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Kommentar

Ob mit oder ohne Pyramiden: eine Ode an die Promo-​Phase und ihre Notwendigkeit

Tra­vis Scott sorgt mit sei­ner Marketing-​Kampagne zu sei­nem Album "UTOPIA" für einen gigan­ti­schen Hype. Dabei erschei­nen lan­ge, durch­ge­plan­te Promo-​Phasen meist nur wie ein not­wen­di­ges Übel. Eine Ana­ly­se der Pre-​Release-​Kampagne und ihrer Notwendigkeit.

An die­ser Stel­le möch­ten wir Gedan­ken zu aktu­el­len Gescheh­nis­sen aus dem Deutschrap-​Kosmos zum Aus­druck brin­gen. Die jeweils dar­ge­stell­te Mei­nung ist die des:der Autor:in und ent­spricht nicht zwangs­läu­fig der der gesam­ten Redak­ti­on – den­noch möch­ten wir auch Ein­zel­stim­men Raum geben.

Im Fol­gen­den setzt sich unser Redak­teur Felix mit der Not­wen­dig­keit der Promo-​Phase aus­ein­an­der und erklärt, war­um eine klas­si­sche Marketing-​Kampagne oft das kleins­te Übel ist.

 

Kurz vor Mit­ter­nacht. Die Luft ist gela­den, alles krib­belt und die Span­nung steigt ins Uner­mess­li­che. Punkt null Uhr: Panisch wird die Sei­te oder App neu gela­den, auf Play gedrückt und es wer­den die Ohren gespitzt. So und nicht anders soll­te das Release eines lang­ersehn­ten Albums aus­se­hen, denn es ist ein groß­ar­ti­ges Gefühl, wenn sich ein gewöhn­li­cher Don­ners­tag­abend in einen Silvester-​artigen Count­down ver­wan­delt. Am bes­ten spür­bar war die­se Art von Ener­gie wohl zuletzt beim neu­en Release von Tra­vis Scott. Der Hype um das kom­men­de Album "UTOPIA" und die knis­tern­de Vor­freu­de der Fans waren schon Wochen zuvor in den sozia­len Medi­en prä­sent. Daher ist es auch kaum ver­wun­der­lich, dass das Release einen bedeu­ten­den Streaming-​Rekord knack­te: Es ist das meist­ge­stream­te Album im Jahr 2023 nach nur einem Tag. Und das, obwohl die ers­te Sin­gle­aus­kopp­lung, "K-​POP", gera­de mal eine Woche vor Release erschien. Selbst die nicht statt­ge­fun­de­ne Release-​Show – ein Kon­zert vor den Pyra­mi­den von Gizeh – war kein gro­ßer Dämp­fer. Doch wie ist das mög­lich? Tra­vis Scott weiß als einer der meist­ge­hör­ten Rap-​Acts natür­lich, wie man eine sol­che Stim­mung kre­iert: mit einer ent­spre­chen­den Marketing-​Kampagne. Doch ist so eine klas­si­sche Promo-​Phase immer noch der rich­ti­ge Weg und was macht sie so beson­ders? Eine Analyse.

Gro­ße pop­kul­tu­rel­le Momen­te gehen oft mit Schneeball-​artigen Kam­pa­gnen ein­her – denkt man zum Bei­spiel an den Barbie-​Film in jüngs­ter Zeit oder die Arena-​Konzerte und Teaser vor dem Release von Kanye Wests "Don­da". Das zeigt auch das Bei­spiel Tra­vis Scott: Die ers­ten Anzei­chen für ein neu­es, kom­men­des Pro­jekt lie­fer­te der Rap­per näm­lich schon im Jahr 2020, also drei Jah­re vor Release. Waren es damals noch kryp­ti­sche Instagram-​Posts oder Tweets, so form­te sich über die Jah­re hin­weg lang­sam ein Bild vor den Augen der Fans. Wirk­lich hand­fes­te Hin­wei­se auf ein kom­men­des Album gab es dann erst im März 2023, fünf Jah­re nach Tra­vis' letz­ter LP "Astro­world": Es erschie­nen Fotos im Inter­net, in denen Tra­vis' Body­guard einen Kof­fer um sein Hand­ge­lenk mit Hand­schel­len geket­tet hat­te. Auf dem Kof­fer stand das immer wie­der refe­ren­zier­te Wort "Uto­pia". Wenig spä­ter häuf­ten sich Bil­der die­ser Art. Der Kof­fer wur­de von Body­guard zu Body­guard der jewei­li­gen Feature-​Gäste wei­ter­ge­reicht – unter ihnen Grö­ßen wie The Weeknd oder Bad Bun­ny. Ange­regt von die­sen weni­gen Infor­ma­tio­nen und Teasern fin­gen die Fans an, zu spe­ku­lie­ren. Durch anfäng­lich klei­ne Infor­ma­ti­ons­schnip­sel und Teaser schafft es solch eine durch­dach­te Marketing-​Kampagne oft, dass der Schnee­ball ins Rol­len gerät. Und das ohne auch nur eine Sin­gle – der Traum eines jeden Artists.

