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Interview

PTK – ein Gespräch über den Rand der Gesellschaft

"Obdach­lo­sig­keit ist das ver­län­ger­te The­ma von Gen­tri­fi­zie­rung. Denn du wirst irgend­wann nicht nur ver­drängt, son­dern lan­dest auf der Stra­ße." – PTK im Inter­view über sozia­le Unge­rech­tig­keit, Kapi­ta­lis­mus und Men­schen, die an den Rand der Gesell­schaft gedrängt werden.

Der Begriff "Rand­grup­pe" ist eine vage, all­tags­sprach­li­che Bezeich­nung für Men­schen, die sich hin­sicht­lich ihrer Lebens­be­din­gun­gen, Lebens­füh­rung oder bestimm­ter Nor­men und Wer­te von der Mehr­heit der Gesell­schaft unter­schei­den oder für die dies ange­nom­men wird. Dazu zäh­len unter ande­rem mar­gi­na­li­sier­te gesell­schaft­li­che Grup­pen wie Arbeits­lo­se, Sucht­kran­ke, Geflüch­te­te oder Woh­nungs­lo­se. An die­ser Stel­le ist es wich­tig anzu­mer­ken, dass die Lebens­um­stän­de die­ser Per­so­nen nor­ma­ler­wei­se außer­halb ihrer Kon­trol­le lie­gen. Genau das beschreibt auch der Rap­per PTK auf sei­nem Track "Unsicht­bar". Dort rappt er: "Man ist nicht immer schuld an den Schul­den, die man hat." – Der Track und das Video ver­mit­teln Ein­bli­cke in den Berufs­all­tag eines Tat­ort­rei­ni­gers, für den Geschich­ten von Men­schen, die am Ran­de der Gesell­schaft leben und ster­ben, zum Job dazu­ge­hö­ren. Auch für PTK ist es nicht das ers­te Mal, dass er sich einer so schwie­ri­gen Mate­rie annimmt und einen Song dazu ver­fasst. Schon in der Ver­gan­gen­heit the­ma­ti­sier­te der Ber­li­ner in sei­ner Kunst vie­le Aspek­te von sozia­ler Unge­rech­tig­keit. Das wohl bekann­tes­te The­ma, das man mit dem Rap­per ver­bin­det, ist Gen­tri­fi­zie­rung. Die­sem wid­met er eine eige­ne Song-​Reihe unter dem Namen "ANTI TURISTA". Dass durch Gen­tri­fi­zie­rung Woh­nungs­not ent­steht und Men­schen nicht nur meta­pho­risch, son­dern auch geo­gra­fisch an den Rand von Städ­ten getrie­ben wer­den, ist also qua­si eine Vor­stu­fe davon, dass man in pre­kä­ren Lebens­si­tua­tio­nen lan­det. Dies gab für uns den Aus­schlag, mit ihm über den sprich­wört­li­chen Rand der Gesell­schaft zu spre­chen. Dar­über hin­aus ging es um sei­nen Pod­cast, in dem er Expert:innen zu ver­schie­de­nen gesell­schaft­lich rele­van­ten The­men zu Wort kom­men lässt, und um sein mul­ti­na­tio­na­les Band-​Projekt "Anti­na­tio­nal Embas­sy", das in einer besetz­ten Schu­le sei­nen Anfang fand.

MZEE​.com​: Vie­le dei­ner Songs han­deln von sozia­ler Unge­rech­tig­keit, zum Bei­spiel "Vom Ran­de der Gesell­schaft" oder "Unsicht­bar". Außer­dem bist du bekannt dafür, dich in dei­ner Musik für Min­der­hei­ten stark zu machen. Des Wei­te­ren gibst du unge­hör­ten Stim­men der Gesell­schaft mit dei­nem Pod­cast "Rauch­mel­der" und dem Band-​Projekt "Anti­na­tio­nal Embas­sy" Raum. Woher, glaubst du, kommt es, dass du dich für Men­schen, die vie­le einer Rand­grup­pe zuord­nen wür­den, einsetzt?

