Rap erzählt häufig die Geschichte vom Tellerwäscher zum Millionär. Die Erzählung vom jungen Menschen, der es aus schwierigsten Verhältnissen in die teure Villa geschafft hat, ist nicht nur in einschlägigen Playlists in den USA und Deutschland omnipräsent. Aber was, wenn dieser Weg nicht funktioniert? Dieser Thematik hat sich Eloquent in seiner Musik verschrieben. Auf seinem neuen Album "Yung Lost" "kultiviert er den Verlust" und macht "Scheitern zur Kunst". Der Wiesbadener lässt schon seit seinen ersten Tracks aus dem Jahr 2007 durchblicken, dass ihm das Leben in Deutschland sowohl von behördlicher Seite als auch von ihm selbst nicht leicht gemacht wird. Wir trafen uns daher mit Eloquent zum Gespräch, um über das Scheitern und den Umgang damit zu sprechen. Dabei ging es um die Bedeutung von Streamingzahlen für das Konto, seine aktuelle Situation als Mensch ohne Papiere in Deutschland und den Umgang mit dem Scheitern in seinem sozialen Umfeld.
MZEE.com: Eine Studie besagt, dass Erfolg häufig zufällig auftritt und nicht vorhersehbar ist – unabhängig davon, wie viel Arbeit man in seine Karriere steckt. Was denkst du darüber?
Eloquent: Zumindest in Bezug auf die Unterhaltungsindustrie ist das, denke ich, sehr richtig. Ich kenne so viele Leute in verschiedensten Bereichen, ob Produzenten, Rapper oder Sänger, die sehr krass talentiert, aber nicht da sind, wo sie sein müssten, wenn es nach Fleiß, Können und ihren Investitionen ginge. Das reicht nicht aus. Du kannst der krasseste Sänger der Welt sein, wenn andere Dinge fehlen, um dich als Produkt verkaufen zu können. Dann findest du mit Glück deine Nische, aber wirst nicht in dem Spotlight stehen, das du eigentlich verdient hättest.
MZEE.com: Das nehme ich bei vielen Künstler:innen aus dem Untergrund wahr. Die Leute sind teilweise wahnsinnig talentiert und musikalisch versiert, aber wollen einfach nicht viel Zeit in Promo oder Ähnliches investieren und bleiben so unter dem Radar.
Eloquent: Es ist ein fehlgeleiteter, aber total manifestierter Irrglaube in der Szene, dass es cool wäre, sich allem zu verweigern. Auf der einen Seite macht man Mucke, stellt sie auf Spotify und gibt ja auch Interviews hier und da. Auf der anderen Seite tut man so, als hätte man gar keinen Bock auf alles. Ich respektiere jeden, der keine Lust auf Interviews hat und das wirklich durchzieht. Ich hatte auch mal diese stumpfe Verweigerungshaltung, aber irgendwann kann man die schon ablegen. Denn natürlich wünsche ich mir, dass mein Album gut läuft und so viele Menschen wie möglich meine Mucke hören. Du nimmst dir nichts, wenn du zugibst, dass du Erfolg mit dem haben willst, das du liebst.
MZEE.com: Der Erfolg oder das Scheitern eines Albums wird heute vor allem an Streamingzahlen und verkauften Platten gemessen. Wie wichtig sind diese Zahlen für dein eigenes Gefühl von Erfolg?
Eloquent: In meinem Fall wirkt sich das vor allem direkt auf mein Konto aus. Das sind keine symbolischen Zeichen für Erfolg, sondern ich lebe davon. Gerade in einer Pandemie ohne Liveshows … Die waren mein regelmäßiges Einkommen. Jetzt ist es vor allem von der Höhe der Streamingzahlen abhängig. Es geht dabei wirklich nicht so sehr um ein Gefühl von Erfolg oder Scheitern, sondern darum, dass ich von meiner Mucke essen will. Dass ich das Scheitern in meinen Texten zum Thema mache, hat nur zum kleinsten Teil mit Musik zu tun. Es bezieht sich eher auf meine Lebensgeschichte und die meiner Eltern. Dass sie hierhergekommen sind und am System, an Rassismus und anderem Scheiß gescheitert sind. Da geht es um viel mehr als um Zahlen. Ich würde immer Musik machen, egal, wie die Zahlen aussehen. Das ist mein Grund, jeden Tag aufzustehen.
MZEE.com: Im ALL GOOD-Interview mit Till Wilhelm hast du diese Thematiken auch angesprochen. Gleichzeitig hast du gesagt, dass du oft das Gefühl hast, vor allem an dir selbst zu scheitern.
Eloquent: Diese Haltung schwankt. An manchen Tagen ist es so, an anderen denke ich, dass viele andere Sachen schuld an Miseren sind. Wir sind alle fluide Wesen. Meine Meinung und Haltung ändern sich. Gott sei Dank bin ich beweglich, was das angeht. Ich habe das gesagt und in dem Moment auch so gemeint, aber ich habe verschiedene Haltungen dazu.