Par­al­lel zu den Social Media-​Beiträgen nutz­te Tra­vis Scott auch sei­ne Live-​Shows, um die Promo-​Phase wei­ter vor­an­zu­trei­ben. So kün­dig­te der Rap­per am 9. Juli ein gro­ßes Release-​Konzert an, mit kei­ner gerin­ge­ren Loca­ti­on als den Pyra­mi­den von Gizeh. Sechs Tage vor dem Kon­zert gab Tra­vis wäh­rend eines Auf­tritts beim Rol­ling Loud-​Festival bekannt, dass "UTOPIA" am 28. Juli erschei­nen wer­de – zusam­men mit dem Film "Cir­cus Maxi­mus". Auch wer­de die Rol­ling Loud-​Show die letz­te Per­for­mance mit der alten Track­list sein, füg­te er hin­zu. Zusam­men mit dem kom­men­den Kon­zert in Ägyp­ten läu­te­te die­se Äuße­rung für vie­le Fans den Beginn einer neu­en Ära ein. Der Abend der Ver­öf­fent­li­chung war also als mul­ti­me­dia­les Ereig­nis kon­zi­piert: eine Live­show in Ägyp­ten, meh­re­re Film­vor­füh­run­gen in aus­ge­wähl­ten Kinos und natür­lich die Ver­öf­fent­li­chung des Albums bei allen ver­füg­ba­ren Streaming-​Anbietern. Jedoch hat­te sich zu die­sem Zeit­punkt schon das Gerücht ver­brei­tet, dass min­des­tens einer die­ser Punk­te nicht ein­ge­hal­ten wer­den kön­ne: Die geplan­te Show vor den Pyra­mi­den von Gizeh wur­de knapp zwei Tage vor Release aus pro­duk­ti­ons­tech­ni­schen Grün­den abge­sagt. Ersetzt wur­de das Release-​Konzert durch eine Show am 1. August im Cir­cus Maxi­mus in Rom. Pas­send, da die Are­na auch namens­ge­bend für den beglei­ten­den Film war. Für wei­te­re Publi­ci­ty sorg­te dann auch noch ein Auf­tritt von Kanye West, wel­chen Tra­vis für zwei Songs auf die Büh­ne hol­te. Eine pola­ri­sie­ren­de Akti­on im Hin­blick auf Kanyes anti­se­mi­ti­sche und Ver­schwö­rungs­theo­rien ver­brei­ten­de Aussagen.

Zwar wirkt die Pre-​Release-​Phase des Albums gera­de durch das Aus­fal­len des Kon­zerts in Ägyp­ten nicht wirk­lich gut geplant oder durch­dacht, aber genau das ist auch eine der Stär­ken der Kam­pa­gne. Die wir­re Durch­füh­rung der Promo-​Phase ließ ordent­lich Raum für Spe­ku­la­tio­nen sowie Dis­kus­sio­nen und reg­te vor allem die Fan­ta­sie der Fans an – wel­che oft grö­ßer als die des Artists und des­sen Mar­ke­ting­team ist. Das End­pro­dukt die­ser lang­ge­zo­ge­nen Marketing-​Phase ist zwar immer noch bloß ein Album, aber die Promo-​Kampagne gab dem Release die Anmu­tung von etwas Grö­ße­rem. Man könn­te bei­na­he sagen: Die Promo-​Phase trug das gan­ze Pro­jekt, sodass die Marketing-​Kampagne statt des Albums in das Zen­trum der Auf­merk­sam­keit rück­te. Furcht­bar scha­de, könn­te man mei­nen, aber die Alter­na­ti­ven sehen oft sehr viel schlim­mer aus.

