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Doezis – Stix Packz Plomben

Egal, ob Album, Gratis-​Mixtape oder Lieb­lings­song – in unse­rer "Plat­ten­kis­te" stel­len wir Euch regel­mä­ßig die Per­len unse­rer redak­ti­ons­in­ter­nen Samm­lun­gen vor. Die­ses Mal: Doe­zis mit "Stix Packz Plomben".

"Was?! Du kennst das nicht? Sekun­de, ich such' dir das mal raus." Und schon öff­net sich die Plat­ten­kis­te. Wer kennt die­sen Moment nicht? Man redet über Musik und auf ein­mal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem:einer Künstler:in oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzu­fan­gen weiß. Und plötz­lich hagelt es Lob­prei­sun­gen, Hass­ti­ra­den oder Anek­do­ten. Gera­de dann, wenn der:die Gesprächspartner:in ins Schwär­men ver­fällt und offen zeigt, dass ihm:ihr das The­ma wich­tig ist, bit­tet man nicht all­zu sel­ten um eine Kost­pro­be. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Per­son so sehr am Her­zen zu lie­gen scheint. In die­sem Fall – was uns so sehr am Her­zen liegt: Ein Aus­zug aus der Musik, mit der wir etwas ver­bin­den, die wir fei­ern, die uns berührt. Ein Griff in unse­re Plat­ten­kis­te eben.

 

In den Best-​of-​Listen ist meis­tens die Kate­go­rie "Most under­ra­ted" die inter­es­san­tes­te. Wenn es dabei um deut­schen Stra­ßen­rap geht, dann soll­te Doe­zis ganz oben ste­hen. Der Offen­ba­cher hat mit "Stickz Pax Plom­ben" eines der stärks­ten Straßenrap-​Alben der ver­gan­ge­nen Deka­de gelie­fert, konn­te damit aber medi­al nicht aus dem Schat­ten des Rap-​Übervaters aus Offen­bach, Haft­be­fehl, tre­ten.

The­ma­tisch bie­tet das Album auf den ers­ten Blick wenig abseits der schon zur Genü­ge platt­ge­tre­te­nen Pfa­de: Es geht um Dro­gen, Haft, Haft wegen Dro­gen und dass man der Kras­ses­te ist, weil man wegen Dro­gen in Haft kom­men könn­te. Auch die Beats knal­len zwar, wie man es aus dem Azz­lackz-Umfeld gewohnt ist, über­ra­schen aber kaum. Wenn es um Gefüh­le geht, wird es ein biss­chen melo­diö­ser, die Repre­sen­ter hin­ge­gen blei­ben mini­ma­lis­tisch und set­zen auf mög­lichst inten­si­ve Drums. Was das Album aus der Mas­se in die­sem Sub­gen­re her­aus­ste­chen lässt, ist in ers­ter Linie der Rap­per. Doe­zis wirft mit Wort­spie­le­rei­en und wit­zi­gen Details in jeder Zei­le um sich, ohne sich in Zweck­rei­men zu ver­lie­ren. Wenn er in zwei Zei­len erzählt, wie er vor der Staats­ge­walt flieht, "wäh­rend die Bastard-​Cops in der Nase popeln", obwohl sie extra mit Hydrau­lik­pres­se statt Ramm­bock ange­rückt sind, erin­nert das an SSI­Os bes­te Zei­ten, wirkt aber nicht wie ein Abklatsch. Sei­ne wirk­li­chen Stär­ken ent­fal­tet Doe­zis den­noch erst, wenn es über wit­zi­ge Zei­len aus dem Stra­ßen­all­tag hin­aus­geht und der Rap­per die Schat­ten­sei­ten die­ses All­tags reflek­tiert. "Quäl' mich durch den Tag, mor­gen wird's nicht bes­ser" ist das Mot­to, wenn der Rap­per ins Grü­beln gerät. Reli­giö­ser Fun­da­men­ta­lis­mus, zer­stör­te Fami­li­en, psy­chi­sche Schä­den wegen staat­lich ver­ord­ne­ter Medi­ka­men­te, Abschie­bung und Geld­sor­gen wer­den hier mit einer Inten­si­tät behan­delt, dass sich mir bei jedem Hör­durch­gang die Nacken­haa­re auf­stel­len. Der Hass und Frust auf ein Sys­tem, das dir in dop­pel­ter Frei­heit die Wahl zwi­schen Buckeln für Min­dest­lohn und Leben auf der schie­fen Bahn mit allen oben genann­ten Risi­ken lässt, trieft aus jeder Zeile.

Doe­zis ver­kör­pert auf dem Album das, was Mit­te der 2000er Jah­re unter dem Titel "Stra­ßen­rap­per mit Kopf" als hei­li­ger Gral ver­kauft und aller­orts gesucht wur­de. Er muss deutsch­land­weit kei­nen Ver­gleich scheu­en. Auch nicht den mit Haft­be­fehl.

(Simon Back)