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Interview

Jonas Kakoschke (KAFVKA) – ein Gespräch über revolutionäres Denken

"Um dem Traum einer für alle gerech­ten Welt näher­zu­kom­men, bräuch­te es in mei­nen Augen eine Abkehr vom Kapi­ta­lis­mus. Mich führt jeden­falls jeder Gedan­ke am Ende immer wie­der an die­sen Punkt." – Jonas Kakosch­ke von KAFVKA über den Ursprung des Ungleich­ge­wichts zwi­schen Arm und Reich.

"Das Ende der Welt oder Revo­lu­ti­on? Segel gesetzt auf dem bren­nen­den Boot – die viel­leicht letz­te Gene­ra­ti­on ist end­lich bereit, den Paläs­ten zu dro­hen!" – So lau­ten die letz­ten Wor­te des Songs "Das Ende der Welt" von KAFVKA. Die Ber­li­ner Crossover-​Band zwi­schen Rap und Punk ist bekannt für ihre poli­ti­schen Tex­te und droht den Paläs­ten nicht nur auf "Das Ende der Welt". Auch auf ande­ren Releases zei­gen KAFVKA ihre Hal­tung und spre­chen sich in den Song­tex­ten unter ande­rem gegen Ras­sis­mus, Dis­kri­mi­nie­rung, Kon­sum­wahn oder Gen­tri­fi­zie­rung aus. Ver­ant­wort­lich für die gesell­schafts­kri­ti­schen Tex­te ist Jonas Kakosch­ke, Rap­per und Sän­ger der Band. Neben sei­ner Arbeit als Stim­me von KAFVKA enga­giert er sich seit Jah­ren aktiv in der Hil­fe für Geflüch­te­te und war als Mit­in­itia­tor unter ande­rem am Enste­hungs­pro­zess der See­brü­cke betei­ligt, einer Bewe­gung, die sich für siche­re Flucht­we­ge und unge­hin­der­te See­not­ret­tung an den euro­päi­schen Gren­zen ein­setzt. Unter dem Künst­ler­na­men Rio Ris­e­up star­te­te Jonas Kakosch­ke zudem kürz­lich ein musi­ka­li­sches Solo­pro­jekt, wel­ches im Ver­gleich zum Stil von KAFVKA noch ein­deu­ti­ger im Rap ein­zu­ord­nen ist. Dass ihn trotz des unge­wohn­ten Sounds inhalt­lich wei­ter die gewohn­ten The­men umtrei­ben, wird auf der ers­ten Sin­gle "Maul auf" deut­lich. Es geht um Frust über die Sche­re zwi­schen Arm und Reich, unglei­che Chan­cen und die Fra­ge, ob es über­haupt noch Hoff­nung auf eine bes­se­re Welt für alle gibt. Mehr als genug Grün­de, mit dem Front­sän­ger von KAFVKA über sein revo­lu­tio­nä­res Den­ken zu sprechen.

MZEE​.com: Ich fin­de, mit Revo­lu­ti­on ver­bin­det man meist gro­ße, welt­be­we­gen­de Ver­än­de­run­gen, die gan­ze Staa­ten oder Gesell­schaf­ten betref­fen. Was bedeu­tet denn davon abge­lei­tet "revo­lu­tio­nä­res Den­ken" für dich?

Jonas: Ich habe als Vor­be­rei­tung auf das Inter­view sogar kurz nach der offi­zi­el­len Defi­ni­ti­on dazu gesucht. (schmun­zelt) Gene­rell sehe ich es wie du. Revo­lu­ti­on beschreibt, dass bestehen­de Ver­hält­nis­se aus den Angeln geho­ben wer­den und gro­ße Umbrü­che statt­fin­den. Im bes­ten Fall geht damit natür­lich eine Ver­bes­se­rung der Ver­hält­nis­se ein­her. Aber es gibt auch Bei­spie­le in der Geschich­te, wie Revo­lu­tio­nen zu noch mehr Unge­rech­tig­keit und Gewalt geführt haben oder sich die Umstän­de ver­schlech­tert haben. Für mich per­sön­lich ist Revo­lu­ti­on auch eine Art roman­ti­sches, links­po­li­ti­sches Ziel. Was davon abge­lei­tet revo­lu­tio­nä­res Den­ken ist, kann ich gar nicht genau umschrei­ben. Es steht eben für eine gro­ße Unzu­frie­den­heit mit der bestehen­den Situa­ti­on, in der in allen mög­li­chen Details und auch im gro­ßen Gan­zen so viel Unge­rech­tig­keit besteht, dass sie kaum refor­mier­bar scheint und der Wunsch nach sys­tem­ver­än­dern­den Umstür­zen wächst.

