Da Musik bekanntlich Geschmackssache ist, würde man auf die Frage nach prägenden HipHop-Alben wahrscheinlich sehr unterschiedliche und individuelle Antworten erhalten. Dennoch würden bestimmte Alben wohl häufiger genannt werden als andere. Manche Platten schaffen es schließlich, bei nahezu jedem einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Sie prägen ihr Genre nachhaltig und wirken sich direkt oder indirekt auf die Musik anderer Künstler:innen aus. Was aber macht diese Alben so besonders? Sicher ist es vor allem wichtig, alte Muster zu durchbrechen und einen neuen Weg vorzugeben. Dabei ist es essenziell, den ganz eigenen Sound zu finden. Eine standardisierte Antwort gibt es hierfür aber wohl nicht. Einfluss gilt es, stets individuell zu betrachten – und ein Blick in die Geschichte des einflussreichen Raps lohnt sich. Dieses Mal mit dem Debütalbum der Beastie Boys: "Licensed to Ill".
1986 – HipHop und Rap sind mittlerweile zumindest vereinzelt in den Mainstream vorgedrungen. Neben einzelnen erfolgreichen Songs verschiedener Künstler:innen sind es insbesondere Run-DMC, die enorme Erfolge feiern können. Trotzdem verstehen immer noch nicht viele, was genau diese "Rap-Musik" sein soll, mal abgesehen von den Szenemitgliedern, wie den Beastie Boys. Die besondere Band aus New York wird mit ihrem Debütalbum "Licensed to Ill" daran auch nichts ändern, sondern viel eher für noch mehr Verwirrung sorgen. Das hat seine Gründe: Die Beastie Boys stehen zwar in enger Verbindung mit den bereits erwähnten Run-DMC, sind aber gänzlich anders sozialisiert. Ihre Punk-Vergangenheit und -Affinität spiegelt sich auch in ihrem Erstlingswerk wider, das dementsprechend besonders zwischen den anderen Rap-Releases der späten 80er Jahre auffällt.
Entstehung der Band
Den meisten sind die Beastie Boys als klassisches Trio bekannt, bestehend aus Adam Yauch alias MCA, Michael Diamond aka Mike D und Adam "Ad-Rock" Horowitz. Bereits Ende der 70er war die Band in anderer Besetzung – mit John Berry, Kate Schellenbach und ohne Ad-Rock – und unter dem Namen "Young Aborigines" als Punk-Band aktiv. Eine soundtechnische Ausrichtung, die das Schaffen der Band in den nächsten rund 40 Jahren beeinflusste und immer wieder hervorsticht. Die Beasties waren bereits zu Schulzeiten absolute Punk-Fans und lebten dies aus, sowohl modisch als auch musikalisch. Mike D beschreibt für sich persönlich unter anderem The Clash und die Bad Brains als musikalisch prägende Bands. Auf einem Konzert der Bad Brains lernten Michael Diamond und John Berry Adam Yauch kennen. Eine Begegnung, die dazu führte, dass sich in der Folge, rund um die drei Jungs, eine Clique aus Punk-Fans bildete, zu der auch Kate Schellenbach gehörte. Während der endlosen gemeinsamen Konzertabende entwickelten sich nicht nur Freundschaften, sondern auch der Gedanke, das Ganze doch selbst mal auszuprobieren, ab 1981 dann unter dem Namen "Beastie Boys". 1983 stieß dann auch Adam Horowitz zur Gruppe hinzu, quasi als Ersatzgitarrist für John Berry, der zum damaligen Zeitpunkt keine Lust mehr auf das Musikmachen hatte. Nach den ersten Punk-Releases über das Label Rat Cage erfolgte dann der musikalische Wandel in Richtung HipHop. Ursache dafür war insbesondere, dass die HipHop-Pioniere aus der Bronx zunehmend auch in Downtown und Umgebung auftraten und Partys veranstalteten. Die Beasties verliebten sich recht schnell in den Sound von den Funky Four, Run-DMC und DJs wie Jazzy Jay. "Bei Breakbeats und HipHop geht es um Grenzenlosigkeit – grenzenlose Möglichkeiten, grenzenlose Fantasie", wie es Mike D formuliert. Ein alter Freund von Ad-Rock, Nick Cooper, brachte 1984 die Beastie Boys mit niemand Geringerem als Rick Rubin zusammen. Dieses Aufeinandertreffen sollte sowohl für die Beastie Boys als auch für Rick Rubin ein einschneidendes Karriere-Ereignis werden. Rick war zunächst nur die Liveauftritte der Band als DJ eingeplant, wurde jedoch kurz darauf zur entscheidenden Schnittstelle für die Veröffentlichung des ersten Beastie Boys-Albums.
