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Interview

Mortis – ein Gespräch über Leistungsdruck

"Aus der Ent­täu­schung ent­wi­ckeln sich kras­se Ängs­te, die sich wie­der­um in dei­ner Kunst nie­der­schla­gen und aus dem Gan­zen wird eine Art Per­pe­tu­um mobi­le. In mei­nem Fall hat das in einer hand­fes­ten Depres­si­on geen­det." – Mor­tis im Inter­view über die Fol­gen von hohen Erwar­tun­gen an den eige­nen Erfolg.

Bei­na­he neun Jah­re ist es her, dass der Rap­per und Pro­du­zent Mor­tis zuletzt musi­ka­lisch auf sich auf­merk­sam mach­te. Auf die Ver­öf­fent­li­chung sei­ner ers­ten EP "Der Gol­de­ne Käfig" 2014 folg­te noch im sel­ben Jahr das Debüt­al­bum "Hol­ly­wood­psy­cho­se", das über das Label Show­down Records erschien. Seit­dem ver­ging beim Wahl-​Berliner eine lan­ge Zeit der Abs­ti­nenz vom Rap-​Kosmos, wäh­rend Fans auf neu­en musi­ka­li­schen Out­put ver­zich­ten muss­ten. Doch wie kam es zu die­ser Pau­se? Mit­te Febru­ar 2023 mel­det sich Mor­tis mit der ers­ten Sin­gle zum neu­en Album "Memen­to Mor­ti – Das ver­lo­re­ne Wochen­en­de" zurück und wagt dar­in einen Rück­blick auf die Zeit nach dem Release sei­nes Debüt­al­bums. So heißt es auf "Guter Tag" unter ande­rem: "Nach der Album­pro­duk­ti­on kam die Depres­si­on, manisch und antriebs­los. Ers­ter Ver­trag und so, Label setzt Erwar­tung hoch. In die Charts und so, lei­der kam's nicht so." – Zei­len wie die­se nah­men wir zum Anlass, um mit ihm über ein The­ma zu spre­chen, das ver­mut­lich vie­len Men­schen bekannt vor­kommt: Leis­tungs­druck. Im Inter­view erklär­te Mor­tis, inwie­fern die­ser bei Musiker:innen zuta­ge tritt, wie Leis­tungs­druck sei­nen eige­nen Wer­de­gang beein­flusst hat und wel­che Her­aus­for­de­run­gen und Chan­cen das Dasein als selbst­stän­di­ger Künst­ler mit sich bringt.

MZEE​.com: In dei­nem Song "Guter Tag" beschreibst du, dass du nach dei­nem ers­ten Album "Hol­ly­wood­psy­cho­se" in ein Loch aus Antriebs­lo­sig­keit sowie psy­chi­schen und finan­zi­el­len Pro­ble­men gefal­len bist. Wel­che Rol­le spiel­ten dabei kom­mer­zi­el­ler Leis­tungs­druck und hohe Erwar­tun­gen an dei­nen musi­ka­li­schen Erfolg?

Mor­tis: Das muss man ent­lang des Zeit­strahls betrach­ten und eigent­lich mit mei­ner EP "Der Gol­de­ne Käfig" begin­nen, die noch vor "Hol­ly­wood­psy­cho­se" raus­kam. Das ist jetzt fast zehn Jah­re her, ich war damals also ein biss­chen jün­ger. Hip­Hop war für mich bis zu die­sem Punkt eher ein inti­mes Ding. Ich ging auf Jams und war gene­rell über­all unter­wegs. Dann zog ich nach Ber­lin und hat­te ein Jahr spä­ter einen Ver­trag auf mei­nem Tisch. Dadurch pas­siert etwas in dei­nem Kopf. Plötz­lich arbei­ten Leu­te mit dir, weil sie Geld ver­die­nen wol­len. Wäh­rend­des­sen bist du selbst ein­fach nur froh, Aner­ken­nung zu bekom­men und die Mög­lich­keit zu haben, dich musi­ka­lisch zu ver­wirk­li­chen. Letz­ten Endes ist das aber Kapi­ta­lis­mus. Die Leu­te aus der Musik­in­dus­trie wol­len ein­fach Cash machen.

