An dieser Stelle möchten wir Gedanken zu aktuellen Geschehnissen aus dem Deutschrap-Kosmos zum Ausdruck bringen. Die jeweils dargestellte Meinung ist die des:der Autor:in und entspricht nicht zwangsläufig der der gesamten Redaktion – dennoch möchten wir auch Einzelstimmen Raum geben.
Im Folgenden setzt sich unser Redakteur Simon mit dem Ende der HipHop-Magazine von Rap.de und JUICE auseinander.
Jetzt ist es also passiert. Den gleichen Weg, den zuvor schon "Intro" und "Q" gegangen sind, schlagen jetzt auch Rap.de und die JUICE ein. Auf der jeweiligen Homepage der beiden Musikmagazine findet sich seit kurzem das beinahe wortgleiche, karge Statement: Aufgrund der Pandemie sind die überlebenswichtigen Werbeeinnahmen weggefallen. Deshalb muss der Laden endgültig dichtgemacht werden. Erwartbar war das alles, schade ist es sowieso. Nichtsdestotrotz ein paar Gedanken zum Ende der beiden Deutschrap-Magazine. Drei Aspekte fallen ins Auge, wenn der Niedergang dieser ehemals etablierten journalistischen HipHop-Medien betrachtet wird.
Erstens: Social Media macht Musikmedien in Teilen überflüssig. Die Werbeeinnahmen bei JUICE und Rap.de sind ja weggefallen, weil immer weniger Personen die Seiten besucht haben. Immer weniger Personen haben die Seiten besucht, weil die darauf präsentierten Inhalte woanders niedrigschwelliger – also direkter und schneller – zugänglich sind. Wieso sollte ich mir ein Interview von Künstler:in XY zum neuen Album anschauen, wenn der Artist selbst auf seiner Instagram-Seite alles Relevante zum Thema erzählt? Wieso sollte ich wochenlang auf die Rezension zu einem bestimmten Album warten, wenn es noch am Release Friday zu jedem veröffentlichten Song Reaction-Videos gibt? Vom tagesaktuellen Gossip wie Beefs und Labelwechseln ganz zu schweigen. Bevor irgendein:e unterbezahlte:r Redakteur:in die neueste Streiterei ehemals befreundeter Rapper:innen szenegerecht eingeordnet hat, haben sich die beiden Streithähne doch sowieso schon wieder vertragen. HipHop-Journalismus kann mit dieser Schnelllebigkeit einfach nicht mithalten. Der einzige Weg, diesem Dilemma zu entgehen, ist sich vom tagesaktuellen Geschehen ein wenig zu distanzieren und langwieriger, dafür aber auch substanzieller zu arbeiten. Nicht umsonst funktionieren "Der Spiegel" und "Die Zeit" im Vergleich zu vielen Tageszeitungen noch verhältnismäßig gut. Konzeptionell wird dann weniger aktuell, aber auch weniger laut und aufmerksamkeitsheischend gearbeitet. Das mag sich zwar nicht so stark bezüglich Klicks und Leser:innenzahlen lohnen, bietet aber wichtigen Input für die Szene und findet immer noch ein Publikum.
Die Notwendigkeit einer solchen Herangehensweise im schnelllebigen Kosmos "Deutschrap" führt zur zweiten Beobachtung, die mit dem Ende von Rap.de und JUICE einhergeht. Die oben beschriebene, eher langsame journalistische Art zu arbeiten, ist mit dem Ende diverser Magazine nicht ausgestorben. Sie wird nur von anderen Plattformen ausgeführt. Die "PULS Musikanalyse", der YouTube-Kanal "Hypeculture", sowie diverse Podcasts von beispielsweise Falk Schacht und Credibil stellen das unter Beweis. Auffällig dabei ist, dass die genannten Medien entweder eher nebenbei dieser Tätigkeit nachgehen und dementsprechend nicht primär auf Einnahmen angewiesen sind – wie "Resumæ" und "Deine Homegirls". Oder aber sie sind durch den Rundfunkbeitrag finanziert und dementsprechend finanziell abgesichert. Berichte und Meinungsbildung abseits vom tagtäglichen Gossip funktionieren also noch, allerdings reicht das klassische Internetgeschäftsmodell "freie Inhalte und dann Werbung schalten" dafür scheinbar nicht aus.
Drittens ist der endgültige Abschied von den beiden ehemals bedeutendsten HipHop-Magazinen Deutschlands einfach schade. Nicht nur, dass man sich nicht mehr auf weiteren Content freuen kann. Auch die schon veröffentlichten Inhalte sind nicht mehr online zu finden. Die piranha media GmbH, zu der die JUICE und Rap.de gehörten, hat nämlich kurzerhand beschlossen, sämtliche Artikel wie Interviews und Reportagen vom Netz zu nehmen. Jahrelange Arbeit wurde gelöscht, pikanterweise wohl ohne den betroffenen Journalist:innen vorher Bescheid zu geben. Nicht nur für sie persönlich ist das mehr als ärgerlich, es geht auch unglaublich viel Zeitgeschichtliches verloren. Um zu sehen, wie sich Inhalte innerhalb der Deutschrapszene mit der Zeit verändern, wie Ereignisse über die Jahre anders wahrgenommen, rezipiert und bewertet werden, waren die beiden Magazine wichtige Archive. Vom teilweise unfreiwillig humoristischen Gehalt diverser Interviews und Kommentare mal ganz abgesehen. Dass derart ignorant mit den Autor:innen und ihrer Arbeit und damit dem Vermächtnis der Magazine umgegangen wurde, ist mindestens respektlos.
Speziell die JUICE, aber mit Abstrichen auch Rap.de, waren über Jahrzehnte hinweg wichtige Eckpfeiler für die deutsche HipHop-Szene. Dass sie nicht mehr da sind, ist mehr als schade. Der Input durch die Magazine wird der Szene, gerade wenn es um kontrovers diskutierte Themen geht, schmerzlich fehlen.
(Simon Back)
(Grafik von Daniel Fersch)