Produktion des Albums
Im selben Jahr gründete Rick Rubin zusammen mit Russel Simmons das legendäre HipHop-Label Def Jam. Letzterer ist der ältere Bruder von Run der Band Run-DMC und deren damaliger Produzent und Manager. Rubin überzeugte Simmons zur gleichen Zeit von den drei weißen Rappern, den Beastie Boys. Russel Simmons ahnte voraus, dass er mithilfe einer weißen Band an Orte gelangen konnte, von denen in den 80ern Schwarze Underground-Musik überwiegend ausgeschlossen wurde: MTV, das Pop-Radio und Mainstream-Medien im Allgemeinen. Kurz darauf lud er die Beastie Boys zu ihren Idolen Run-DMC, die gerade dabei waren "King of Rock" zu produzieren, ins Studio ein. Es sollte das erste von vielen gemeinsamen Zusammentreffen werden. Die beiden Bands verstanden sich perfekt, auch weil sie aus verschiedenen Perspektiven an dieselbe Sache glaubten: HipHop. Und so erschien noch 1984 die erste Rap-Single "Rock Hard" der Beastie Boys, die zudem "Back in Black" von AC/DC ungefragt und unerlaubt sampelt. Auch wenn der Song nicht auf "Licensed to Ill" gelandet ist, so ist er soundtechnisch der eindeutige Vorfahre des Albums. Anfang 1986 begeben sich die Beasties dann in das Secret Society Studio, ursprünglich nur um eine neue Maxi-Single für Def Jam zu produzieren, ebenfalls dank der Connection zu Rick Rubin. Die drei Rapper sind, laut eigener Aussage, zu kompletten "Rap-Nerds" mutiert und saugen alles auf, was ihnen in die Hände kommt. Dies beeinflusst auch ihre Produktion enorm. Im Studio baut Ad-Rock einen Drumbeat, inklusive Vocalsamples von unter anderem Kurtis Blow und Slick Rick. Es sollte die perfekte Grundlage für den ersten Track von "Licensed to Ill", "Hold It Now, Hit It", werden. Die Rapper probieren sich an einer neuen experimentellen und collagenartigen Produktionsweise. Mit einer ähnlichen Lockerheit wagen sie sich dann auch an das Schreiben der Lyrics heran. Der gesamte Songtext ist eine Mischung aus ihren persönlichen Lebenserfahrungen, eigenen Visionen und Insider-Witzen, die nur sie selbst verstehen. "Surgeon general cut professor DJ Thiggs." – Dies etwa ist eine reine Vermutung, denn die Beasties sind Thiggs zuvor nie begegnet und haben lediglich von DJ Run von Run-DMC aufgeschnappt, dass dieser bestimmt sehr gut auflegen könnte. Dass dieser weder DJ ist, noch gut auflegen kann, erfährt die Band erst wesentlich später. Der Song überzeugt Rick Rubin und Russel Simmons, die diesen dementsprechend veröffentlichen, und er wird nur wenig später zu einem echten Rap-Hit an der Ostküste. "Wir hatten unsere Stimme gefunden", beschreibt Michael Diamond den Song. Nur kurz darauf ist diese Stimme dann auch auf Albumlänge zu hören.
Die bereits erwähnten Run-DMC geben in einer der gemeinsamen Studiosessions den Beasties auch den entscheidenden Input für das legendäre Intro des Songs "Paul Revere". Bereits bei ihrer Ankunft am Studio geben sie die Zeilen für das Intro des Songs vor: "Here's a little story, I got to tell." Das Besondere des Tracks ist allerdings nicht nur, dass die drei Rapper auf ihre typisch abgedrehte Art eine verrückte Geschichte – über ihr Pferd Paul Revere, mit dem sie ein Western-ähnliches Abenteuer erleben – erzählen, sondern dass sie den Beat, produziert mit dem klassischen TR-808, rückwärts aufnehmen. Was heute immer mal wieder passiert und technisch verhältnismäßig einfach ist, war 1986 noch eine echte Herausforderung, für die es nicht nur Kreativität, sondern auch technisches Geschick benötigt. Ähnliches Geschick beweisen sie auch bei der Herangehensweise an ihre Texte. Anstatt, wie sonst eher üblich, allein an den einzelnen eigenen Strophen zu arbeiten, setzten sich die drei MCs zusammen, um die gemeinsamen Texte zu schreiben und auszubessern. Erst im Nachhinein wurde dann final entschieden, wer welche Passagen einrappen sollte. Während die Texte üblicherweise in der Barrow Street entstanden, wurden die Beats überwiegend im Chun Kings Studio produziert. Im Herbst 1986 hört sich Run von Run-DMC das fast fertige Album gemeinsam mit Mike D auf Tape an und prophezeit den Beasties, dass das Album durch die Decke gehen wird und mindestens mit einer goldenen Schallplatte ausgezeichnet werden würde. Und er sollte Recht behalten. Am 15. November 1986 erblickt "Licensed to Ill" das Licht der Welt und vollendet, was die drei Vorabsingles "Paul Revere", "The New Style" und "Hold It Now, Hit It" bereits erahnen ließen.
