Der Begriff "Randgruppe" ist eine vage, alltagssprachliche Bezeichnung für Menschen, die sich hinsichtlich ihrer Lebensbedingungen, Lebensführung oder bestimmter Normen und Werte von der Mehrheit der Gesellschaft unterscheiden oder für die dies angenommen wird. Dazu zählen unter anderem marginalisierte gesellschaftliche Gruppen wie Arbeitslose, Suchtkranke, Geflüchtete oder Wohnungslose. An dieser Stelle ist es wichtig anzumerken, dass die Lebensumstände dieser Personen normalerweise außerhalb ihrer Kontrolle liegen. Genau das beschreibt auch der Rapper PTK auf seinem Track "Unsichtbar". Dort rappt er: "Man ist nicht immer schuld an den Schulden, die man hat." – Der Track und das Video vermitteln Einblicke in den Berufsalltag eines Tatortreinigers, für den Geschichten von Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben und sterben, zum Job dazugehören. Auch für PTK ist es nicht das erste Mal, dass er sich einer so schwierigen Materie annimmt und einen Song dazu verfasst. Schon in der Vergangenheit thematisierte der Berliner in seiner Kunst viele Aspekte von sozialer Ungerechtigkeit. Das wohl bekannteste Thema, das man mit dem Rapper verbindet, ist Gentrifizierung. Diesem widmet er eine eigene Song-Reihe unter dem Namen "ANTI TURISTA". Dass durch Gentrifizierung Wohnungsnot entsteht und Menschen nicht nur metaphorisch, sondern auch geografisch an den Rand von Städten getrieben werden, ist also quasi eine Vorstufe davon, dass man in prekären Lebenssituationen landet. Dies gab für uns den Ausschlag, mit ihm über den sprichwörtlichen Rand der Gesellschaft zu sprechen. Darüber hinaus ging es um seinen Podcast, in dem er Expert:innen zu verschiedenen gesellschaftlich relevanten Themen zu Wort kommen lässt, und um sein multinationales Band-Projekt "Antinational Embassy", das in einer besetzten Schule seinen Anfang fand.
MZEE.com: Viele deiner Songs handeln von sozialer Ungerechtigkeit, zum Beispiel "Vom Rande der Gesellschaft" oder "Unsichtbar". Außerdem bist du bekannt dafür, dich in deiner Musik für Minderheiten stark zu machen. Des Weiteren gibst du ungehörten Stimmen der Gesellschaft mit deinem Podcast "Rauchmelder" und dem Band-Projekt "Antinational Embassy" Raum. Woher, glaubst du, kommt es, dass du dich für Menschen, die viele einer Randgruppe zuordnen würden, einsetzt?
PTK: Es ist nicht so, dass ich mich absichtlich mit Menschen umgebe, die am Rand der Gesellschaft leben. Das würde ja bedeuten, dass es eine Hierarchie gäbe. Ich sehe mich nicht über ihnen – ich fühle mich verbunden mit vielen dieser Menschen. Das liegt aber nicht daran, dass sie zu irgendeiner Randgruppe gehören, sondern daran, dass es zwischenmenschlich passt. Es hat bestimmt etwas damit zu tun, dass ich sehr empathisch bin. Gleichzeitig triggern mich Ungerechtigkeiten. Das sind auch Themen in meiner Musik. Ich würde eher sagen, dass ich mir ein Umfeld gesucht habe, das immer "extremer" wird. Damit meine ich gar nicht nur politisch, sondern Leute, die in irgendeiner Weise etwas Extremes machen, sei es als Künstler oder aufgrund ihrer Lebenssituation. Solche Menschen finde ich persönlich viel spannender als Normalos. Ich habe nichts gegen diese Menschen, die habe ich auch im Freundeskreis. Ich bin aber als Independent-Künstler in einer besonderen Situation, die nicht jeder hat. Außerdem beschäftige ich mich mit Themen, mit denen nicht jeder etwas zu tun hat. Dadurch hat man dann, logisch geschlussfolgert, gleichgesinnte Leute im Freundeskreis und es werden immer mehr.
