"Kein Etepetete auf WTG-Feten!" – Was Waving The Guns schon auf ihrem letzten Album ankündigten, kann man aktuell eindrucksvoll live erleben. Denn gemeinsam mit Pöbel MC sind sie gerade auf deutschlandweiter Tour, um den Fans das Kollabo-Album "Soli-Inkasso" von Pöbel und WTG-Mitglied Milli Dance zu präsentieren. Dabei liefern der Rostocker und der Berliner genau das ab, was man von ihnen erwartet: politischen wie kompromisslosen Battlerap und vor allem die lautstarke Vertretung der eigenen Meinung. In einem der wenigen stillen Momente während der Tour konnten wir Milli Dance und Pöbel MC aber nicht nur zur Entstehung ihrer Platte, sondern auch zum Umgang mit Kritik und der Kritik an anderen sowie der voranschreitenden, staatlichen Überwachung befragen.
MZEE.com: Vor sechs Jahren habt ihr noch Free EPs angeboten und als Support Acts gespielt, heute reden wir von Plattenreleases, eigenen Touren und Labeldeals – man könnte euch fast unterstellen, professionelle Musiker zu sein. War das von Beginn an euer Ziel?
Milli Dance: Nö. Also, ich glaube, die Intention hatten wir nicht direkt. Wir wollten einfach hin und wieder mal Konzerte spielen. Das war auch keine direkte Voraussetzung, aber wir haben uns gesagt, es wäre wünschenswert, wenn Leute wegen uns regelmäßig zu Konzerten kommen. Das war irgendwann ein Ziel und ein großer Wunsch. Und das ist dann auch passiert.
MZEE.com: Pöbel MC, du hast vor Kurzem bekannt gegeben, dass dein Booking nun über Audiolith laufen wird. Heißt das, du wirst jetzt noch öfter als die ohnehin gefühlten 50 Mal im letzten Jahr auf der Bühne stehen?
Pöbel MC: Ja, Audiolith Booking beteiligt sich jetzt glücklicherweise an der Organisation meiner Auftritte und nimmt mir so einiges an zeitraubender nicht-musikalischer Arbeit ab, die aber trotzdem fürs ambitioniertere Musikmachen recht wichtig ist. Ziel dieser Zusammenarbeit ist also vor allem, mehr Zeit fürs Wesentliche zu schaffen und ansonsten Auftritte besser zu strukturieren oder mal 'ne zusammenhängende Tour zu organisieren. So nimmt nicht unbedingt die Quantität, aber die Qualität der Auftritte zu – vorausgesetzt, ich und DJ Flexscheibe feuern anständig, aber das scheint bisher immer so gewesen zu sein, behaupten zumindest andere.
MZEE.com: WTG und Pöbel waren ja quasi von Anfang an gegenseitige Wegbegleiter, dennoch ist ein gemeinsames Album noch mal ein deutlich größerer Schritt. Wie kam es dazu, dass ihr ihn jetzt gewagt habt?
Pöbel MC: WTG haben, glaube ich, 2012 mit dem Basteln angefangen. Recht unabhängig davon war ich wohl so Anfang 2015 der Meinung, ich müsste meiner Rap-Affinität mal mehr Ausdruck verleihen. (lacht) Meine Homes von WTG haben's gefeiert, sodass es zu einigen gemeinsamen Auftritten kam, die uns vor allem noch mehr Bock darauf gemacht haben, unsere musikalische Entwicklung voranzutreiben und auch die Zusammenarbeit auszubauen. Milli hatte dann die Idee, eine gemeinsame, kleinere Kollabo-EP zu machen. Im letzten Jahr hat sich das konkretisiert. Ich war gerade mit meinem ersten kleinen Release "Personality Trainer" durch, WTG hatten "Eine Hand bricht die andere" rausgebracht. Dadurch standen uns dann auch wieder etwas mehr Zeit und Möglichkeiten zur Verfügung, um dem Projekt nachzugehen.
MZEE.com: Die Platte beinhaltet von Boom bap-Sound bis zu Cloud- und Trapzitaten auf "Sososo" oder "Robomop" so einiges. War es eine bewusste Entscheidung, auf eine beattechnische Stringenz zu verzichten?