MZEE.com: Natürlich sind die Voraussetzungen völlig anders für jemanden, dessen Eltern geflohen sind und denen es hier nicht leicht gemacht wurde, als für jemanden, der sich hier ins gemachte Nest setzen konnte.
Eloquent: Ich bin hier, seitdem ich zwei Jahre alt bin, habe keine Papiere und bin nicht krankenversichert. Meine Eltern waren politische Flüchtlinge mit anerkanntem Asyl und einem unbefristeten Aufenthalt. Den habe ich nicht und ich werde ihn wohl auch nie kriegen. Ein Arbeitsverbot wurde mir auch schon mal angedroht. Das ist der most racist shit, den ich hier erlebt habe. Und guck mich an, ich hab' blaue Augen und sehe nicht mal aus wie ein "Schwarzkopf". Ich habe in meinem Herkunftsland nur zwei Jahre verbracht und kenne die Sprache leider nicht, ich bin megaentwurzelt. Von klein auf habe ich einen Pass, in dem "Ausländer" steht. Als Jugendlicher musste ich alle zwei Jahre zur Ausländerbehörde, wie sie damals noch korrekterweise hieß. Jetzt gibt man den Behörden schöne Namen, die etwas anderes vermitteln. Heute heißt es, glaube ich, "Amt für Migration und Arbeit". Es ist immer noch die Ausländerbehörde und auf meinem Pass steht immer noch "Ausländer". Ich bin nicht der Einzige und es gibt Leute, die noch viel mehr zu kämpfen haben. Aber das ist totally fucked up.
MZEE.com: Das ist ein ganz anderes "Scheitern", das man eigentlich nicht mal so nennen kann. Es ist nichts, worauf du wirklich einen Einfluss hast. Wie gehst du damit um?
Eloquent: Das ist schwierig. Es ist nicht so, dass man gar nichts machen kann. Wäre ich manche Dinge anders angegangen, auch mit der Musik, könnte ich vielleicht schon an einer anderen Stelle in meinem Leben sein. Ich hatte oft zu viel Schiss und zu wenig Vertrauen in die Sache und in mein Durchhaltevermögen, um alle Weichen richtig zu stellen. Deshalb habe ich lange Musik on the side gemacht, ohne alles richtig anzumelden und so weiter. Ich hätte das schlauer dribbeln können. Aber du hast recht: Dafür, wie die Ausländerbehörde mich behandelt, kann ich nichts. Es ist schwierig, damit umzugehen. Es leiden auch Freunde darunter. Ohne deren Durchhaltevermögen und die Mucke wäre es sehr schwer, das auszuhalten. Die Frage, wie man damit umgeht, stellt sich jeden Tag neu. In der Pandemie war man, wie alle Menschen, mehr auf sich selbst gestellt. Liveshows tun mir extrem gut und geben Selbstvertrauen – die sind weggefallen. Das war schon hart. Menschen können sehr viel wegstecken, aber ab einem gewissen Punkt fällt das immer schwerer und hinterlässt Spuren.
MZEE.com: Wie geht dein soziales Umfeld mit dem Scheitern um?
Eloquent: Wenn mir ein Freund erzählt, dass er sehr unglücklich auf der Arbeit ist und dort seit 15 Jahren Abfuck schiebt, er aber aus Angst vor dem Scheitern den Job nicht wechselt … Dann sage ich ihm, dass der Wechsel nie ein Scheitern sein könnte. Scheitern wäre es, dortzubleiben und noch unglücklicher zu werden. Wir haben nur ein Leben und man muss sich selbst ertragen, bis man nicht mehr da ist. Das sollte man so gut wie möglich hinkriegen. Etwas Neues zu probieren, ist ein Versuch, der vielleicht nicht funktioniert. Aber es kann kein Scheitern sein, wenn du versucht hast, deine Situation zu ändern. So versuchen meine Freunde und ich, an Dinge heranzugehen. Das gilt genauso für die Musik. Selbst, wenn meine neue Platte niemand hören würde: Ich hab' etwas Krasses gemacht, das mir sauviel gibt. Und den drei Leuten um mich herum, die checken, worum es geht, gibt es ebenfalls viel. Dass jemand wie mein DJ MF Saje seit Tag eins diesen Weg mit mir geht, bedeutet mir so viel, dass in diesem Kontext niemals etwas scheitern kann. Ich hoffe, dass man das auch versteht. Ich bin sehr dankbar für die Musik und muss, glaube ich, meiner Mutter dafür danken. Sie hat mir durch die Muttermilch von klein auf eine besondere Appreciation für Musik beigebracht und das ist das größte Geschenk, das sie mir hätte machen können.
MZEE.com: Auf deiner neuen Platte "Yung Lost" sprichst du sehr unverblümt über deinen Gemütszustand und deinen Umgang damit. Vor allem in Songs wie "Kaputt" und "Flimmern" zeichnest du sehr konkrete Bilder.
