Das erste Konzert, das man ohne Eltern besuchen durfte. Nachts alleine auf der Autobahn und den gleichen Song immer und immer wieder hören, weil man nicht fassen kann, wie gut er ist. Der Track, den man mit den Freund:innen von früher laut grölend auf jeder Party mitgesungen hat. Vermutlich kennt jeder Mensch diesen Moment: Es läuft ein bestimmtes Lied oder Album, das einen direkt emotional in eine Situation zurückversetzen kann, nostalgisch werden lässt oder einfach nur aufgrund seiner Machart immer wieder zum Staunen bringt. Und genau darum geht es in unserem Format "DIGGEN mit …". Wir diggen mit verschiedenen Protagonist:innen der Szene in ihren gedanklichen Plattenkisten und sprechen über Musik, die diese Emotionen in ihnen auslöst. Dafür stellen unsere Gäste jeweils eine eigene Playlist mit Songs zusammen, die sie bewegen, begeistern und inspirieren.
Unser nächster Gast ist der aus Chemnitz stammende DJ Ron, der sich schon seit geraumer Zeit mit Musik auseinandersetzt, indem er – neben dem Mitbegründen des Mixtape-Labels "Phlatline" und seiner Zusammenarbeit mit dem Duo Tefla & Jaleel, dem Hosting von Radioshows und dem eigenen Podcast "Uptowns Finest" sowie der jahrelangen Mitarbeit beim splash! Festival – im ganzen Land und sogar international auflegt. Damit geht einher, dass er oft das ganze Wochenende in einem vollen, heißen, lauten Club mit vielen anderen Menschen steht, während der Schweiß von der Decke tropft. Menschen, die betrunken sind, mitgrölen und auch gerne mal den ein oder anderen Musikwunsch äußern, tanzen bis in die Morgenstunden um ihn herum. Wenn er diese Atmosphäre nicht lieben würde, würde er das wahrscheinlich nicht schon so viele Jahre mitmachen – nichtsdestotrotz ist es ein wundervolles Gefühl, sonntags schlussendlich in Ruhe entspannen zu können. In DJ Rons Fall am besten an einem schönen See mit den Liebsten und einer Musikbox. Und genau für diese Tage stellte er uns eine Playlist zusammen, die Songs aus über drei Jahrzehnten beinhaltet.
1. Frank Ocean – Novacane (prod. by C. Tricky Stewart)
DJ Ron: Frank Ocean ist für mich der Inbegriff von Chill-out-Musik. Bei den ersten Akkorden von "Strawberry Swing" setzt direkt Entspannung bei mir ein. Es ist schade, dass es das "Nostalgia Ultra"-Tape nicht im Ganzen auf Spotify zu hören gibt und man es immer so blöd über YouTube abspielen muss. Stellvertretend für das ganze Tape habe ich deswegen "Novacane" auf die Playlist genommen. So wie wahrscheinlich viele andere habe ich Frank Ocean mit "Nostalgia Ultra" entdeckt. Diese Machart mit den Einspielern wie den Tapedeck-Geräuschen und dem klingelnden Wecker hat mich direkt in den Bann gezogen und ich finde großartig, wie vielseitig er ist. Er nimmt eigentlich viele verschiedene Musikstile auf und macht andere Songs zu seinen eigenen, gleichzeitig merkt man aber auch den HipHop-Bezug, obwohl er nicht rappt. Schließlich benutzt er verschiedene Samples und macht sie zu etwas Neuem. Er ist ohne Frage ein genialer Künstler und viele feiern vor allem seine Nachfolger-Alben, aber das bleibt mein liebstes Release von ihm.
2. Pete Rock & C.L. Smooth – One In A Million (prod. by Pete Rock)
DJ Ron: Pete Rock & C.L. Smooth ist eine meiner Lieblingsgruppen aus den 90ern. Man hört hier eine der seltenen Strophen von Pete Rock, da er der Producer der beiden ist und nicht so oft gerappt hat. Ich liebe den Song einfach und verbinde viel damit. In der Nähe meiner Schule gab es damals einen Musikladen, in den ich immer gegangen bin und in dem es den "Poetic Justice"-Soundtrack gab, auf dem unter anderem "One In A Million" ist. Damals konnte man die Musik vor Ort anhören, bevor man sie gekauft hat – mag sein, dass das heute bizarr klingt. Ich bin da sehr oft in meiner großen Pause hingegangen, habe mir den "Poetic Justice"-Soundtrack geholt und immer diesen einen Song gehört. Ich war ja zu der Zeit noch ein armer Schüler und hätte mir niemals eine Platte wegen eines einzelnen Songs gekauft. Wenn man jetzt zurückschaut, sind auch andere tolle Songs auf dem Album wie zum Beispiel die erste Veröffentlichung von Usher, aber damals habe ich das anders gesehen. Ich hatte auch ein kleines Heft, in dem ich mir vorbildlich und fleißig Songs und ihre Original-Samples notiert habe – in dem Fall ist es Brother Jack McDuffs "Electric Surfboard". Wenn dann die nächste Schallplattenbörse in meiner Stadt war, bin ich hin und habe nach den Originalen gesucht. Der "Poetic Justice"-Film mit Janet Jackson und 2Pac ist übrigens auch sehr gut.
