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DIGGEN mit Mariybu

"Hyper­pop ist oft Über­for­de­rung und spe­zi­ell. Das Ohr muss erst mal dar­auf klar­kom­men, was da eigent­lich alles abgeht." – Die­ses Mal kram­te Mari­y­bu für "DIGGEN mit …" in ihrer gedank­li­chen Plat­ten­kis­te und stell­te eine Hyperpop-​Playlist zusammen.

Das ers­te Kon­zert, das man ohne Eltern besu­chen durf­te. Nachts allei­ne auf der Auto­bahn und den glei­chen Song immer und immer wie­der hören, weil man nicht fas­sen kann, wie gut er ist. Der Track, den man mit den Freun­den von frü­her laut grö­lend auf jeder Par­ty mit­ge­sun­gen hat. Ver­mut­lich kennt jeder Mensch die­sen Moment: Es läuft ein bestimm­tes Lied oder Album, das einen direkt emo­tio­nal in eine Situa­ti­on zurück­ver­set­zen kann, nost­al­gisch wer­den lässt oder ein­fach nur auf­grund sei­ner Mach­art immer wie­der zum Stau­nen bringt. Und genau dar­um geht es in unse­rem For­mat "DIGGEN mit …". Wir dig­gen mit ver­schie­de­nen Protagonist:innen der Sze­ne in ihren gedank­li­chen Plat­ten­kis­ten und spre­chen über Musik, die die­se Emo­tio­nen in ihnen aus­löst. Dafür stel­len unse­re Gäs­te jeweils eine eige­ne Play­list mit Songs zusam­men, die sie bewe­gen, begeis­tern und inspirieren. 

Manch­mal ent­deckt man unab­hän­gig von­ein­an­der tol­le, doch einem bis­her unbe­kann­te Songs und stellt sehr viel spä­ter fest, dass sie mit­ein­an­der ver­bun­den sind. Es eröff­net sich ein ganz neu­es The­men­feld, in das man begeis­tert abtau­chen und sich dabei ver­lie­ren kann. Genau das ist Mari­y­bu kürz­lich pas­siert, wes­halb sie uns kur­zer­hand eine Hyperpop-Play­list zusam­men­stell­te. Aber was ist Hyper­pop eigent­lich? Man kann es nur schwer als Gen­re ver­ste­hen, da sich unter die­sem Begriff vie­le ver­schie­de­ne Gen­res – von Trap über Punk zu Pop – ver­sam­meln, die alle in eine bestimm­te Stil­rich­tung gehen. Schnell, bunt, über­trie­ben, syn­the­tisch, glatt – es klingt, wie man sich die Zukunft als Ani­me vor­stellt. Dabei rückt der Mensch hin­ter der Musik aus dem Fokus und es geht um einen Cha­rac­ter, der geformt wird. Der Fan­ta­sie und auch der Kunst sind also kei­ne Gren­zen gesetzt. Genau das fas­zi­niert die jun­ge Rap­pe­rin und Pro­du­zen­tin so an den Songs, die sie für uns aus­ge­sucht hat. Sie erklär­te, wie­so SOPHIE die Göt­tin des Hyper­pops ist, wel­che Mög­lich­kei­ten Künstler*innen als Pro­jek­ti­ons­flä­che bie­ten und wes­sen Pro­duk­tio­nen sie beson­ders beein­flusst haben.

 

 

1. 100 gecs – money machi­ne (prod. by 100 gecs)

Mari­y­bu: Ich feie­re die­se gepitch­te Stim­me ein­fach der­be, weil man am Anfang gar nicht checkt, wel­ches ver­meint­li­che Geschlecht sich dahin­ter ver­birgt. Nor­ma­ler­wei­se hört man eine Stim­me und ord­net ihr direkt ein Bild zu – zum Bei­spiel, was das Geschlecht, aber auch den Kör­per oder all­ge­mein das Aus­se­hen angeht. Das ist schei­ße, weil man dadurch ja unter­be­wusst direkt wer­tet. Ich fin­de es fas­zi­nie­rend, dass die gepitch­te Stim­me das ver­hin­dert und mag es, wenn Musik eine Pro­jek­ti­ons­flä­che bietet.