Milli Dance: Also, in meiner Erinnerung ist "Robomop" so entstanden, dass wir gemeinsam auf einer Party waren, wo eklige Mucke lief. Wir hatten schon ziemlich einen sitzen, worauf wir dann bei der Aufnahmesession in Berlin sagten, sowas machen wir jetzt einfach auch. (lacht) Und bei "Sososo" hatten wir das, glaube ich, gar nicht geplant. Aber wir haben den Beat von Platzpatron einfach so gefeiert, dass wir Bock hatten, das mal zu machen. Das war jetzt also keine bewusste Strukturierung oder die Frage, wie wir mit Erwartungen brechen. Wir hatten einfach Bock drauf.
Pöbel MC: Ja, ich glaube auch. Die Parts von "Sososo" waren erst auf einem ganz anderen Beat geplant, aber dann hat uns das nicht so gepasst und wir haben einfach irgendwie rumexperimentiert. Die titelgebende Hook kam erst auf dem trappigen Beat von Platzpatron hinzu. Und bei "Robomob" war die initiale Idee, einen derartig gelagerten Track zu machen, schon in diesem Partykontext geboren, aber die tatsächliche Umsetzung war dann einfach eine Verkettung von Zufällen. Ich habe halt immer mal wieder ein bisschen an Beats gebaut und ab und an kam dabei auch was raus, was mir gefallen hat. Dann habe ich gedacht, vielleicht kriegt man das irgendwie da drauf, weil es eigentlich einen ganz coolen Vibe hatte. Aber letztlich war es nicht die Intention, irgendwie aus diesem Boom bap-Raster auszubrechen.
MZEE.com: Warum habt ihr euch denn dagegen entschieden, mit einem einzelnen Producer zusammenzuarbeiten, damit das Ganze vielleicht mehr "wie aus einem Guss" klingt?
Pöbel MC: Im Falle von "Soli-Inkasso" haben die Leute, die da Beats beigesteuert haben, nicht zielgerichtet für dieses Release produziert. Das sind einfach Atzen von uns, die ab und an bisschen was hin und her schicken. Dann habe ich Sachen von den Produzenten bei mir rumliegen gehabt und die haben wir verwendet, um darauf ein bisschen was auszuprobieren. Anschließend kommuniziert man ein bisschen: "Ey, wir hätten da jetzt Verwendung für den Beat, den du mir vor Längerem mal geschickt hattest. Können wir den dafür picken?" Bei ein, zwei Beats von Tito Tentaculo – einem anderen Atzen von mir – hatten wir zum Beispiel ein bisschen Pech, sodass die schon anderweitig vergeben waren. Bei vielen anderen sehr guten Beats ging's allerdings klar, was uns natürlich einige Möglichkeiten eröffnet hat, verschiedene Dinge auszuprobieren.
Milli Dance: Wir haben einfach aus einem Beatpool gepickt, weil wir Bock hatten, Raptracks zusammen zu machen. Deswegen finde ich diese Unschlüssigkeit, ob es jetzt ein Album ist oder ein Mixtape, sogar ziemlich passend. Wir legen uns da auch gar nicht wirklich fest. Jeder von uns hat diesbezüglich so ein bisschen seine subjektiven Vorstellungen. Mir ist es mittlerweile einfach egal. (lacht) Ist einfach eine gute Platte geworden, bei der wir Spaß hatten. Und ich glaube auch, dass diese sieben Leute – inklusive Pöbel –, die Beats beigesteuert haben, so ein wenig diesen Prozess wiedergeben, einfach was zu machen, ganz unverkrampft. Und daraus hat sich dann doch etwas sehr Motiviertes ergeben, wie ich finde. Ist ja nicht alles nur hingerotzt. (lacht)
MZEE.com: Nein, ganz im Gegenteil: Die Platte hört sich absolut professionell an. Seid ihr denn auch an die Aufnahmen eher spontan oder doch strukturierter herangegangen?
Pöbel MC: Da musste alles halbwegs strukturiert laufen. Wir haben alles bei mir zu Hause in meiner kleinen selbstgebastelten Booth aufgenommen und da Milli nicht in Berlin wohnt, ist er für diese Sessions halt immer zu mir gekommen. So wussten wir: Wir haben jetzt nur drei Tage Zeit, um so und so viel zu schaffen. Es war also gut, wenn schon einzelne Parts standen und wir dann neun oder zehn Stunden konzentriert an den Sachen arbeiten konnten. Mit dem so generierten Songmaterial haben wir dann direkt noch weitergebastelt beziehungsweise ich habe in Millis Abwesenheit Dinge ausprobiert.
