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Interview

Luvre47 – ein Gespräch über Bescheidenheit

"Ich habe viel in Krei­sen ver­kehrt, in denen es nicht hilf­reich war, eine zu gro­ße Klap­pe zu haben und in denen Groß­kot­zig­keit nach hin­ten los­ge­hen konn­te." – Luvre47 im Inter­view über die Wur­zeln sei­ner Boden­stän­dig­keit und dar­über, war­um er sich öffent­lich lie­ber bedacht äußert.

Auf den ers­ten Blick ist Beschei­den­heit für vie­le eine posi­ti­ve Wesens­art, die man an sei­nen Mit­men­schen schätzt. Sie kann für einen Lebens­stil ste­hen, in dem Mate­ria­lis­mus und Luxus kei­ne Rol­le spie­len, oder Cha­rak­te­re beschrei­ben, die sich ungern in den Mit­tel­punkt der Auf­merk­sam­keit drän­gen. Im Kon­text des Berufs­le­bens gilt Beschei­den­heit oft­mals als Hin­der­nis. Es wird bei­spiels­wei­se gera­ten, kei­ne "fal­sche Beschei­den­heit" an den Tag zu legen und nicht zurück­hal­tend zu sein, was die eige­nen Ambi­tio­nen angeht. Der:die geneig­te Rap-Hörer:in wird zustim­men, dass Letz­te­res zumin­dest für eini­ge Künstler:innen des Gen­res eher weni­ger ein Pro­blem dar­zu­stel­len scheint. So manche:r pro­fi­liert sich gern öffent­lich und hält mit dem eige­nen Erfolg nicht hin­ter dem Berg. Gera­de mit der gewach­se­nen Bedeu­tung sozia­ler Medi­en ist inten­si­ve Selbst­dar­stel­lung außer­dem für vie­le Artists ein Mit­tel zum Zweck gewor­den, um Auf­merk­sam­keit zu gene­rie­ren und sich ins Gespräch zu brin­gen. Einer, der die­ses Ver­hal­ten ver­mei­den will, ist der Rap­per Luvre47. Wer die Ent­wick­lung des Ber­li­ners ver­folgt, weiß, dass er in der Öffent­lich­keit sowie auf sozia­len Medi­en meist kein Mann gro­ßer Wor­te ist. Er lässt lie­ber sei­ne Kunst für sich spre­chen und sagt über sei­ne musi­ka­li­sche Lauf­bahn, dass ihm nach­hal­ti­ges und kon­stan­tes Wachs­tum wich­ti­ger sei als der schnel­le Drang in den Main­stream. In unse­rem Inter­view sprach Luvre47 dar­über, war­um er grund­sätz­lich lie­ber tief­sta­pelt, wie er selbst auf sei­ne wach­sen­de Bekannt­heit blickt und wel­che Zie­le er mit sei­ner musi­ka­li­schen Kar­rie­re verfolgt.

MZEE​.com: Beschei­den­heit ist für vie­le Men­schen grund­sätz­lich eine Tugend, je nach Situa­ti­on war­nen man­che jedoch auch vor fal­scher Beschei­den­heit. Was bedeu­tet das Wort für dich?

Luvre47: Für mich bedeu­tet es vor allem, dass man sich nicht grö­ßer macht, als man ist. Ich glau­be, man tut gut dar­an, eher etwas tie­fer zu sta­peln, als den Mund zu weit auf­zu­ma­chen und sich zu viel auf die Fah­ne zu schrei­ben. Beschei­den­heit ist aller­dings kei­ne Tugend, auf die ich expli­zit ach­te, und steht auf mei­ner Lis­te an Din­gen, an die ich mich hal­ten muss, nicht ganz oben.

MZEE​.com: Du erin­nerst dich also nicht regel­mä­ßig aktiv dar­an, beschei­den zu blei­ben? Geschieht das eher automatisch?