MZEE.com: Kam so auch dein Podcast "Rauchmelder" zustande – weil du die spannenden Menschen in deinem Umfeld zu Wort kommen lassen wolltest?
PTK: Ja, er ist entstanden, weil ich viele krasse Leute kenne. Natürlich lerne ich manche Gäste erst durch den Podcast kennen, da sie ins Profil passen: zum Beispiel, weil sie aktivistisch sind oder einen Job haben, den ich bewundernswert finde. Ich bin nicht Robin Hood und muss für irgendjemanden sprechen, das kann jeder für sich selbst machen. Ich beleuchte allerdings gerne Themen, die meine Freunde betreffen, wenn ich Berührungspunkte damit habe und Sympathie empfinde.
MZEE.com: Auf deinem Track "Alaska" rappst du "Berlin ist kalt so wie Alaska" und beschreibst die Menschen deiner Heimatstadt. Inwiefern können Musik und Kunst dazu beitragen, das Bewusstsein für soziale Ungleichheit und Diskriminierung zu schärfen?
PTK: In allererster Linie, indem du es thematisierst und sich Leute dadurch mit etwas beschäftigen, was sie sonst im Alltag vielleicht nicht auf dem Schirm haben. Jede Art von Inhalt, den du als Künstler der Öffentlichkeit zeigst, gibt den Menschen Input. Ich mache das mit meiner Musik und in meinem Podcast, indem andere darüber reden. Das hören sich weniger Leute an als meine Musik. Aber diejenigen, die sich das anhören, haben bisher fast alle gesagt, dass sie etwas erfahren haben, was sie vorher noch nicht wussten, oder eine neue Perspektive auf etwas aufgezeigt bekommen haben. Ein Beispiel ist der Fall von Oury Jalloh: Es gab Leute, die im Thema sind und gesagt haben, dass sie Sachen, die mein Gast dort erzählt hat, noch nie gehört hatten. Oder solche, die noch nie von dem Fall gehört haben, obwohl man ihn auf dem Schirm haben sollte. In dem Sinne kann meine Musik, mein Schaffen, in welcher Art und Weise auch immer, dazu beitragen. So blöd es klingt, aber es haben sich schon Besucher auf meinem Konzert kennengelernt, connnectet und dann einen Workshop organisiert, weil sie wussten: Man tickt gleich.
MZEE.com: Lass uns über Gentrifizierung sprechen. Hierbei werden Menschen nicht nur metaphorisch, sondern auch geographisch an den Rand gedrängt. Dies ist ein zentrales Thema in deiner Musik, das deutlich deine starke Ablehnung gegenüber dieser Entwicklung zeigt. Gibt es etwas, was dir bei diesem Kampf noch Hoffnung macht?
PTK: Im Endeffekt nicht, denn ich kenne niemanden, bei dem der Vermieter die Miete wieder gesenkt hat. Es gibt Gesetze, die gekippt wurden. Klar gibt es Regelungen, die greifen, aber im Großen und Ganzen gibt es keine richtig krasse Erfolgsmeldung. Was "Hoffnung" macht, ist, dass es immer mehr Leute betrifft, was erst mal scheiße ist. Ich hatte meine allererste Zeile in die Richtung sogar schon 2008, als man noch auf Myspace gerappt hat. (lacht) Das heißt, ich beobachte das schon eine Weile. Damals haben Freunde noch nicht mal gewusst, was das bedeutet. Mittlerweile gibt es keinen mehr, der nicht weiß, was das Wort bedeutet. Erst, wenn es die Leute betrifft, regen sie sich auf oder es formiert sich irgendwas. Und irgendwann wird das Bedürfnis, aktiv zu werden, so stark sein, dass die Leute hoffentlich mehr tun, als nur am Stammtisch zu meckern. Nämlich Druck ausüben, sodass die Politik eingreift. Aber da sind wir noch lange nicht. Wir nehmen das alle hin. Alles wird teurer, Geld ist weniger wert. Wir sind genau da drin und trotzdem brennt es nicht. Wir hatten den friedlichsten 1. Mai seit 1987, hat die Berliner Polizei gesagt. Keiner regt sich auf. Deswegen weiß ich nicht, ob ich Hoffnung habe, dass sich etwas ändert. Plus Dinge, die entschieden werden, wie so ein Amazon Tower. Berlin hat viele weitere Hochhäuser geplant. Und das sind ja keine Wohnungen, die entstehen. Jedenfalls keine, die bezahlbar sind und die man braucht, aber Amazon kriegt einen Turm. Vielleicht platzt irgendwann, wie 2008, der ganze Immobilienmarkt wieder und es gibt eine Finanzkrise. Dann gibt es eine Umkehr und in zehn Jahren wohnen wir alle ganz billig in diesen Luxusapartments, in die keiner mehr eingezogen ist. Aber ich glaube, da sind wir noch nicht.