MZEE​.com: Hat­test du das Gefühl, zu einer Art Pro­dukt zu werden?

Mor­tis: Ja, genau. Gleich­zei­tig will man das aber nicht wahr­ha­ben. Du lebst trotz­dem noch in dei­ner Bla­se aus Pro­du­zen­ten, Rap­pern und ande­ren Musi­kern und arbei­test krea­tiv. Psy­cho­lo­gisch machen Labels das am Anfang sehr gut. Dir wird Honig ums Maul geschmiert, du bekommst Geld und die Aus­sicht auf Fame. Auf ein­mal kriegst du Inter­view­s­lots bei MTV oder über­schwäng­li­che Reviews. Wenn du, wie in mei­nem Fall, von einer Stadt wie Han­no­ver nach Ber­lin ziehst, drehst du in die­ser Pha­se ziem­lich am Tel­ler. Auf ein­mal hast du mit der Arbeit, die dir Spaß macht, ein gutes Ein­kom­men und rennst damit durch die Stadt. Ich bin ziem­lich schnell durch die­se Stadt gerannt, wür­de ich sagen. (lacht) Aber am Anfang war da kein Leis­tungs­druck in dem Sin­ne, son­dern ein­fach nur ein gestie­ge­ner Anspruch an mich.

MZEE​.com: Wodurch wur­de aus gewach­se­nem Anspruch spä­ter Leistungsdruck?

Mor­tis: Im Ver­gleich zu vor­her hat­te ich mehr finan­zi­el­le Mit­tel und die Stu­di­os und Künst­ler um mich her­um, die nötig waren, um das zu ver­wirk­li­chen, wor­auf ich all die Jah­re hin­ge­ar­bei­tet hat­te. Mit sol­chen neu­en Mög­lich­kei­ten ver­bes­sert sich dein eige­nes Hand­werk. Man muss dazu sagen, dass ich kein Dienst­leis­ter bin, son­dern Musik für mich eine Lei­den­schaft ist, in der ich mich ver­wirk­li­chen will. Des­halb steigt erst ein­mal der eige­ne Anspruch. Gleich­zei­tig hörst du von außen, wie groß du mal wer­den kannst. Leu­te set­zen dir Zie­le und reden von Din­gen wie "hoch­ska­lie­ren". So wird dar­aus Leis­tungs­druck. Und dann merkst du, dass die Erwar­tungs­hal­tung nicht erfüllt wird, was sehr schnell zu einer gro­ßen Ent­täu­schung führt. Du springst drei vier­tel des Jah­res auf Par­tys und in Stu­di­os her­um, hast kei­ne Nor­ma­li­tät mehr in dei­nem Leben und lebst in einer Bla­se, die sich auf­löst. Aus der Ent­täu­schung ent­wi­ckeln sich kras­se Ängs­te, die sich wie­der­um in dei­ner Kunst nie­der­schla­gen und aus dem Gan­zen wird eine Art Per­pe­tu­um mobi­le. In mei­nem Fall hat das in einer hand­fes­ten Depres­si­on geendet.

MZEE​.com: Hat­test du das Gefühl, neben der kom­mer­zi­el­len Sei­te auch Erwar­tun­gen dei­ner Freund:innen oder Fami­lie an dich nicht gerecht wer­den zu können?