Milli Dance: Diese Arbeitsweise, die ja auch ein bisschen unserer Wohnsituation geschuldet ist, hat aber eben auch hervorgebracht, dass man mal ein paar Tage zusammensaß und das Ganze gemeinsam entwickelt hat. Die andere Variante wäre gewesen, die Sachen hin und her zu schicken, aber so war es einfach gemeinsame Studiozeit. Pöbel hat die meisten Sachen dann auch arrangiert und an der Aufteilung herumgebastelt – und das tut der Platte sehr gut, wie ich finde.
MZEE.com: Inhaltlich bewegt ihr euch in bekannten Gewässern und wartet mit reichlich Gesellschafts- und Szenekritik auf. Würdet ihr sagen, dass das die wichtigsten Grundthematiken der Platte sind?
Milli Dance: Ich find's immer schwer, auf sowas zu antworten und den Prozess im Nachhinein zu analysieren. Ich glaube, niemand von uns hatte Themen, die er unbedingt draufpacken musste. Das sind auch so Grundsatzsachen von WTG wie auch von Pöbel, also zum Beispiel Battlerap und dabei die Frage, was man überhaupt battlet. Aber ansonsten ist das einfach so ein wechselseitiges Hin- und Herspielen von Ideen gewesen ohne ein direktes Ziel oder einen roten Faden.
MZEE.com: Hin und wieder klärt ihr die Frage, was gebattlet wird, ja ganz konkret. In Bezug auf Absztrakkt habt ihr auf "Eine Hand bricht die andere" etwa davon geredet, die Sympathie für einen ehemals guten Rapper mit einer Träne zu Grabe getragen zu haben. Wie geht man eurer Meinung nach am besten damit um, wenn jemand, den man zuvor geschätzt hat, sich derartig äußert?
Milli Dance: In dem Fall ging es ja konkret um Äußerungen von Absztrakkt und die ganze Thematik drum herum. Und das ist dann natürlich eine Auseinandersetzung, in der man vielleicht selbst erst mal noch versucht, Erklärungen dafür zu finden. Aber wie genau das abläuft, dieses "Sympathie zu Grabe tragen", kann ich gar nicht sagen … Das ist einfach ein Prozess, in dem man sagt: Die Äußerung finde ich so schwierig und in eine Kerbe schlagend, in die man nicht schlagen sollte, weil das brandgefährlich und Teil einer gesellschaftlichen Entwicklung ist, die mir große Sorgen bis Angst bereitet. Da muss ich mich dann eben mit auseinandersetzen und dann steht das, was ich für prinzipiell wichtig halte, eben über meiner Wertschätzung dafür, wie geil ein Mensch rappt. Das heißt ja nicht, dass ich mir nicht irgendwelche alten Absztrakkt-Tracks anhören könnte. Natürlich versucht man da eine Distanz zu schaffen, aber ich möchte auch einen ehrlichen Umgang damit und sagen: Ey, so geht das halt nicht. Mir war das auch wichtig, weil ich das Gefühl habe, dass es da vielleicht ein bisschen Diskurs gab, aber solche Sachen letztlich viel zu schnell wieder unter den Tisch fallen. Darum wollte ich dazu etwas sagen und auch die eigenen Schwierigkeiten, damit umzugehen, reflektieren. Aber wie man das genau macht? Also entweder sind Sympathie und Verständnis weg oder nicht.
MZEE.com: Würdest du sagen, dass man sich dennoch alte Absztrakkt-Sachen anhören kann?
Milli Dance: Das muss ja jeder selber wissen. Ich habe davor auch Tracks gefeiert und mich da nicht groß an Sachen gestoßen, wobei ich natürlich nicht die ganze Diskografie kenne. Aber ich fand die Sachen einfach abgefahren. Deswegen würde ich jetzt nicht sagen, dass ich diese Tracks nicht mehr hören kann. Es ist aber eben eine Grundfrage, wie man mit solchen Sachen umgeht. Ich kann trotzdem wertschätzen, dass der früher krasse Sachen geschrieben und krass geflowt hat und Letzteres vielleicht sogar immer noch tut.
