"Rote Augen wie ein Shinigami, Jacke bis nach oben zu wie Toge Inumaki." – Die Hälfte nicht verstanden? Dann könnte das folgende Gespräch den Horizont womöglich ein kleines Stück erweitern. Der Todesgott Ryuk aus "Death Note" und das Mitglied des Inumaki-Clans aus "Jujutsu Kaisen" sind Euch dagegen bestens bekannt? Dann freut euch auf ein bisschen Nerd-Talk von Lugatti, von dessen kommendem Release gemeinsam mit Ffjodor die Zeilen stammen. Wer die Insta-Storys des Kölners verfolgt, weiß schon länger von seiner Leidenschaft für Manga und Anime, die laut eigener Aussage mittlerweile einen Großteil seiner Freizeit einnimmt und sich auch in seiner Musik wiederfindet. Wieso genau begeistern ihn und viele andere Menschen Serien wie "Attack on Titan", "One Punch Man" und "Demon Slayer" so? Weshalb liefern deren Welten, Ästhetiken und Charaktere so gute Vorlagen für Rapzeilen? Und wie könnte ein Anime über Lugatti selbst aussehen? Diese Fragen und mehr haben wir mit dem Rapper besprochen.
MZEE.com: Wenn du dich zurückerinnerst: Wie und wann ist deine Begeisterung für Anime entstanden?
Lugatti: Der Anfang war Pokito auf RTL ZWEI nach der Schule, wie wahrscheinlich bei jedem in Deutschland. Ich hab' immer "Inu Yasha" und vor allem "Detektiv Conan" geguckt, davon war ich großer Fan. Da war ich sechs oder sieben Jahre alt. Unglaublich, dass Conan immer noch läuft. Da ging die Begeisterung los. In den Jahren danach hatte ich aber nicht mehr so viel Zeit dafür, in der weiterführenden Schule gehörte ich nicht zu den großen Anime-Fans. Ich hab' zwar Manga gefeiert und viel gezeichnet, aber es war kein richtiges Hobby. Das hat sich erst in den letzten zwei Jahren entwickelt. Auch dadurch, dass ich mit Leuten wie Marvin Game bin, der der größte Freak ist, was Anime betrifft. Shoutout an ihn. Er ist auf jeden Fall neben 42 und Ffjodor der krasseste "One Piece"-Head, den ich kenne. Ffjodor hat allgemein immer sehr viel über Anime geredet. Ich hab' ihn dann mal nach seinem Crunchyroll-Login (Anm. d. Red.: Anime-Streaming-Dienst) gefragt, damit ich mir alles Coole von heute angucken kann. Und jetzt bin ich voll im Manga- und Anime-Film. Das ist auf jeden Fall das, womit ich zuletzt die meiste Zeit verbracht habe. Ich find's geil, dass viele Leute sich dafür begeistern können. Das ist für mich gar kein nerdy Ding.
MZEE.com: An die Anime-Nachmittage vor dem Fernseher nach der Schule früher kann ich mich auch gut erinnern. Als ich älter wurde, wurde das einfach durch andere Hobbys verdrängt. Damals galt es ja schon irgendwie als Nerd-Thema.
Lugatti: Ich glaube, das Ding war: Viele Leute, die Anime geguckt haben, haben aus unserer Sicht voll übertrieben, wenn sie ihre Faszination nach außen getragen haben. Ein Kollege in meiner Klasse hat immer diesen Naruto-Run gemacht, mit den Armen nach hinten. Ich fand, dass er dabei wie ein Trottel aussah, und hab's nicht verstanden. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, war das eigentlich voll funny. Man hat diese Nische lieber den anderen überlassen, einfach weil man sich nicht damit befasst hat. Und klar, andere Interessen haben das verdrängt. Mit Freunden draußen zu sein und zum Fußball zu fahren, war dann spannender.
MZEE.com: Um noch mal zurückzugehen: Was hat dich als Kind an Anime begeistert?
Lugatti: Also, ich hab' auch andere Zeichentrickfilme und Cartoons gefeiert. Spongebob und so weiter. Ich würde nicht mal sagen, dass ich Animes damals so viel geiler fand oder davon unterschieden habe. Wieso hab' ich "Detektiv Conan" in dem Alter überhaupt geguckt? Ich hab' mir danach immer fast in die Hose gemacht, weil das teilweise so brutal und schlimm war. Aber irgendwas daran hat mich eben sehr gehookt. Dass der so viel mit der Polizei arbeitet, habe ich übrigens ausgeblendet, das fand ich schon damals nicht so geil. Ich fand einfach nice, wie verzwickt die Fälle waren und dass man mitdenken konnte. Mich hat die asiatische Welt schon früh interessiert. Aber als Kind habe ich das, glaube ich, einfach geguckt, weil es halt im Fernsehen lief.
MZEE.com: Was machen Animes heute für dich aus? Was liefern sie vielleicht, was andere Serien oder Filme nicht liefern?