Luvre47: Ich den­ke, dass ich grund­sätz­lich ein beschei­de­ner Mensch bin. Mir wird vor allem im Arbeits­kon­text oft gesagt, dass ich mich klei­ner mache, als ich bin, oder dass ich mich selbst höher heben könn­te. Das ist die­se fal­sche Beschei­den­heit, von der du gespro­chen hast. Auch von außen ver­schiebt sich die Wahr­neh­mung. Letz­tens hat mir jemand geschrie­ben: "Wie ist es für dich, jetzt berühmt zu sein?" Dabei sehe ich mich da noch lan­ge nicht. Ich gehe nicht durch die Welt mit der Ein­stel­lung, mehr als ande­re Leu­te geleis­tet zu haben. Ich mache Musik, die gera­de gut anläuft. Aber das ist noch so weit in den Kin­der­schu­hen, dass ich mich nicht zu berühm­ten Per­so­nen dazu­zäh­le. Es ist in mir drin, mich selbst eher klei­ner als zu groß zu machen. Ich mag das nicht, weil es mich auch bei ande­ren Leu­ten trig­gert. Wenn ich in einem Gespräch mer­ke, dass mein Gegen­über krass von sich selbst über­zeugt ist, stört mich das oft. Des­halb will ich ver­mei­den, dass Leu­te von mir auch so einen Ein­druck bekommen.

MZEE​.com: Wo hast du Beschei­den­heit gelernt?

Luvre47: Dadurch, dass das bei mir eher eine ver­se­hent­li­che Eigen­schaft ist, kann ich das gar nicht genau sagen. Sicher­lich hängt es einer­seits vom Eltern­haus und der Erzie­hung ab, ande­rer­seits aber auch vom sozia­len Umfeld. Ich habe viel in Krei­sen ver­kehrt, in denen es nicht hilf­reich war, eine zu gro­ße Klap­pe zu haben und in denen Groß­kot­zig­keit nach hin­ten los­ge­hen konn­te. Da war es wich­tig, immer zu 100 Pro­zent hin­ter dem ste­hen zu kön­nen, was du sagst. Des­halb habe ich schon in der frü­hen Jugend gelernt, lie­ber weni­ger und bedacht zu spre­chen als unüber­legt. Ich den­ke, dar­aus hat sich mei­ne Beschei­den­heit entwickelt.

MZEE​.com: Der Schrift­stel­ler Edgar W. Howe sag­te ein­mal: "Beschei­den­heit ist eine Eigen­schaft, für die der Mensch bewun­dert wird, falls die Leu­te je von ihm hören soll­ten." – Im Kon­text des Berufs­le­bens heißt es häu­fig, Beschei­den­heit sei töd­lich für die Kar­rie­re. Stimmst du dem zu oder fin­dest du, man kann auch Erfolg haben, ohne die eige­ne Beschei­den­heit abzulegen?

Luvre47: Ich glau­be, das kann sowohl zutref­fend als auch nicht zutref­fend sein. Wenn du von außen betrach­tet und ana­ly­siert wirst, kann Beschei­den­heit schon sym­pa­thisch sein. Aber zu so einem Stan­ding musst du erst ein­mal kom­men. Wenn ich selbst auf Bekann­te tref­fe, die ich ein paar Jah­re lang nicht gese­hen habe, höre ich oft Aus­sa­gen wie: "Wow, du bist immer noch boden­stän­dig und der Glei­che geblie­ben." Das ist etwas Posi­ti­ves. Aber wenn ich an Geschäfts­ge­sprä­che den­ke, bei­spiel­wei­se wenn ich für einen Ver­triebs­ver­trag mit einem Kon­zern spre­che, dann ist es ver­mut­lich schon för­der­lich, wenn man mehr sein Maul auf­macht. Das Glei­che gilt in den sozia­len Medi­en. Wenn ich dort akti­ver wäre und öfter sagen wür­de, was mich stört, oder anecken wür­de, wäre das för­der­lich für die Auf­merk­sam­keit. Beschei­den­heit zieht da nicht. Nie­mand sagt: "Check mal sei­ne Sto­ry, der ist voll beschei­den." Aber mich zu pro­fi­lie­ren und den gan­zen Tag Sto­rys zu machen, ist ein­fach nichts für mich. Des­halb ver­su­che ich, mir treu zu blei­ben und eine ande­re Schie­ne zu fah­ren. Ich glau­be nicht, dass das töd­lich für mei­ne Kar­rie­re ist, aber man muss dann eben gedul­di­ger sein. Ich muss aus­schließ­lich über die Musik und mei­ne Kunst kom­men, weil die­ses Pro­vo­zie­ren drum­her­um mir nicht liegt. Ich könn­te sicher­lich auch hier und da anecken, aber so möch­te ich nicht sein.