MZEE.com: Mir ist vor Kurzem auch wieder das Comedy Bit von Louis C. K. eingefallen, das auf "Eine Hand bricht die andere" Verwendung gefunden hat. Bist du also der Meinung, dass man auch das – trotz der Enthüllungen rund um Louis C.K. in der letzten Zeit – ansehen oder sogar verwenden kann?
Milli Dance: Na ja, auf der Platte sind ja sogar Absztrakkt-Cuts drauf, ne? (lacht) Da ist die Frage natürlich, in welchem Kontext man das verwendet. Ich würde auch das Louis C. K.-Sample noch verwenden. Und ich glaube, dass im Rest von dem, was wir transportieren, klar wird, dass wir beispielsweise der Verhaltensweise von Louis C.K. selber eher ablehnend gegenüberstehen, sich in irgendwelchen Hotelzimmern zu entblößen und sich einen runterzuholen. Also, dem stehe ich kritisch gegenüber. (lacht)
MZEE.com: Viele Leute scheinen ein großes Problem damit zu haben, Künstler, die sie musikalisch gut finden, menschlich zu kritisieren.
Milli Dance: Genau, das glaube ich auch. Das ist ja das, was du gefragt hast: "Wie geht man damit um?" Mir wäre in erster Linie schon wichtig, wenn man anerkennt, dass das etwas ist, womit man sich auseinandersetzen muss. Und wenn man dann so Sachen liest wie: "Lass den in Ruhe, der ist hammergeil", dann kann man sagen: "Klar, der ist hammergeil, aber da hat er halt was Dummes gesagt." Das ist jetzt auch gar nicht auf irgendwen bezogen, sondern ganz generell gesprochen. Ich denke, wenn jemand aus meiner Crew was Dummes sagt, muss ich mich auch damit auseinandersetzen. Und da gibt es eben kein Patentrezept für. Ich denke einfach, dass die aktive Auseinandersetzung damit richtig ist und man am Ende auch jeden Götzen vom Altar stürzen können muss. (lacht)
MZEE.com: Du sagst zur mangelnden Kritik von Fans an Rappern auf "Armutszeugnis", dass diese Hörer höchstens die Turnschuhe der Rapper bemängeln. Kritisieren euch eure Fans genügend? Und wenn, was vor allem?
Milli Dance: Wahrscheinlich nicht. Zumindest nicht immer.
Dr. Damage: (aus dem Hintergrund) Wenn unsere Fans uns kritisieren, dann nur, weil sie uns falsch verstanden haben.
Milli Dance: (lacht) Finde ich eine sehr schwierige Aussage. Da gibt es auch garantiert viele Leute, von denen ich sagen würde, dass sie das einfach zu ernst nehmen oder etwas zu wenig hinterfragen. Das ist zumindest das, was ich beobachte. Aber es ist ganz bestimmt so, dass nicht alle Leute, die zu unseren Konzerten kommen auch immer den vollen Durchblick haben, wie was gemeint ist.
Pöbel MC: Im gewissen Sinne kann man das ja auch gar nicht wirklich einschätzen, weil es da keine repräsentative Plattform für gibt. Wenn man das jetzt auf irgendwelche YouTube-Kommentare bezieht – und das ist, glaube ich, das, was Dr. Damage meint: Die greifen dann zumeist irgendwelche Dinge auf, die zwar in einer Punchline gesagt werden, aber dann in einem anderen Track oder der Punchline danach wieder in einen anderen Zusammenhang gestellt werden. Da greift die Kritik schon allein sachlich nicht. Man bekommt das auch von irgendwelchem Plenar-Gerede um diese oder jene problematische Aufladung mit, die andere Leute wahrnehmen. Da gibt es vielleicht einen berechtigten Ansatz für die gesamte Auseinandersetzung, aber leider findet diese meist ohne die Person, auf die sich die Kritik bezieht, statt. Viele dieser Debatten erscheinen mir etwas undifferenziert oder anderweitig problematisch ideologisch aufgeladen. Im Bezug auf meine Person habe ich das Gefühl, dass ich schon eher wohlwollende Hörer habe, was aber natürlich auch der Art von Musik oder dem Bandbreiten-Charakter von Rap entspricht.