Mor­tis: Nein. Es war nicht so, dass mein pri­va­tes Umfeld dahin­ge­hend etwas gesagt oder gefor­dert hät­te. Ich hab' vor­her schon über zehn Jah­re lang Musik gemacht. Mit 18 bin ich aus mei­nem Dorf weg­ge­zo­gen und war dann lan­ge mehr oder weni­ger erfolg­los und arm. Das haben vie­le Leu­te mit­be­kom­men, vor allem mei­ne Fami­lie. Die haben aber immer an mich geglaubt und sich gedacht: "Der Jun­ge schafft das schon." Ich bin nun mal ein Lebens­künst­ler und schla­ge mich irgend­wie durch. Ab dem Zeit­punkt, an dem ich in Ber­lin war und alles anfing, halb­wegs zu funk­tio­nie­ren, waren die Leu­te eher stolz und haben gesagt: "Cool, end­lich läuft es." Auf ein­mal gab es an Geburts­ta­gen oder Weih­nach­ten rich­ti­ge Geschen­ke von mir und nicht nur etwas aus der Not her­aus. Kei­ner muss­te sich mehr Gedan­ken um mich machen, ich habe nicht mehr nur 55 Kilo gewo­gen und hat­te alles, was ich brauch­te. Auch mein erwei­ter­tes Umfeld hat das wahr­ge­nom­men und sich gefreut. Natür­lich hat es bei mir viel län­ger gedau­ert als bei ande­ren. Die meis­ten hat­ten längst ein Stu­di­um hin­ter sich und mach­ten schon beruf­lich Kar­rie­re, als es bei mir erst lang­sam los­ging. Den­noch hat­te ich das Gefühl, dass man­che mich sogar nei­disch ange­schaut haben, weil ich es in ihren Augen geschafft hat­te, mei­nen Traum von frü­her letzt­lich zu leben. Das hat mich von ande­ren ein wenig abge­grenzt. Da ist mir auf­ge­fal­len, dass ich als Künst­ler auf eine gewis­se Wei­se den Traum von vie­len Leu­ten lebe. Wenn man das ein­mal checkt, ent­steht auch eine Art von Erwar­tungs­hal­tung an sich selbst. Man will die­se Leu­te nicht hän­gen lassen.

MZEE​.com: Bedeu­tet das, wenn Leu­te einen dafür benei­den, dass man sei­nen Traum leben kann, setzt das einen wie­der­um unter Druck, die­se Mög­lich­keit mög­lichst gut zu nut­zen und nicht zu verschwenden?

Mor­tis: Ja, total. Das ist alles so eine Wech­sel­wir­kung. Wenn man ein biss­chen sen­si­bel und empa­thisch durchs Leben geht, hin­ter­lässt das alles etwas in einem. Ich glau­be, eini­ge Men­schen, mit denen ich über die Jah­re zu tun hat­te, haben gemerkt, dass es viel­leicht bes­ser ist, in die Selbst­stän­dig­keit zu gehen, anstatt zehn Stun­den täg­lich für siche­res Geld irgend­wo zu sit­zen, am Ende aber nichts mehr von sei­nem Leben zu haben. Man kann also auch Inspi­ra­ti­on oder ein Bei­spiel für ande­re sein. Das ist immer noch sehr prä­sent in mei­nem Hin­ter­kopf und auch ein guter Antrieb für mich, zu zei­gen, dass es sich lohnt, hart für etwas zu kämp­fen. Auch wenn das bedeu­tet, dass man für ein paar Jah­re kei­nen siche­ren Boden hat.

MZEE​.com: Du hast erwähnt, dass mit wach­sen­den Mög­lich­kei­ten auch der Anspruch an sich selbst steigt. In "Was auch immer dich durch die Nacht bringt", einer Kurz­ge­schich­te von Visa Vie über dich, heißt es, dass dir teil­wei­se dein eige­ner Per­fek­tio­nis­mus im Weg steht. Denkst du, dass du dir in der Ver­gan­gen­heit einen Teil des Leis­tungs­drucks selbst auf­er­legt hast?