PTK: Es ist nicht so, dass ich mich absicht­lich mit Men­schen umge­be, die am Rand der Gesell­schaft leben. Das wür­de ja bedeu­ten, dass es eine Hier­ar­chie gäbe. Ich sehe mich nicht über ihnen – ich füh­le mich ver­bun­den mit vie­len die­ser Men­schen. Das liegt aber nicht dar­an, dass sie zu irgend­ei­ner Rand­grup­pe gehö­ren, son­dern dar­an, dass es zwi­schen­mensch­lich passt. Es hat bestimmt etwas damit zu tun, dass ich sehr empa­thisch bin. Gleich­zei­tig trig­gern mich Unge­rech­tig­kei­ten. Das sind auch The­men in mei­ner Musik. Ich wür­de eher sagen, dass ich mir ein Umfeld gesucht habe, das immer "extre­mer" wird. Damit mei­ne ich gar nicht nur poli­tisch, son­dern Leu­te, die in irgend­ei­ner Wei­se etwas Extre­mes machen, sei es als Künst­ler oder auf­grund ihrer Lebens­si­tua­ti­on. Sol­che Men­schen fin­de ich per­sön­lich viel span­nen­der als Nor­ma­los. Ich habe nichts gegen die­se Men­schen, die habe ich auch im Freun­des­kreis. Ich bin aber als Independent-​Künstler in einer beson­de­ren Situa­ti­on, die nicht jeder hat. Außer­dem beschäf­ti­ge ich mich mit The­men, mit denen nicht jeder etwas zu tun hat. Dadurch hat man dann, logisch geschluss­fol­gert, gleich­ge­sinn­te Leu­te im Freun­des­kreis und es wer­den immer mehr.

MZEE​.com​: Kam so auch dein Pod­cast "Rauch­mel­der" zustan­de – weil du die span­nen­den Men­schen in dei­nem Umfeld zu Wort kom­men las­sen wolltest?

PTK: Ja, er ist ent­stan­den, weil ich vie­le kras­se Leu­te ken­ne. Natür­lich ler­ne ich man­che Gäs­te erst durch den Pod­cast ken­nen, da sie ins Pro­fil pas­sen: zum Bei­spiel, weil sie akti­vis­tisch sind oder einen Job haben, den ich bewun­derns­wert fin­de. Ich bin nicht Robin Hood und muss für irgend­je­man­den spre­chen, das kann jeder für sich selbst machen. Ich beleuch­te aller­dings ger­ne The­men, die mei­ne Freun­de betref­fen, wenn ich Berüh­rungs­punk­te damit habe und Sym­pa­thie empfinde.

MZEE​.com​: Auf dei­nem Track "Alas­ka" rappst du "Ber­lin ist kalt so wie Alas­ka" und beschreibst die Men­schen dei­ner Hei­mat­stadt. Inwie­fern kön­nen Musik und Kunst dazu bei­tra­gen, das Bewusst­sein für sozia­le Ungleich­heit und Dis­kri­mi­nie­rung zu schärfen?

PTK: In aller­ers­ter Linie, indem du es the­ma­ti­sierst und sich Leu­te dadurch mit etwas beschäf­ti­gen, was sie sonst im All­tag viel­leicht nicht auf dem Schirm haben. Jede Art von Inhalt, den du als Künst­ler der Öffent­lich­keit zeigst, gibt den Men­schen Input. Ich mache das mit mei­ner Musik und in mei­nem Pod­cast, indem ande­re dar­über reden. Das hören sich weni­ger Leu­te an als mei­ne Musik. Aber die­je­ni­gen, die sich das anhö­ren, haben bis­her fast alle gesagt, dass sie etwas erfah­ren haben, was sie vor­her noch nicht wuss­ten, oder eine neue Per­spek­ti­ve auf etwas auf­ge­zeigt bekom­men haben. Ein Bei­spiel ist der Fall von Oury Jal­loh: Es gab Leu­te, die im The­ma sind und gesagt haben, dass sie Sachen, die mein Gast dort erzählt hat, noch nie gehört hat­ten. Oder sol­che, die noch nie von dem Fall gehört haben, obwohl man ihn auf dem Schirm haben soll­te. In dem Sin­ne kann mei­ne Musik, mein Schaf­fen, in wel­cher Art und Wei­se auch immer, dazu bei­tra­gen. So blöd es klingt, aber es haben sich schon Besu­cher auf mei­nem Kon­zert ken­nen­ge­lernt, connnec­tet und dann einen Work­shop orga­ni­siert, weil sie wuss­ten: Man tickt gleich.