MZEE.com: Vielleicht rühren diese Missverständnisse teilweise auch einfach daher, dass ihr Kritik gerne mit ironischem Unterton anbringt. Würdet ihr denn sagen, dass Ironie als Stilmittel die für eure Inhalte beste Art ist, um sich in der Rapszene mit politischen Themen auseinanderzusetzen?
Milli Dance: Generell ist der Einsatz bestimmter Stilmittel natürlich immer stark kontextabhängig. Bei ironischen Tracks ist dann eben die Frage, ob das jetzt das beste Mittel ist, um das zu transportieren, was ich sagen will. Denn wenn man sich anguckt, wie Leute das aufnehmen, kann man davon ausgehen, dass ein guter Teil es nicht versteht. Und andererseits ist es manchmal wahrscheinlich besser. Also, wenn ich da jetzt zum Beispiel mal an K.I.Z denke und an "Hurra, die Welt geht unter" … Bei anderen Leuten, die dagegen immer sehr ernst und explizit ausdrücken, was sie sagen wollen, ist es künstlerisch halt schnell langweilig. Das ist eben ein starkes Abwägen zwischen Kunstform und der Frage, wen man wie erreichen möchte. Aber am Ende ist es sowieso so: Wenn ich etwas veröffentliche, habe ich keine Kontrolle mehr darüber, was die Leute daraus machen. Und das muss man auch akzeptieren.
Pöbel MC: Aber gleichzeitig finde ich schon, dass es auch Leute gibt, die immer nur ironisieren und übersteigern, sich aber in der Kritik dadurch zu immunisieren versuchen, dass es eben diese Stilmittel seien. Das wird ab einem bestimmten Punkt halt auch insofern problematisch, weil man ja trotzdem, wenn man jetzt immer wieder irgendwelche frauendiskriminierenden Punchlines bringt, diese Bilder bedient und immer wieder abruft. Egal, ob nun vermeintlich ironisch oder nicht. Natürlich kann das als einzelne Punchline ein Gag sein. Aber als Konzept in der vollen Bandbreite und ewigen Wiederholung ist es trotz der Tatsache, dass ich es in der Übersteigerung ad absurdum geführt habe, irgendwie etwas, was diese Stereotypen, die da eine große Rolle spielen, konserviert. So, dass ich das ab einer gewissen Dosis auch nicht mehr als hinreichende Erklärung für diese Grenzüberschreitung ansehen kann. Provokationen und Zuspitzungen sind selbstverständlicher Teil des Battleraps, aber es gibt zu viele Quatsch-Rapper, die ob ihrer eigentlichen Inhalts- und Haltungslosigkeit immer nur durch vermeintliche Übertreibungen schockieren wollen und letztendlich gerade dadurch nur anöden.
MZEE.com: Also reicht es für dich auch nicht aus, sich privat oder in Interviews dagegen auszusprechen, solange in der Musik, die diese Inhalte ironisch aufgreift, nie ein Widerspruch stattfindet?
Pöbel MC: Genau. Wie Milli eben schon sagte, musst du dich eben auch ein bisschen an dem messen lassen, was verstanden wird. Und wenn man immer wieder Schwulenwitze abfeuert, aber eigentlich sagt, man sei in keiner Weise homophob – das kann ja alles sein. Aber das Ressentiment, dass da irgendeine Schwäche in dieser Art von Sexualverhalten stecken würde und die ganzen Klischees, die dann ganz konkret in dieser Art von Äußerung aufgegriffen werden, wird trotzdem aufrechterhalten. Dagegen tut man dann ja gar nichts. Man reitet nur auf dieser gesellschaftlichen Gegebenheit rum. Und manchen Leuten ist es dann vielleicht möglich, das übergeordnet amüsant zu finden, weil sie in ihrer privilegierten Position von diesen aufgegriffenen Diskriminierungen nicht betroffen sind. Aber das trifft lange nicht für alle zu und ganz besonders nicht auf jene, die auf gesellschaftliche Besserung zum Schutz ihrer Rechte angewiesen sind. Dieses Ironisierungsding ist für mich deswegen eben auch kein Freifahrtschein, um immer alles bringen zu können.
