Das erste Konzert, das man ohne Eltern besuchen durfte. Nachts alleine auf der Autobahn und den gleichen Song immer und immer wieder hören, weil man nicht fassen kann, wie gut er ist. Der Track, den man mit den Freund:innen von früher laut grölend auf jeder Party mitgesungen hat. Vermutlich kennt jeder Mensch diesen Moment: Es läuft ein bestimmtes Lied oder Album, das einen direkt emotional in eine Situation zurückversetzen kann, nostalgisch werden lässt oder einfach nur aufgrund seiner Machart immer wieder zum Staunen bringt. Und genau darum geht es in unserem Format "DIGGEN mit …". Wir diggen mit verschiedenen Protagonist:innen der Szene in ihren gedanklichen Plattenkisten und sprechen über Musik, die diese Emotionen in ihnen auslöst. Dafür stellen unsere Gäste jeweils eine eigene Playlist mit Songs zusammen, die sie bewegen, begeistern und inspirieren.
In dieser Ausgabe nahm uns der Producer und DJ Dead Rabbit auf eine Zeitreise in seine Vergangenheit mit. Dafür stellte er eine sehr persönliche Playlist zusammen, die uns Einblicke in seine Jugend in Rostock gibt und zeigt, wie er zu dem Musiker wurde, der er heute ist. Neben Diskotheken, Plattenläden und Fernsehsendern wie VIVA hatten auch seine Freunde Marteria und Nobodys Face Einfluss auf das, was er gehört hat. Seine Wahl für die Playlist fiel vermehrt auf Musik aus den 90ern und frühen 2000ern – eine Zeit, in der sich Rap in Deutschland stark weiterentwickelt hat. Auch Dead Rabbit beeinflusste in dieser Phase die Rapwelt in Deutschland, da er den Marsimoto-Sound für Marterias Alter Ego produzierte, dem der US-Künstler Madlib mit seinem Pseudonym Quasimoto als Vorbild diente. Welche Künstler ihn neben Madlib am meisten inspiriert haben und mit wem er in Zukunft gerne zusammenarbeiten würde, erzählte er uns im Gespräch.
1. Die Prinzen – Kein Liebeslied (prod. by Annette Humpe)
Dead Rabbit: Genau wie die Prinzen komme ich auch aus den neuen Bundesländern und bin seit meiner Kindheit großer Fan von ihnen. Für mich sind sie die deutschen Boyz II Men, vor allem wegen der Chorgesänge. "Kein Liebeslied" ist ein etwas unbekannterer Song ihres Albums "Alles nur geklaut", das ich mir damals sofort auf CD geholt habe. Ich bin relativ schnell darauf hängengeblieben, weil er so melancholisch ist und schöne Harmonien hat. Er ist eine Abwandlung von klassischen Liebesliedern, aber total schön gemacht. Ich habe viele Interviews von den Prinzen gesehen, in denen die Produzentin Annette Humpe sagte, dass es cooler wäre, wenn man Drum-Loops zu dem Gesang hinzufügt, um es poppiger zu machen. Das brachte ihnen den Durchbruch. Davor haben sie viel A cappella gesungen und ihre Musik war eher nischig. Einer der Prinzen war im Dresdner Kreuzchor, genau wie mein Vater als Kind. Das ist etwas Persönliches, das ich mit der Musik verbinde. Ich habe auch den Traum, irgendwann mal mit den Prinzen zusammenarbeiten zu können.
2. Hieroglyphics – You Never Knew (prod. by A-Plus)
Dead Rabbit: Das war eins der ersten amerikanischen HipHop-Lieder, die ich in meiner Jugend in Rostock abgefeiert habe. Ich liebe dieses hochgepitchte Sample und den Beat. Das Vocal-Sample gefällt mir besonders gut. Diese Musik war eine komplett neue Welt für mich, nachdem ich vorher eher Chor- und Popmusik kannte. Die Ami-Sachen habe ich hauptsächlich durch DJs kennengelernt, die sie in den Clubs aufgelegt haben. Bis ich mir selbst internationale Alben gekauft habe, hat es noch ein bisschen gedauert. Damals war ich noch etwas mehr an deutschem Rap interessiert.
3. Dizzee Rascal – Cut 'Em Off (prod. by Dizzee Rascal)
Dead Rabbit: Dizzee ist einer der besten UK-Rapper. Auf seinem ersten Album "Boy in da Corner" war der Song "Cut 'Em Off", da war er noch sehr jung. Das Album hat einen Hype ausgelöst, weil es fresh und eine Mischung aus HipHop und Grime war. Ich liebe vor allem diesen Song, weil er abgefahrene elektronische Sounds beinhaltet und einen ganz eigenen Vibe hat. Einige Tracks können anstrengend sein, wenn man sie auf voller Lautstärke hört, aber insgesamt ist das Album von Anfang bis Ende einfach großartig. Ich mag diese düsteren Beats und diesen Londoner Slang. Das holt mich bis heute komplett ab.