MZEE​.com: Davon abge­se­hen, dass du selbst ungern viel Raum ein­nimmst: Fin­dest du es denn gene­rell ver­werf­lich, wenn man das tut?

Luvre47: Nein, wenn man das gut ver­packt, kann es ja auch unter­halt­sam sein. Aber weil es auf mich in den meis­ten Fäl­len unsym­pa­thisch wirkt, bin ich da auf einem kom­plett ande­ren Dampfer.

MZEE​.com: Gab es rück­bli­ckend auf dei­nen bis­he­ri­gen Kar­rie­re­ver­lauf Situa­tio­nen, bei denen du dir im Nach­hin­ein gewünscht hast, den Mund wei­ter auf­ge­macht und mehr für dich ein­ge­stan­den zu haben?

Luvre47: Nein, ich traue­re kei­ner kon­kre­ten Situa­ti­on nach. Bestimmt hät­te es schnel­ler gehen kön­nen, wenn ich gene­rell extro­ver­tier­ter und offe­ner nach außen wäre, was mei­ne Gefühls­welt oder mei­ne Mei­nung zu ande­rer Kunst angeht. Aber ich fin­de, dass sich vie­le ins Gespräch spü­len, indem sie über The­men spre­chen, die sie gar nicht betref­fen. Da fra­ge ich mich dann: "Wer seid ihr über­haupt, dass ihr dar­über redet?" Auf mich bezo­gen gab es jedoch noch kei­nen Fall, in dem über mich gere­det wur­de und ich mich nicht getraut habe, etwas zu sagen. Das ist für mich schon eine Gren­ze. Wenn es mich betrifft, rede ich schon. Natür­lich gibt es auch Momen­te wie Shit­s­torms, in denen man lie­ber erst ein­mal nichts sagt und die Leu­te abküh­len lässt. Aber davon bin ich bis­her ver­schont geblieben.

MZEE​.com: Du sagst, dass bei dir alles über die Kunst kom­men muss. Mal kon­kret auf dei­ne eige­ne Kar­rie­re bezo­gen: Wo siehst du dich in zehn Jahren?

Luvre47: Das ist eine wei­te Span­ne, in der es vie­le Sze­na­ri­en gibt. Ich könn­te jetzt sagen "In zehn Jah­ren spie­le ich in der Mer­ce­des Benz Are­na oder im Olym­pia­sta­di­on", was natür­lich ein gro­ßes Ziel ist. Aber davon kann man nicht aus­ge­hen, dafür bin ich zu rea­lis­tisch. Ich bin gene­rell Fan davon, Din­ge rea­lis­tisch ein­zu­schät­zen und sei­ne Gren­zen zu ken­nen. Mein größ­ter Wunsch ist, dass mei­ne Musik ste­tig wächst und irgend­wann ein Punkt erreicht wird, an dem man auf der Kar­te ist und die Leu­te nicht mehr um einen her­um­kom­men. Ich habe das Gefühl, dass ich mir mit dem letz­ten Album ein ers­tes Stan­ding in der Musik­welt gesi­chert habe, und hof­fe, dass ich in zehn Jah­ren noch erfolg­rei­cher bin: grö­ße­re Hörer­schaft und grö­ße­re Venues, aber immer noch mit Kunst, die mir selbst gefällt, und mit dem glei­chem Mind­set. Das wäre mir wich­tig. Aber auf wel­chem Fleck der Erde ich in zehn Jah­ren bin und wel­chen mate­ri­el­len Besitz ich dann habe, kann ich nicht sagen.