Eloquent: Ich hätt' die lieber nicht gemacht. Aber natürlich kann ich als Musiker nur auf das zurückgreifen, was ich habe. Das macht ein Schauspieler, der eine bestimmte Szene spielt, oder ein Autor genauso. Ich schreibe keine Fantasy-Storytelling-Tracks, in denen ich Geschichten erzähle, die ich nicht erlebt habe. Im weitesten Sinne bilde ich Emotionen ab und arbeite mit dem, was ich habe. Und ich liebe "Flimmern". Aber natürlich wäre ich lieber glücklicher und hätte gern einen genauso heftigen Song gemacht, der das Glück konserviert. Ich will Selbstzerstörung nicht romantisieren. Es ist ein schmaler Grat, dieses ganze Ding nicht zu sexy zu machen. Ich will nicht, dass jemand denkt, es wäre geil, wenn deine Sicht flimmert oder sich jemand kaputtmacht. Es kann in Musik so wirken. Ich hoffe, dass meine Hörer schlau genug sind, zu wissen, dass das nichts ist, was ich mir selbst oder jemand anderem wünsche. Das Leben ist ein gottverdammter Trip, in dem man eigentlich nichts braucht außer wache Augen und einen wachen Geist, um die kurzen Momente des Glücks zu erhaschen und zu genießen. Auch die des Unglücks, alles. Es ist viel besser, wach, klar und aufmerksam zu sein. Keiner hat einen Anspruch darauf, glücklich zu sein. Was genau ist das schon? Kurze Momente, die man am besten klar erlebt.
MZEE.com: Die Ästhetisierung von Selbstzerstörung ist schon immer ein Thema in der Popkultur. Das findet ja in der Rapszene auch häufig statt. Da sind sicher einige Künstler:innen weniger reflektiert als du.
Eloquent: Das ist den Leuten nicht unbedingt übel zu nehmen. Ich war mit Anfang 20 auch um einiges dümmer und ich bin immer noch sehr dumm. Jungen Menschen muss man Zeit geben, vielleicht ist das in fünf Jahren anders. Musiker haben meiner Meinung nach keinen moralischen oder pädagogischen Auftrag. Den hast du höchstens dir selbst gegenüber. Du musst morgens in den Spiegel gucken und mit dir klarkommen können. Mir ist es wichtig, nicht zu sehr zu romantisieren und zu glorifizieren, was nicht zu glorifizieren ist. Wenn ich zum Beispiel über Drogen spreche, versuche ich, beizufügen, dass das Dreck ist.
MZEE.com: Steckt neben den selbstzerstörerischen Elementen auch Hoffnung in der Musik, die du aktuell machst?
Eloquent: Ich würde mir wünschen, die zu sehen. Manchmal kriege ich Nachrichten von Leuten, die mir sagen, dass ihnen die Musik viel Kraft gibt. Ich hab' das für mich entschlüsselt und kann das mittlerweile verstehen. Aber ich habe mich lange gefragt, inwiefern die Leute Kraft aus meiner Musik ziehen. Denn ich biete eigentlich sehr wenig bis gar keine Lösungsansätze oder versprühe Hoffnung.
MZEE.com: Worin ist es dir wichtig, in deinem Leben nicht zu scheitern?
Eloquent: Es kann nur etwas mit Musik sein. Ich freue mich darüber, erwachsen genug zu sein, um verstanden zu haben, dass es egal ist, was irgendjemand über meine Musik denkt oder wie die Zahlen aussehen. Es ist egal, ob irgendwelche Boom bap-Heads denken, dass ich die HipHop-Kultur verrate und jetzt "Erfolg" haben will, weil ich Autotune benutze. Früher oder später checken die Leute – oder auch nicht –, dass das bei mir easy nebeneinander läuft. Ich hab' so viel Liebe für "Rap-Rap" und Bars. Ich bin der größte und fanatischste Rapfan der Welt, man. Aber ich bin ein Extrem-Mensch. Ich gehe sehr tief in ein Soundbild wie "Yung Lost" hinein, aber dann hab' ich auch wieder Lust, einfach nur auf einen Loop zu rappen. Hier liegen zwei fertige Rapalben. Ich hab' verstanden, dass ich genau das machen muss, was ich machen will, weil ich mit mir leben muss. Und nicht die Menschen, die ein zweites "Jazz auf gleich" von mir wollen. Rap ist immer der Grundstein für das, was ich mache. Ich fühle mich total befreit durch die Mucke, die ich in der letzten Zeit gemacht habe. Das sind riesengroße Ketten, die ich abgelegt habe und die jeder ablegen sollte. Es muss nicht jeder ein Autotune-Fan werden. Aber man sollte sich von einigen Sachen einfach lösen, um leichter durchs Leben zu gehen. Man nimmt sich dadurch nichts, man gewinnt nur.
(Alexander Hollenhorst)
(Fotos von Robert Winter)