Lugatti: Ich find's krass, wie in Animes Gefühle transportiert werden. Marvin hat das mal mit Disney-Filmen verglichen, in denen oft alles sehr plump ist. Zwei verlieben sich, am Ende heiraten die, fertig. In Animes hat alles meistens eine viel größere Weite, es gibt krassere Geschichten und Nebenstorys, die ans Licht kommen. Ich feier' die ganze Dramatik. Obwohl es manchmal nervt, dass die so rumschreien. (grinst) Es transportiert Gefühle trotzdem extrem stark. Vor allem die Originalsprecher hauen richtig auf den Putz. Ich frage mich manchmal, wie man das über mehrere Folgen so durchziehen kann. Auch, wenn es viel um fiktive beziehungsweise magische Dinge geht, haben Animes fast immer eine Message, die einem etwas Positives mitgibt oder etwas lehrt. Das hookt mich momentan. Man kann viel daraus ziehen. Gerade, wenn man früh die Begeisterung dafür entwickelt, checkt man das, glaube ich. Ich verstehe aber, wenn Leute das nicht checken. Es ist immer noch eine Nische. Ich würde trotzdem jedem empfehlen, es mal auszuprobieren. Es gibt so viel, dass eigentlich fast jeder etwas finden kann. Bei mir ist auf jeden Fall auch ein Faktor, dass es einfach viele Menschen um mich rum fühlen. Der Zeichenstil kommt natürlich noch dazu, der ist einfach krass.
MZEE.com: Wenn eine Person überhaupt keine Ahnung von Animes hat: Welchen würdest du ihr zeigen, um ihr die Faszination für das Genre näherzubringen und warum?
Lugatti: Erst mal würde ich fragen, auf welche Stimmung oder welches Genre der Mensch Lust hat. Aber grundsätzlich würde ich auf jeden Fall "Demon Slayer" empfehlen. Die erste Folge geht schon komplett ab, das ist für mich einfach einer der besten Animes. "Demon Slayer" verkörpert sehr gut, was in der Anime-Welt alles möglich ist. Meinem Homie Kilogramm (Anm. d. Red.: Rapper aus Bonn) habe ich gerade den ersten Teil von "Jujutsu Kaisen" ausgeliehen, der war auch direkt begeistert. Das sollte man sich auf jeden Fall angucken. Es geht drum, was man feiert. Einem anderen Kollegen von mir, der boxt, würde ich "Hajime no Ippo" zeigen. Das ist ein sehr geiler Anime, in dem es eben ums Boxen geht. Mit meiner Freundin hab' ich "Death Note" geguckt und das hat megagut gepasst. Shoutout Ryuk.
MZEE.com: Hast du selbst ein Lieblingsgenre oder kannst du dich mehr oder weniger für alles begeistern? In deinem MyAnimeList-Profil (Anm. d. Red.: Anime-Forum und Database) habe ich neben "Jujutsu Kaisen" oder "Naruto" zum Beispiel auch die Ghibli-Filme gesehen.
Lugatti: Ich kann mich schon für vieles begeistern. Die Ghibli-Filme sind eh ein Ding für sich, das kann eigentlich niemand haten. Leute, die Heidi oder so geguckt haben, können das nicht scheiße finden. Einen Ghibli-Film kann ich safe auch mit meiner Mutter gucken und die würde das nice finden. Die sind das Nonplusultra, was Anime-Filme angeht. Aber zurück zur Frage: Natürlich sehe ich bei Crunchyroll manchmal Dinge, bei denen ich eher raus bin. Die sind eher so Soap- beziehungsweise Telenovela-Style. Bei Manga feier' ich Horror sehr, bei Anime vor allem die Shonen-Richtung (Anm. d. Red.: Mangas und Animes, die sich an junges, männliches Publikum richten), Sachen wie "Demon Slayer" eben. Animes wie "One Punch Man", bei denen ich mich einfach totlache, mag ich auch total. So was gucke ich am liebsten, wenn ich chille und noch ein Kollege vorbeikommt oder so.
MZEE.com: Du verwendest in deinen neueren Tracks häufig Anime-Referenzen, das fällt mir auch bei anderen Rapper:innen immer mehr auf. Würdest du sagen, dass sich dieses Genre besonders gut eignet, um es in Zeilen zu verpacken? Oder liegt es nur daran, dass du dich aktuell viel damit beschäftigst?
Lugatti: Auf dem kommenden Tape mit Ffjodor finden sich viele Anime-Referenzen. Seit ich solche Zeilen einbaue, folgen mir mehr Leute mit Anime-Profilbild und so weiter. Man holt ganz neue Menschen ab – obwohl das natürlich nicht der Hintergedanke ist. Es ist einfach gerade der Film und sehr präsent. Wenn Ffjodor mit aufgeklapptem Laptop neben mir sitzt und einen Beat baut, läuft nebenbei meistens ein Anime. Dann denke ich mir: "Der Typ auf dem Bildschirm ist ja richtig krass" und so entstehen dann Lines wie über Toge Inumaki aus "Jujutsu Kaisen". Der ist einfach ein kranker Typ, der macht seine Jacke auf und das Wort, das er sagt, ist Gesetz. Das passiert dann einfach. Es muss nicht mein Standing im Rap sein, wie er der Baba zu sein und alle ruhigzustellen. Aber trotzdem kann man damit coole Bilder malen und Vergleiche anstellen. Und in Animes gibt es halt sehr viele krasse Leute, deshalb kann man das gut einbauen. Ich rappe ja nicht darüber, dass ich wie Jörn Schlönvoigt aus "GZSZ" wäre oder so. Aber natürlich ist es auch einfach allgegenwärtig und fließt deshalb in die Musik ein. Würde ich ständig ins Gym gehen, würde ich wahrscheinlich erzählen, dass ich die Hantelbank pumpe oder so. Ich rappe eben hauptsächlich über Dinge, die in meinem Alltag passieren.