MZEE​.com: Denkst du, man kann auch im Klei­nen, oder – wie du es nennst – in den Details, revo­lu­tio­när den­ken? Oder muss es immer "das gro­ße Gan­ze" sein?

Jonas: Ich glau­be, durch mei­ne Poli­ti­sie­rungs­ge­schich­te der letz­ten zehn Jah­re bin ich, was die­se Fra­ge angeht, ein biss­chen pes­si­mis­tisch gewor­den. Natür­lich kön­nen klei­ne Ver­än­de­run­gen viel bewir­ken, vor allem für Ein­zel­per­so­nen. Ich war in den letz­ten zehn Jah­ren bei­spiels­wei­se in der Unter­stüt­zung von geflüch­te­ten Men­schen aktiv. Das war ein Pro­jekt, bei dem wir bun­des­weit Wohn­raum an Geflüch­te­te ver­mit­telt haben. (Anm. d. Red.: "Zusam­men­le­ben Will­kom­men") Durch anti­ras­sis­ti­sche Arbeit haben wir außer­dem Leu­te, die für das Pro­jekt ein WG-​Zimmer anbie­ten woll­ten, dar­in gebil­det, wie man einen siche­ren Raum für geflüch­te­te oder von Ras­sis­mus betrof­fe­ne Men­schen schafft. Das ist natür­lich eine coo­le Sache und ich fin­de nach wie vor, dass man das Leben ein­zel­ner Men­schen ver­bes­sern soll­te, wenn es mög­lich ist. Jedoch sehe ich es mehr und mehr so, dass all das nur Sym­ptom­be­kämp­fung ist. Das mei­ne ich, wenn ich sage, dass ich pes­si­mis­tisch gewor­den bin, was Revo­lu­ti­on im Klei­nen angeht. Es gibt dadurch kei­ne gro­ßen Umstür­ze und jede Sym­ptom­be­kämp­fung unter­stützt irgend­wo die Krank­heit. Bei­spie­le wie mei­nes mit der Arbeit in einer NGO fin­den inner­halb der bestehen­den Ver­hält­nis­se statt und unter­stüt­zen die­se somit indirekt.

MZEE​.com: Du hast von dei­ner eige­nen Poli­ti­sie­rungs­ge­schich­te gespro­chen. Erin­nerst du dich an den Moment in dei­nem Leben, an dem du zum ers­ten Mal mit etwas kon­fron­tiert wur­dest, das in dir revo­lu­tio­nä­res Den­ken bezie­hungs­wei­se den Wunsch nach Revo­lu­ti­on geweckt hat?

Jonas: Ja, und zwar die Erkennt­nis aus der lang­jäh­ri­gen poli­ti­schen Arbeit, dass sich akti­ve Men­schen auf lan­ge Sicht lei­der oft kaputt machen. Das weiß ich aus eige­ner Erfah­rung, weil ich selbst ab einem bestimm­ten Punkt in einem Burn­out gelan­det bin. Man kämpft jah­re­lang für eine gute Sache, inves­tiert alles an Zeit und Ener­gie, was man hat, und am Ende ändern sich die bestehen­den Ver­hält­nis­se doch nicht. Das war die Erkennt­nis, bei der ich dach­te, dass sich etwas Grö­ße­res ändern muss und es nicht reicht, wenn jede:r nur im eige­nen Umfeld aktiv ist. Ab da ging es also in Rich­tung revo­lu­tio­nä­res Den­ken. Natür­lich bin ich Fan davon, wenn Ein­zel­per­so­nen über­le­gen, wie sie aktiv sein kön­nen und sich fra­gen: "Was ist mein Wir­kungs­be­reich? Wo kann ich etwas ver­än­dern? Wo kann ich soli­da­risch sein, ande­re Leu­te sup­port­en oder irgend­wie das Maul auf­ma­chen und Unge­rech­tig­kei­ten benen­nen?" Es kann nicht jeder alles machen, des­halb funk­tio­niert Akti­vis­mus nur gemein­sam. Gleich­zei­tig kom­me ich wie gesagt immer wie­der zu dem Punkt, dass sich die bestehen­den Ver­hält­nis­se ver­än­dern müs­sen. (über­legt) Was für mei­ne per­sön­li­che Poli­ti­sie­rung davon abge­se­hen auch noch eine gro­ße Rol­le gespielt hat, war Euro­pa zu ver­las­sen und mal in Län­dern des "glo­ba­len Südens" unter­wegs zu sein. Dabei bekam ich das Gefühl, man­che Zusam­men­hän­ge bes­ser zu ver­ste­hen. Wo ist mein Anteil am Leid der Welt? Oder was ist unser Anteil, als die, die hier in einer rela­tiv siche­ren und rei­chen Gesell­schaft leben? Wie wirkt sich unser Han­deln anders­wo aus? Die­se glo­ba­len Zusam­men­hän­ge lang­sam zu ver­ste­hen war sehr prä­gend für mich.

