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Kommentar

Rap mit Ironie-​Stempel – warum Ironie als Stilmittel hinderlich ist

Bei immer mehr Deutschrapper:innen nutzt sich die Iro­nie als Stil­mit­tel ab – aber war­um? Wel­che Pro­ble­me gibt es und was könn­te an ihre Stel­le tre­ten? Über nöti­ge künst­le­ri­sche Wei­ter­ent­wick­lung und das Abneh­men von Masken.

An die­ser Stel­le möch­ten wir Gedan­ken zu aktu­el­len Gescheh­nis­sen aus dem Deutschrap-​Kosmos zum Aus­druck brin­gen. Die jeweils dar­ge­stell­te Mei­nung ist die des:der Autor:in und ent­spricht nicht zwangs­läu­fig der der gesam­ten Redak­ti­on – den­noch möch­ten wir auch Ein­zel­stim­men Raum geben.

Im Fol­gen­den setzt sich unser Redak­teur Felix kri­tisch mit dem weit­ver­brei­te­ten Stil­mit­tel der Iro­nie aus­ein­an­der und hin­ter­fragt deren Wir­kung, ins­be­son­de­re bei poli­ti­schen oder sozi­al­kri­ti­schen Texten.

 

Kaum eine Deutschrap-​Line ist in den letz­ten Jah­ren so schlecht geal­tert wie die Zei­le "What a time to be ali­ve, ohne Seu­chen, ohne Krieg" von Zuge­zo­gen Mas­ku­lin. Zurecht kommt sie in der Vide­orei­he "Schlecht geal­ter­te Deutschrap-​Lines" vor. Denn in den fünf Jah­ren seit Release ist eine Men­ge pas­siert, im Deutschrap und auch in der ech­ten Welt. Donald Trump im Wei­ßen Haus, eine glo­ba­le Pan­de­mie und der rus­si­sche Angriffs­krieg gegen die Ukrai­ne, um nur ein paar Ereig­nis­se zu nen­nen. Durch die COVID-​19-​Pandemie rücken in Deutsch­land Querdenker:innen zusam­men und Ver­schwö­rungs­theo­rien gewin­nen an Popu­la­ri­tät. Es ist die per­fek­te Zeit für ein kri­ti­sches, fin­ger­zei­gen­des Deutschrap-​Album vol­ler Sati­re – könn­te man mei­nen. "Hur­ra! End­lich hab' ich etwas, wor­über ich schrei­ben kann", um NMZS zu zitieren.

Ein Bei­spiel für so ein Album ist "Deli­ri­um" von Edgar Was­ser und Fato­ni. Neun Jah­re lang muss­ten die Fans der Rap­per auf den Nach­fol­ger des Klas­si­kers "Noce­bo" war­ten. Ein Album vol­ler Witz, Bis­sig­keit und iro­ni­scher Wider­sprü­che. Doch mit mitt­ler­wei­le mehr als einem Jahr Abstand kann man sagen: Das War­ten hat sich nicht gelohnt. "Deli­ri­um" kann an den Erfolg des Vor­gän­gers nicht anknüp­fen. Das Album hat ein gro­ßes Pro­blem, wel­ches Fato­ni selbst auf der ers­ten Sin­gle tref­fend beschreibt. "Es war so sim­pel, etwas Rea­les neh­men und tie­risch über­trei­ben und dann Sati­re drü­ber­schrei­ben." – So schil­dert er sein bis­he­ri­ges Vor­ge­hen beim Schrei­ben. Doch das ist nicht mehr so ein­fach, denn: "Die Rea­li­tät ist schlim­mer als jede Iro­nie." Eine Aus­sa­ge, die man getrost abni­cken kann, lässt man ver­gan­ge­ne Jah­re Revue pas­sie­ren. Inter­es­san­ter­wei­se zieht sich die zuvor erwähn­te Iro­nie dann doch durch das rest­li­che Album. Von der iro­ni­schen Kiffer:innen-Hymne bis zum "Ich ficke dei­ne Mut­ter gar nicht echt"-Song ist alles dabei. Als hät­te es die Bemer­kung nie gege­ben. War­um aber ein Album schrei­ben, an des­sen For­mel man selbst zwei­felt? "Oft wäre es sonst zu lang­wei­lig und künst­le­risch nicht inter­es­sant genug, die Fak­ten ein­fach nur zu benen­nen. Wer das will, kann genau­so gut Akti­vist wer­den", meint Fato­ni in einem Inter­view auf Rap​.de kurz nach Album-​Release. Des­we­gen also wie­der Iro­nie? Über­trifft die doch die Rea­li­tät? Was stimmt denn nun? Die Sin­nes­kri­se zieht sich durch das gesam­te Album, stell­ver­tre­tend für eine gan­ze Spar­te des Raps. Die Iro­nie steht ein­fach zu sehr im Vor­der­grund und wirkt ver­krampft, ja erzwungen.