MZEE​.com: In dei­nen Tex­ten betonst du, dass dir kli­schee­be­haf­te­te Din­ge wie Ket­ten und Autos nicht wich­tig sind. Was möch­test du statt­des­sen mit dei­ner Musik erreichen?

Luvre47: Dazu muss ich sagen, dass sich der Wunsch­ho­ri­zont mit den eige­nen Mit­teln ver­schiebt. Ich will kei­nen 300.000 Euro teu­ren Lam­bor­ghi­ni. Aber ein schö­nes Auto, in das man ger­ne ein­steigt, will man natür­lich. Viel wich­ti­ger ist mir aller­dings, lang­fris­tig sor­gen­frei leben zu kön­nen. Ich kann nicht davon aus­ge­hen, dass ich bis ins Alter von 75 Jah­ren durch mei­ne Musik Stadt­ge­spräch blei­be. Irgend­wann muss ein Stan­ding erreicht wer­den, von dem man noch jah­re­lang leben kann. Des­halb ist mein Ziel, dass der Kata­log so wächst und genug Geld ein­spielt, dass ich mir lang­fris­tig kei­ne Sor­gen machen muss, wie ich mei­ne Mie­te und mein Essen bezah­le. Die Haupt­sa­che ist, dass es mei­ner Fami­lie finan­zi­ell gut geht und man nie vor exis­ten­zi­el­len Pro­ble­men steht. Erst wenn das abge­deckt ist, kann man sich über­le­gen, ob man sich ein Gold­kett­chen um den Hals hän­gen will. Bei mir ist das nicht die Num­mer eins auf der Lis­te, aber ich bekom­me das bei Jungs um mich her­um mit. Die müs­sen von Monat zu Monat hust­len und sehen, wo sie ihre Taler her­be­kom­men, aber die Gold­ket­te sitzt. Das ist für mich unver­ständ­lich, aber da muss jeder sei­ne eige­ne Ein­stel­lung haben können.

MZEE​.com: Der Orts­teil Berlin-​Gropiusstadt ist omni­prä­sent in dei­nen Tracks. Hast du auch vor, dei­nem Vier­tel mit dei­ner Kunst etwas zurückzugeben?

Luvre47: Dar­über habe ich lus­ti­ger­wei­se erst ges­tern ein Gespräch geführt und gemerkt, dass ich auf­pas­sen muss, nicht in jedem Song so pla­ka­tiv und Bürgermeister-​mäßig über Gro­pi­us­stadt zu spre­chen, denn so will ich gar nicht sein. Natür­lich will ich dort lang­fris­tig Per­spek­ti­ven schaf­fen und vor allem die The­men Kunst und Krea­ti­vi­tät für Jugend­li­che mehr för­dern. In unse­rer Gegend gibt es nur weni­ge Ange­bo­te für die vie­len Jugend­li­chen auf einem Fleck, des­halb bleibt man­chen nicht viel übrig, außer Mist zu bau­en. An die­sem Punkt wür­de ich ger­ne anset­zen, aber jetzt ist das noch nicht mög­lich. Ich kann noch kei­ne gro­ße Stan­ge Geld in die Hand neh­men und etwas wie einen Jugend­club grün­den. Zudem ist Ber­lin so im Wan­del, ich wüss­te gar nicht, wo ich anfan­gen soll­te, wenn ich die Mit­tel dazu schon hät­te. Aber das sehen wir dann, wenn es soweit ist.

MZEE​.com: Dein Ein­fluss kann sich ja auch anders zei­gen. Mit Musik kannst du das Leben von Ein­zel­per­so­nen stark beein­flus­sen, ohne es je zu erfahren.