MZEE​.com: Gibt es neben Ein­drü­cken aus dem "glo­ba­len Süden" auch Per­sön­lich­kei­ten, die dich inspi­rie­ren, was revo­lu­tio­nä­res Den­ken angeht?

Jonas: Seit einer Wei­le habe ich Frantz Fanon (Anm. d. Red.: Frantz Fanon wur­de 1925 in der damals fran­zö­si­schen Kolo­nie Mar­ti­ni­que gebo­ren und gilt durch sein Wir­ken als Psych­ia­ter, Poli­ti­ker und Schrift­stel­ler heu­te als Vor­den­ker der Ent­ko­lo­nia­li­sie­rung) auf dem Schirm. Ich habe zwar sein berühm­tes­tes Werk "Die Ver­damm­ten die­ser Erde" bis­lang nur halb gele­sen, weil ich mich mit dem Lesen von Sach­bü­chern und revo­lu­tio­nä­rer Theo­rie oft schwer tue (lacht), den­noch fin­de ich es sehr inspi­rie­rend. Das sind sol­che Rück­bli­cke auf die Geschich­te, die ver­gan­ge­ne Umstür­ze zei­gen, oder auch nur, wie sich Men­schen in ihrem Umfeld soli­da­risch ver­hal­ten haben, gene­rell. Frantz Fanon hat sich mit Kolo­ni­sie­rung, von der er selbst betrof­fen war, beschäf­tigt und es geschafft, sich selbst als kolo­ni­sier­te Per­son so viel Wis­sen drauf­zu­pau­ken und die­ses dann auch noch in so gute Wer­ke zu ver­pa­cken. Ich glau­be, damit wur­de erst­mals aus der kolo­ni­sier­ten Per­spek­ti­ve über das The­ma gespro­chen. Auf jeden Fall inspi­rie­rend. (über­legt) Natür­lich gibt es noch bekann­te­re Per­sön­lich­kei­ten, die man mit Revo­lu­ti­on ver­bin­det. Che Gue­va­ra ist sicher­lich auch inspi­rie­rend, aber der hat auch viel Schei­ße gebaut. Wenn man auf Revo­lu­tio­nen oder sol­che Per­sön­lich­kei­ten zurück­blickt, gelangt man oft an Punk­te, an denen man man­ches nicht mehr nach­voll­zie­hen kann. Bei Che Gue­va­ra sind das bei­spiels­wei­se die Todes­ur­tei­le, die er gefällt hat. (Anm. d. Red.: Che Gue­va­ra ver­häng­te min­des­tens 216 Todes­ur­tei­le für ver­meint­li­che Geg­ner der kuba­ni­schen Revo­lu­ti­on) In sei­nem Fall ist es auch oft nur die­ses "Ich bin 16 und kau­fe mir ein T-​Shirt mit Che Guevara-​Portrait dar­auf auf dem Jahr­markt, obwohl ich gar nichts über ihn weiß"-Ding. Kuba als real­so­zia­lis­ti­sches Land ist natür­lich schon inspi­rie­rend, doch auch da läuft vie­les schei­ße. Aber ich bin nicht aus­rei­chend in die­sem The­ma drin, um ins Detail gehen zu können.

MZEE​.com: Dann kom­men wir mal von der Ver­gan­gen­heit in die Gegen­wart. Krieg in der Ukrai­ne, Rück­stand beim Kli­ma­schutz, eine erstar­ken­de AfD – ob du glaubst, dass sich Din­ge auf der Welt ändern müs­sen, brau­che ich dich ver­mut­lich gar nicht fra­gen. Braucht unse­re Gesell­schaft eine Revo­lu­ti­on? Oder rei­chen stel­len­wei­se Veränderungen?