MZEE​.com: Ich habe wäh­rend der Recher­che oft gele­sen, dass Hyper­pop in der quee­ren Com­mu­ni­ty eine gro­ße Rol­le spielt, konn­te mir aber nicht rich­tig erklä­ren, womit das zusam­men­hängt. Viel­leicht liegt es auch dar­an, dass vie­le Künstler:innen die­ser Stil­rich­tung Cha­rak­te­re erschaf­fen und sich in der Musik neu erfin­den bezie­hungs­wei­se in allen mög­li­chen Wei­sen aus­drü­cken können.

Mari­y­bu: Kann gut sein. Que­e­re Par­tys bei­spiels­wei­se sind oft sehr bunt und viel frei­er als ande­re Wel­ten. Das lässt gro­ßen Raum zum Aus­pro­bie­ren und Aus­le­ben. So ist das beim Hyper­pop auch: Es ist nie zu über­trie­ben. Es geht nicht um "Cool­ness" und man kann dra­ma­tisch sein. Mir sagen die Leu­te oft, dass das, was ich mache, crin­ge ist – das ist halt die Rap-Community.

 

2. SOPHIE – Imma­te­ri­al (prod. by SOPHIE)

Mari­y­bu: Ich glau­be, da wer­den mir alle zustim­men: SOPHIE ist die Göt­tin des Hyper­pops. Sie hat wahn­sin­nig viel geprägt und auch was Sound­de­sign angeht, war sie für vie­le Künstler:innen ein gro­ßer Ein­fluss. Auch ich benut­ze rich­tig vie­le Sounds von SOPHIE, wenn ich pro­du­zie­re. Allei­ne auf die Pro­duk­ti­on von "Pony­boy" kom­me ich ein­fach nicht klar, weil sie so gut ist. Ich habe das Gefühl, sie hat alles anders gemacht als alle ande­ren. "Imma­te­ri­al" habe ich gewählt, weil es mich sehr inspi­riert hat und das hört man mei­nen neu­en Songs auch an – vor allem "Wal­kie Tal­kie Boo­ty Call". Das muss ich auch nicht ver­ste­cken, ich mag ihren Vibe voll.

 

3. Tro­phie – Reco­ver (prod. by Tro­phie, Apol­lo, Rad Hat­ter & Mattu)

Mari­y­bu: Auch hier fin­de ich die Pro­duk­ti­on wie­der nice, wie so oft. Es ist sehr clean pro­du­ziert, obwohl so vie­le ver­schie­de­ne Sounds ver­wen­det wur­den. Die Räu­me, die da geschaf­fen wer­den, hören sich so schön an, dass es mich fast schon nei­disch macht. (lacht) Es macht ein­fach Spaß, "Reco­ver" zu hören. Auch weil der Song zwei ver­schie­de­ne Moods hat: zum einen die­ser glit­tery Teil, der mich an fun­keln­de Ster­ne erin­nert, und zum ande­ren vie­le har­te Sounds, obwohl der Song die gan­ze Zeit weich bleibt.

 

4. Ash­nik­ko feat. Hats­une Miku – Dai­sy 2.0 (prod. by Slinger)

Mari­y­bu: Ich fin­de eigent­lich alles toll, was Ash­nik­ko macht – Sound­äs­the­tik, Inhalt, Style und die Art, mit Sachen umzu­ge­hen. Hier fin­de ich sehr geil, dass hin­ter Hats­une Miku gar kein Mensch, son­dern eine KI steckt. Da wären wir wie­der bei dem Punkt, dass das ein­fach wahn­sin­nig viel Pro­jek­ti­ons­flä­che bie­tet. Erwar­tun­gen an Künstler:innen und Vor­stel­lun­gen davon, wie eine Per­son ist, fal­len außer­dem kom­plett weg, wenn nie­mand Rea­les dahin­ter­steht. Du kannst so viel pro­ji­zie­ren und bewer­ten, wie du willst, aber es scha­det nie­man­dem. Das fin­de ich genial.