Luvre47: Genau. Das ist dann auch nicht auf Gro­pi­us­stadt beschränkt. Mich hören auch Leu­te von ande­ren Orten, genau­so wie mich nicht jeder aus mei­nem Vier­tel hört. Nichts­des­to­trotz glau­be ich, dass ich auf vie­les auf­merk­sam gemacht habe, da unse­re Ecke von Ber­lin noch nicht so groß­ar­tig in aller Mun­de war, bevor ich Musik gemacht habe oder Felix Lob­recht berühmt wur­de. Des­we­gen habe ich bestimmt schon einen Teil bei­getra­gen. Aber zu sagen "Ich unter­stüt­ze nur Gro­pi­us­stadt, denn nur wir haben Pro­ble­me", wäre auch falsch. Unse­re Pro­ble­me kannst du auf vie­le ande­re Städ­te über­tra­gen. Des­we­gen habe ich ein viel grö­ße­res Ver­lan­gen, Sachen in mei­ner unmit­tel­ba­ren Com­mu­ni­ty, die sich um die Musik her­um gebil­det hat, zu fördern.

MZEE​.com: Wid­men wir uns dei­nem bis­he­ri­gen Kar­rie­re­ver­lauf: Kann man nach den ers­ten Erfol­gen immer noch so unbe­schwert Musik machen wie als unbe­kann­ter New­co­mer oder ver­fällt man auto­ma­tisch in wirt­schaft­li­ches Denken?

Luvre47: In wirt­schaft­li­ches Den­ken ver­fällt man defi­ni­tiv. Das hat sich mal so und mal so auf mei­ne Kunst aus­ge­wirkt. Der Song "Nix ist gut" ist zum Bei­spiel in einer Pha­se ent­stan­den, in der ich wenig Hoff­nung gese­hen habe. Ich erin­ne­re mich, dass ich mir dabei dach­te: "Ok, du hast einen Fuß in der Tür, aber irgend­wie auch nicht." Wenn man aller­dings merkt, dass man wirk­lich etwas errei­chen und sogar den Leu­ten um sich her­um eine Per­spek­ti­ve bie­ten kann, moti­viert das. Gera­de im letz­ten hal­ben Jahr war ich extrem pro­duk­tiv und habe so viel Musik gemacht wie noch nie. Des­halb wür­de ich gar nicht sagen, dass man bes­ser Kunst machen kann, wenn nie­mand einen auf dem Schirm hat.

MZEE​.com: Mit musi­ka­li­schen Erfol­gen geht auch ein­her, dass du als Per­son einer wach­sen­den Bekannt­heit gegen­über­stehst. Stört dich das?

Luvre47: Dar­auf habe ich zwei Ant­wor­ten. Einer­seits stört es mich nicht, wenn Leu­te Fotos machen möch­ten oder sagen, dass sie Fan von mir sind. Ich respek­tie­re das und freue mich dar­über. Ande­rer­seits habe ich mir in mei­ner musi­ka­li­schen Anfangs­zeit die Fra­ge gestellt: "Willst du das mas­kiert machen oder nicht?" Mir ging die Mas­kie­rung an sich auf den Keks, weil es für mich etwas von "Ich ste­he nicht hin­ter dem, was ich sage, sonst wür­de ich mich nicht ver­ste­cken" hat­te. Des­halb habe ich ohne Mas­ke ange­fan­gen. Zwei Jah­re spä­ter kam die Drill-​Welle aus UK, jeder Rap­per war mas­kiert und kei­nem wur­de es übel­ge­nom­men. Da dach­te ich mir: "Schei­ße, hät­test du dich ein­fach mas­kiert." Es wäre ent­spannt gewe­sen, sich ein paar Gedan­ken nicht machen zu müs­sen. Psy­chi­sche Las­ter wie Para­noia haben dazu bei­getra­gen, dass mich wach­sen­de Bekannt­heit gestört hat. Es ist aber ja nicht so, dass ich nicht mehr durch mei­ne Gegend lau­fen kann, ohne dass von über­all Kin­der ange­rannt kom­men. Alles ist noch so in den Kin­der­schu­hen, dass es hin­nehm­bar ist. Aber ich bin froh, dass es sich ste­tig ent­wi­ckelt und ich kei­nen Kick­start hat­te. Dadurch lernt man, damit umzu­ge­hen. Und um sich jetzt eine Mas­ke auf­zu­set­zen, ist es ohne­hin zu spät. Das Kind ist in den Brun­nen gefal­len, also muss man jetzt damit arbeiten.