Jonas: Die Fra­ge ist: Wofür braucht unse­re Gesell­schaft eine Revo­lu­ti­on? Um punk­tu­el­le Ver­bes­se­rung hin­zu­be­kom­men, rei­chen bestimmt auch ein­zel­ne Ver­än­de­run­gen oder Wah­len. Um dem Traum einer für alle gerech­ten Welt näher­zu­kom­men, bräuch­te es in mei­nen Augen jedoch eine Abkehr vom Kapi­ta­lis­mus. Mich führt jeden­falls jeder Gedan­ke am Ende immer wie­der an die­sen Punkt. Egal ob es um Ras­sis­mus, ande­re Dis­kri­mi­nie­rungs­for­men oder das kras­se Ungleich­ge­wicht von Arm und Reich geht, am Ende gehört all das zum kapi­ta­lis­ti­schen Sys­tem, in dem wir leben. Es ist dafür gemacht, Armut zu schaf­fen und zu erhal­ten. Der Kapi­ta­lis­mus bie­tet immer an, dass man Geld ver­die­nen und reich wer­den kann. Aber die­ses gro­ße Ziel, der Reich­tum, exis­tiert ja nur, weil gleich­zei­tig Armut exis­tiert. Auf­grund die­ser Balan­ce, dass das Eine nur durch das Gegen­tei­li­ge exis­tie­ren kann, hal­te ich eine gerech­te Welt im Kapi­ta­lis­mus für unmög­lich. Des­halb: Ja, es bräuch­te revo­lu­tio­nä­res Den­ken und revo­lu­tio­nä­re Umbrü­che. Trotz­dem bin ich natür­lich Befür­wor­ter von klei­nen Schrit­ten in die rich­ti­ge Richtung.

MZEE​.com: Ange­nom­men, du wärst ab mor­gen plötz­lich Bun­des­kanz­ler und für die Geschi­cke in die­sem Land ver­ant­wort­lich. Was wären die ers­ten drei The­men, denen du dich wid­men würdest?

Jonas: Ich wür­de mich selbst als Bun­des­kanz­ler auf jeden Fall nie­man­dem emp­feh­len. (lacht) Ich könn­te die­sen Job nicht machen und wür­de den kom­plet­ten Staat in den Arsch fah­ren, weil ich zu wenig Plan vom Poli­tik Machen habe. Aber das Wich­tigs­te sind in mei­nen Augen gene­rell sozi­al­po­li­ti­sche The­men. Dabei darf man sich nicht ablen­ken las­sen von irgend­wel­chen Rech­ten, die sagen, dass Gen­dern ein Rie­sen­pro­blem sei, oder Trans* Men­schen oder Migrant:innen. Das ist alles nur Ablen­kung davon, dass Rei­che immer rei­cher wer­den und Arme immer ärmer. Ich den­ke, dar­auf soll­te man sich kon­zen­trie­ren. Man muss bei den Leu­ten, die jetzt gera­de die AfD wäh­len, ein Bewusst­sein dafür schaf­fen, dass es nicht die Schuld von Migrant:innen ist, wenn sie selbst gera­de kei­ne Koh­le haben oder ander­wei­tig in der Schei­ße ste­cken. Auch wenn die BILD so tut, als wäre dem so. Man muss ihnen bewusst machen, dass es an den Men­schen liegt, die Koh­le haben, und nicht an denen, die auch kei­ne Koh­le haben.

MZEE​.com: Ein­gangs hast du bereits erwähnt, dass du ein wenig pes­si­mis­tisch gewor­den bist. Vor etwa einem Jahr habt ihr den Song "Das Ende der Welt" releast. Für Johan­na Krop­fitsch von DIFFUS ist es ein Song über Welt­schmerz, auf dem ihr "[…] ein wenig hoff­nungs­los, ein wenig erdrückt, ein wenig resi­li­ent […]" wirkt. Hast du denn ange­sichts all der Pro­ble­me auf der Welt noch Hoff­nung auf eine bes­se­re Zukunft?