MZEE​.com​: Lass uns über Gen­tri­fi­zie­rung spre­chen. Hier­bei wer­den Men­schen nicht nur meta­pho­risch, son­dern auch geo­gra­phisch an den Rand gedrängt. Dies ist ein zen­tra­les The­ma in dei­ner Musik, das deut­lich dei­ne star­ke Ableh­nung gegen­über die­ser Ent­wick­lung zeigt. Gibt es etwas, was dir bei die­sem Kampf noch Hoff­nung macht?

PTK: Im End­ef­fekt nicht, denn ich ken­ne nie­man­den, bei dem der Ver­mie­ter die Mie­te wie­der gesenkt hat. Es gibt Geset­ze, die gekippt wur­den. Klar gibt es Rege­lun­gen, die grei­fen, aber im Gro­ßen und Gan­zen gibt es kei­ne rich­tig kras­se Erfolgs­mel­dung. Was "Hoff­nung" macht, ist, dass es immer mehr Leu­te betrifft, was erst mal schei­ße ist. Ich hat­te mei­ne aller­ers­te Zei­le in die Rich­tung sogar schon 2008, als man noch auf Myspace gerappt hat. (lacht) Das heißt, ich beob­ach­te das schon eine Wei­le. Damals haben Freun­de noch nicht mal gewusst, was das bedeu­tet. Mitt­ler­wei­le gibt es kei­nen mehr, der nicht weiß, was das Wort bedeu­tet. Erst, wenn es die Leu­te betrifft, regen sie sich auf oder es for­miert sich irgend­was. Und irgend­wann wird das Bedürf­nis, aktiv zu wer­den, so stark sein, dass die Leu­te hof­fent­lich mehr tun, als nur am Stamm­tisch zu meckern. Näm­lich Druck aus­üben, sodass die Poli­tik ein­greift. Aber da sind wir noch lan­ge nicht. Wir neh­men das alle hin. Alles wird teu­rer, Geld ist weni­ger wert. Wir sind genau da drin und trotz­dem brennt es nicht. Wir hat­ten den fried­lichs­ten 1. Mai seit 1987, hat die Ber­li­ner Poli­zei gesagt. Kei­ner regt sich auf. Des­we­gen weiß ich nicht, ob ich Hoff­nung habe, dass sich etwas ändert. Plus Din­ge, die ent­schie­den wer­den, wie so ein Ama­zon Tower. Ber­lin hat vie­le wei­te­re Hoch­häu­ser geplant. Und das sind ja kei­ne Woh­nun­gen, die ent­ste­hen. Jeden­falls kei­ne, die bezahl­bar sind und die man braucht, aber Ama­zon kriegt einen Turm. Viel­leicht platzt irgend­wann, wie 2008, der gan­ze Immo­bi­li­en­markt wie­der und es gibt eine Finanz­kri­se. Dann gibt es eine Umkehr und in zehn Jah­ren woh­nen wir alle ganz bil­lig in die­sen Luxus­apart­ments, in die kei­ner mehr ein­ge­zo­gen ist. Aber ich glau­be, da sind wir noch nicht.