Mor­tis: Auf jeden Fall. Das mer­ke ich auch jetzt gera­de. Mein Album ist seit zwei Jah­ren gemas­tert und fer­tig. Der Weg dahin, sozu­sa­gen die Vor­pro­duk­ti­on und das Schrei­ben, war eine Sache von drei Mona­ten. Das dau­ert nicht lan­ge, aber dahin zu kom­men, dass es sich anfühlt, wie es sich jetzt anfühlt, dau­ert län­ger. Von eini­gen Songs gibt es 20 bis 30 Ver­sio­nen, das Album wur­de fünf oder sechs mal gemischt. Das ist Per­fek­tio­nis­mus. Den hat man eben in sich oder nicht. Mitt­ler­wei­le ist mir auf­ge­fal­len, woher das bei mir kommt. Ich bin mein Leben lang davon aus­ge­gan­gen, dass ich auf ande­re Men­schen ange­wie­sen bin, wenn ich Musik machen will. Viel­leicht liegt das dar­an, dass ich noch aus einer ande­ren Zeit kom­me, aber ich dach­te immer, damit ein Song wirk­lich fer­tig klingt, brau­che ich Men­schen, die dar­an mit­ar­bei­ten und dass dann alles auch noch gemischt und gemas­tert wer­den muss. Dafür wie­der­um brau­che ich ein Bud­get. Man will schließ­lich nicht, dass alle stän­dig Freund­schafts­diens­te für einen leis­ten. Durch die­ses Den­ken ver­liert man den Blick dafür, was man selbst tat­säch­lich kann. Mein Hand­werk ist über die letz­ten 15 Jah­re ste­tig gewach­sen. Ich kann mich theo­re­tisch jetzt hin­set­zen und in einer Stun­de etwas pro­du­zie­ren, auf­neh­men und dafür sor­gen, dass es am Ende pas­sa­bel und bes­ser als bei vie­len ande­ren klingt. Na ja, viel­leicht, ich will jetzt nicht zu arro­gant sein. (lacht) Die Vide­os, die jetzt raus­ka­men, habe ich selbst geschnit­ten und auch mei­ne Cover selbst gemacht. Bis vor zwei Mona­ten wuss­te ich nicht, wie das geht. Mit der Zeit lernt man, was in einem steckt und dass man sich dar­auf ver­las­sen soll­te. Vie­le Leu­te geben Sachen ab, die bei 90 Pro­zent sind und es fällt nie­man­dem auf. Die letz­ten 10 Pro­zent sind dann die, womit man sich zwei Jah­re lang auf­hal­ten kann. Aber ist das sinn­los? Ich weiß es nicht. Die­se Fra­ge beschäf­tigt mich schon sehr lan­ge, aber in letz­ter Zeit ver­su­che ich, das auf die Sei­te zu schie­ben und ein­fach mehr zu machen. Das Album muss jetzt auch end­lich von den Schul­tern und raus. Es ist so viel da, ich könn­te auch noch nach Release alle zwei Wochen einen neu­en Song rausbringen.

MZEE​.com: Unter Druck kämp­fen Rapper:innen in der Pro­duk­ti­ons­pha­se oft mit Schreib­blo­cka­den. Gilt das auch für dich?

Mor­tis: Was das angeht, bin ich ziem­lich bles­sed. Wenn ich mal nicht schrei­ben kann, mache ich für fünf Minu­ten etwas ande­res und habe schon wie­der Lust dar­auf, weil es mir Spaß macht. Ich habe in den letz­ten Jah­ren viel Musik gemacht. Dabei sam­melt man durch­ge­hend Ideen und Skiz­zen. Ich star­te also nie bei einem lee­ren Blatt Papier. Wenn doch mal eine Pha­se kommt, in der ich kei­nen Bock habe, schaue ich mir bei­spiels­wei­se eine Doku über etwas an, das ich feie­re. Das Uni­ver­sum gibt einem immer eine Inspi­ra­ti­on, teil­wei­se ist es fast schon ein Over­load. Oft schrei­be ich mir Frag­men­te her­aus, wenn ich etwas lese oder höre, und ver­ges­se am Ende, wo ein­zel­ne Zita­te über­haupt her­ka­men. Auf dem Song "Geis­ter­fah­rer" rap­pe ich: "Statt Frei­heit gib mir Feu­er." Irgend­wann hab' ich mich gefragt: "Wo ist das denn her? Kam das von mir?" Viel spä­ter habe ich "Stirb Lang­sam 2" geschaut und gemerkt, dass das Zitat aus einer Sze­ne des Films stammt.