MZEE.com: Eine Folge der Gentrifizierung ist auch Wohnungsnot. Die Zahl der wohnungslosen Menschen ist laut Bundesarbeitsgemeinschaft unter anderem durch die Pandemie gestiegen. Außerdem wurden viele Hilfsangebote zeitweise eingestellt oder konnten nicht mehr in Person stattfinden, sodass weniger Menschen diese Angebote wahrnehmen konnten. Was braucht es, um das Problem zu bekämpfen?
PTK: Was wir da tun können? Keine Ahnung. Es zeigt, dass vieles falsch läuft angesichts dessen, was wir gerade besprochen haben. Obdachlosigkeit ist das verlängerte Thema von Gentrifizierung. Denn du wirst irgendwann nicht nur verdrängt, sondern landest, aus welchen Gründen auch immer, auf der Straße. Dann gibt es bestimmt irgendwelche Angebote, aber wie du schon sagst, hat da nicht jeder Zugang zu, denn es ist eine Spirale, die mit Armut und vielem anderen verbunden ist. Wenn du einmal eine Rechnung nicht zahlen kannst, weil du kein Geld hast, ist das Erste, was passiert, dass du durch Mahngebühren mehr zahlen musst. Das heißt: Von Leuten, die nicht zahlen können, wird verlangt, mehr zu zahlen. Das ist schon komplett bescheuert. Alle nehmen es hin und keiner stellt es infrage. Wenn man in so eine Situation gerät, in der man kein Geld hat, bekommt man ja meistens nicht nur eine Rechnung, die nicht gezahlt werden kann, sondern mehrere. Du kannst dir vielleicht einmal Geld leihen, aber dann kommst du nicht mehr hinterher. Das überfordert viele. Gerade in der Pandemie ist sowieso jeder verrückt geworden. Ich habe das Gefühl, dass alle Menschen durchgedreht sind, ich eingeschlossen. Einige Dinge fängt unser Sozialstaat auf, aber bestimmte Sachen auch gar nicht. Und wenn man einmal durchs Raster fällt und wohnungslos wird, gilt nicht mehr "Wir sind alle gleich", sondern das ist dann irgendein "stinkender Penner" auf der Straße, um den du einen Bogen machst. Das ist der Gesellschaft anerzogen oder antrainiert. Deswegen sollte jeder offene Augen dafür haben. Aber nur, weil du mal nett mit denen redest oder einen Groschen in den Hut wirfst, wird sich nichts ändern. Dazu kommt – und jetzt fühle ich mich wie ein Stammtisch-Laberer –, dass am Ende des Tages Kapitalismus das Problem ist. Es läuft unfair und geht nicht darum, was den Menschen guttut, sondern ums Geld.
MZEE.com: Denkst du, dass es sinnvoll wäre, den Fokus mehr auf Prävention zu setzen, sodass es gar nicht erst so weit kommt?
PTK: Ja, auf jeden Fall. Es müsste dafür ein Interesse bestehen, aber dem ist nicht so. Dazu kann ich eine kurze Story erzählen: 2020, im ersten Corona-Jahr, gab es in Deutschland 30 000 Zwangsräumungen. Daran sieht man, wo das Interesse liegt. Selbst in so einer Ausnahmesituation bekamen die Betroffenen nicht mehr Zeit, sondern die Zwangsräumungen wurden durchgesetzt. Es wurden Menschen auf die Straße gesetzt, effektiv. Da schüttelt sich alles in mir.