MZEE​.com​​: Eine Fol­ge der Gen­tri­fi­zie­rung ist auch Woh­nungs­not. Die Zahl der woh­nungs­lo­sen Men­schen ist laut Bun­des­ar­beits­ge­mein­schaft unter ande­rem durch die Pan­de­mie gestie­gen. Außer­dem wur­den vie­le Hilfs­an­ge­bo­te zeit­wei­se ein­ge­stellt oder konn­ten nicht mehr in Per­son statt­fin­den, sodass weni­ger Men­schen die­se Ange­bo­te wahr­neh­men konn­ten. Was braucht es, um das Pro­blem zu bekämpfen?

PTK: Was wir da tun kön­nen? Kei­ne Ahnung. Es zeigt, dass vie­les falsch läuft ange­sichts des­sen, was wir gera­de bespro­chen haben. Obdach­lo­sig­keit ist das ver­län­ger­te The­ma von Gen­tri­fi­zie­rung. Denn du wirst irgend­wann nicht nur ver­drängt, son­dern lan­dest, aus wel­chen Grün­den auch immer, auf der Stra­ße. Dann gibt es bestimmt irgend­wel­che Ange­bo­te, aber wie du schon sagst, hat da nicht jeder Zugang zu, denn es ist eine Spi­ra­le, die mit Armut und vie­lem ande­ren ver­bun­den ist. Wenn du ein­mal eine Rech­nung nicht zah­len kannst, weil du kein Geld hast, ist das Ers­te, was pas­siert, dass du durch Mahn­ge­büh­ren mehr zah­len musst. Das heißt: Von Leu­ten, die nicht zah­len kön­nen, wird ver­langt, mehr zu zah­len. Das ist schon kom­plett bescheu­ert. Alle neh­men es hin und kei­ner stellt es infra­ge. Wenn man in so eine Situa­ti­on gerät, in der man kein Geld hat, bekommt man ja meis­tens nicht nur eine Rech­nung, die nicht gezahlt wer­den kann, son­dern meh­re­re. Du kannst dir viel­leicht ein­mal Geld lei­hen, aber dann kommst du nicht mehr hin­ter­her. Das über­for­dert vie­le. Gera­de in der Pan­de­mie ist sowie­so jeder ver­rückt gewor­den. Ich habe das Gefühl, dass alle Men­schen durch­ge­dreht sind, ich ein­ge­schlos­sen. Eini­ge Din­ge fängt unser Sozi­al­staat auf, aber bestimm­te Sachen auch gar nicht. Und wenn man ein­mal durchs Ras­ter fällt und woh­nungs­los wird, gilt nicht mehr "Wir sind alle gleich", son­dern das ist dann irgend­ein "stin­ken­der Pen­ner" auf der Stra­ße, um den du einen Bogen machst. Das ist der Gesell­schaft aner­zo­gen oder antrai­niert. Des­we­gen soll­te jeder offe­ne Augen dafür haben. Aber nur, weil du mal nett mit denen redest oder einen Gro­schen in den Hut wirfst, wird sich nichts ändern. Dazu kommt – und jetzt füh­le ich mich wie ein Stammtisch-​Laberer –, dass am Ende des Tages Kapi­ta­lis­mus das Pro­blem ist. Es läuft unfair und geht nicht dar­um, was den Men­schen gut­tut, son­dern ums Geld.

MZEE​.com​: Denkst du, dass es sinn­voll wäre, den Fokus mehr auf Prä­ven­ti­on zu set­zen, sodass es gar nicht erst so weit kommt?

PTK: Ja, auf jeden Fall. Es müss­te dafür ein Inter­es­se bestehen, aber dem ist nicht so. Dazu kann ich eine kur­ze Sto­ry erzäh­len: 2020, im ers­ten Corona-​Jahr, gab es in Deutsch­land 30 000 Zwangs­räu­mun­gen. Dar­an sieht man, wo das Inter­es­se liegt. Selbst in so einer Aus­nah­me­si­tua­ti­on beka­men die Betrof­fe­nen nicht mehr Zeit, son­dern die Zwangs­räu­mun­gen wur­den durch­ge­setzt. Es wur­den Men­schen auf die Stra­ße gesetzt, effek­tiv. Da schüt­telt sich alles in mir.