MZEE​.com: Wür­dest du also, wenn du die Zeit zurück­dre­hen könn­test, wie­der auf eine Mas­ke verzichten?

Luvre47: Ich bin zufrie­den damit, wie ich es gemacht habe. Wie gesagt: Ich kann hin­ter allem ste­hen, was ich sage, und mache mei­nen Mund nicht zu weit auf. Des­halb muss ich mich nicht verstecken.

MZEE​.com: Bei man­chen sind kri­mi­nel­le Akti­vi­tä­ten der Grund, war­um sie nicht erkannt wer­den wol­len und sich mas­kie­ren. Was denkst du darüber?

Luvre47: Die­se Ent­schei­dung über­las­se ich jedem selbst. Ich wür­de vor­sich­tig behaup­ten, dass das bei man­chen eher ein Stil­mit­tel als wirk­lich not­wen­dig ist. "Ich muss mich ver­ste­cken, weil der Staat mich beob­ach­tet." Das klingt ein­fach cool. Bei eini­gen Leu­ten, die die­se Schie­ne fah­ren, fra­ge ich mich: "Wenn du so ein gro­ßer Typ bist, war­um musst du dann über­haupt Musik machen?" Wenn du auf lega­le Art Geld machst, musst du dei­nen Namen ange­ben, damit das auf dei­nem Kon­to ankommt. Spä­tes­tens dann bist du also ohne­hin angreif­bar, wenn der Staat dich tat­säch­lich an den Haken krie­gen will. Viel ehr­li­cher fin­de ich es bei Leu­ten, die ein­fach kei­ne Lust haben, ange­spro­chen zu werden.

MZEE​.com: Glaubst du, das Alter, in dem man bekannt wird, spielt eine Rol­le in Bezug dar­auf, ob man es schafft, beschei­den zu bleiben?

Luvre47: Ja, defi­ni­tiv. Ich glau­be, dass das sehr ent­schei­dend ist. Ich nen­ne kein Bei­spiel, aber es gab in den letz­ten fünf Jah­ren eini­ge, die sehr jung sehr viel Erfolg und Auf­merk­sam­keit bekom­men haben und dann unver­nünf­ti­ge Ent­schei­dun­gen getrof­fen haben. Manch­mal beob­ach­tet man, wie Pro­ble­me auf sie zukom­men und denkt sich: "Ich hät­te dir schon vor vier Jah­ren sagen kön­nen, dass das so enden wird." Eine gewis­se Rei­fe im Umgang mit Geld und Bekannt­heit tut jedem gut. Vie­le, die früh Auf­merk­sam­keit haben, bekom­men zwi­schen­mensch­li­che Pro­ble­me, weil die Gesell­schaft einen anders behan­delt. Es tut eini­gen in ihrer Ent­wick­lung nicht gut, zu sehr im Mit­tel­punkt zu ste­hen. Man­che über­ra­schen mich wie­der­um, da ich das Gegen­teil erwar­tet habe, sie jedoch eine gute Ent­wick­lung durch­ma­chen und immer sym­pa­thi­scher wer­den. Aber es ist sicher­lich ein Punkt, dass du finan­zi­ell und zwi­schen­mensch­lich viel Schei­ße bau­en kannst, wenn du früh berühmt wirst.

MZEE​.com: In einem Inter­view hast du mal gesagt, dass du es nicht magst, wenn Leu­te dir mehr Fame wün­schen und auch, dass du nicht gern mit ande­ren Künstler:innen ver­gli­chen wirst. War­um kannst du sol­chen Kom­pli­men­ten nichts abgewinnen?