MZEE.com: Auf dem Track "Unsichtbar" sprichst du über Einsamkeit im Alter. Wie war es für dich, über dieses Thema zu schreiben? Was hat es mit dir gemacht, dich damit zu beschäftigen, dass ältere Menschen oft von der Gesellschaft vergessen und isoliert werden?
PTK: Es geht nicht nur um ältere Menschen, das war nur das Beispiel auf dem Track. Thomas Kundt, ein Tatortreiniger, der ein Buch geschrieben hat und mit seinem Programm durch Deutschland tourt, hat mich dazu inspiriert. Er ermittelt nicht in Kriminalfällen, sondern er ist Desinfektor. Zu seinen Aufträgen gehören zum Beispiel Messie-Wohnungen von verwahrlosten Menschen, die nicht mal gestorben sein müssen. Ich habe ihn auf einer Veranstaltung in Leipzig kennengelernt. Weil wir thematisch Überschneidungen haben, stehen wir seitdem im Kontakt. Irgendwann hat er mich auf eine Alltagsszene in seiner Arbeit aufmerksam gemacht, die als Vorlage für ein Musikvideo dienen könnte. Das haben wir dann als Inspiration für diesen Song genutzt. Ich habe mir daraufhin viel von ihm erzählen lassen. Er hat zum Beispiel gesagt, dass es Menschen gibt, die anonym an allen vorbeileben und er oft mit Fällen konfrontiert ist, in denen Menschen tot in ihren Wohnungen gefunden werden, ohne dass sich jemand um sie gekümmert hat. Seine Geschichten haben mich erschüttert und ich habe versucht, mich in diese Situation hineinzuversetzen, ohne aus der Ich-Perspektive zu schreiben. Es war für mich eine Herausforderung, das Thema auf den Punkt zu bringen, ohne in eine Rolle zu schlüpfen, aber ich denke, dass ich es geschafft habe. Es ist keine neue Erkenntnis für mich gewesen, dass man anonym aneinander vorbeilebt. Das sehe ich jeden Tag. Aber besonders crazy war der Videodreh für mich. Wir haben das in einer Wohnung gedreht, in der er wirklich einen Einsatz hatte. Die Leiche war schon weg, aber es war eine echte Messi-Wohnung. Da lag auch eine tote Ratte in der Ecke und die lag da schon, als die Menschen noch dort gelebt haben. Unvorstellbare Zustände. Es hat übertrieben gestunken. Er meinte, dass das noch gar nichts gewesen sei, eine 4 von 10. Es ist erbärmlich und traurig, dass das am laufenden Band passiert und die Menschen in der Gesellschaft sich so wenig füreinander interessieren, dass Leute so einsam im Hochhaus sterben können und es keinen juckt. Ich sage in der Hook: "Wer erträgt seine Schmerzen? Ihr habt ihn nie gesehen, er ist unsichtbar und muss erst sterben, damit wir ihn bemerken. Ihr habt ihn nie gesehen, er ist euch so egal." – Es ist an den Hörer gerichtet, dass er "ihm" egal ist. Thomas hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass ich stattdessen "uns" sagen sollte, um uns alle einzuschließen. Das war eine berechtigte Kritik. Aber ich möchte als PTK die Rolle einnehmen, dass es unangenehm ist, mich zu hören und man sich ertappt fühlt. Ich möchte Musik machen, bei der man sich angegriffen fühlt, wenn man angesprochen wird. Das mag unangenehm sein, aber ich hoffe, dass es mehr bringt. Das ist mein Gedanke dahinter.
MZEE.com: Was kann dabei helfen, die ältere Generation mit der jüngeren besser zu verbinden?
