Das erste Konzert, das man ohne Eltern besuchen durfte. Nachts alleine auf der Autobahn und den gleichen Song immer und immer wieder hören, weil man nicht fassen kann, wie gut er ist. Der Track, den man mit den Freund:innen von früher laut grölend auf jeder Party mitgesungen hat. Vermutlich kennt jeder Mensch diesen Moment: Es läuft ein bestimmtes Lied oder Album, das einen direkt emotional in eine Situation zurückversetzen kann, nostalgisch werden lässt oder einfach nur aufgrund seiner Machart immer wieder zum Staunen bringt. Und genau darum geht es in unserem Format "DIGGEN mit …". Wir diggen mit verschiedenen Protagonist:innen der Szene in ihren gedanklichen Plattenkisten und sprechen über Musik, die diese Emotionen in ihnen auslöst. Dafür stellen unsere Gäste jeweils eine eigene Playlist mit Songs zusammen, die sie bewegen, begeistern und inspirieren.
Unsere neue Ausgabe beschäftigt sich mit einer ganz bestimmten Emotion: der Liebe. Über sie wurden wohl schon mehr Songs als zu jedem anderen Thema veröffentlicht und viele Worte verloren – und doch ist es schwierig, die richtigen zu wählen. Worte, die nicht kitschig und plakativ sind, da die Liebe ein ganzes Spektrum an Emotionen beinhalten kann, das bei einem "Ich liebe dich" nicht zwingend mitgemeint ist. Deswegen stellte uns der Künstler, DJ und Produzent V.Raeter eine Playlist zusammen, die Musik beinhaltet, die ihn geprägt hat und gleichzeitig alle Seiten der Liebe beleuchtet. Die Songs erzählen von anfänglicher Aufregung und Unsicherheit, von Zärtlichkeit und Glücksgefühlen, von Spannung und Zerbrechlichkeit, vom Vermissen und Hoffen; letztendlich aber auch viel von Trennung und Schmerz, weil das nunmal genauso zur Liebe dazugehört. So entführen uns Mount Kimbie und James Blake dahin, wo die Party endet und die Liebe beginnt, Love Apple bringen uns an einen Ort, an dem das Vergessen nicht gelingen will und Madlib begleitet einen auf die Straße der Einsamen.
1. Manfred Krug – Komm und spiel mit mir (prod. by Günther Fischer)
V.Raeter: Wenn man jemanden kennenlernt, denkt man natürlich nicht so darüber nach, aber Manfred Krug guckt bei "Komm und spiel mit mir" in die Zukunft und fragt sich, wofür er gehasst und wofür er geliebt werden wird. Und irgendwie löst das einen Herzschmerz in mir aus, obwohl es in dem Song eigentlich um etwas Schönes geht. Ich bin allgemein Manfred Krug-Fan und was dieses ganze AMIGA-Zeug angeht, ist er natürlich die Speerspitze. (Anm. d. Red.: AMIGA war ein legendäres Plattenlabel, das in der DDR gegründet wurde und neben vielen Ostrock-Schallplatten auch einige Jazz-Platten veröffentlichte.) Viele Leute sagen, dass er nicht gut singen kann, aber ich liebe seine Art zu singen, weil sie Gefühle weckt. Wenn er mit seiner Stimme so hochgeht und sie fast bricht, berührt mich das. Er singt einfach, auch wenn es sich nicht so anhört wie bei Leuten, die technisch ausgebildet sind. Aber durch das vermeintlich Unperfekte kommt viel mehr rüber. Es ist auch Teil meiner Kunst, manche Sachen bewusst falsch zu machen, um Brüche zu erzeugen und dadurch Gefühle anders zu touchen.
2. RJD2 – Here's What's Left (prod. by RJD2)
V.Raeter: "Here's What's Left" ist ein krasser Lovesong und gleichzeitig RJD2 ein großes Produzenten-Vorbild für mich. Gerade in meinen ersten Jahren als Produzent hat er mich sehr geprägt. Die Art, wie der Track aufgebaut ist, die Melodien, das Vocal-Sample – das ist einfach stark. Ich höre das Lied immer noch sehr gerne und auch wenn ich Leuten Musik zeige, ist es heute noch oft dabei. Es gibt zwar einige gute Songs von RJD2, aber der war immer ein Highlight für mich.