MZEE​.com: Gera­de kommst du von der Tour mit Swiss zurück. Kon­zer­te sind eben­falls mit einer Erwar­tungs­hal­tung an dich als Musi­ker ver­knüpft, da die Besucher:innen davon aus­ge­hen, dass du auf der Büh­ne funk­tio­nierst. Wie nimmst du die­sen Leis­tungs­druck wahr?

Mor­tis: Damit kom­me ich gut zurecht, die Büh­ne ist mein Wohn­zim­mer. Du kannst mich aus dem Schlaf rei­ßen und ich kann per­for­men. Auf die Büh­ne zu gehen, bedeu­tet für mich, eine Stun­de frei sein. Wenn dann spürt man eher in der Vor­be­rei­tung einer Tour Druck, weil man sich fragt: "Wird das so funk­tio­nie­ren?" Der Vor­teil ist, dass du das nach ein bis zwei Auf­trit­ten schon siehst und dann Din­ge jus­tie­ren kannst. Ansons­ten hab' ich da null Druck genau­so wie beim Musik­ma­chen selbst. Ich kann pro­kras­ti­nie­ren und bin gleich­zei­tig pro­duk­tiv. Wenn ich 50 ande­re Din­ge zu tun hät­te, baue ich statt­des­sen zehn Beats oder schrei­be etwas.

MZEE​.com: Wie unter­schei­det sich das Leben als Künst­ler ansons­ten von dem nor­ma­ler Arbeitnehmer:innen, was Leis­tungs­druck angeht?

Mor­tis: Ich glau­be, erst ein­mal spielt die Selbst­stän­dig­keit eine wich­ti­ge Rol­le. Wenn du selbst­stän­dig bist, arbei­test du teil­wei­se dop­pelt so viel. Du gibst dei­ne Ver­ant­wor­tung nicht ab, indem du Fei­er­abend machst und viel­leicht ab und zu noch ein paar Über­stun­den reißt. Wenn du selbst­stän­dig bist und nicht funk­tio­nierst, hast du kein Geld. So ein­fach. Als Künst­ler musst du die Kom­po­nen­te Selbst­stän­dig­keit zusätz­lich mit einer ande­ren ver­bin­den: Krea­ti­vi­tät. Die haben man­che Men­schen nur in bestimm­ten Pha­sen. Ich habe das Glück, dass ich Krea­ti­vi­tät schon immer wie auf Knopf­druck abru­fen kann. Ich kann mei­ne Zeit in Beats bau­en, Songs schrei­ben und ande­re Tätig­kei­ten auf­tei­len und habe so gut wie nie krea­ti­ven Still­stand. Wenn du als Musi­ker dar­über hin­aus noch kein Manage­ment hast, son­dern alles kom­plett allein machst, dann musst du dir dei­ne Zei­ten für Krea­ti­vi­tät schaf­fen. Das war frü­her anders bei mir. Da hat­te ich einer­seits mei­ne Stu­dio­zei­ten, ande­rer­seits auch noch viel Frei­zeit für eben­so viel Exzess. Auf die­se Wei­se hat man vie­le Tage an das Wieder-​fit-​werden ver­lo­ren. Heu­te habe ich mir mei­ne Zeit bes­ser auf­ge­teilt und mir fällt auf, wie kurz der Tag eigent­lich ist. Ich ste­he um 7 Uhr auf, mache Sachen, ein wenig Sport, den­ke, dass ich fast nichts geschafft habe und schon ist es 19 Uhr.

MZEE​.com: Du bringst das Album "Memen­to Mor­ti" allein und inde­pen­dent her­aus. Inwie­fern ist das in Bezug auf dei­ne frü­he­ren Erfah­run­gen von Vor­teil für dich?