MZEE.com: Rap war früher eigentlich durchgehend politisch motiviert, heute ist diese Einstellung oft der Unterhaltung und Vermarktbarkeit gewichen. Ist euch Rap noch politisch genug? Oder würdet ihr euch mehr MCs wünschen, die klar Stellung beziehen?
Milli Dance: Ich finde schon, dass es sehr viel Rap gibt, der sich mit wichtigen Themen auseinandersetzt. Ich kann sehr pragmatisch – auch mit Blick auf gesamtgesellschaftliche Entwicklungen – schon sagen, dass ich mich freue, wenn Leute da etwas aufgreifen und das auf eine produktive, konstruktive und progressive Art und Weise. Aber ich will auch niemandem vorschreiben, das zu tun. Meinetwegen muss niemand unbedingt einen politischen Raptrack machen.
Pöbel MC: Ich glaube, dass Rapper oder Künstler ganz allgemein gesehen ihren gesellschaftlichen Einfluss in diese Richtung noch mehr geltend machen könnten, da ist auf jeden Fall Potenzial. Zum Beispiel weisen viele Leute – natürlich auch berechtigterweise – zwar auf soziale Missstände hin, die sie selbst erlebt haben. Gleichzeitig streben sie jedoch zur Auflösung dieser Situation nur Dinge an, die genau diese sozialen Missstände mit hervorgerufen haben. Sowas wie Materialismus oder irgendein Aufstiegsdenken, das nur "den Rapper" als den Mächtigen und Starken positioniert, der vorher vermeintlich nichts hatte, anstatt das in einem viel größeren Kontext zu sehen und sich da um eine generelle Emanzipation zu bemühen. Eventuell ist das auch ein Ansinnen, das vielen Leuten vielleicht sozialisationsbedingt oder aus irgendwelchen anderen Gründen nicht so greifbar erscheint. Mir scheint es bei aller unterhaltsamer Selbstfeierei nicht unwichtig und als ein Punkt, an dem Rap ansetzen kann. Wenn ich aus meinen Missständen oder meiner Diskriminierung rausgekommen bin und dann mit meinem sozialen Erfolg nichts anderes anzufangen weiß, als über die sozial Schwachen, die das eben nicht geschafft haben, in meinem Benzer und mit meinen Ketten zu lachen, dann ist das einfach zu wenig. Das ist jetzt natürlich relativ abstrakt gesprochen, aber ich denke, du kannst dir das ja schon exemplifiziert vorstellen. Viele Menschen beschwören so komische Leistungsformeln wie "Erfolg ist kein Zufall". Mir erscheint das zu kurz gegriffen. Erfolg hat meines Erachtens nach sehr viel mit strukturellen Gegebenheiten, fremdbestimmten Voraussetzungen und eben auch Zufällen zu tun.
MZEE.com: Dann lasst uns doch vom Abstrakten direkt zum Konkreten übergehen: Angenommen, ihr müsstet in diesem Moment einen Text über das politische Thema verfassen, das euch aktuell am meisten beschäftigt oder aufregt – welches wäre das?
Milli Dance: Also, für mich käme da wohl weniger etwas Bestimmtes infrage als viel eher irgendwelche Grundmuster, die den Argumentationen, die von verschiedenen Seiten immer kommen, zugrunde liegen. Ich denke, dass solche Sachen in unseren Tracks immer wieder auftauchen. "Ihr und Wir" zum Beispiel: Da geht es zwar eher darum, was wir als cool und als wack definieren, wobei das natürlich eigentlich zu einfach ist, das wissen wir auch. Aber das ist in dem Fall ja ein Raptrack. Ich würde aber zu keinem konkreten Thema unbedingt etwas schreiben, sei es jetzt die Islam-Debatte oder was auch immer. Denn allem, was die Medien bestimmt, liegen ja solche Feindbildkonstrukte zugrunde. Stattdessen geht es dann eher um beispielsweise die soziale Frage, wie Pöbel gerade schon meinte: gesellschaftliche Strukturen, die Menschen in arm, weniger arm und reich unterteilen. Die liegen grenzübergreifend vor und die Nationen sind dafür gar keine Lösung, weil die Strukturen darin nicht aufgelöst werden. Stattdessen geht es nur darum, möglichst auch gegen die anderen Schwachen zu treten. So nach dem Motto: "Ich habe als Deutscher das Recht, mich von Deutschen ausbeuten zu lassen." Daher denke ich, dass ich allgemein eher diese abstrakte Form behandeln würde, was ich ja auch tue.