4. Kazi – A.V.E.R.A.G.E. (prod. by Madlib)
Dead Rabbit: "Down For The Kaz 12" von Kazi war eines der ersten amerikanischen Werke, das Nobodys Face auf Vinyl besaß. Das war zu der Zeit, als Marten (Anm. d. Red.: Marteria) gefreestylt hat. Es war einer unserer ersten Berührungspunkte zu Madlib, der uns nicht unwesentlich in Richtung Marsimoto inspiriert hat. Daher durfte er in dieser Liste nicht fehlen. Der Madlib-Sound hat mich insgesamt geprägt, weil er so schön rumpelig und unperfekt ist. Das kommt aus dem Bauch heraus. Außerdem hat "A.V.E.R.A.G.E." diese schönen Streicher-Samples, die mich total begeistert haben, weil ich selber mal Geige gespielt habe.
5. Freundeskreis feat. Wasi – Wenn der Vorhang fällt (prod. by Freundeskreis)
Dead Rabbit: Mir fällt gerade auf, dass ich viele Songs aus den ersten Alben der Künstler gewählt habe. So auch hier wieder: "Quadratur des Kreises" war das erste Album von Freundeskreis und eines der ersten HipHop-Alben, die ich mir auf CD gekauft und sehr abgefeiert habe. Da war ich um die 16. Es gab damals noch kein Merch zu kaufen, deshalb hab' ich mir ein Bild im Internetcafé ausgedruckt, um mir selbst ein T-Shirt zu machen. Der Song "Wenn der Vorhang fällt" war einer der besten Beats auf dem Album und dann war da auch noch Wasi von den Massiven Tönen als Feature drauf. Deswegen ist das für mich so ein Alltime-Klassiker. Freundeskreis war für mich der Einstieg in deutschen Rap, nachdem ich bei VIVA einen Live-Auftritt von ihnen gesehen habe. Da fand ich sie so cool, dass ich dann die gleichen Baggypants wie Max tragen wollte. Ich habe natürlich auch andere Klassiker wie "Bambule" von den Absoluten Beginnern, "Unter Tage" von RAG und "Fenster zum Hof" von den Stieber Twins gefeiert. Das war schon eine geile Zeit. Bei Freundeskreis kann man noch lobend erwähnen, dass sie immer sehr gute Texte hatten, beispielsweise über geschichtliche Zusammenhänge wie bei "Leg dein Ohr auf die Schiene der Geschichte". Mir fällt kein Song von ihnen ein, dessen Thema nicht interessant war. Auf dem Album ist auch eine Cover-Version von dem Udo Lindenberg-Song "Baby, wenn ich down bin". Ich muss gestehen, dass ich bis vor einem Jahr nicht wusste, dass das eine Cover-Version ist. Mir gefällt auch, dass man bei Max merkt, dass er selbst Fan ist und eine eigene Legacy mitbringt, die er weiterverarbeitet.
MZEE.com: Die meisten Songs in der Liste kommen aus den 90ern und frühen 2000ern. Hat diese Zeit eine besondere Bedeutung für dich?
Dead Rabbit: Ich denke, ich spreche für die Allgemeinheit, wenn ich sage: Die Musik, die man in der Jugend gehört hat, bleibt auf eine Art. Der Mensch trägt sie für alle Ewigkeit in seinem Herzen. Niemand kann zum zweiten Mal 16 sein. Man kann nur hoffen, dass man damals ein paar coole Songs gehört hat. Ich freue mich total, dass ich in der Zeit, in der es mit Rap in Deutschland losging, Jugendlicher war. Ich würde ungern jetzt 18 sein, weil ich dann die letzten zwei Jahre wegen Corona keine Disko hätte besuchen können und dementsprechend auch keine Ahnung hätte, was gerade angesagt ist. Es ist schon alles gut so, wie es war.
6. Aaliyah feat. Timbaland – We Need A Resolution (prod. by Timbaland)
Dead Rabbit: Timbaland ist einer der größten Einflüsse für mich. Es war gar nicht so einfach, einen Song auszuwählen, weil er so viele geile Sachen gemacht hat. Ich habe mich dann für den Song mit Aaliyah entschieden, auf dem er auch einen Part hat. Erst mal ist es sehr schade, dass Aaliyah nicht mehr lebt, denn sie war eine absolut krasse R 'n' B-Sängerin. Gerade die Kombi der beiden hat mich total geflasht. Timbaland benutzt oft orientalische, arabische Samples – auch später mit Justin Timberlake und Nelly Furtado. Das hat mich geprägt, weil ich mich selber gerne an solchen Samples bediene. Timbaland ist so krass, weil er es schafft, seine Beats immer perfekt an die Artists anzupassen. Trotzdem kann man die eigene Handschrift immer deutlich raushören. Er hat dies unter anderem durch den Einsatz kleiner Vocal-Schnipsel in den Songs erreicht, oft mit einem Telefon-Effekt auf der Stimme. Man konnte daran sofort erkennen, dass es eine Timbaland-Produktion ist, wenn man es nicht bereits an den Drums herausgehört hat. Ich finde es gut, dass der Produzent heute mehr im Fokus steht. Dies ist sicherlich auch ein Verdienst von Timbaland und Dr. Dre. Ich finde es wichtig und richtig, dass der Producer oft auch als Hauptinterpret bei Spotify angegeben wird. Das sollte eigentlich die Regel sein.