3. Bremer/McCoy - Drømmer (prod. by Bremer/McCoy)
V.Raeter: "Drømmer" hat sich zu einem meiner Lieblingstracks entwickelt. Ich finde, den kann man gut im Dunkeln hören, aber genauso gut im Sonnenschein, während man aufs Meer guckt und träumt. Das ist einfach ein sehr schönes Lied. Es ist ja oft bei Heartbreak-Musik so, dass die Stimmung sich nach Lage verändern kann. Sie wird zu deinem Soundtrack. Du hörst zum Beispiel einen Song im Supermarkt und plötzlich hast du feuchte Augen, weil er dich an etwas erinnert und wie ein Gedächtnis-Marker funktioniert. Bei Filmen wird ja auch manchmal eine dramatische Szene mit Happy Songs unterlegt oder umgekehrt, weil das noch mal eine andere Seite erzählt. Wenn Leute lachen, sind sie manchmal todtraurig, aber sie können auch vor Glück weinen. Das Leben ist nicht so leicht. (lacht) Punkt.
4. Suff Daddy – Sophie's Symphony (prod. by Suff Daddy)
V.Raeter: Suff Daddy ist ein langjähriger, guter Freund, der seiner Freundin einen Track geschenkt hat. Super romantisch. Deswegen ist "Sophie's Symphony" mit in der Playlist.
5. Kings of Convenience feat. Four Tet – The Weight Of My Words (prod. by Kings of Convenience, Ken Nelson, Four Tet)
V.Raeter: "The Weight Of My Words" löst sowas Bittersüßes in mir aus. "Die Kraft meiner Worte" – wenn man sich im falschen Moment nicht gut ausdrückt, kann es gewisse Dinge auch schlimmer machen. Den Song habe ich beim Fernsehen entdeckt. Eigentlich digge ich durchgehend. Immer wenn ich etwas höre, das mir gefällt, habe ich sofort Shazam offen – ob das jetzt in einer Bar, im Supermarkt oder eben beim Fernsehen ist. Als ich die Serie "Skins" geguckt habe, lief das im Hintergrund und ich dachte: "Boah, was ist denn das?" Ich war direkt megaverliebt in den Track. Kings of Convenience und Four Tet sind einfach krasse Künstler und das ist ein supergeiler Instrumental-Remix vom Original mit Text. Four Tet ist eh ein geiler, experimenteller Produzent und dieses Rückwärts-Sample macht ein schönes Feeling. Erlend Øye von Kings of Convenience produziert viel Techno, aber hat auch einen großen Bezug zu HipHop. Das merkt man, wenn man die Mucke hört, deswegen kann ich gut damit relaten. Da nimmt mich unterschwellig immer irgendetwas mit. HipHop ist ja nicht Rap oder Beats, sondern … ein Lebensgefühl. (lacht) Es geht halt um diese Sample-Kultur: Man nimmt etwas von hier und etwas von da und macht etwas Neues daraus. Deswegen ist es HipHop und nicht, weil es ein bestimmtes "Rezept" dafür gibt. Es gibt zum Beispiel Lo-Fi-Beats, die safe kein HipHop sind, weil sie sich komisch statisch und nicht lebendig und dreckig anhören. Das ist mehr ein Gefühl. Wahrscheinlich gibt es Leute, die das besser erklären können.
6. Mount Kimbie feat. James Blake – We Go Home Together (prod. by Kai Campos, Dominic Maker, James Blake)
V.Raeter: Ja, super Song. Einfach schön. Punkt. Auch alle derbe Produzenten und Musiker. Das Mount Kimbie-Album habe ich nicht oft gehört, aber wenn ich es gehört habe, hat es mich sehr mitgenommen – krasser Film. Das erste James Blake-Album ist auch ein kompletter Heartbreak-Film: Auf dem Bett liegen, das hören und sich gehen lassen und heulen. Es wirkt einfach, ist aber sehr komplexe Musik. Mit King Krule geht es mir ähnlich. Das sind Sachen, die ich gerne für mich alleine höre.