PTK: Irgendein Nazi könnte dir darauf jetzt voll die gefährliche Antwort geben in Bezug auf Gemeinschaft und Familie. Am Ende des Tages leben wir im westlichen Kulturkreis alle etwas entfremdeter. Die Alten werden irgendwann ins Altersheim abgeschoben. Das ist pauschalisiert und nicht immer der Fall, aber es wird vermutlich klar, worauf ich hinaus will. Vielleicht könnte man so was in der Schule vermitteln, denn das ist der Ort, an dem man Menschen etwas Cooles mit auf den Weg geben kann. Ich glaube, in Schweden gibt es das Schulfach Empathie. Ich weiß nicht, wie das aussieht, aber da könnte man den Kindern ermöglichen, in andere Rollen zu schlüpfen. Alle reden über das Thema Flüchtlinge. Natürlich darf man Kids nicht traumatisieren, aber ich denke, wenn du selbst mal in einem Schlauchboot im Nirgendwo saßt, wirst du danach wahrscheinlich anders darüber sprechen.
MZEE.com: Ist es dir generell wichtig, die Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten, wie du es auf deinem Song machst?
PTK: Ja. Es wäre cooler, wenn nicht ich darüber rede, sondern Leute es für sich selbst tun. Aber als jemand, der komplett isoliert ist und immer mehr verwahrlost, geht man nicht von sich aus auf andere Leute zu, sondern man zieht sich mehr und mehr zurück. In der zweiten Folge des "Rauchmelder"-Podcasts geht es um einen Freund, der mit beeinträchtigten Kindern arbeitet. Ich hatte bisher kaum Erfahrungen mit Menschen mit Behinderungen oder ältere Personen außer zufällig auf der Straße. Vor drei bis vier Jahren habe ich mal einen Workshop gegeben, in dem eine Person mit Down-Syndrom dabei war. Aber das war es auch. Ich habe mich mit diesem Freund darüber unterhalten, dass manche Menschen mit Behinderungen oder ältere Menschen oft "versteckt" werden und ich in meinem Leben bisher kaum Berührungspunkte damit hatte. Es gibt sicherlich Menschen, die ganz andere Erfahrungen gemacht haben, aber für mich war das eher ungewöhnlich.
MZEE.com: Viele, teils auch nur vermeintlich seriöse Medien berichten über soziale Brennpunkte auf eine Art und Weise, die zunehmend einem Unterhaltungsformat ähnelt – wie zum Beispiel der SPIEGEL mit seiner viralen Doku-Reihe über den PENNY-Markt auf der Reeperbahn. Kommt der Journalismus hier deiner Meinung nach seiner Aufgabe nach, die Breite der Gesellschaft abzubilden oder sollen dadurch höhere Aufrufzahlen auf Kosten anderer erzielt werden?
PTK: Es ist beides. An dem Leid von anderen Leuten ergötzt man sich, das bringt Klicks – genauso wie die Themen Drogen, Sex oder Gewalt. Du könntest auch fragen, warum 4 Blocks so erfolgreich ist und nicht die Arte-Doku? Aber ich bin kein Journalist, der zu sagen hat, was Journalismus für eine Aufgabe hat. Was ist denn überhaupt komplett reiner Journalismus? Ist da nicht immer auch ein bisschen Agenda, Politik oder Werbung dabei? Gerade bei SPIEGEL TV-Reportagen. Ich gucke mir die auch an und lache, weil diese Sprecher witzig sind. Aber es geht wirklich unter die Gürtellinie und ist teilweise rassistisch. Während man es guckt, weiß man es. Genauso weißt du, was dich bei der SPIEGEL-Reportage über arabische Clans in Berlin erwartet. Die PENNY-Markt-Doku habe ich nie so verfolgt, aber ich kenne den Markt und ich weiß, dass diese Doku existiert und Kultstatus hat. Warum ist es Kult? Weil da irgendwelche Leute sind, wie sie sind. Und dann bist du wieder bei Gentrifizierung und Hipstern, die das cool finden. Da, wo es richtig eklig und dreckig ist und wo einem gesagt wird "Geh' da abends nicht lang", machen Leute Insta-Posts, weil sie sich sagen: "That's so Berlin." Elend cool machen, Armut romantisieren – das ist ein Phänomen bei Leuten, die nicht aus so einer Welt kommen. K.I.Z haben, glaube ich, mal so was gerappt wie: "Im Fernsehen lachst du Bauern aus, die genauso sind wie du." Man fühlt sich besser, weil das im Fernsehen ist, und man denkt, man sei über diesen Menschen.