Das Album – etliche Songs voller Eigenarten
Einer der Hits des Albums: "No Sleep Till Brooklyn" hat eine, wie für die Beastie Boys üblich, krude Grundlage. Der Songtitel ist angelehnt an das Motörhead-Livealbum "No Sleep 'til Hammersmith". Passend zu Motörhead handelt der Beastie Boys-Song von dem damals noch fiktiven Rockstar-Tourleben der Band. Zu dieser Zeit hatten sie gerade mal eine Handvoll Konzerte außerhalb von New York gespielt und ein Auftritt in Brooklyn war in den 80ern nicht das größte Ziel der Band.
Ähnliche semi-fiktive Textpassagen durchziehen auch einige andere Tracks, wie zum Beispiel "The New Style". Während eine Zeile wie "Coolin' on the corner on a hot summer's day" tatsächlich aus dem Leben der Band gegriffen ist, trifft das auf eine Line wie "Saw the kid that dissed my homeboy, shot him in the back" definitiv nicht zu. Michael Diamond beschreibt ihre Herangehensweise an ihr Debütalbum dementsprechend als "idealisierte Version eines Aufschneider-Fantasielebens, das wir gerne geführt hätten, dargeboten mit ineinander verflochtenen, akzentuierten und an den entscheidenden Stellen doppelt oder sogar dreifach gerappten Vocals." Der vielleicht größte Hit des Albums ist "Fight For Your Right". Der Song gilt allerdings nicht nur für die Beastie Boys oder die Rap-Szene als Klassiker, sondern sprengte etliche Genre- und Ländergrenzen. So ist es zum Beispiel auch Teil der "Rock and Roll Hall of Fame" und wird dementsprechend auch dem Rock-Genre zugeordnet. Dabei war der Song ursprünglich für das Sideprojekt "Brooklyn" von MCA geplant. Das dazugehörige Musikvideo ist erst das zweite Video einer Rap-Band, das jemals bei MTV gespielt wurde. Auch den Beastie Boys ist bewusst, dass sie hier den strukturell-rassistischen Vorteil genießen, eine weiße Band zu sein. Der Track, mit der eingängigen Hook, ist eine der Singles von "Licensed to Ill", die erst nach Erscheinen des Albums ausgekoppelt wurden und so auch noch 1987 in den internationalen Chart-Listen auftaucht. Der Song "Slow And Low" ist eine Art Cover eines Run-DMC-Tracks, der nie erschienen ist. Dass dieser ursprünglich für das "King of Rock"-Album von Run-DMC geplant war, lässt sich beim Hören des Instrumentals auch unschwer erkennen. Die Beasties änderten lediglich einige Textpassagen und nahmen gemeinsam mit Rick Rubin eine neue Version des Songs auf. Warum das Album auch heute noch so gut funktioniert, lässt sich exemplarisch anhand von Songs wie "Slow Ride" und "Girls" erklären. Es sind zwei relativ kurze Songs, die mit eingängigen Texten, Hooks zum Mitbrüllen und tanzbaren Beats daherkommen – kein Wunder: Speziell das Instrumental von "Slow Ride" besteht aus einer Reihe von Disco- und Funk-Samples.