7. Love Apple – Guess I Always Knew (prod. by Lou Ragland)
V.Raeter: Das ist voll schön. "Ich hab' es schon immer gewusst." – Ich interpretiere da auch Schicksal rein, wie das so oft bei der Liebe ist. Eine Bestimmung oder so. Der Sound ist auch so schön dreckig, garagenmäßig. Das rauscht und knackt und unterstreicht das Ganze, finde ich. Die Platte ist auf einem Label erschienen, das Numero Group heißt und ein breites Spektrum an musikalischen Stilen veröffentlicht. Ein sehr großer Teil davon sind alte Soul- und Funk-Sachen aus den USA, die zum Beispiel irgendwann in den 60ern mal von ein paar Leuten in einer Garage aufgenommen wurden. Die suchen nach Musik, lizenzieren sie und bringen dann schöne Compilations mit einem Fotobuch raus und solche Sachen. Deshalb wird es von Love Apple immer nur diese eine Platte geben, weil die Leute danach wahrscheinlich wieder normal gearbeitet haben. Das sind Juwelen.
8. Jesper Munk – Baby (prod. by Jesper Munk)
V.Raeter: Der Song ist relativ neu, den habe ich bei Tereza in der Story gesehen, als sie den Bandcamp-Friday angepriesen hat. Jesper Munk hat für das Tape offenbar Cover-Versionen aufgenommen. "Baby" kannte ich schon. Das ist ein alter Soul-Track, der vor ein paar Jahren schon mal gecovert wurde. Diese Version gefällt mir auch sehr gut. Sie klingt gut, die Drums sind geil und seine Stimme gibt dem noch mal eine andere Farbe.
9. Rejjie Snow feat. Milena Leblanc – Mon Amour (prod. by Lewis OfMan)
V.Raeter: Das ist einfach ein geiler Ohrwurm. Wenn ich den Song höre, pfeife ich ihn den kompletten Tag vor mich hin. Finde ich gut. Ich mag Rejjie Snow. UK-Rap mag ich allgemein sehr gerne. Da ist die Herangehensweise irgendwie anders und auch die Sprache ist eine schöne Abwechslung.
10. Bacao Rhythm & Steel Band – I Love You (prod. by Bacao Rhythm & Steel Band)
V.Raeter: Das ist auch eine Cover-Version und zwar von einem Mary J. Blige-Track, der wiederum auf einem Sample von Isaac Hayes basiert. Von "I Love You" von Mary J. Blige gab es einen Smif-N-Wessun-Remix, der viel auf KISS FM lief, als ich ein Teenager war. Das habe ich auf Tape aufgenommen und ständig gehört. Das Original-Klavier ist sehr herzzerreißend. Ich feiere solche Remixe und Coverversionen, weil sie einen an eine Zeit zurückerinnern können – so auch hier. Bacao Rhythm & Steel Band covern allgemein viele HipHop-Classics und so Zeug, was Spaß beim Auflegen macht, weil es diesen Aha-Effekt gibt.
11. Madlib – Road Of The Lonely Ones (prod. by Madlib, Four Tet)
V.Raeter: Das ist von Madlibs letztem Album und auch ein ziemlicher Ohrwurm. Madlib hat Skizzen für das Album gemacht und Four Tet hat das Ganze dann ausproduziert. Und somit schließen wir wieder den Kreis zu "The Weight Of My Words". Weil Four Tet halt ein geiler Typ ist. Ein experimenteller Producer, der aber trotzdem ein größeres Publikum erreicht hat. Sowas finde ich einfach gut.
12. Minnie Riperton – Lovin' You (prod. by Stevie Wonder)
V.Raeter: Ich musste mich zwischen "Inside My Love" und "Lovin' You" von Minnie Riperton entscheiden. "Inside My Love" wurde so viel gesampelt, deswegen dachte ich, nehme ich lieber "Lovin' You". Das sind aber beides Lieder, die ich sehr gerne mag. Als ich das damals entdeckt habe, hat mich ihre Stimme voll umgehauen. Sie singt so zuckersüß, aber hat dann immer wieder explizite Lyrics drinnen. Auch mit dem Eis, das ihr über die Hand läuft auf dem Cover – diese subtilen, sexuellen Andeutungen fand der kleine Martin lustig. (lacht) "And every time that we ooh, I'm more in love with you."
13. Ohio Players – Our Love Has Died (prod. by Ohio Players)
V.Raeter: Ja, und damit ist die Liebe jetzt gestorben …
All diese Tracks findet ihr hier in unserer "DIGGEN mit V.Raeter"-Playlist auf Spotify.
(Yasmina Rossmeisl)
(Foto von Robert Winter)