Jonas: Das ist tages­form­ab­hän­gig. Gene­rell habe ich natür­lich schon noch Hoff­nung. Ich bin auch nie­mand, der resi­gniert und gar nichts mehr macht. Ich ver­su­che schon, aktiv zu blei­ben und bei­spiels­wei­se durch KAFVKA poli­ti­sche Bil­dung zu sup­port­en oder Leu­ten im Kampf gegen Rechts Mut zu machen. Es gibt jedoch auch Tage, an denen ich den­ke: "Fuck, irgend­et­was muss pas­sie­ren." Im Prin­zip hat­ten wir das vor­hin schon. Alles schei­tert an die­sem Sys­tem und an der Geld­geil­heit die­ser Welt. Aber irgend­wo in mir habe ich noch eine Hoff­nung, ich kann sie nur nicht begrün­den. Dass du genau den Song "Das Ende der Welt" ansprichst ist lus­tig. Unge­fähr zur glei­chen Zeit, als wir den releast haben, kam auch ein Song von der Band Buka­ha­ra her­aus. Mit denen sind wir ein biss­chen ver­netzt, weil wir den glei­chen Boo­ker haben. Deren Song (Anm. d. Red.: "Ande­re Welt") beschreibt im Grun­de ähn­li­che Pro­ble­me, aber im Ver­gleich zu unse­rem ist er total hoff­nungs­voll und ver­sprüht eine Art Auf­bruchs­stim­mung. Als ich den gehört habe, habe ich gedacht, dass unser Song viel­leicht auch so hät­te sein sol­len. Aber wenn ich Tex­te für uns schrei­be, dann kann ich ein­fach nicht bewusst gute Laune-​Songs über das Ende der Welt schrei­ben. Die Tex­te ent­ste­hen ein­fach aus mei­nen Emo­tio­nen her­aus. Auch das ist des­halb tagesformabhängig.

MZEE​.com: Im Iran konn­ten wir in die­sem Jahr sehen, wie revo­lu­tio­nä­res Den­ken in Mas­sen­mo­bi­li­sie­rung und lan­des­wei­ten Pro­test­wel­len mün­det. Ent­ge­gen aller Repres­sio­nen und Gewalt pro­tes­tie­ren dort vor allem Frau­en und jun­ge Men­schen seit Mona­ten gegen das Regime. Wel­che Gefüh­le löst es in dir aus, sol­che Bewe­gun­gen aus der Fer­ne zu beob­ach­ten? Kann so etwas auch Hoff­nung machen?

Jonas: Es fällt mir schwer, mich dazu zu äußern. Ich kann mir gar nicht vor­stel­len, wie mutig die­se Men­schen sind. Das ist von unse­rer Per­spek­ti­ve aus nicht begreif­bar. Es gab ja sogar eini­ge Musiker:innen, die dort ver­ur­teilt wur­den und in den Knast muss­ten. Ich kann mir gar nicht aus­ma­len, wie ich mich in deren Situa­ti­on ver­hal­ten wür­de. Ich wür­de mir wün­schen, dass ich auch das Maul auf­ma­chen wür­de, und glau­be es irgend­wie auch. Aber gleich­zei­tig kann ich das nicht behaup­ten. Davon abge­se­hen ist das, was im Iran pas­siert ist, natür­lich etwas, das Hoff­nung macht. Man sieht dort, wie selbst in einem regime­ge­führ­ten Staat sol­che Bewe­gun­gen ent­ste­hen und welt­weit Wel­le machen kön­nen. Hoff­nungs­los macht wie­der­um, zu sehen, dass die Repres­sio­nen den­noch durch­ge­zo­gen wer­den und Leu­te ins Gefäng­nis kom­men oder sogar ermor­det wer­den. Ich habe auch eini­ge Freun­de und Freun­din­nen mit ira­ni­schen Wur­zeln – für die ist das The­ma noch ein­mal etwas ganz ande­res, weil sie es viel inten­si­ver mit­be­kom­men und teil­wei­se noch Fami­lie im Iran haben. Die Fra­ge, ob die Vor­gän­ge im Iran Hoff­nung machen, hat also zwei Seiten.

MZEE​.com: Es ist zwar nicht mit der Situa­ti­on im Iran zu ver­glei­chen, aber auch bei uns in Deutsch­land gibt es auf­fäl­li­ge Pro­test­be­we­gun­gen, wie bei­spiels­wei­se "Fri­days for Future" oder die "Letz­te Gene­ra­ti­on". Die­se gehen oft ent­schei­dend von jun­gen Men­schen aus. Denkst du, der Wunsch nach Revo­lu­ti­on ist etwas typisch Jugendliches?