MZEE​.com: Hast du manch­mal das Bedürf­nis, dei­ne rea­le Per­sön­lich­keit aus der Musik zu fil­tern und stär­ker einen Cha­rac­ter zu schaffen?

Mari­y­bu: Wenn ich ange­grif­fen oder belei­digt wer­de, auf jeden Fall. Es irri­tiert mich auch oft, wenn mir Leu­te schrei­ben und ich mer­ke, dass sie ein ganz ande­res Bild von mir haben, das nicht der Rea­li­tät ent­spricht. Mei­ne Musik ist natür­lich sehr per­sön­lich, des­we­gen ist es irgend­wie auch in Ord­nung, dass das pas­siert. Aber ich ver­ste­he zum Bei­spiel Artists sehr gut, die eine Mas­ke tra­gen. Ich ken­ne das ja von mir selbst, dass ich scho­ckiert bin, wenn ein:e Künstler:in etwas macht, das nicht in mein Bild passt.

 

5. Char­li XCX – claws (prod. by Dylan Brady)

Mari­y­bu: Char­li XCX darf natür­lich nicht feh­len. Ich wür­de sagen, sie ist die bekann­tes­te und war auch die ers­te gro­ße Hyperpop-​Künstlerin. "claws" gehört nicht unbe­dingt zu ihren erfolg­reichs­ten Songs, aber ich mag ihn sehr ger­ne. Bei vie­len ihrer Songs springt einem das nicht direkt ins Auge, aber das ist ganz klar Hyper­pop. Das erkennt man zum Bei­spiel dar­an, dass der Refrain so chee­sy, sweet und ein­fach ist. Die Vocal­be­ar­bei­tung ist hier auch schön.

 

6. Raven­na Gol­den – R U Joking (prod. by Dylan Brady)

Mari­y­bu: Raven­na Gol­den lie­be ich. Dylan Bra­dy von den 100 gecs pro­du­ziert vie­le ihrer Songs. Gera­de bei "R U Joking" will ich ein­fach nur rum­hüp­fen, obwohl die Stim­mung eher sad ist. Auch wenn das alles so pla­s­tic ist, fin­de ich sie total authen­tisch. In den sozia­len Medi­en wirkt sie irgend­wie sehr zugäng­lich. Ich kann mir gut vor­stel­len, dass sie noch sehr erfolg­reich wird. Es ist eh erstaun­lich, dass vie­le die­ser Künstler:innen weni­ge Fol­lower auf Social Media haben, unab­hän­gig davon, wie vie­le Men­schen die Musik hören. Viel­leicht liegt es auch dar­an, dass man eben kei­ne rich­ti­ge Per­son vor Augen hat, wenn man das hört, und man dann gar nicht das Bedürf­nis ver­spürt, zu erfah­ren, wer dahintersteckt.

 

7. Cake Pop – Cake Hap­py (prod. by Dylan Brady)

Mari­y­bu: Hyper­pop ist oft Über­for­de­rung und spe­zi­ell. Das Ohr muss erst mal dar­auf klar­kom­men, was da eigent­lich alles abgeht. Das ist für mich aber gute Musik – wenn man einen Song rich­tig oft hört und bei jedem Mal gei­ler fin­det, was da pas­siert, wes­we­gen man ihn immer wie­der hören will. Die Lie­der, die beim ers­ten Mal Hören rich­tig geil sind, sind es beim zehn­ten Mal meis­tens nicht mehr. Cake Pop ist für mich der Inbe­griff von Weird­ness und Über­trei­bung. Wenn ich ihre Musik höre, bin ich nur glück­lich und muss die gan­ze Zeit grin­sen. Als ich "Cake Hap­py" ent­deckt habe, bin ich gera­de mit dem 9 Euro-​Ticket nach Ber­lin gefah­ren. Es war schlimm, ich war super­schlecht gelaunt und habe die­sen Song dann eine Stun­de auf Repeat gehört. Er hört sich so an, als wür­den ganz vie­le bun­te Bäl­le rumhüpfen.