MZEE​.com​​: Auf dem Track "Unsicht­bar" sprichst du über Ein­sam­keit im Alter. Wie war es für dich, über die­ses The­ma zu schrei­ben? Was hat es mit dir gemacht, dich damit zu beschäf­ti­gen, dass älte­re Men­schen oft von der Gesell­schaft ver­ges­sen und iso­liert werden?

PTK: Es geht nicht nur um älte­re Men­schen, das war nur das Bei­spiel auf dem Track. Tho­mas Kundt, ein Tat­ort­rei­ni­ger, der ein Buch geschrie­ben hat und mit sei­nem Pro­gramm durch Deutsch­land tourt, hat mich dazu inspi­riert. Er ermit­telt nicht in Kri­mi­nal­fäl­len, son­dern er ist Des­in­fek­tor. Zu sei­nen Auf­trä­gen gehö­ren zum Bei­spiel Messie-​Wohnungen von ver­wahr­los­ten Men­schen, die nicht mal gestor­ben sein müs­sen. Ich habe ihn auf einer Ver­an­stal­tung in Leip­zig ken­nen­ge­lernt. Weil wir the­ma­tisch Über­schnei­dun­gen haben, ste­hen wir seit­dem im Kon­takt. Irgend­wann hat er mich auf eine All­tags­sze­ne in sei­ner Arbeit auf­merk­sam gemacht, die als Vor­la­ge für ein Musik­vi­deo die­nen könn­te. Das haben wir dann als Inspi­ra­ti­on für die­sen Song genutzt. Ich habe mir dar­auf­hin viel von ihm erzäh­len las­sen. Er hat zum Bei­spiel gesagt, dass es Men­schen gibt, die anonym an allen vor­bei­le­ben und er oft mit Fäl­len kon­fron­tiert ist, in denen Men­schen tot in ihren Woh­nun­gen gefun­den wer­den, ohne dass sich jemand um sie geküm­mert hat. Sei­ne Geschich­ten haben mich erschüt­tert und ich habe ver­sucht, mich in die­se Situa­ti­on hin­ein­zu­ver­set­zen, ohne aus der Ich-​Perspektive zu schrei­ben. Es war für mich eine Her­aus­for­de­rung, das The­ma auf den Punkt zu brin­gen, ohne in eine Rol­le zu schlüp­fen, aber ich den­ke, dass ich es geschafft habe. Es ist kei­ne neue Erkennt­nis für mich gewe­sen, dass man anonym anein­an­der vor­bei­lebt. Das sehe ich jeden Tag. Aber beson­ders cra­zy war der Video­dreh für mich. Wir haben das in einer Woh­nung gedreht, in der er wirk­lich einen Ein­satz hat­te. Die Lei­che war schon weg, aber es war eine ech­te Messi-​Wohnung. Da lag auch eine tote Rat­te in der Ecke und die lag da schon, als die Men­schen noch dort gelebt haben. Unvor­stell­ba­re Zustän­de. Es hat über­trie­ben gestun­ken. Er mein­te, dass das noch gar nichts gewe­sen sei, eine 4 von 10. Es ist erbärm­lich und trau­rig, dass das am lau­fen­den Band pas­siert und die Men­schen in der Gesell­schaft sich so wenig für­ein­an­der inter­es­sie­ren, dass Leu­te so ein­sam im Hoch­haus ster­ben kön­nen und es kei­nen juckt. Ich sage in der Hook: "Wer erträgt sei­ne Schmer­zen? Ihr habt ihn nie gese­hen, er ist unsicht­bar und muss erst ster­ben, damit wir ihn bemer­ken. Ihr habt ihn nie gese­hen, er ist euch so egal." – Es ist an den Hörer gerich­tet, dass er "ihm" egal ist. Tho­mas hat mich dar­auf auf­merk­sam gemacht, dass ich statt­des­sen "uns" sagen soll­te, um uns alle ein­zu­schlie­ßen. Das war eine berech­tig­te Kri­tik. Aber ich möch­te als PTK die Rol­le ein­neh­men, dass es unan­ge­nehm ist, mich zu hören und man sich ertappt fühlt. Ich möch­te Musik machen, bei der man sich ange­grif­fen fühlt, wenn man ange­spro­chen wird. Das mag unan­ge­nehm sein, aber ich hof­fe, dass es mehr bringt. Das ist mein Gedan­ke dahinter.