Mor­tis: Der Vor­teil ist, dass du nichts auf ande­re schie­ben und am Ende stol­zer auf dei­ne Leis­tung sein kannst. Außer­dem bekommst du noch mehr Augen­rin­ge und alterst schnel­ler. (lacht) Mir ist absur­der­wei­se auf­ge­fal­len, dass ich mit "Hol­ly­wood­psy­cho­se" gewis­ser­ma­ßen alles, was danach pas­siert ist, pro­phe­zeit habe. Die letz­ten Wor­te des ers­ten Songs lau­ten: "Und ich mach' es wie­der selbst." Ich kann das jedem emp­feh­len, weil es ein Test bezüg­lich des inne­ren Schwei­ne­hunds ist und man etwas über die eige­nen Res­sour­cen lernt, psy­chisch wie phy­sisch. Das macht das Gan­ze zu einem kras­sen Rea­li­täts­check und gleich­zei­tig zu einem Lern­pro­zess, was die zwi­schen­mensch­li­che Ebe­ne angeht. Viel­leicht lernst du auch, dass du zu nett für den Scheiß bist und mehr Durch­set­zungs­ver­mö­gen brauchst. Das ist ein The­ma, das mir selbst bei­spiels­wei­se noch immer anhängt. In mei­nem Hin­ter­kopf möch­te ich immer, dass es sämt­li­chen Men­schen gut geht und sich alle ver­ste­hen, die­ser klas­si­sche HipHop-​Gedanke eben. Das ist ein gro­ßer Teil mei­ner Per­sön­lich­keit, aber dadurch ver­gisst man sich ent­we­der selbst sehr oft oder ande­re ver­ges­sen einen.

MZEE​.com: Auch wenn es spe­zi­ell für dich kein so gro­ßes Pro­blem zu sein scheint: Ver­ges­sen Fans und Öffent­lich­keit auch manch­mal, dass hin­ter einem:einer Künstler:in auch noch ein Mensch steckt, der:die nicht immer auf Knopf­druck ablie­fern kann?

Mor­tis: Ja. Natür­lich gibt es gro­ße, trau­ri­ge Bei­spie­le wie Whit­ney Hous­ton oder Amy Wine­house. Da arbei­ten so vie­le Leu­te um einen Künst­ler drum­her­um und ver­die­nen an ihm mit, ohne dass jemand mal hin­ter die Fas­sa­de blickt und merkt, wie sehr die Men­schen teil­wei­se am Arsch sind. Die Maschi­ne funk­tio­niert ein­fach so, aber im Klei­nen kannst du das den Leu­ten nicht übel neh­men. Nicht jeder kann genug Empa­thie für Künst­ler ent­wi­ckeln, da die meis­ten nur einen Ein­druck aus Musik­vi­de­os und ein paar Inter­views haben. Aber ich glau­be, dass sich in den letz­ten Jah­ren eini­ges in Rich­tung Awa­re­ness tut. Allein dass das Inter­view, das wir gera­de füh­ren, unter dem Begriff "Leis­tungs­druck" steht, zeigt doch die­se Ent­wick­lung. Auch als Künst­ler oder öffent­li­che Per­son muss ich bei­spiels­wei­se das Recht haben, auch mal "Nein" zu sagen, wenn jemand etwas von mir will und ich gera­de kei­ne Kapa­zi­tät habe. So was ist in mei­nem Fall natür­lich ein biss­chen ein­fa­cher, weil ich nicht der größ­te Künst­ler der Welt bin.

MZEE​.com: Heu­te steckt viel mehr Geld im Rap­ge­schäft als frü­her und die Indus­trie wird immer schnell­le­bi­ger. Hast du das Gefühl, dass in der Bran­che mehr Leis­tungs­druck und Wett­be­werb denn je herrscht?

Mor­tis: Ja, voll. Ich erin­ne­re mich noch, als vor ein paar Jah­ren der Chef eines Strea­ming­an­bie­ters gesagt hat, Künst­ler müss­ten in Zukunft zwei Alben pro Jahr ver­öf­fent­li­chen. Du bist heu­te vom Algo­rith­mus abhän­gig. Wenn du selbst­stän­dig bist, musst du die­se Maschi­ne füt­tern. Das ist in mei­nen Augen nicht för­der­lich für Krea­ti­vi­tät, weil nicht jeder stän­dig Musik raus­schleu­dern kann. Musik lebt davon, dass Leu­te auch mal zwei bis drei Jah­re dar­an kochen.