 

8. Shy­girl – Shlut (prod. by Shy­girl, Blood­pop & Sega Bodega)

Mari­y­bu: Shy­girl hat gera­de erst ein Album releast, das sehr sex­po­si­tiv und selbst­be­stimmt ist. Bei ihr sind vie­le Sti­le gemixt, bei "Shlut" zum Bei­spiel rappt sie in den Parts und der Beat hat eine klas­si­sche 808, die Hook ist wie­der­um auf ein Gitarren-​Sample gesun­gen. Es über­rascht einen, passt aber trotz­dem gut zusam­men. Das gan­ze Album ist toll produziert.

 

9. Maria Domark – not alright x1000 (prod. by Maria Domark & modern god)

Mari­y­bu: Das macht auch rich­tig gute Lau­ne. Text und Beat har­mo­nie­ren so gelun­gen, obwohl es ein Remix ist. Ich fin­de, wenn man das hört, treibt es rich­tig doll. Der Text beschreibt das Gefühl, dass man ein­fach nur weg­ren­nen möch­te. Der Beat löst auch genau das in einem aus, aber macht trotz­dem so gute Lau­ne. Das fin­de ich künst­le­risch ein­fach krass umgesetzt.

 

10. TAAHLIAH feat. Spent – Never Lose (prod. by TAAHLIAH)

Mari­y­bu: Die Musik von TAAHLIAH zeich­net sich nicht unbe­dingt durch Ohr­wür­mer aus, aber sie ist spe­cial pro­du­ziert und macht beson­de­re Räu­me auf. Sie hat eine ganz eige­ne Hand­schrift. Als Per­son geht sie sehr selbst­be­wusst nach außen und steht für Din­ge, die ich der­be fei­er'. Von sich selbst sagt sie, dass sie sich ger­ne ver­lie­ren will, auch da fin­de ich mich oft wieder.

 

11. Ali­ce Lon­gyu Gao – Rich Bitch Juice (prod. by Dylan Brady)

Mari­y­bu: Ali­ce Lon­gyu Gao ist eine chi­ne­si­sche Künst­le­rin, die rich­tig bos­sy und trotz­dem irgend­wie kindlich-​sweet ist. Es wirkt aber nicht gewollt. Frü­her dach­te ich, die­se bei­den Sachen schlie­ßen sich aus, vor allem als ich mit dem Rap­pen ange­fan­gen habe. Mei­ne sweete Sei­te habe ich da weg­ge­las­sen. Irgend­wie fas­zi­niert sie mich voll und ich mag ihre Sound­äs­the­tik. Es ist mini­ma­lis­tisch pro­du­ziert, aber sehr gut gemacht.

 

12. Nama­sen­da feat. Oklou – Star (prod. by Dylan Bra­dy, A. G. Cook)

Mari­y­bu: Nama­sen­da ist neben Pla­net 1999 eine der weni­gen Künstler:innen, die ich höre, die eher ent­spann­te Mucke machen. Da habe ich mir auch viel von der Vocal­be­ar­bei­tung abge­guckt, weil es so schön clean gemacht ist. Der gan­ze Sound ist ein biss­chen glat­ter. Ich fin­de nicht nur die­ses über­trie­ben Gecrush­te geil. "Star" hat trotz­dem noch viel Auto­tu­ne und ist gepitcht, aber geeig­ne­ter zum Chil­len. Und natür­lich mal wie­der von Dylan Bra­dy pro­du­ziert, das ist echt ver­rückt. Ich fra­ge mich, wo er die gan­ze Zeit her­nimmt, für ein gan­zes Gen­re zu pro­du­zie­ren. Er hat ja allei­ne schon zig eige­ne Pro­jek­te wie 100 gecs und Cake Pop und spielt auch noch Kon­zer­te. Na ja, viel­leicht hat er ein­fach sehr gute Drogen.

 

All die­se Tracks fin­det ihr hier in unse­rer "DIGGEN mit Mariybu"-Playlist auf Spo­ti­fy.

(Yas­mi­na Rossmeisl)
(Foto von Kat­ja Ruge)