Erzwun­ge­ne Albern­heit und zu viel Iro­nie wer­den auch im Zusam­men­hang mit den Orsons oft genannt. Vie­le ihrer Alben vor 2019 strot­zen nur so davor. Für eini­ge ein guter Grund, sich nicht mit der Grup­pe zu beschäf­ti­gen. Doch jetzt nähern sich die Orsons immer greif­ba­re­ren oder sogar real­po­li­ti­schen The­men. Gera­de Lie­der wie "Oio­ioiro­pa" über­zeu­gen durch die­se Her­an­ge­hens­wei­se. Ähn­lich ver­hält es sich da auch mit dem neu­es­ten Weekend-​Album "Light­wolf". Das über­zeugt gera­de dann, wenn es auto­bio­gra­phi­scher wird – abseits von iro­ni­schen und abge­klär­ten Themen-​Songs über toxi­sche Männ­lich­keit oder Fil­ter­bla­sen. Fazit: Der dau­er­haf­te Ironie-​Stempel kann echt ner­ven. Auf­ge­frischt wer­den sol­che Pro­jek­te dann aber durch ihre über­ra­schend nüch­ter­nen und ehr­li­chen Momente.

Inner­halb der Orsons zum Bei­spiel ist Mae­ckes ein Künst­ler, der sich exzes­siv der Iro­nie bedient. Von der "Ich bin nicht Maeckes"-Catchphrase bis zum Zen­sur­bal­ken vorm Gesicht. 2016 cas­tet er so auch einen Schau­spie­ler als Dop­pel­gän­ger für eine Video­idee. Ähn­lich soll er aus­se­hen und die­sel­ben Tanz-​Moves beherr­schen. Er ist im gan­zen Video zur Sin­gle "Tilt" zu sehen, taucht dann fünf Jah­re spä­ter erneut auf und wird im Musik­vi­deo zur Sin­gle "1234" vom Maeckes-​Fan zum abso­lu­ten Has­ser. Die­se Radi­ka­li­sie­rung geht so weit, bis der Dop­pel­gän­ger tobt. Er erschießt das Ori­gi­nal und das Musik­vi­deo endet. Der Song selbst behan­delt immer prä­sen­te The­men wie Radi­ka­li­sie­rung, Faschis­mus und Sexis­mus. Ganz ein­fach und klar, nach dem Mot­to "1234". Die iro­ni­sche Ebe­ne fällt weg. Und gera­de das macht den Track so beson­ders. Noch einen Schritt wei­ter geht das Musik­vi­deo zu "Pik". Hier ent­tarnt sich der mor­den­de Dop­pel­gän­ger. Er zeigt, wer sich hin­ter der Mas­ke ver­birgt. Es ist natür­lich Mae­ckes selbst, der fünf Jah­re lang sei­nen eige­nen Dop­pel­gän­ger gespielt hat. Er nimmt die Kon­takt­lin­sen her­aus, zieht die fal­sche Haut ab und erzählt: "Mein Album 'POOL' ist gar nicht so ver­steck­spiel­mä­ßig und Dop­pel­gän­ger und irgend­wel­che Spie­le­rei­en …" Es geht also direk­ter, selbst bei einem Meis­ter der Irre­füh­rung. Egal, ob bei Tracks über die Ver­gan­gen­heit, über die Lie­be oder auch dem real­po­li­tisch ange­sie­del­ten Song "1234": Es sind die Ehr­lich­keit und Nähe, die "POOL" als Album so inter­es­sant machen. Es ergibt also durch­aus Sinn, Stil­mit­tel wie Iro­nie und Sar­kas­mus in Tex­ten kri­ti­scher zu hin­ter­fra­gen. Die Welt wird immer kom­ple­xer, alles wird inein­an­der ver­wo­ben und kla­re Gren­zen zu zie­hen, erscheint unmög­lich. Gera­de des­we­gen ist es ange­bracht, etwas mehr Hal­tung in den Tex­ten zu zei­gen. Den Hörer:innen wenigs­tens ein paar klei­ne, ehr­li­che Text­fet­zen zu schen­ken, kann auf kei­nen Fall schaden.

