"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem:einer Künstler:in oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der:die Gesprächspartner:in ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm:ihr das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Haftbefehl begleitet mich seit Beginn meiner Liebe für deutschen Rap – sein zweites Album "Kanackiş" etwa in Zeiten von Selbstfindung und rebellischem Teenager-Dasein. Dieses Jahr wird das 2012 erschienene Album zehn Jahre alt: Grund genug, sich an den alten Wegbegleiter zurückzuerinnern und die Platte mal wieder rauszukramen.
"Das ist kein Deutsch, was ich mache, ist Kanackiş", sind die Worte, die den Langspieler eröffnen. Gleich zu Beginn beschreibt der Offenbacher damit selbst eine der Eigenschaften, für die er seit Jahren gefeiert wird: Er präsentiert seit jeher ein Vokabular, das sich bei Weitem nicht auf eine Sprache beschränkt. Worte aus dem Deutschen, Arabischen und allen Sprachen, die er auf der Straße aufschnappt, werden zu seiner eigenen Sprechweise vereint – "Kanackiş". Trotz seiner Kritiker:innen bleibt er seinem Stil und seiner Ausdrucksweise seit Jahren treu. Mit Lines wie "Ey, ich lad' die Pistole und schieß' auf dich Vogel mit Riesenkanonen, die so groß sind wie die Arme von Kobe" beweist er außerdem sein Talent für Vergleiche, die sicher einige Hörer:innen schmunzeln lassen. Für amüsante Lines ist aber nicht nur Haft selbst verantwortlich. So lassen sich in der Featureliste Künstler wie etwa Sido, das Tag-Team Celo & Abdi oder Jan Delay finden. Vor allem der gemeinsame Track mit Letzterem, "Cheech & Chong" – eine Hommage an Sidos "Mein Block"–, hat mich gecatcht. In der Hook liefert Jan Delay, mit dem vom Original bekannten Flow, eine Auflistung zahlreicher Bezeichnungen für Gras und löst bei mir damit komplette Nostalgie aus. Generell ist das Thema Drogen auf der Platte omnipräsent: Das gesamte Album gleicht einer Auflistung an Synonymen für jegliche Substanzen. Mindestens genauso häufig wird natürlich mit Markennamen geflext. Themen, die mich in dem Umfang in den meisten Rap-Songs eher nerven würden, verpackt Haftbefehl für mich so sympathisch, dass ich ihm auch verzeihe, wenn das fünfte Mal von Gucci oder Louis Vuitton die Rede ist.
Ein Deep Dive in das Album "Kanackiş" lohnt sich definitiv. Spannende Gäste, Vergleiche, bei denen man sich erst mal durch Genius klicken muss, und allem vorweg Hafti, der immer einer der Gründe für meine Liebe für deutschen Rap bleiben wird, machen das Album zu einer Empfehlung mit Nostalgie-Faktor.
(Johanna Kaatz)