3. Kendrick Lamar feat. Drake – Poetic Justice (prod. by Scoop Deville)
DJ Ron: "Poetic Justice" von Kendrick und Drake greift zum einen den gleichnamigen Film auf, man sieht, was für einen Stellenwert er in der Black Culture hat. Und zum anderen sampeln sie Janet Jackson, die darin eine Hauptrolle spielt. Dazu kommt, dass der Song auf "good kid, m.A.A.d city" ist, das eins der größten Meisterwerke und definiertesten Alben seit 2010 ist. Ich habe den Song eine Zeit lang gerne, kurz bevor das Licht angeht, als Rausschmeißer im Club gespielt. Aber ich verbinde auch einfach so einen Sonntagsvibe damit.
4. N.E.R.D – Run To The Sun (prod. by The Neptunes)
DJ Ron: N.E.R.D ist das Projekt von Chad Hugo und Pharrell Williams, die gemeinsam als The Neptunes bekannt geworden sind und ich bin großer Fan von ihnen. Sie haben HipHop-Produktionen Ende der 90er ziemlich revolutioniert, da die Musik damals hauptsächlich auf Sampling basierte. Neben Timbaland waren die Neptunes eine treibende Kraft, all das aufzubrechen und zu modernisieren. Sie haben eine ganz eigene Kreativität und Energie in die Szene eingebracht, auch wenn sie auf Albumlänge viele wiederkehrende Elemente verwendet haben. Ihr erstes Projekt "In Search Of…" fand ich total genial. Das Album gibt es in zwei Versionen und die auf Spotify ist die zweite, bei der noch mal alles mit einer Live-Band aufgenommen wurde. Ich habe mich damals eigentlich in die Electronic Version verliebt, die sehr nach Neptunes Beats klang. Sie haben das als Erstes in Europa releast, weil sie hier so einen Erfolg mit Kelis hatten und dann ein halbes Jahr später neu aufgenommen.
MZEE.com: Gab es in all den Jahren, in denen du jetzt als DJ unterwegs bist, Momente, in denen du die Entwicklung von Rap nicht mehr verstanden hast oder mit der aktuellen Musik nichts mehr anfangen konntest?
DJ Ron: (überlegt) Es gab wahrscheinlich oft Phasen, in denen ich es am Anfang nicht kapiert habe, aber meistens hat es nicht lange gedauert, bis ich nachvollziehen konnte, wieso das jetzt so klingt. Ich glaube, das ist eine meiner Stärken als DJ, dass ich mich nie vor neuen Entwicklungen verschlossen habe und auch beim Auflegen immer mit der Zeit gegangen bin. Es ist total spannend, herauszufinden, woher Impulse kommen und wieso die Musik plötzlich anders klingt. Das Erkunden macht mir Spaß. Ich hatte das zum Beispiel am Anfang mit Aggro Berlin. Wir sind mit Tefla & Jaleel damals nach New York gereist, um den besten Sound zu bekommen, haben richtig viel Geld reingesteckt, um das dort abmischen und mastern zu lassen – und dann kommt die Sekte mit einem Vierspur-Tape und alles klingt total kacke. Ich habe nicht verstanden, wie das erfolgreich sein kann. Aber das ist genau der Punkt: Es ging um eine Energie und Antihaltung diesem Perfektionismus gegenüber. Das Rohe hat auch seinen Reiz.
5. A$AP Rocky – L$D (prod. by Jim Jonsin, FNZ)
DJ Ron: "L$D" verbinde ich mit einem ganz persönlichen splash!-Moment: A$AP Rocky hat als Headliner gespielt und wie gewöhnlich gab es bei seiner Show eigentlich durchgehend Turn up. Deswegen hätte ich auch niemals erwartet, dass er diesen Song live performt. Als die ersten Akkorde und die Bassline durch Ferropolis schallten und nachhallten, war das ein total befreiender und erlösender Moment für mich. Keine Ahnung, warum. Es war so konträr zu dem Sound, den er sonst gespielt hat und der Song hat einfach so eine Magie. Wie von einer anderen Welt.