MZEE.com: Anime wird gefühlt immer erfolgreicher und ist mittlerweile mehr im Mainstream angekommen. So war zum Beispiel "Attack on Titan" ein großer Erfolg auf Netflix. Was, denkst du, sind die Gründe dafür?
Lugatti: Ich denke, dass eine Serie wie "Attack on Titan" auf Netflix natürlich ihren Teil dazu beiträgt. Aber wenn ich Leute darüber reden höre, habe ich selten das Gefühl, dass das komplette Anime-Neulinge sind. Die meisten haben zum Beispiel "Naruto" oder so gesehen. Es ist schon irgendwie ein krasses Thema. Trotzdem würden neun von zehn meiner Freunde wahrscheinlich fragen, wer Tanjirō Kamado (Anm. d. Red.: Hauptfigur von "Demon Slayer") ist. Der eine von zehn würde aber fragen, wie man den nicht kennen kann. Es ist jedenfalls nicht so eine kleine Nische wie andere Dinge, über die ich rappe. Viele Menschen sind gerade einfach begeistert von asiatischer Kultur. Es feiern ja auch alle krass, Pokémon-Packs zu öffnen. Ich hab' noch welche, vielleicht sollte ich die mal bei YouTube aufmachen. (lacht) Ich sehe mittlerweile viel mehr Leute, die sich Anime-Motive tätowieren lassen als noch vor einem Jahr. Das Sharingan aus "Naruto" (besonderes "Jutsu", also eine Ninja-Technik, welche die Augen rot färbt) sehe ich zum Beispiel mittlerweile sehr oft. Während Corona hatten natürlich auch einige Leute Zeit, sich Sachen noch mal anzusehen, die sie früher geguckt haben.
MZEE.com: In Japan sind Animes ein nicht wegzudenkender Teil der Kultur. Kannst du dir eine solche Entwicklung hierzulande beziehungsweise in Europa ansatzweise vorstellen?
Lugatti: Ich bin generell oft enttäuscht von Deutschland, kann ich dazu sagen. Wenn ich in anderen europäischen Ländern Riots sehe, in denen die Leute für ihre Rechte kämpfen … In Deutschland macht halt keiner mit. In Frankreich gibt's gefühlt jedes Jahr irgendeinen Aufstand oder Streik. Aber ich will gar nicht zu sehr in diese politische Richtung gehen. Ich meine damit: In Deutschland fehlt einfach vielen Leuten die Konsequenz, um so eine krasse Faszination für Anime zu entwickeln. Es kann gar nicht irgendetwas Neues kommen. Die deutschen Begeisterungen sind gesettlet mit Saufen und Fußball. Ganz plump betrachtet. Natürlich gibt es viele Leute, die Football gucken oder so, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das Fußball jemals überholen wird. Vielleicht finden sich bei Anime einige Leute zusammen, aber auf gar keinen Fall vergleichbar mit Japan oder auch einigen anderen Ländern. Ein paar Sachen gibt es aber mittlerweile schon. In Berlin gibt es Anime-Cafés, in denen du "Chainsaw Man"-Shakes trinken kannst. Das gab's früher maximal in Düsseldorf beim Japan-Tag. Da gibt es sehr gute Manga-Stores und einfach eine krasse asiatische Community. Ich hab' auch immer schon Bock, mal nach Japan zu reisen, weil es mich einfach interessiert. Ich denke, das geht vielen so.
MZEE.com: Zum Abschluss: Wenn du selbst einen Anime erschaffen könntest, wovon würde er handeln?
Lugatti: Es wäre natürlich krass, wenn es einen Anime über mich geben würde. (lacht) Über meinen Alltag, nur ein bisschen krasser. Aber ich weiß gar nicht, ob ich mir das angucken wollen würde. Einen Anime über einen Rapper auf dem Weg an die Spitze und so weiter. Es wäre wahrscheinlich eine Mischung aus "One Punch Man" und "Demon Slayer", so in der Art. Mir fällt noch "Yakuza goes Hausmann" als geiler Anime ein. In dem Stil könnte ich wahrscheinlich auch einen über mich feiern. Das ist todeslustig gemacht. Einfach eine Mischung aus diesen neueren Sachen mit einem dicken Dude, der kifft. (lacht)
(Alexander Hollenhorst)
(Fotos von Leon Hahn)