Denn dass die Musik als eigent­li­ches End­pro­dukt nicht aus­reicht, ist schon lan­ge der Sta­tus quo. Denkt man zurück an die MTV Ära oder das frü­he­re You­Tube, wird schnell klar: Musik wird von ande­ren Medi­en beglei­tet und unter­stützt. Ange­fan­gen hat es beim Plat­ten­co­ver, spä­ter kamen Musik­vi­de­os hin­zu. Gera­de die visu­el­le Ebe­ne eig­net sich eben per­fekt dazu, Musik zu unter­ma­len. Sie ist aber auch ein wich­ti­ges Werk­zeug in der Ver­mark­tung, da der ers­te Ein­druck von Musik iro­ni­scher­wei­se oft ein visu­el­ler ist. Zu sagen, es müs­se end­lich wie­der nur um die Musik gehen, ist also zu kurz gedacht. Auf die Spit­ze getrie­ben hat die­sen Aspekt aller­dings die Kurzvideo-​Plattform Tik­Tok, auf der jeder Post in die Form eines Kurzvideo-​Beitrags gezwängt wer­den muss. Dabei wer­den Songs als kur­ze Sounds von Tik­Tok zur Ver­fü­gung gestellt, zu wel­chen dann getanzt, geschau­spie­lert oder diver­se Chal­lenges durch­ge­führt wer­den. Zur Pro­mo­ti­on dre­hen die Künstler:innen hin­ter den Sounds dann oft selbst kur­ze Bei­trä­ge, wie Behind-​the-​Scenes-​Videos, Memes zu den Songs oder zu den Sounds pas­sen­de Tanz­an­lei­tun­gen. Die­se Art der visu­el­len Unter­ma­lung hat aller­dings oft wenig bis gar nichts mit der Musik zu tun. Viel­mehr dient das stän­di­ge visu­el­le Remi­xen und Ver­viel­fäl­ti­gen von Song­schnip­seln nur dem Gene­rie­ren von Reich­wei­te. Von einer geplan­ten Aus­sa­ge oder einer zwei­ten Inter­pre­ta­ti­ons­ebe­ne, die die Songs unter­stützt, kann kei­ne Rede sein. Im Ver­gleich zu Tra­vis' erzeug­ter Atmo­sphä­re wirkt sol­che Pro­mo­ti­on lieb­los und kom­mer­zi­ell, wodurch pri­mär die Ein­präg­sam­keit und Ein­zig­ar­tig­keit der Marketing-​Kampagne leidet.

Trotz­dem soll­te man die Vor­tei­le von Social Media und Con­tent nicht ein­fach außer Acht las­sen. Denn nur weni­ge Artists welt­weit kön­nen sich eine Promo-​Phase à la Tra­vis Scott leis­ten, egal ob der Auf­tritt jetzt vor den Pyra­mi­den oder im Cir­cus Maxi­mus statt­fin­det. Zwar för­dern die sozia­len Medi­en das blo­ße Aus­schlach­ten von Musik und Kunst für belang­lo­se Internet-​Beiträge, ande­rer­seits ebnen sie eigen­stän­di­gen Artists einen schnel­len Weg nach oben, vor­bei an A&Rs, Labels und all dem läs­ti­gen Kram der Musik­in­dus­trie. Ein zwei­schnei­di­ges Schwert, bei dem die Kunst oft zurück­bleibt oder im bes­ten Fall als Nach­tisch ser­viert wer­den kann – ähn­lich wie bei einer groß­flä­chi­gen Marketing-​Kampagne, es benö­tigt nur weni­ger Geld und sons­ti­ge Res­sour­cen, um mit­ma­chen zu können.