6. Erykah Badu – On & On (prod. by Bob Power, Jah Born Jamal)
DJ Ron: Erykah Badu ist einfach eine Göttin und wie von einem anderen Stern. Als das Album "Baduizm" rauskam, hat sie alle in ihren Bann gezogen. Ich hatte auch kurz überlegt, "You Got Me" von The Roots mit ihr zu nehmen – auch weil eine damals noch unbekannte Eve darauf zu hören ist – aber letztendlich war es schon ihr Debütalbum, das mich am meisten beeindruckt hat. Sie ist die Queen of Neo Soul und "On & On" ist Sonntags-Chill-out in Perfektion. Ein richtig guter Song zum Runterkommen, weil er so eine Ruhe ausstrahlt.
7. Pop Smoke – Something Special (prod. by KDI)
DJ Ron: Pop Smoke hätte ein großer Superstar werden können. "Shoot For The Stars Aim For The Moon" ist posthum 2020 rausgekommen. Pop Smoke war mir, bevor ich "Something Special" kannte, vor allem für seinen düsteren New York-Drill bekannt. Als ich den Song gehört habe, war ich total überrascht. Das ist auch so ein Sample-Sample und lehnt an einen Song von Fabolous und Tamia aus den 2000ern an, den ich noch im Kopf hatte. Ich verbinde "Something Special" mit der Zeit, in der Corona begann, man erst mal eingeschlossen war, alle Gigs abgesagt wurden und man nur noch fürs Einkaufen unterwegs war. Es wurde wieder Frühling, ich bin mit offenen Fenstern Auto gefahren und habe laut diesen Song gehört. Der lief dann auch in Dauerschleife, weil er mir so ein gutes Gefühl gegeben hat.
8. Hi-Tek feat. Mos Def, Vinia Mojica – Get Ta Steppin' (prod. by Hi-Tek)
DJ Ron: Ich hatte ursprünglich erst "UMI Says" von Mos Def in der Playlist, weil 6LACK kürzlich ein Cover davon veröffentlicht und mich daran erinnert hat, wie genial dieser Song ist. Ein Stück persönlicher ist aber "Get Ta Steppin'": Ich habe das erste Mal einen Auslandsgig in Ljubljana gespielt und die Crew dort hat gerne BBC-Radio gehört, wo der Song vor Release zum ersten Mal gespielt wurde. Irgendjemand hatte das dann auf Tape aufgenommen und abgespielt. Wir haben ganz lange den Song analysiert und darüber gesprochen, wie schön er ist, auch weil Mos Def singt und der Beat von Hi-Tek so genial ist. Das erste Mal in einem anderen Land Musik zu spielen, ist für mich also sehr mit diesem Song verbunden. Und gleichzeitig ist Mos Def für mich so ein krasser Vorreiter, was die Verbindung von Gesang und Rap angeht. Ohne ihn gäbe es wahrscheinlich so jemanden wie Drake gar nicht, wenn man diese Linie verfolgen möchte. Es gibt natürlich viele, die das miteinander verbunden haben, aber Mos Def war einer der Ersten, der das ganz nativ gemacht hat und gleichzeitig auch genügend Kredibilität hatte. Er hatte eine ganz natürliche Art zu singen, die übrigens Clueso auch sehr in seiner Anfangszeit beeinflusst hat. Darüber haben wir mal in einem Interview gesprochen.
9. Mac Miller – Ladders (prod. by Jon Brion, Pomo)
DJ Ron: Der Song ist ja doch sehr musikalisch und das ist auch der Mac Miller, den ich am meisten mag – wenn er so jazzy melodisch war. "Swimming" war mir wahrscheinlich sein liebstes Album, entdeckt habe ich ihn aber durch das "K.I.D.S."-Mixtape. Ich habe ihn wirklich sehr gemocht und eigentlich auch alle seine Releases verfolgt. Gerade "Ladders" ist eigentlich uptempo und tanzbar, aber trotzdem relaxt. Das liebe ich total. Der und "Dang!" mit Anderson .Paak sind meine Lieblingssongs von ihm. Die haben so einen funky und melodischen Produktionsstil, den ich sehr mag. Das ist schon ziemlich großartig und perfekt für einen Sonntag.