Pöbel MC: Ein Thema, das ich grade relativ stark finde – ohne, dass ich da jetzt unmittelbare Ambitionen verspüre, das irgendwie in einen Track zu packen –, wäre wohl das übergeordnete Thema von staatlicher Kontrolle über Bürger und das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit. Es gibt da Tendenzen, die mir insbesondere vor dem Hintergrund technologischer Veränderung problematisch erscheinen.
Milli Dance: Das ist ja auch etwas, das gerade sehr untergeht. Es ist mehr davon die Rede, welcher Gefährder wie abgeschoben werden kann, als davon, was für ein Polizeigesetz Bayern hat und das einer der dafür Verantwortlichen jetzt Innenminister ist. Also, das kommt dann so bei "Monitor" und wird da mal aufgegriffen, aber es ist nicht wirklich Thema der täglichen Debatte. Denn das sind genau die Gesetze, die während der Fußball-WM durchgewunken werden, da hat Pöbel auf jeden Fall recht. Und da würde ich mir zum Beispiel wünschen, dass Rapper sich ein bisschen positionieren. Denn man kann auch nicht sagen, dass es einen nicht betrifft, denn das betrifft jeden von uns konkret.
Pöbel MC: Ich sag's mal ganz überzeichnet so: Das dystopische System, welches um 2040, 2050 installiert wird, kann halt nicht mehr in irgendeinem bürgerlichen Aufbegehren zerschlagen werden. Die einzige Chance, die man hat, sich dagegen zu wehren, ist, aus dem Jetzt heraus kritisch, skeptisch und zugunsten freiheitlicher Werte dagegen vorzugehen. Was jedoch strukturell passiert, geht in eine ganz andere Richtung.
Milli Dance: Sachen, die vor zehn oder zwanzig Jahren noch ein riesen Ding waren wie etwa die Volkszählung … Da gab's damals richtige Kampagnen gegen, weil das einfach schon viel Überwachung war. Auch als das Vermummungsverbot beschlossen wurde, haben FDP-Abgeordnete aus Protest den Bundestag verlassen. Das ist heute undenkbar. Jetzt ist es so, dass neugebaute Autos eine Apparatur installiert haben müssen, die bei Unfällen sofort Alarm schlägt. Das heißt, du hast die ganze Zeit so ein kleines Überwachungsgerät bei dir und niemand kann wirklich sagen, welche Daten da jetzt übermittelt werden. Egal, was offizielle Stellen darüber berichten, da sollte man immer sehr skeptisch sein. Also, ohne jetzt verschwörungstheoretisch klingen zu wollen, aber dass man das nicht alles durchschauen kann, ist ja konkret so. Sämtliche Entwicklungen gehen meistens nicht in Richtung freiere Gesellschaft. Und so ein Apparat, der immer weiter ausgebaut wird, kann auch immer schwieriger ausgehebelt werden. Vor allem baut man, während eine sehr faschistische Partei mit sehr faschistischen Tendenzen im Bundestag sitzt, einen Apparat aus, bei dem man damit rechnen kann, dass er ihnen vielleicht irgendwann in die Hände fällt. Alle Informationen, die die Polizei über dich sammeln darf – da bin ich mir hundertprozentig sicher –, werden zwischen AfD-sympathisierenden Polizisten und AfD-Politikern gegebenenfalls auch ausgetauscht. Und die wiederum geben sie dann an Identitäre – also einfach Nazis, konkrete Nazis. Björn Höcke ist auch ein konkreter Nazi – weiter. Und das ist blind. Aber das sorgt für keinen Aufschrei mehr. Sehr besorgniserregend.
MZEE.com: Da gehen dann teilweise einfach ganz unauffällige, sukzessive Änderungen vor, deren Tragweite einem erst wirklich klar wird, wenn sie in vollem Ausmaß da sind.