Jonas: Ich weiß es nicht. (über­legt) Bei mir war es nicht so. Aber viel­leicht ist das auch abhän­gig von der Zeit, in der man auf­wächst. Ich war Ende der 90er und Anfang der 2000er jugend­lich. Es wird oft gesagt, dass die 90er so unpo­li­tisch waren. Das habe ich auch so erlebt. Natür­lich war ich mal auf irgend­ei­nem Anti-​Nazi-​Protest in mei­nem Dorf, aber tie­fer mit Poli­tik beschäf­tigt habe ich mich damals nicht. Es gab auch kei­ne Bewe­gun­gen wie bei­spiels­wei­se Fri­days for Future heu­te, die spe­zi­ell jun­ge Men­schen abho­len. Des­halb fin­de ich die­se Ent­wick­lung heu­te ham­mer. Auch wenn es teil­wei­se Kri­tik gibt, FFF sei zu seicht. Ich glau­be trotz­dem, dass das eine gute Chan­ce als Schritt für Men­schen in die Poli­ti­sie­rung ist, die sich dann wei­ter radi­ka­li­sie­ren, was ich befür­wor­te. Bei mir ging das wie gesagt erst ab Mit­te 20 los und führt sich seit­dem fort. Ich kann mir auch ehr­lich gesagt nicht vor­stel­len, dass ich noch­mal unpo­li­tisch wer­de, auch nicht im fort­ge­schrit­te­nen Alter.

MZEE​.com: Dass es im Ver­gleich zu dei­ner Jugend jetzt eine Gene­ra­ti­on gibt, die bereits früh poli­tisch aktiv wird, ist doch auch ein Anlass zur Hoff­nung, oder?

Jonas: Auf jeden Fall, das passt wie­der gut zu unse­rer vor­he­ri­gen Fra­ge. Was mich am stärks­ten posi­tiv stimmt, sind die Gesprä­che mit unse­ren Fans am Merch-​Stand nach unse­ren Shows. Wir haben ein gemisch­tes Publi­kum, aber mitt­ler­wei­le sind auch vie­le jun­ge Men­schen im Alter von 14 und auf­wärts dabei. Im Gespräch mit die­sen zu mer­ken, wie bewusst sie schon sind und wie viel sie im Ver­gleich zu mir selbst in die­sem Alter schon raf­fen, macht mir am meis­ten Hoffnung.

MZEE​.com: Zum Abschluss wür­de ich ger­ne noch­mal auf einen Song von euch zu spre­chen kom­men. Anläss­lich der Fußball-​Weltmeisterschaft in Katar 2022 habt ihr "Zeit zu kot­zen" releast. Du sagst auf dem Song unter ande­rem: "Also in mei­ner post­re­vo­lu­tio­nä­ren Gesell­schaft gäbe es kei­ne WM die­ser Art." Wie wür­de, vom The­ma WM abge­se­hen, dei­ne post­re­vo­lu­tio­nä­re Gesell­schaft denn aussehen?

Jonas: Im Grun­de so, wie ich es in dem Song zu Papier bezie­hungs­wei­se zu Han­dy gebracht habe. Es gäbe nicht nur kei­ne WM die­ser Art, es gäbe auch kei­ne so kras­se Form der Ungleich­heit, die Men­schen dazu zwingt, unter sol­chen Bedin­gun­gen wie bei der WM zu arbei­ten. In mei­ner Traum­ver­si­on einer Gesell­schaft exis­tie­ren die­se unglei­chen Ver­hält­nis­se ein­fach nicht, die es ermög­li­chen, dass man­che ein so beschis­se­nes Leben füh­ren müs­sen und dadurch über­haupt erst ermög­li­chen, dass ande­re in Reich­tum leben. Nach die­sem Song haben wir auch noch "Wut" releast, der inhalt­lich auch in die­se Rich­tung geht. Dort heißt es im Refrain: "Wann ist die Wut groß genug? War­um müs­sen die einen um jeden Cent kämp­fen und ande­re cashen für Gene­ra­tio­nen?" Wodurch die­ses Ungleich­ge­wicht auf­zu­lö­sen wäre, kann ich dir lei­der nicht genau sagen. Es ist ein­fach der blei­ben­de Gedan­ke in mir, dass es in der Gesell­schafts­form, in der wir jetzt und heu­te leben, zu vie­le Unge­rech­tig­kei­ten gibt und die Men­schen nie die glei­chen Chan­cen haben werden.

(Enri­co Gerharth)
(Fotos von Tho­mas Beutel)