7. Gyptian – Hold You (prod. by Jon Fx & Ricky Blaze)
Dead Rabbit: "Hold You" erinnert mich an die Zeit, in der ich fast jedes Wochenende aufgelegt habe. Seit Corona ist das weniger geworden. Der Song war eigentlich fester Bestandteil in jedem Set der letzten Jahre, denn er ist zeitlos. Reggae und Dancehall sind für mich zu sehr wichtigen Einflüssen geworden. Mir gefällt die ungezwungene Herangehensweise der Jamaikaner beim Musikmachen. Es geht dabei nicht um Perfektion. Oft sind es nur ein oder zwei Töne, auf denen sie was singen, und trotzdem geil ist es und versprüht so eine Energie. Das ist faszinierend. Es ist einfach so ein gutes Lied mit schönen Klavier-Akkorden. Wenn das losgeht, hat jeder sofort gute Laune.
8. The Streets – Let's Push Things Forward (prod. by Mike Skinner)
Dead Rabbit: "Let's Push Things Forward" ist ein Song aus dem Debütalbum "Original Pirate Material" von The Streets. Von dem Album hat mich besonders dieser Song angesprochen. Ich habe mich immer gefragt, wie dieser Beat programmiert ist – der hat so einen seltsamen Groove. Er wirkt ein bisschen, als ob er geradlinig wie Techno sei, aber ganz gerade ist der Sound dann doch nicht. Eher ein bisschen dubbig und verschoben. Mir gefällt der gesamte Vibe. Das Album war damals eine komplette Neuerung. Auch die Art zu rappen, so gleichgültig, egal wie viele Worte er in einem Takt unterbringt – Mike Skinner rappt einfach so, wie es ihm gefällt. All das hat er damals in seinem Schlafzimmer produziert und es ist ein großer Erfolg geworden – der Beginn einer starken und langen Karriere.
9. Chase & Status – International (prod. by Chase & Status)
Dead Rabbit: Chase & Status sind eine Crew aus England, bei der man die ganzen unterschiedlichen Einflüsse raushört, denen man als Engländer ausgesetzt ist. Sie haben es für mich perfektioniert, Elektro-Elemente mit Reggae-Samples zu vermischen und daraus einen tanzbaren Song zu machen. "International" ist neben "Hold You" von Gyptian einer meiner Lieblings-DJ-Songs. Ersterer eigentlich sogar noch mehr, weil er diesen Drop hat und dann in der Hook so abgeht. Das habe ich immer sehr genossen beim Auflegen. Die Sirenen liebe ich auch, weil das im Reggae-Dancehall-Kontext einfach immer geil klingt. Egal ob vorwärts, rückwärts, zerschnitten oder als Melodie verbastelt, Sirenen feiere ich immer sehr. Daneben sind Delays etwas, das ich mir aus der Reggae-Welt abgeschaut habe. Dort wird oft mit Delays auf Vocals übertrieben. Das ist auch der Grund, weshalb wir bei Marsimoto viele einsetzen.
10. Haftbefehl – Chabos wissen wer der Babo ist (prod. by Farhot)
Dead Rabbit: Ich habe Haftbefehl das erste Mal auf dem Sampler "Echte Musik" von Jonesmann wahrgenommen. In dem Song "H.A.F.T" sind mir seine Sprache und sein Flow aufgefallen. Er hat dieses Image bis heute durchgezogen und es ist einfach authentisch. Den Song "Chabos wissen wer der Babo ist" habe ich gewählt, weil es einer seiner größten Hits ist. Shoutout an meinen geschätzten Hamburger Kollegen Farhot an dieser Stelle für diesen Beat. Die beiden sind eine perfekte Kombo. Ich schätze es auch, dass Haftbefehl einen humorvollen Ansatz hat. Es ist wichtig, bei düsterer Musik gelegentlich zu lachen, sonst kann es einen zu sehr belasten.
All diese Tracks findet ihr hier in unserer "DIGGEN mit Dead Rabbit"-Playlist auf Spotify.
(Malin Teegen)
(Foto von Pascal Kerouche)