Pöbel MC: Als Beispiel etwa die Gefährder-Regelung in Bayern. Bis vor einigen Monaten musste die Polizei zur Einleitung von Überwachungsmaßnahmen oder einer Ingewahrsamnahme eine konkrete Gefahr vorweisen, jetzt geht das schon durch den Nachweis einer drohenden Gefahr. Auch durch solche sprachlichen Aufweichungen werden Möglichkeiten geschaffen, verschiedenste Verhaltensweisen zu ahnden. Man kann sich vielleicht ob der gegenwärtigen, gesellschaftlichen Verhältnisse noch halbwegs sicher sein, dass das nicht in ganz extremer, dystopischer Form zur Meinungseinschränkung genutzt wird, aber man schafft auf jeden Fall ein ganz großes Missbrauchspotenzial.
Milli Dance: Dabei wird ja auch immer weiter ausgedünnt, welche Rechte der Mensch als Einzelperson überhaupt noch hat, um seine Persönlichkeit und seine Privatsphäre zu schützen. Eben weil das alles so missbrauchsanfällig wird. Mittlerweile musst du dich rechtfertigen, wenn du irgendwo deinen Namen nicht angeben willst oder mit Bargeld zahlen möchtest. Die Abschaffung ist zwar schon in Planung und ich bin mir ganz sicher, dass das kommen wird, aber da fragen Leute dich dann, was du zu verbergen hast, weil du dagegen bist. Ich habe halt noch ein Recht darauf, dass nicht jeder alles über mich weiß. Aber gleichzeitig hast du da eine ganze Generation an jungen Leuten, die damit aufgewachsen ist, dass der Schutz der eigenen Persönlichkeit gar nicht so wichtig ist, weil es normal ist, sich im Internet zu inszenieren.
Pöbel MC: Vor allem finde ich es dabei auch naiv, zu glauben, dass diese Art von staatlichem Selbstverständnis und politischer Ausrichtung so unglaublich stabil ist. 2011 hat man in der Türkei auch geglaubt, wir brechen jetzt in ein neues, bürgerliches, freies Selbstverständnis auf – und zehn Jahre später ist die ganze Struktur eher in der Nähe einer Diktatur. Und dann lass uns mal so weit denken: Wenn sich jetzt tendenziell die politische Lage hier in Deutschland so verändern würde, dass wir vielleicht Zustände wie in der Türkei erreichen, dann wäre es auch denkbar, dass Musik mit Inhalten wie unseren als Akt gegen den Staat oder die Interpreten als Terroristen angesehen werden.
Milli Dance: In Spanien hast du ja beispielsweise schon den Fall, dass du für drei Jahre oder so in den Knast kommst, wenn du sagst, dass eine Atombombe oder ähnliches das Königshaus treffen soll.
MZEE.com: Lasst uns zum Ende noch mal auf etwas anderes zu sprechen kommen, um das Interview mit einer positiven Note zu beenden.
Milli Dance: Oh, ich glaube, das wird schwer. (lacht)
MZEE.com: Wir versuchen es einfach mal: Ich würde mir wünschen, dass du, Pöbel, unseren Lesern in ein paar wenigen Worten erklärst, warum man Waving The Guns hören sollte.
Pöbel MC: Warum man WTG hören sollte … Man sollte sich WTG auf jeden Fall anhören, da sie sehr guten Rap mit Wortwitz und eindringlichen Melodien fabrizieren und gleichzeitig verschiedenste persönliche wie politische Themen in einer für deutschsprachigen Rap besonderen Weise verhandeln.
MZEE.com: Und, Milli, warum sollte man Pöbel MC hören?
Milli Dance: Ich würde sagen, weil seine Musik einfach sehr kraftvoll und gerne auch mal stumpf ist, aber sich dahinter eben eine sehr clevere Botschaft verbirgt. Und außerdem kenne ich keinen anderen, der "Pool" auf "cool" reimen kann, ohne dass sich das scheiße anhört. Also, wenn ich das rappen würde, würde es total bescheuert klingen. Aber Pöbel hat dafür halt einfach den nötigen Swag. (lacht)
Pöbel MC: Und außerdem sollte man WTG natürlich hören, um deren herrliche Liveshows in vollem Umfang genießen zu können und dann auch auf unserer gemeinsamen Tour noch mehr Spaß zu haben.
Milli Dance: Ja, die sollte man nicht verpassen!
(Daniel Fersch)
(Fotos von Louise Amelie)