Denn eine iro­ni­sche Auf­ar­bei­tung setzt oft vor­aus, dass der:die Zuhörer:in die­sel­be Auf­fas­sung teilt. Die Pro­ble­ma­tik muss von dem:der Hörer:in also schon erkannt und als ver­stan­den geglaubt sein. Sonst zün­det die Iro­nie nicht. Sar­kas­ti­sche Kom­men­ta­re sind ja auch nur dann unter­halt­sam, wenn sie jemand ver­steht. Es sind Wit­ze für Mit­wis­sen­de, manch­mal sogar mit einer Pri­se Eli­ta­ris­mus. Es wird also nur im sel­te­nen Fall auf etwas auf­merk­sam gemacht. Iro­nie erklärt kei­ne neu­en Pro­ble­me oder ande­re Blick­win­kel, sie gibt das Pro­blem nur anders wie­der. Unter­hält dann die­se Wie­der­ga­be nicht, ist man somit von den stump­fen Fak­ten doch nicht mehr weit ent­fernt. Im schlimms­ten Fall aber wird die Aus­sa­ge des Tex­tes falsch auf­ge­fasst und verdreht.

Ob "Tourlife4Life" oder "Orsons Island" von den Orsons, "Light­wolf" von Weekend oder die Solo­al­ben von Fato­ni – sie alle über­zeu­gen auf­grund ihrer weni­ger iro­ni­schen Her­an­ge­hens­wei­se. Der dop­pel­te Boden fehlt oft absicht­lich. An Bis­sig­keit und cle­ve­ren Beob­ach­tun­gen man­gelt es trotz­dem nicht. Mit genau die­sem Bau­plan glänzt auch der letz­te Track des Albums "Deli­ri­um". In fast vier Minu­ten erzäh­len Edgar Was­ser und Fato­ni mehr als auf dem gesam­ten rest­li­chen Album. Ein künst­li­cher Streit wird genutzt, um sich gegen­sei­tig ein­fach mal alles an den Kopf zu wer­fen. Sie haben eben "künst­le­ri­sche Dif­fe­ren­zen", wie auch der Name des Songs ver­rät. Gera­de der ein­ge­bau­te Mit­schnitt aus einer Debat­te im Stu­dio ver­leiht dem Song Gewicht. Das Ende des Albums ist bit­ter­süß und unter­hält durch die klei­nen ehr­li­chen Ein­bli­cke in die krea­ti­ve Zusam­men­ar­beit. Meh­re­re sol­cher Momen­te hät­ten dem Album mit Sicher­heit gut getan. Dass Fato­ni und Edgar eigent­lich mehr kön­nen, haben sie ja schon vor neun Jah­ren auf "Noce­bo" bewie­sen. Es liegt nicht am Kön­nen, son­dern an der Her­an­ge­hens­wei­se. Viel­leicht ist es des­we­gen an der Zeit, Iro­nie poin­tier­ter zu benut­zen und wie Mae­ckes die Mas­ke, samt Ironie-​Stempel, abzunehmen.

(Fejo­so)
(Gra­fik von Dani­el Fersch)