Aller­dings ist eine durch­ge­plan­te Promo-​Phase durch­weg mit dem dazu­ge­hö­ri­gen Pro­jekt oder Album ver­bun­den. Die Zeit zwi­schen Ankün­di­gung und Release des Albums wird zu einer eige­nen klei­nen Welt, an die sich sowohl Fans als auch Außen­ste­hen­de ger­ne zurück­er­in­nern. Es ent­ste­hen Dis­kus­sio­nen, Refe­ren­zen, Fan-​Beiträge und Inside-​Jokes. Ein sol­ches Fan­dom wird man durch klas­si­schen Social Media-​Content, wie ein Behind-​the-​Scenes-​Video, wohl nie erzeu­gen können.

Am bes­ten erscheint also eine Sym­bio­se, bei der man die Ein­fach­heit der sozia­len Medi­en nutzt, um eine spek­ta­ku­lä­re Kam­pa­gne für sein Album zu bas­teln. Dabei hilft die Ein­zig­ar­tig­keit der Promo-​Phase, aus dem end­lo­sen Content-​Fluss der sozia­len Medi­en her­aus­zu­ste­chen. Ganz im Spi­rit der frü­he­ren You­Tube Ära braucht es dafür wenig Bud­get oder Bekannt­schaf­ten, son­dern Ein­falls­reich­tum und DIY-​Spirit. Wie das geht, haben vor einem Jahr Jui­cy Süß und MC Smook mit ihrer Promotion-​Kampagne zum gemein­sa­men Album "Max & Moritz" gezeigt. Vor dem Release des Albums gaben bei­de auf Social Media bekannt, dass sie es end­lich geschafft hät­ten: Sie wären jetzt bei Uni­ver­sal Music gesignt und gin­gen den "Walk of Shame". Das stimm­te natür­lich nicht, doch die Pre-​Release-​Kampagne war so lie­be­voll auf­ge­zo­gen und frech, dass man den bei­den ein­fach glau­ben woll­te. Die Rap­per stell­ten Tele­fo­na­te mit Ange­stell­ten bei Uni­ver­sal Music nach und füg­ten neben den Namen ihres Publishers "published under exclu­si­ve licen­se by Uni­ver­si­al Music GbmH" hin­zu. Das alles, wäh­rend sie ihre Fans ver­zwei­felt dazu auf­rie­fen, doch für ein paar mehr Streams und ein paar mehr ver­kauf­te Tickets zu sor­gen, da Uni­ver­sal sonst unzu­frie­den sei. Gebo­ren wur­de eine Promo-​Phase, die zu den Moti­ven des Albums pass­te, lan­ge andau­er­te und Social-​Media taug­lich war.

Da Musik in rei­ner Form zu erle­ben unmög­lich ist, da man etwa visu­ell gereizt wird und gehört und gese­hen zu wer­den meis­tens im Erstre­ben eines Artists liegt, ist eine durch­dach­te Kam­pa­gne oft das klei­ne­re Übel. Gera­de, wenn man sie mit aus­tausch­ba­rem Massen-​Content oder Pre-​Save-​Links in der Instagram-​Story ver­gleicht. Eine geplan­te Promo-​Phase muss nicht immer crin­ge oder ner­vig sein. Wenn Mar­ke­ting und Ankün­di­gun­gen ohne­hin not­wen­dig sind, um gehört und ent­deckt zu wer­den, war­um dann nicht ein­zig­ar­tig machen? Wenn man sei­ne Fans mit auf eine Rei­se nach "UTOPIA" neh­men will, war­um dann nicht die War­te­zeit und die Anrei­se ent­spre­chend gestal­ten? Denn gera­de für ein län­ge­res Pro­jekt oder ein Kon­zept­al­bum sind die ver­schie­de­nen Medi­en und Arten von Wer­bung eine tol­le Gele­gen­heit, um die Fans und neue Hörer:innen an Bord zu holen. Funk­tio­niert eine Marketing-​Kampagne gut, füh­len sich die Fans schon vor dem Release mit dem Album und des­sen Welt ver­bun­den und die Musik ist für immer ver­knüpft mit die­sem Gefühl der Vor­freu­de und Span­nung. Gera­de jetzt, wo die gan­ze Welt per Knopf­druck erreich­bar ist, ist die Zeit, sei­ne Visi­on allen ande­ren mitzuteilen.

(Fejo­so)
(Gra­fik von Dani­el Fersch)