MZEE​.com​: Was kann dabei hel­fen, die älte­re Gene­ra­ti­on mit der jün­ge­ren bes­ser zu verbinden?

PTK: Irgend­ein Nazi könn­te dir dar­auf jetzt voll die gefähr­li­che Ant­wort geben in Bezug auf Gemein­schaft und Fami­lie. Am Ende des Tages leben wir im west­li­chen Kul­tur­kreis alle etwas ent­frem­de­ter. Die Alten wer­den irgend­wann ins Alters­heim abge­scho­ben. Das ist pau­scha­li­siert und nicht immer der Fall, aber es wird ver­mut­lich klar, wor­auf ich hin­aus will. Viel­leicht könn­te man so was in der Schu­le ver­mit­teln, denn das ist der Ort, an dem man Men­schen etwas Coo­les mit auf den Weg geben kann. Ich glau­be, in Schwe­den gibt es das Schul­fach Empa­thie. Ich weiß nicht, wie das aus­sieht, aber da könn­te man den Kin­dern ermög­li­chen, in ande­re Rol­len zu schlüp­fen. Alle reden über das The­ma Flücht­lin­ge. Natür­lich darf man Kids nicht trau­ma­ti­sie­ren, aber ich den­ke, wenn du selbst mal in einem Schlauch­boot im Nir­gend­wo saßt, wirst du danach wahr­schein­lich anders dar­über sprechen.

MZEE​.com​: Ist es dir gene­rell wich­tig, die Din­ge aus einer ande­ren Per­spek­ti­ve zu betrach­ten, wie du es auf dei­nem Song machst?

PTK: Ja. Es wäre coo­ler, wenn nicht ich dar­über rede, son­dern Leu­te es für sich selbst tun. Aber als jemand, der kom­plett iso­liert ist und immer mehr ver­wahr­lost, geht man nicht von sich aus auf ande­re Leu­te zu, son­dern man zieht sich mehr und mehr zurück. In der zwei­ten Fol­ge des "Rauchmelder"-Podcasts geht es um einen Freund, der mit beein­träch­tig­ten Kin­dern arbei­tet. Ich hat­te bis­her kaum Erfah­run­gen mit Men­schen mit Behin­de­run­gen oder älte­re Per­so­nen außer zufäl­lig auf der Stra­ße. Vor drei bis vier Jah­ren habe ich mal einen Work­shop gege­ben, in dem eine Per­son mit Down-​Syndrom dabei war. Aber das war es auch. Ich habe mich mit die­sem Freund dar­über unter­hal­ten, dass man­che Men­schen mit Behin­de­run­gen oder älte­re Men­schen oft "ver­steckt" wer­den und ich in mei­nem Leben bis­her kaum Berüh­rungs­punk­te damit hat­te. Es gibt sicher­lich Men­schen, die ganz ande­re Erfah­run­gen gemacht haben, aber für mich war das eher ungewöhnlich.

