Lord Folter – Auch wenn Du da bist
"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Wie oft hört man noch einen Track im deutschen Rap und fragt sich, was die Künstler:innen wohl damit gemeint haben? Viel Interpretationsspielraum wird den Hörer:innen oft nicht mehr gelassen. Natürlich gibt es mit nahezu dadaistischen Texten auch das andere Extrem. Lord Folter ist für mich jedoch nahezu der einzige, der starke, zum Nachdenken anregende Lyrik mit Musikalität so perfektioniert verbindet. Insbesondere auf "Auch wenn Du da bist" von seinem Album "1992day".
Dieser Beziehungssong beginnt mit einer angenehm gesungenen Hook, die schon – ein wenig kryptisch – die Richtung vorgibt: "Ich vermiss' dich, auch wenn du da bist, doch mir fehlt nichts." Was danach folgt, ist eine Erzählweise, die für Lord Folter nicht unüblich ist: Seine Zeilen sind im Einzelnen zwar lyrisch wertvoll, doch oft lässt sich nicht gleich erschließen, wie sie miteinander zusammenhängen. Hier wird der Sinn allerdings etwas schneller als gewohnt klar: Beide Parts sind geprägt von gegensätzlichen Aussagen über eine Beziehung. So geben Zeilen wie "Hey, du, es tut mir leid. Ich bereue nichts" oder "Ertragen kann ich viel, nur nicht zu viel Harmonie" Einblick in ein Verhältnis, das permanent zu scheitern droht. Faszinierend ist dabei, dass man mit jedem Hören mehr in den Text hineindeuten kann. Ich bin inzwischen an dem Punkt, an dem der erste Verse für mich noch danach klingt, dass das lyrische Ich dem Gegenüber nicht gerecht wird. Der zweite Verse wirft auf die Beziehung jedoch ein ganz anderes Licht: Hier wirkt es, als hätte das lyrische Ich erkannt, dass sowohl er als auch seine Partnerin mit den gleichen psychischen Dämonen zu kämpfen haben, welche ihnen das Leben schwer machen. Dies würde zudem erklären, warum man sich vermisst, auch wenn die andere Person da ist: Weil man geistig ganz woanders ist.
Am Ende könnte ich ewig versuchen, den Text zu deuten und ewig mit der besten Freundin darüber debattieren, was Lord Folter nun wirklich gemeint haben könnte. Und genau das regen Künstler:innen viel zu selten an: den Drang, sich intensiv mit ihren Texten auseinanderzusetzen und deren Bedeutung zu ergründen.
(Lukas Päckert)