Luvre47: So dras­tisch wür­de ich es nicht sagen, man freut sich ja trotz­dem dar­über. Den­noch habe ich das Gefühl, das sol­che Kom­men­ta­re den Punkt infra­ge stel­len, an dem man sich gera­de befin­det. Außer­dem hilft es mir nicht. Wenn du so etwas kom­men­tierst, hilft mir dein Bei­trag ledig­lich im Algo­rith­mus. Dann kannst du aber auch drei ande­re net­te Wör­ter oder einen Smi­ley schrei­ben. Ich habe nichts davon, wenn du mir schreibst, dass ich mehr Auf­merk­sam­keit ver­dient hät­te. Was mir hel­fen wür­de, wäre, wenn du es ein­mal all dei­nen Freun­den auf Whats­App schickst. Aber so weit geht auch wie­der kei­ner. Vor allem in Bezug auf das ste­ti­ge Wachs­tum, von dem ich gespro­chen habe, ist das manch­mal schwie­rig. Es gibt Pha­sen, in denen du denkst: "Cool, wir sind wie­der eine Stu­fe nach oben gekom­men." Und dann liest du: "Du hast viel mehr Auf­merk­sam­keit ver­dient." Davon kann ich mir nichts kau­fen. Nichts­des­to­trotz ist es schön zu sehen, wenn einen der Kom­men­tie­ren­de grö­ßer ein­ord­net, als man ist.

MZEE​.com: Tyler, the Crea­tor hat letz­tes Jahr bei einem Kon­zert die Crowd gebe­ten, ihn aus­zu­bu­hen mit der Begrün­dung, dass er das brau­che, um beschei­den zu blei­ben. Was denkst du darüber? 

Luvre47: Tyler, the Crea­tor ist ein­fach wahn­sin­nig krea­tiv und weiß, sich in Sze­ne zu set­zen. Das war ein­fach nur ein sym­pa­thi­scher Move, der der Unter­hal­tung dien­te. Wer sei­ne Shows kennt, weiß, dass er vie­le Sachen ein­baut und mit sei­nem Publi­kum spielt. Ich glau­be nicht, dass er Pro­ble­me mit sei­ner Selbst­wahr­neh­mung hat. Er ist schlau genug, um zu wis­sen, wo er steht. Viel­leicht war es eher ein Wink nach außen. Nach dem Mot­to: "Lasst uns alle nicht zu hoch flie­gen, wir machen auch nur Musik."

MZEE​.com: Mal von Musik abge­se­hen: Wir müs­sen lei­der erle­ben, wie in Tei­len der Erde Men­schen unter Krieg, Hun­ger oder Kli­ma­wan­del lei­den, wohin­ge­gen vie­le hier­zu­lan­de ein pri­vi­le­gier­tes Leben füh­ren kön­nen. Sind Dank­bar­keit und das Wert­schät­zen eige­ner Pri­vi­le­gi­en für dich auch eine Aus­prä­gung von Bescheidenheit?

Luvre47: Defi­ni­tiv. Trotz­dem ver­gisst man das lei­der manch­mal. Wenn man mit der eige­nen Ist-​Situation unzu­frie­den ist oder etwas schief­läuft, ist schnell mal die Welt am Unter­ge­hen. Dann muss man sich brem­sen und ers­tens fra­gen: "Wie schlimm ist das jetzt wirk­lich? Wo war ich vor drei Jah­ren und kann ich heu­te zufrie­den sein?" Das ist meis­tens der Fall. Zwei­tens muss man sich vor Augen füh­ren, dass es ande­ren Men­schen schlech­ter geht und sie schlech­te­re Aus­sich­ten für ihren Tag oder ihr Leben haben.

MZEE​.com: Wer ist der beschei­dens­te Mensch, den du kennst?

Luvre47: Ich glau­be, mei­ne Mut­ter. Ich habe jetzt nach einer pfif­fi­gen Ant­wort gesucht, aber die ist ein­fach kein prot­zen­der Mensch und hat auch immer tief­ge­sta­pelt. Es ist auf jeden Fall mei­ne Mutter.

(Malin Tee­gen & Enri­co Gerharth)
(Fotos von fr1tz und malo_kicks)