MZEE​.com​: Vie­le, teils auch nur ver­meint­lich seriö­se Medi­en berich­ten über sozia­le Brenn­punk­te auf eine Art und Wei­se, die zuneh­mend einem Unter­hal­tungs­for­mat ähnelt – wie zum Bei­spiel der SPIEGEL mit sei­ner vira­len Doku-​Reihe über den PENNY-​Markt auf der Ree­per­bahn. Kommt der Jour­na­lis­mus hier dei­ner Mei­nung nach sei­ner Auf­ga­be nach, die Brei­te der Gesell­schaft abzu­bil­den oder sol­len dadurch höhe­re Auf­ruf­zah­len auf Kos­ten ande­rer erzielt werden?

PTK: Es ist bei­des. An dem Leid von ande­ren Leu­ten ergötzt man sich, das bringt Klicks – genau­so wie die The­men Dro­gen, Sex oder Gewalt. Du könn­test auch fra­gen, war­um 4 Blocks so erfolg­reich ist und nicht die Arte-​Doku? Aber ich bin kein Jour­na­list, der zu sagen hat, was Jour­na­lis­mus für eine Auf­ga­be hat. Was ist denn über­haupt kom­plett rei­ner Jour­na­lis­mus? Ist da nicht immer auch ein biss­chen Agen­da, Poli­tik oder Wer­bung dabei? Gera­de bei SPIEGEL TV-​Reportagen. Ich gucke mir die auch an und lache, weil die­se Spre­cher wit­zig sind. Aber es geht wirk­lich unter die Gür­tel­li­nie und ist teil­wei­se ras­sis­tisch. Wäh­rend man es guckt, weiß man es. Genau­so weißt du, was dich bei der SPIEGEL-​Reportage über ara­bi­sche Clans in Ber­lin erwar­tet. Die PENNY-​Markt-​Doku habe ich nie so ver­folgt, aber ich ken­ne den Markt und ich weiß, dass die­se Doku exis­tiert und Kult­sta­tus hat. War­um ist es Kult? Weil da irgend­wel­che Leu­te sind, wie sie sind. Und dann bist du wie­der bei Gen­tri­fi­zie­rung und Hip­stern, die das cool fin­den. Da, wo es rich­tig eklig und dre­ckig ist und wo einem gesagt wird "Geh' da abends nicht lang", machen Leu­te Insta-​Posts, weil sie sich sagen: "That's so Ber­lin." Elend cool machen, Armut roman­ti­sie­ren – das ist ein Phä­no­men bei Leu­ten, die nicht aus so einer Welt kom­men. K.I.Z haben, glau­be ich, mal so was gerappt wie: "Im Fern­se­hen lachst du Bau­ern aus, die genau­so sind wie du." Man fühlt sich bes­ser, weil das im Fern­se­hen ist, und man denkt, man sei über die­sen Menschen.

MZEE​.com​: Auf "Unsicht­bar" rappst du: "Jede Her­de packt die Schwa­chen in die Mit­te, nur wir nicht, wir drän­gen uns an den Rand." – Gera­de Min­der­hei­ten und Men­schen, die man als Rand­grup­pen bezeich­net, sind in Berei­chen wie Poli­tik, Medi­en oder Wirt­schaft nicht ange­mes­sen ver­tre­ten. Wie kann man als Gesell­schaft bes­ser dar­auf ach­ten, dass man sol­che Grup­pen nicht aus den Augen verliert?

PTK: Es ist schwie­rig zu beant­wor­ten, was die Gesell­schaft tun kann, um Rand­grup­pen zu unter­stüt­zen. Denn die Gesell­schaft besteht aus Men­schen mit unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven und Inter­es­sen. Man müss­te defi­nie­ren, was eine Rand­grup­pe ist und wie man sie auf­löst. Am bes­ten wäre es, die Men­schen frü­her zu sen­si­bi­li­sie­ren und Empa­thie zu schaf­fen, aber das allein löst nicht das Pro­blem. Außer­dem ist es frag­lich, ob über­haupt Inter­es­se besteht, Rand­grup­pen zu unter­stüt­zen, da die Inter­es­sen oft durch Geld­ge­win­ne ent­ste­hen. Um das Sys­tem aus­zu­trick­sen, müss­te man Anrei­ze für Unter­neh­men schaf­fen, um bei­spiels­wei­se Woh­nun­gen für Obdach­lo­se zur Ver­fü­gung zu stel­len. Es hängt mit Geld zusam­men. Über den poli­ti­schen Weg dau­ert es oft zu lan­ge, des­halb ist es schwie­rig, eine kon­kre­te Ant­wort auf die Fra­ge zu geben.