MZEE​.com: Du sagst, dass du mit "Memen­to Mor­ti" dem ver­meint­lich tot­ge­sag­ten For­mat Album wie­der Leben ein­hau­chen möch­test. Ver­suchst du bewusst, die Regeln der heu­ti­gen Indus­trie zu igno­rie­ren und dei­ne Kunst abseits davon zu machen?

Mor­tis: Ja, das ist schon etwas, das mir per­sön­lich wich­tig war. Den­noch spie­le ich da trotz­dem zu einem gewis­sen Grad mit und wer­de das auch in Zukunft tun. Ich bin nie­mand, der sich dem Gan­zen kom­plett ver­wehrt. Über die Jah­re habe ich die Mecha­nis­men der Indus­trie und auch vie­le Leu­te dar­in ken­nen­ge­lernt. Neh­men wir mal Major-​Artists als Bei­spiel. Die releasen im Schnitt sehr viel, weil sie meh­re­re Men­schen um sich her­um haben, die dafür sor­gen, dass Musik gemacht wird. Teil­wei­se müs­sen die nur noch ins Stu­dio gehen und die Gui­de­lines, die vor­her auf­ge­nom­men wur­den, ein­rap­pen. Ich weiß nicht, wie viel ein Artist über­haupt noch dar­an ver­dient, wenn man sieht, dass teil­wei­se 20 Leu­te an einem Song betei­ligt sind und wie viel das Label dann noch oben drauf bekommt. Dafür ist der Ver­trieb heu­te sehr geld­spa­rend, weil du nicht mehr CDs zu Media­Markt und Co. schi­cken musst. Eini­ge Künst­ler müss­ten gar nicht so viel releasen, weil sie sowie­so in die rele­van­ten Play­lists kom­men. Uni­ver­sal, Sony und War­ner haben da das Vor­recht, weil sie den größ­ten Kata­log haben. Das sind alles Sachen, die ich für mich gelernt habe, weil ich anfangs gedacht habe, dass ich auch in die­se Indus­trien rein muss. Das hat dazu bei­getra­gen, dass es in den letz­ten Jah­ren so lan­ge gedau­ert hat, bis ich mir gesagt habe: "Ok, ich mach's ein­fach selbst."

MZEE​.com: Was muss gesche­hen, damit Mor­tis im Jahr 2023 zufrie­den mit sei­nem Album ist und die eige­ne Leis­tung als Erfolg bewertet?

Mor­tis: Ich war sehr lan­ge weg und mir ist klar, dass mein Album nicht sofort als das Groß­ar­ti­ge erkannt wer­den wird, für das ich es hal­te. Dafür brauchst du mehr Auf­merk­sam­keit. Ich hof­fe, dass die­se wächst, denn für mich ist es bereits seit zwei Jah­ren das Album des Jah­res und wird das auch in fünf Jah­ren sein. Mit die­ser Ein­stel­lung gehe ich an die Sache ran. Auf der Tour mit Swiss war ich Vor­grup­pe und konn­te die Musik somit bereits Leu­ten vor­spie­len, die nicht wegen mir auf den Kon­zer­ten waren. Das hat jedes Mal super funk­tio­niert, was eine kras­se Bestä­ti­gung ist. Ich hof­fe, dass eige­ne Auf­trit­te dazu­kom­men und erst ein­mal das Geld wie­der ein­ge­spielt wird, das ich ins Album gesteckt habe. (lacht) Auch wenn es mir nicht pri­mär dar­um geht, ist es natür­lich schön, zu sehen, wenn die Leu­te einen nicht nur mit ein bis zwei Klicks, son­dern mit Geld unter­stüt­zen. Ansons­ten bin ich, um ehr­lich zu sein, jetzt schon zufrie­den. Ich habe mich für den Musik­zir­kus geöff­net, bin wie­der da und habe vie­le wei­te­re Ideen. Jetzt geht es dar­um, in Bewe­gung zu blei­ben und ein­fach wei­ter Musik zu machen. Das macht mich glücklich.

(Enri­co Gerharth)
(Fotos von Mari­us Sperlich)