10. Nas feat. Blxst – Brunch on Sundays (prod. by Hit-Boy, Corbett, Rogét)
DJ Ron: Ich finde es erstaunlich, wie Nas in seiner langen Karriere immer wieder mit Alben um die Ecke kommt, die trotzdem noch Relevanz haben. "King's Disease II" ist meiner Meinung nach eins seiner besten Alben und das nach 25 Jahren Musik. Viele messen ihn immer noch an seinem Debut "Illmatic", das auch das HipHop-Vorzeige-Masterpiece schlechthin ist. Mit "King's Disease II" hat er es aber geschafft, sich wieder neu ins Gespräch zu bringen. Ich finde es auch schön, wie er die Brücke zu neuen Künstler:innen schlägt wie hier mit Blxst, der auch einer meiner Lieblingskünstler ist. Er hat so eine klare und beruhigende Stimme. Nas hat die Zusammenarbeit mit Hit-Boy auf Albumlänge, glaube ich, sehr geholfen, da ihm ja oft vorgeworfen wurde, dass er nicht unbedingt ein gutes Ohr für Beats hat. Das hat die Album-Qualität noch mal auf ein neues Level gehoben. Es ist natürlich auch Fluch und Segen zugleich, wenn du so ein Masterpiece in deiner Legacy hast, vor allem wenn es dein erstes Album ist. Dann musst du irgendwie immer dagegen ankämpfen.
11. Morray feat. Cordae – Still Here (prod. by Cardiak, Wu10)
DJ Ron: Der Song resoniert mit mir auf mehreren Ebenen. Zum einen auf einer textlichen: "It ain't the same in this world but I'm still here" beschreibt eine große Umbruchphase, wie wir sie gerade mit der Pandemie erleben. Ich stehe auf einmal vor Challenges, die ich davor nie hatte, wie dass mein Job wegfällt und ich mich komplett neu orientieren muss. Und zum anderen ist Morray eine tolle Neuentdeckung für mich. Er hat so eine krasse Stimme, in der man auch viel Schmerz hört. Es gibt immer wieder Künstler:innen, bei denen man ab dem ersten Moment merkt, dass sie etwas Besonderes sind und bei Morray ist mir das mit "Quicksand" so gegangen. Ich bin großer Fan von seinem Gesang und was er darüber transportiert. Und bei Cordae ist das genauso. Der geht es eher traditioneller an und steht damit ein bisschen im Gegensatz zu aktuellen Entwicklungen, aber ist trotzdem ein sehr angesehener Rapper.
12. Kanye West – Moon (prod. by Kanye West, E. Vax, BoogzDaBeat, DJ Khalil)
DJ Ron: "Moon" ist so psychedelisch und trotzdem ergreift er mich total. Ich muss gestehen, dass ich "DONDA" am Anfang ein bisschen gehatet habe, weil ganz oft kein Beat zu hören ist und viele Stellen vor Pathos strotzen. Ich habe mich dann aber reingehört und finde inzwischen, dass es ein richtig starkes Kanye-Album ist. Vor allem der Song ist mir hängengeblieben und ich habe ihn teilweise mehrmals hintereinander gehört, weil mich diese Stimmung so ergreift. Er hat fast etwas von Eskapismus, was ich total reizvoll finde. "I wanna go to the moon." – Man hat die Schnauze von allem voll, will weg und aus der Situation heraus. Auch Kid Cudi und Don Toliver sind zwei Künstler, die ich sehr gerne mag. Don Toliver hat, ähnlich wie Morray, so eine markante, eigenständige Stimme. Und ich war zwar nie richtig großer Kid Cudi-Fan, aber sein Einfluss ist unbestreitbar. Gerade was Themen wie Depressionen und Mental Health angeht, war er ein großer Vorreiter im Rap.
13. Mary J. Blige – My Life (prod. by Chucky Thompson, Diddy)
DJ Ron: Mary J. Blige habe ich ausgewählt, weil ich, neben Faith Evans, durch sie diesen Erweckungsmoment hatte, dass HipHop und R 'n' B miteinander verwandt sind. Als ich mit HipHop groß geworden bin, gab es nur Rap und alles, was gesungen war, war uncool. Durch ihr Album "My Life" konnte ich mich dahingehend öffnen und R 'n' B für mich entdecken. Neulich habe ich eine Dokumentation über sie gesehen, in der sie erzählt, dass sie im Studio bei den Aufnahmen die ganze Zeit geweint hat. Das war anscheinend eine sehr schlimme Zeit für sie, die sie dann in das Album kanalisiert hat. Und das ist mir beim Hören nie so bewusst gewesen. Auch "My Life" klingt fröhlich, ist aber eigentlich total depressiv. Damit ist sie jemand, der sich schon früh mit dem Thema mentale Gesundheit beschäftigt hat. Wenn man Textzeilen mitliest, merkt man das. Mary J. Blige – einfach eine großartige Künstlerin.
All diese Tracks findet ihr hier in unserer "DIGGEN mit DJ Ron"-Playlist auf Spotify.
(Yasmina Rossmeisl)
(Foto von Philipp Gladsome)