MZEE.com: Auf "Unsichtbar" rappst du: "Jede Herde packt die Schwachen in die Mitte, nur wir nicht, wir drängen uns an den Rand." – Gerade Minderheiten und Menschen, die man als Randgruppen bezeichnet, sind in Bereichen wie Politik, Medien oder Wirtschaft nicht angemessen vertreten. Wie kann man als Gesellschaft besser darauf achten, dass man solche Gruppen nicht aus den Augen verliert?
PTK: Es ist schwierig zu beantworten, was die Gesellschaft tun kann, um Randgruppen zu unterstützen. Denn die Gesellschaft besteht aus Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven und Interessen. Man müsste definieren, was eine Randgruppe ist und wie man sie auflöst. Am besten wäre es, die Menschen früher zu sensibilisieren und Empathie zu schaffen, aber das allein löst nicht das Problem. Außerdem ist es fraglich, ob überhaupt Interesse besteht, Randgruppen zu unterstützen, da die Interessen oft durch Geldgewinne entstehen. Um das System auszutricksen, müsste man Anreize für Unternehmen schaffen, um beispielsweise Wohnungen für Obdachlose zur Verfügung zu stellen. Es hängt mit Geld zusammen. Über den politischen Weg dauert es oft zu lange, deshalb ist es schwierig, eine konkrete Antwort auf die Frage zu geben.
MZEE.com: Welche positiven Aspekte findest du persönlich wichtig, die durch Vielfalt und kulturelle Unterschiede entstehen können?
PTK: Für mich persönlich hat es auf jeden Fall Mehrwert, dass ich Leute aus allen möglichen Kulturen und Ecken der Welt kenne, denn es erweitert meine Perspektive. Das, was für mich normal ist, ist für viele andere nicht normal. Wenn man mit Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zu tun hat, kann man deren Sichtweise verstehen und auch schätzen lernen. Das ist eine Chance, um sich weiterzuentwickeln und sensibler zu werden. Würde ich keine Geflüchteten kennen, hätte ich mich damit gar nicht auseinandergesetzt und gemerkt, wie scheiße mit der Thematik umgegangen wird und welche Konflikte dadurch entstehen. Ich finde den Begriff Randgruppen schwierig, denn ich will den Menschen nicht darauf reduzieren. Man ist immer mehr als nur eine Sache. Vielleicht sollten wir generell versuchen, dieses Schubladendenken abzulegen.
MZEE.com: Auf dem Track "Atlantis" sagst du, dass deine DMs dich am meisten überfordern, weil von dir erwartet wird, dass du alle Probleme der Welt mit einem Song löst. Wie schaffst du es, aus dem Gefühl der Überforderung wieder rauszukommen?
PTK: Ich weiß nicht, ob ich darauf eine konkrete Antwort habe. Wenn Erwartungen erfüllt werden sollen, kann Druck entstehen. Leute fragen mich oft nach meiner Meinung zu bestimmten Themen, wie zum Beispiel dem Krieg in der Ukraine, aber es ist schwierig, eine fundierte Meinung zu haben, wenn man gar nicht direkt betroffen ist. Meine Meinung ist in dem Fall nur angelesen und eine Mischung aus allen Informationen, die ich mir erlesen habe. Ich nehme mir das Recht raus, erst etwas zu sagen, wenn ich etwas dazu sagen will. In diesem Fall gibt es andere, die zuerst etwas dazu sagen sollen. Als Künstler muss ich mir meiner Verantwortung bewusst sein und auch mal nicht antworten. Es ist trotzdem eklig zu wissen, dass es erwartet wird und du das vielleicht nicht erfüllst. Es gibt keinen Weg raus, außer darauf zu scheißen. Aber mein Podcast ist ein Medium, in dem ich einem Thema Raum geben kann, ohne selbst etwas dazu zu sagen. Dann lade ich Experten ein und rede mit ihnen.
(Malin Teegen)
(Fotos von Alex Niebler, Janina Wagner & Cleo De Shivas)