MZEE​.com​: Wel­che posi­ti­ven Aspek­te fin­dest du per­sön­lich wich­tig, die durch Viel­falt und kul­tu­rel­le Unter­schie­de ent­ste­hen können?

PTK: Für mich per­sön­lich hat es auf jeden Fall Mehr­wert, dass ich Leu­te aus allen mög­li­chen Kul­tu­ren und Ecken der Welt ken­ne, denn es erwei­tert mei­ne Per­spek­ti­ve. Das, was für mich nor­mal ist, ist für vie­le ande­re nicht nor­mal. Wenn man mit Men­schen mit unter­schied­li­chen Hin­ter­grün­den zu tun hat, kann man deren Sicht­wei­se ver­ste­hen und auch schät­zen ler­nen. Das ist eine Chan­ce, um sich wei­ter­zu­ent­wi­ckeln und sen­si­bler zu wer­den. Wür­de ich kei­ne Geflüch­te­ten ken­nen, hät­te ich mich damit gar nicht aus­ein­an­der­ge­setzt und gemerkt, wie schei­ße mit der The­ma­tik umge­gan­gen wird und wel­che Kon­flik­te dadurch ent­ste­hen. Ich fin­de den Begriff Rand­grup­pen schwie­rig, denn ich will den Men­schen nicht dar­auf redu­zie­ren. Man ist immer mehr als nur eine Sache. Viel­leicht soll­ten wir gene­rell ver­su­chen, die­ses Schub­la­den­den­ken abzulegen.

MZEE​.com​: Auf dem Track "Atlan­tis" sagst du, dass dei­ne DMs dich am meis­ten über­for­dern, weil von dir erwar­tet wird, dass du alle Pro­ble­me der Welt mit einem Song löst. Wie schaffst du es, aus dem Gefühl der Über­for­de­rung wie­der rauszukommen?

PTK: Ich weiß nicht, ob ich dar­auf eine kon­kre­te Ant­wort habe. Wenn Erwar­tun­gen erfüllt wer­den sol­len, kann Druck ent­ste­hen. Leu­te fra­gen mich oft nach mei­ner Mei­nung zu bestimm­ten The­men, wie zum Bei­spiel dem Krieg in der Ukrai­ne, aber es ist schwie­rig, eine fun­dier­te Mei­nung zu haben, wenn man gar nicht direkt betrof­fen ist. Mei­ne Mei­nung ist in dem Fall nur ange­le­sen und eine Mischung aus allen Infor­ma­tio­nen, die ich mir erle­sen habe. Ich neh­me mir das Recht raus, erst etwas zu sagen, wenn ich etwas dazu sagen will. In die­sem Fall gibt es ande­re, die zuerst etwas dazu sagen sol­len. Als Künst­ler muss ich mir mei­ner Ver­ant­wor­tung bewusst sein und auch mal nicht ant­wor­ten. Es ist trotz­dem eklig zu wis­sen, dass es erwar­tet wird und du das viel­leicht nicht erfüllst. Es gibt kei­nen Weg raus, außer dar­auf zu schei­ßen. Aber mein Pod­cast ist ein Medi­um, in dem ich einem The­ma Raum geben kann, ohne selbst etwas dazu zu sagen. Dann lade ich Exper­ten ein und rede mit ihnen.

(Malin Tee­gen)
(Fotos von Alex Nie­b­ler, Jani­na Wag­ner & Cleo De Shivas)