Das Nachwirken von "Licensed to Ill"
Bereits im Februar 1987 wird das Album mit Platin ausgezeichnet und erhält von nahezu allen prestigeträchtigen Musikmagazinen Bestnoten. Die Beastie Boys werden quasi über Nacht von einer Underground-Gruppe zu einer internationalen Pop-Größe. Ihr Album ist die allererste Rap-Platte, die es in die Billboard-Charts schafft und dabei außerdem auf Platz eins landet. International erreicht das Album zudem in über zehn weiteren Ländern die Charts. Mit "Licensed to Ill" gehen sie fast zwei Jahre lang auf Tour und beginnen, sich selbst zu karikieren, inklusive eines überdimensionalen hydraulischen Penis auf der Bühne, für den bis heute Lagerungskosten anfallen. Da ihnen der eigene Erfolg zum Teil selbst suspekt wird, entschließt sich die Band unter anderem dazu, den Song "Fight For Your Right" aus allen kommenden Setlisten ab 1988 zu streichen. Grund dafür: Der ironisch gemeinte Track wird von ihren Fans komplett unironisch abgefeiert. Der Track ist die Partyhymne einer ganzen Generation, wurde von den Beastie Boys aber nicht als solcher geplant. Auch wenn das ambivalente Verhältnis der MCs zum Song verständlich ist, ändert dies nichts an der Langlebigkeit und dem Kultstatus, den die Single heute besitzt. Die Umkehr zu ihrem einstigen Punk- und Underdog-Standing ist bereits mit ihrem Debütalbum zu einer Unmöglichkeit geworden. An ihrer Authentizität haben sie jedoch kein Stück verloren. So sind sich die drei MCs nur wenig später einig, dass sie hinter vielen Textpassagen ihres Debütalbums nicht mehr stehen können. Insbesondere ihren teilweise homophoben und sexistischen Lines – auch wenn diese häufig ironisch und humoristisch gemeint waren, wie zum Beispiel auf "Girls" – stehen sie extrem kritisch gegenüber. Seit Mitte der 90er schreiben sie vermehrt feministische Texte und setzen sich für feministische Aktivist:innen und Themen ein. Nach dem tragischen Krebs-Tod von Adam Yauch im Jahr 2012 wird das Album zwischenzeitlich erneut zum meistverkauften Album in den USA, schließlich ist es auch über zwanzig Jahre nach dem Release das größte Album der Band, das Fans mit den Beastie Boys und MCA verbinden. Es wird noch einmal deutlich, dass sie mit ihrem Debüt scheinbare Soundgrenzen durchbrochen haben und so sind insbesondere die häufig eher eingebrüllten Lyrics, welche von den drei MCs gerne schnell abwechselnd performt werden, ein Erkennungsmerkmal der Band.
Auch das Artwork des Albums hinterlässt seine Spuren in der Musikgeschichte. Es wurde ursprünglich auf Grundlage einer Idee Rick Rubins von Stephen Byram und World B. Omes kreiert. 2018 adaptiert Eminem das "Licensed to Ill"-Cover für sein Album "Kamikaze", anstelle des legendären Beastie Boys-Logo befindet sich auf dem Heckflügel des Flugzeugs sein Albumtitel. Was bei den Beasties eine normale Linienmaschine ist, wird bei dem Detroiter Rapper zu einem Kampfjet. Das Beastie Boys-Logo scheint ihm auch zu gefallen und so trägt er es zu dieser Zeit bei einigen Liveauftritten prominent auf Shirts. Selbst die sogenannte "Gen Z" ist zum Teil stark von den Beastie Boys beeinflusst. Die Rapper Joey Valence & Brae kommen erst weit über ein Jahrzehnt nach dem Release von "Licensed to Ill" zur Welt. Seit 2021 veröffentlichen sie gemeinsam Musik. Was zu Beginn zunächst wie ein TikTok- und Instagram-Joke wirkt, findet mittlerweile weltweit auf Bühnen statt und hat Millionen monatliche Hörer:innen bei den bekannten Streaming-Diensten. Das nahezu gesamte Schaffen des jungen Duos wirkt wie eine einzige Hommage an die Beastie Boys und ihr Debütalbum. Flow, Stimmeinsatz, Textinhalte, Beats, Musikvideos und Artworks – einfach alles erinnert an die New Yorker Legenden. Wüsste man es nicht besser, wäre es durchaus vorstellbar, dass hier zwei Söhne die Legacy ihrer Rap-Väter in die Gegenwart transportieren.
Auch in der jüngsten Zeit werden Teile des Albums immer wieder zitiert und gecovert. Insgesamt wurden die Songs des Albums weit über 1.000 mal gesampelt, kaum eine Stelle wurde noch nicht wiederverwendet. Ein weiteres Beispiel für die Langlebigkeit von "Licensed to Ill" und den Beastie Boys. Denn diesen huldigen auch die ganz großen Namen der Rap- und internationalen Musik-Szene mit entsprechenden Samples, darunter unter anderem Eminem, Lil Wayne, Mac Miller, N.W.A und Travis Scott.
Es gibt kaum ein Rap-Album der 80er Jahre, bei dem über die Hälfte der Songs als Singles ausgekoppelt wurden und dessen Songs auch heute noch funktionieren. Insbesondere die eingängigen Hooks in Kombination mit den stets nach vorne gehenden Beats sorgen dafür, dass das Album auch weit über dreißig Jahre nach seinem Release funktioniert und sowohl alte Hörer:innen begeistert als auch neue Fans gewinnt. Auch abseits der verschiedenen Auszeichnungen, hohen Verkaufszahlen und positiven Reviews hat es sich so einen festen Platz nicht nur in der Rap-, sondern auch der allgemeinen Musikgeschichte gesichert.
(Alec Weber)
(Titelbild von Daniel Fersch)