Problem, dass ich der schlechteste Weiterleiter in diesem Camp bin. (lacht) Die haben auf jeden Fall Bock. Es ist nur allgemein inzwischen so, dass keine anderen Musiker wirklich in diesen Film reinpassen, wenn wir ein Witten Untouchable-Album machen. Wir suchen ja nach nichts, das in der Musik irgendwie fehlen würde. Die ist so, wie sie ist, einfach komplett. Deswegen hörst du da keine anderen Produzenten oder Rapper.
Lakmann: Wir sind ohne Features schon sehr lyriclastig mit drei Rappern mit je 16 Bars. Da ist ein Feature auf einem Album vielleicht zu viel. Aber einzelne Songs und Projekte haben wir ja schon gemacht. Wir machen seit "Vier gewinnt" mit Marvin Game Musik. Wie viele Features hat Kareem da angeschleppt … Wenn Mess dabei gewesen wäre, wäre es ja jedes Mal die komplette Untouchable-Besetzung gewesen. Auf dem "Kiffer"-Remix von Marvin waren wir auch vertreten.
AL Kareem: Laki war auch auf dem "d.m.t."-Album von morten.
Lakmann: Wir haben die immer supportet, seit Tag eins. Ich kann mich noch daran erinnern, als Kareem mit denen in Witten aufgetaucht ist.
AL Kareem: Baba Music war auf unserer ersten Release-Party am Start.
Lakmann: Da war noch gar nicht abzusehen, wie beispielsweise Marvin heute klingt. Der ist ja noch jung und wird sich in fünf Jahren noch mal anders anhören.
AL Kareem: Wenn wir auf Tour oder in Berlin sind, sieht man sich immer. Da ist auf jeden Fall eine Connection am Start. Aber noch viel eher auf einer persönlichen und menschlichen Ebene als auf der musikalischen. Das können wir über viele Leute sagen. Es wäre mit Musikern in ganz Deutschland möglich, Mucke zu machen, egal ob Underground oder Mainstream. Auf Lakis nächstem Solo-Projekt wird in der Hinsicht sehr viel los sein, da freu' ich mich mega drauf, auch einfach als Lakmann-Fan. Das wird aus dem Raster fallen.
MZEE.com: Zum Abschluss würde ich gerne noch Folgendes von euch wissen: Was ist eure jeweilige Lieblingsline auf der neuen Platte?
Lakmann: Das entwickelt sich bei uns eigentlich immer erst. So zwei Monate nach Release, wenn wir geprobt und Auftritte gespielt haben, blicken wir zurück, welche Songs und welche Lines live am besten gezündet oder nachhaltig Eindruck hinterlassen haben. Natürlich hat man so seine Favourites, aber welche Line wirklich überdauert und in den Köpfen bleibt, ist die Frage. Dafür brauchst du auch das ehrliche Feedback von den Leuten. Von daher hab' ich noch keine Lieblingsline und bin gespannt darauf, welche sich auf Tour herauskristallisieren wird.
AL Kareem: Ich hab' eine Lieblingsline von dir. (grinst) "Zu viel zum Sterben und zu wenig zum Leben", die finde ich superkrass.
Lakmann: Das ist nicht mal meine Original-Line. Schulz Nice hat mal irgendwann gesagt: "Was wir hier machen, das Booking, der Hustle, das, was mit der Musik so reinkommt … Das ist zu viel zum Sterben und zu wenig zum Leben." – Das musste ich rappen, ich fand das auch oberkrass. Er hat das gar nicht verstanden, das war einfach Realtalk von ihm. Wir waren mitten im Albumprozess und hatten uns ein Auftrittsverbot auferlegt. Da ist natürlich wenig Money reingekommen. Da merkst du, dass es gerade so zum Überleben reicht. Die Line bedeutet mir viel, da hat Schulz den Nagel auf den Kopf getroffen.
AL Kareem: Schulzi-Credits! Find' ich superkrass.
(Alexander Hollenhorst)
(Foto: ziryshots)